Weil Selbst- und Fremdwahrnehmung mitunter auseinanderklaffen, sind Streaming-Anbieter gut beraten, aufs ungeschönte Feedback ihres Publikums zu hören. Von neutraler Warte hilft dabei nun die Technische Hochschule Köln weiter, die gemeinsam mit der Bauhaus-Universität Weimar und der Kölner Medienberatung HMR International über 2.000 Streaming-Nutzerinnen und -Nutzer nach ihren Eindrücken und Bewertungen gefragt hat. "Secrets of Streaming" heißt die Studie, die dabei herausgekommen ist und die tatsächlich einige unangenehme Wahrheiten zutage fördert.

Aus Zuschauersicht müssen RTL+ und Joyn noch kräftig nacharbeiten, wenn sie die internationalen Vorbilder in puncto Design und Technik einholen wollen. Zu der Aussage "frei von Mängeln und funktioniert wie beworben" erhält RTL+ auf einer Siebener-Skala nur 4,74 als Durchschnittsbewertung und bildet damit das Schlusslicht aller Angebote. Joyn liegt mit 4,87 nur unwesentlich besser. Den Standard setzen hier laut Studie Disney+ und Netflix mit Durchschnittswerten von 6,0 bzw. 5,73.

Generell werden die deutschen Plattformen wenig überraschend als deutlich schlechter bei personalisierten Empfehlungen bewertet. Während Netflix das Feld mit durchschnittlich 5,32 auf der Siebener-Skala anführt, schaffen RTL+ und Joyn lediglich Werte von 4,54 bzw. 4,45 – und die Mediatheken von ARD (3,82) und ZDF (4,0) sind besonders weit abgeschlagen. "Hier wirken sich vermutlich die Begrenzungen beim Log-in negativ aus", glaubt Studienleiter Christian Zabel, Professor für Medienwirtschaft und digitale Transformation an der TH Köln.

Vor allem bei der inhaltlichen Bewertung zeigt sich, dass die heimischen Dienste noch so manches Wahrnehmungsproblem haben. Auf die Frage nach der Aktualität der angebotenen Inhalte sehen die meisten Studienteilnehmer ausgerechnet Disney+ vorn – mit einer Durchschnittsbewertung von 6,42. Dabei hat der Disney-Konzern die Frequenz, mit der frisches Programm nachgelegt wird, schon seit einiger Zeit zurückgefahren und gerade erst eine weitere Reduktion angekündigt. Dennoch: "Den Mediatheken wird trotz hoher Programmproduktion keine führende Rolle zugestanden", so Zabel. ARD (5,67) und ZDF (5,84) liegen in etwa gleichauf mit Netflix (5,87) und Prime Video (5,71).

Christian Zabel © TH Köln Christian Zabel
Ebenfalls bitter: Dass auch die Streaming-Ableger der deutschen TV-Sender eigenproduzierte Inhalte anbieten, scheint sich noch immer nicht bei allen herumgesprochen zu haben. Es sind in erster Linie die großen Drei, die laut Studie als Heimat für Original-Produktionen gelten: Disney+ (6,53) vor Netflix (6,25) vor Prime Video (5,95). Mit Abstand folgen ZDF (5,47) und RTL+ (5,41), besonderen Nachholbedarf haben ARD (5,28) und Joyn (4,82). Immerhin dürfen sich ARD und ZDF rühmen, bei Dokumentationen und Informationssendungen aus Nutzersicht vorn zu liegen. In den fiktionalen Genres dominieren hingegen Disney+ und Netflix – mit der einzigen Ausnahme Daily Soaps: Dank "GZSZ" & Co. kommt hier keiner der Internationalen an die Wahrnehmung von RTL+ heran. Zwei weitere Genres, in denen RTL+ und Joyn deutlich vor allen anderen landen, sind Shows und Reality.

Unterm Strich überrascht es somit kaum, dass Disney+ laut Studie das beste Image aller Streaming-Anbieter bescheinigt wird – durchschnittlich 5,77 auf der Siebener-Skala. Die enorme Strahlkraft der globalen Entertainment-Marken Marvel und "Star Wars" trägt die Wahrnehmung des Publikums ganz offensichtlich über von Branchenexperten analysierte Untiefen hinweg. Beim Markenimage folgen Netflix (5,08), Prime Video (4,88), RTL+ (4,57), ZDF (4,42) und ARD (4,35). Das Schlusslicht bildet Joyn (3,99), und auch bei der Weiterempfehlung liegt die ProSiebenSat.1-Plattform ganz hinten (3,57). Die besten Weiterempfehlungswerte erreichen Disney+ (5,29), Netflix (4,19) und RTL+ (4,13).

Aus der Studie geht auch hervor, dass die Abonnenten zunehmend aufs Geld achten. "Knapp jeder Fünfte hat in den letzten zwölf Monaten ein Streaming-Abo gekündigt", so Zabel. Und: Jeder fünfte deutsche Netflix-Abonnent habe sich bereits für das günstigere, werbefinanzierte Abo entschieden. Ob die Kraftanstrengung, RTL+ zur Multimedia-App auszubauen, auf viel Gegenliebe stoßen wird, scheint derweil fraglich. Zwar sehen 46 Prozent der Befragten grundsätzlich einen Mehrwert durch zusätzliche Medieninhalte im Streaming-Abo. Doch geht es den meisten dabei um Musik, die knapp jeder Dritte als Zusatzbestandteil für "sehr wichtig" hält. Über Podcasts, Hörbücher und E-Books sagen das nur 11 bis 13 Prozent, über digitale Zeitschriften gerade einmal 8,7 Prozent.

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