600.000 Euro soll Hubert Seipel aus Russland für ein Buch erhalten haben, in dem es allen voran um Machthaber Wladimir Putin ging. Dass er die Zahlungen nicht öffentlich machte, obwohl er gleichzeitig in Talkshows den Machthaber im Kreml verteidigte, mit ihm ein Interview führte und zudem eine Putin-Doku für die ARD produzierte, rief vor wenigen Monaten zahlreiche Kritiker auf den Plan. Nun berichten "Spiegel" und das ZDF, dass Seipel der ARD kurz vor dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 ein Interview angeboten hat. 

Dabei wandte sich Seipel nach Angaben des Nachrichtenmagazins und des Senders an den RBB, also die Anstalt, die damals noch den ARD-Vorsitz inne hatte. Dort leitete man das Angebot an WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni weiter, der WDR betreibt das Studio Moskau und ist deshalb verantwortlich für die Berichterstattung aus Russland. Zum damaligen Zeitpunkt zog Russland etliche Soldaten an der Grenze zusammen und im Rest der Welt wurde noch darüber diskutiert, ob Putin tatsächlich einen großangelegten Angriff wagen würde. 

Ellen Ehni © WDR/Annika Fußwinkel Ellen Ehni
Und auch wenn die Enthüllungen rund um Hubert Seipel erst rund eineinhalb Jahre später für Aufsehen sorgten (DWDL.de berichtete), die Reaktion aus dem WDR fiel sehr deutlich aus. "Spiegel" und ZDF berichten von WhatsApp-Nachrichten, die Ellen Ehni nach dem Eingang des Angebots an ARD-Chefredakteur Oliver Köhr geschickt hat - und in denen sie sich deutlich gegen ein Putin-Interview von Seipel ausspricht. In den Nachrichten begründet sie das auch: "Erstens war es schon 2014 ein Desaster (unkritisch, unterwürfig), zweitens trat Seipel 2016 auf der Buchmesse mit Putin auf." Außerdem wirke es in der angespannten Lage so, als habe man "kein Rückgrat". 

Innerhalb des WDR war man schon mit einem Porträt über Putin aus dem Jahr 2012 und einem Interview mit dem russischen Machthaber aus dem Jahr 2014 nicht glücklich, hinter beidem stand damals Hubert Seipel. Beide Projekte wurden vom NDR durchgeführt. Wenig später antwortet Köhr an Ehni und gibt ihr Rückendeckung: "Bin voll und ganz Deiner Meinung", so der ARD-Chefredakteur. 

Der RBB hat keine Infos zum Vorgang

Oliver Köhr © ARD/Laurence Chaperon Oliver Köhr
Die WhatsApp-Nachrichten geben aber auch einen schönen Einblick in den Maschinenraum der ARD, wo man trotzdem an sein Ziel kommen kann, auch wenn man mächtige Feinde innerhalb des Systems hat. "Ich möchte gleichzeitig verhindern, dass das Ganze auf anderen Wegen bei uns im System auftaucht (z. B. wie damals über den NDR)", schreib WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni. Und Köhr, der auch um die Schwächen des ARD-Systems weiß, antwortet: "Soll ich prophylaktisch noch mit jemandem sprechen, um ein Anlanden in unserem System zu verhindern?" Am Ende haben Ehni und Köhr das Interview mit Putin kurz vor Kriegsausbruch erfolgreich verhindert. 

Bemerkenswert ist an der ganzen Sache auch, mal wieder, die Rolle des RBB. Dort kann man den Vorgang gegenüber "Spiegel" und ZDF heute jedenfalls nicht mehr nachvollziehen. "Ob ein Interviewangebot von Herrn Seipel an irgendeiner Stelle im RBB vorlag, können wir nicht rekonstruieren", heißt es gegenüber den beiden Medien aus der Pressestelle. "In der Chefredaktion liegen dazu keine Unterlagen vor; der Chefredakteur kann sich an ein solches Angebot nicht erinnern, daher auch nicht an ein Gespräch mit dem WDR in dieser Sache." Die damalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger bestreitet, dass Seipel ihr ein Exklusivinterview mit Putin angeboten habe. Seipel selbst äußerte sich nicht. 

Die im November aufgedeckten Zahlungen an Seipel haben damals zu einer unabhängigen Untersuchung durch den NDR geführt. Der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann soll die Vorgänge um die Beauftragung und Umsetzung der Filme von Seipel durchleuchten. Nach DWDL.de-Informationen sollen hier schon bald erste Ergebnisse vorliegen.