Immer wieder ist beim Hessischen Rundfunk (HR) in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten über Sparmaßnahmen im Hörfunk diskutiert worden, sodass man sich an die Abgesänge aufs klassische Radio ein Stück weit längst gewöhnt hat. Derart existenziell wie diesmal klangen die Aussagen des HR allerdings noch nie. Eine neu entwickelte Radiostrategie, die der öffentlich-rechtliche Sender am Mittwoch präsentierte, soll nichts weniger als die "Zukufts der Hörfunkangebote" sichern. Diese verfolgt, analog zum vom HR ausgegebenen Zielbild für das Jahr 2032, eine langfristige Perspektive und leitet davon zunächst konkretere Pläne bis 2028 ab.

So spricht der HR von einer "Fokussierung der Radioangebote". Diese sollen sich "noch passgenauer an den sich ändernden Nutzungsgewohnheiten und Zielgruppen ausrichten". Beim Blick auf die Details wird deutlich, dass es die angekündigten Maßnahmen in sich haben: So ist die Rede von einer stärkeren Fokussierung auf die nach wie vor stark genutzten Zeiten am Morgen in allen sechs Radioprogrammen sowie mehr Synergien durch die Mehrfachverwertung vorhandener Inhalte im reichweitenschwächeren Tagesbegleitprogramm.

Konkret soll bei HR1 und HR4 der Fokus auf den Frühsendungen liegen, während originärer Content danach reduziert werden soll. Am Abend will man verstärkt auf ARD-Kooperationen setzen, wie man sie jüngst schon bei HR1 zusammen mit SWR1 umsetzte - was schon hier, am vergleichsweise unbedeutenden Programmrand, einige Kontroversen nach sich zog. Auch bei HR2-Kultur liegt der Fokus künftig auf der Frühsendung. Hier soll es im Anschluss daran nach dem Willen der Verantwortlichen sogar nur noch ein Klassik-Musikprogramm ohne originären Content zu hören geben - ein bitterer Einschnitt. Gleichzeitig sollen Wortformate zweitverwertet und die aktuelle Kulturberichterstattung zu HR-info verlagert werden.

Während bei der Popwelle HR3 vor 21 Uhr keine wesentlichen Veränderungen geplant sind, steht hinter der Zukunft der Jugendwelle You FM ein dickes Fragezeichen. Wörtlich heißt es: "You FM kooperiert entweder mit anderen jungen ARD-Programmen oder es wird zu deutlich reduzierten Kosten eigenständig weitergeführt." Die eigenständige Weiterführung klingt dabei eher nach einem unliebsamen Plan B. Keine Zukunft haben darüber hinaus die Radio-Apps des HR, die stattdessen in der ARD-Audiothek aufgehen werden.

HR schließt Kündigungen vorerst aus

Details zur genauen Ausgestaltung der Kürzungen nannte der HR zunächst nicht. Der weitere Fahrplan sieht zunächst vor, dass die Programm-Verantwortlichen zusammen mit der Geschäftsleitung ab September einen konkreten Umsetzungsplan für die erste Stufe entwickeln. Dabei sollen alle tarifvertraglichen Verpflichtungen geachtet werden, verspricht der HR und kündigt zugleich an, dass Kündigungen derzeit ausgeschlossen seien.

Mit den genannten Einschnitten will der Hessische Rundfunk auf gleich mehrere Herausforderungen reagieren, vor denen das klassische Radio steht. Das verliere, so rechnet man vor, von Jahr zu Jahr im Durchschnitt etwa ein Prozent an Nutzung, bei den jüngeren Zielgruppen liege der Wert gar bei etwa 2,5 Prozent. Gleichzeitig nehme die Nutzung digitaler Medien schnell zu. Nach dem Fernsehen soll daher nun auch das Radio "vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen und medienpolitischen Diskussionen zukunftsgerichtet aufgestellt".

Nur noch drei statt sechs Radiosender?

"Das Radio ist und bleibt wichtig und wir wollen weiter erfolgreiches Radio anbieten", versichert Martin Lauer, stellvertetender HR-Programmdirektor. "Die einzigartige Funktion, die Radio einnimmt, lässt sich nicht digitalisieren – und genau deshalb wird es auch in Zukunft Radio geben. Es wird Radioangebote brauchen und geben, die konsequent an die Zielgruppe der über 50-Jährigen und deren Nutzungsverhalten ausgerichtet sind." Dabei schwingt mit, dass der Bedarf einer Jugendwelle wie You FM in Zukunft eher nicht mehr gesehen wird.

Gabriele Holzner © HR/Katrin Denkewitz Gabriele Holzner
Tatsächlich ist schon jetzt klar, dass es bei den jetzt angekündigten Einschnitten nicht bleiben wird. So sieht das aktuelle Szenario des HR nach 2028 nur noch drei Vollprogramme mit eigenproduzierten Inhalten vor. Weitere Wellen könnten demnach jedoch im ARD-Verbund oder durch interne Zusammenarbeit weiter bestehen. "Natürlich können wir nicht so weit in die Zukunft schauen. Es ist uns dennoch wichtig, mit dieser Annahme unsere stetigen und umfassenden Veränderungen im HR voranzutreiben", sagte HR-Programmdirektorin Gabriele Holzner. "Denn wir müssen weitere langfristige Entscheidungen, zum Beispiel zu Produktions- und Redaktionsflächen sowie der personellen Ausstattung, treffen."

Dabei helfe eine Orientierung an drei eigenproduzierten Radiowellen. Welche das sein könnten, werde sich erst in einigen Jahren zeigen, so Holzner. "Darüber gibt es heute noch keine Entscheidung."