Sonja Zietlow, seit 2004 Heldin des RTL-Dschungels, hat sich unlängst furchtbar aufgeregt, dass sie in diesem Jahr erneut einen Deutschen Fernsehpreis bekommen hat, diesmal für das frische RTL-Format „Die Verräter – Vertraue niemandem!“. Es würden manchmal Formate ausgezeichnet, „nur weil sie gut gemachtes Fernsehen sind“, ätzte Zietlow. Im Gegensatz dazu bekomme „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ erst nach 20 Jahren den ersten Fernsehpreis, „obwohl es das wirklich erfolgreichste Format der letzten 20 Jahre ist. Das ist ein Arschtritt für Dirk Bach, für mich und für Daniel Hartwich.“

Well, abgesehen davon, dass die nun doppelte Fernsehpreisträgerin in ihrer Suada außer Acht ließ, dass die Dschungelshow mit neun Nominierungen sowie einem Deutschen Fernsehpreis im Vorjahr eines der meistberücksichtigten Unterhaltungsformate in der Geschichte des deutschen Fernsehens ist, würde man gerne das hier wissen, weil es ja irgendwie vergleichbare Fälle sind:

Hegt Heidi Klum eigentlich ähnliche Gefühle wie Sonja Zietlow?

Am kommenden Mittwoch in München wird die Präsentatorin und Namensgeberin von „Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“ mit einem „Blauen Panther – TV & Streaming Award“ ausgezeichnet, vormals Bayerischer Fernsehpreis genannt. Damit erhält sie hierzulande zum allerersten Mal eine Fernsehtrophäe, obwohl die Modelshow eines der wirklich erfolgreichsten Formate der letzten 20 Jahre ist, zumindest auf ProSieben. Nicht mal eine Nominierung gab es für GNTM in all der Zeit.

Ob Heidi Klum im Jury-Lob aus Bayern, das sich explizit auf die in diesem Jahr ausgestrahlte 19. Staffel bezieht, „Arschtrittpotenzial“ erkennt oder sich einfach nur ganz dolle freut, ist nicht bekannt und ihre Auskunftsfreude gegenüber DWDL.de ohnehin, nun ja, verhalten. Zum Glück ist ihr Produzent gesprächsbereiter.

Jobst Benthues © Redseven Entertainment / Yves Krie
Jobst Benthues ist, was Fernsehpreise betrifft, mehrfach dekoriert. Die von ihm 2008 gegründete und geführte Produktionsfirma Redseven Entertainment holte zum Beispiel 2022 für den One-Shot „Don’t stop the music“ mit Bülent Ceylan sowohl einen Deutschen als auch einen Bayerischen Fernsehpreis. Im Portfolio finden sich seit 2009 „Rosins Restaurants“ und die Abspeckshow „The Biggest Loser“, auch der Langläufer „The Taste“ (2018 für den Deutschen Fernsehpreis nominiert) – und eben „Topmodel“, das die Redseven 2013 von der Tresor TV erbte.

Letzteres Format beschäftigt Benthues allerdings weit länger. Als er noch jung war, Mitte 30, und Unterhaltungschef bei ProSieben, entdeckte er die von Tyra Banks entwickelte amerikanische Formatvorlage „Next Topmodel“ auf der Fernsehmesse in Cannes und lizenzierte sie für seinen Sender. Er war es auch, der letztlich entschied: Wenn es jemand macht, dann Heidi Klum.

Sagen wir’s, wie es ist: Ohne Jobst Benthues wäre die in Bergisch Gladbach geborene Weltbürgerin kein deutscher Fernsehstar geworden. In gewisser Weise gebührt der Blaue Panther also auch ihm, nicht wahr?

„Es ist Heidis Preis und das sehr zurecht“, antwortet der Produzent strahlend wie ausweichend. Sie sei schon immer mehr als nur die Namensgeberin der Show gewesen. GNTM sei ihr Format. Es trage ihre Handschrift. „Wir von der Redseven freuen uns natürlich ganz besonders mit ihr und für sie.“

Um zu erzählen, wie das alles mit Heidi Klum und ihren „Meeedchen“ einmal anfing und überhaupt mit seiner eigenen Fernsehkarriere, hat sich Benthues am Dienstag dieser Woche auf dem Bavariafilm-Gelände in ein Büro mit vielen Bildschirmen zurückgezogen. Seit Anfang Oktober wird dort die 20. Staffel von GNTM gedreht, bis dann der Wanderzirkus demnächst auf große Reise in Klums Wahlheimat Los Angeles geht.

 

"Veränderung steckt in jeder Pore dieses Formats."

 

Zumindest streckenweise wird auch der inzwischen graumelierte Benthues, dem in der TV-Branche (vornehmlich der weibliche Teil) good looks und Charisma attestiert werden, mit am US-Set sein. Sein Hauptjob ist eigentlich die Führung der Redseven-Geschäfte, Development, Akquise und Verkauf. Aber bei dieser Jubiläumsstaffel, die auch für ihn „etwas ganz Besonderes“ ist, hat er sich wieder mehr in die Produzentenrolle begeben, ist wieder mehr hands on.

Damals in Cannes, erzählt Benthues, hätte er nie gedacht, dass ihn „Topmodel“ in Summe 20 Jahre beschäftigt. Der Stolz auf das Format spricht aus ihm, wenn er darauf verweist, wie extrem GNTM gewachsen sei allein hinsichtlich des Production Values. Früher hätten sie Sterne auf den Teppich geklebt, heute bauten sie große LED-Wände um den Catwalk. „Wir haben ,Topmodel‘ nicht nur inhaltlich kontinuierlich weiterentwickelt. Veränderung steckt in jeder Pore dieses Formats.“ Das sei einer der Erfolgsfaktoren, glaubt Benthues. Und manchmal „kein leichter Ritt“.

Wenn sie in Amerika über drei Monate drehten und jeden zweiten Tag ein neues Set aufbauten, dann sei das „herausfordernd und anstrengend“. Aber es mache auch Spaß. „Ich bin sehr stolz auf unser Team. Mittlerweile gelten wir bei den amerikanischen Lizenzgebern als Role Model, auch wegen des dauerhaften Quotenerfolgs.“

Germany's next Topmodel © ProSieben/Daniel Graf "Germany's next Topmodel" mit Heidi Klum

Die vergangene Staffel, die mit den Boys, war mit im Schnitt 19,9 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen in der Tat wieder eine der erfolgreicheren. Ob mal ein Prozentpunkt mehr oder weniger, das ist für Benthues nicht ausschlaggebend. Es zähle, dass die Gesamtreichweite (dank der Joyn-Verbreitung) steige und das Grundinteresse über einen langen Zeitraum da sei. „Daran arbeiten wir hart.“

Und man kann davon ausgehen, dass die Girls und Boys genauso hart an die Erfüllung ihres Model-Traums herangehen.

Bisherige Gewinnerinnen und ein Gewinner kamen aus Cloppenburg, Haltern am See, Amberg Moormerland-Jheringsfehn, Kaiserslautern und Kassel, aber noch keine(r) wurde in Hildesheim geboren, so wie Jobst Benthues, Jahrgang 1969.

„Kennen Sie Hildesheim?“, fragt er lachend. Wenn er gefragt werde, woher er komme, sage er immer: aus der Nähe von Hannover. Das sei ein Reflex von vielen Hildesheimern. Hildesheim sei so unscheinbar. Wen wundert’s, dass der Sunnyboy zum Studieren seine Heimat verließ.

Vom Kabelträger zum Chef

Drei Jahre, bevor die Bergisch Gladbacher Abiturientin Heidi Klum bei einem Model-Contest in Thomas Gottschalks Late Night Show auf RTL entdeckt wird, schlägt Benthues in Köln auf. Er beginnt 1989 mit BWL. Und geht parallel den geradesten Weg, den es beim Privatfernsehen gibt: Kabelträger, Aufnahmeleiter, Redaktionsassistent, Casting-Redakteur, Producer, Produktionsleiter. Gefühlt hat er alle paar Wochen einen neuen Job.

Als Barbara Eligmann das erste Mal auf RTL sagt: „Guten Abend, mein Name ist Barbara Eligmann“, sitzt er am Teleprompter. Er richtet mit Heiner Bremer das „Nachtjournal“ ein, jettet mit Hans Meiser für Außenübertragungen bis nach Wien. Den Spaß und den Respekt vor Live-Fernsehen, den lernt Benthues bei den News von RTL.

1995 wechselt er zu ProSieben nach München-Unterföhring als Vize-Geschäftsführer Business Development und ist zwei Jahre später Head of Entertainment, mit gerade mal 28 Lenzen, bei einem Sender, wo fast ausschließlich Spielfilme laufen. Benthues legt mit dem Aufbau non-fiktionaler Unterhaltung los, probiert viel aus. Von RTL2 holt er die Gesangsshow „Popstars“. Und als diese gut anläuft, sucht er nach einem Format, das junge Leute genauso begeistert. In Cannes wird er, wie gesagt, fündig. Fast ein Jahr verhandeln die Anwälte, bis der Deal mit Heidi Klum sitzt. Von der Fashion- in die Presenterwelt, das ist für das damals schon weltberühmte Model halt ein großer Schritt. Es gibt viel zu klären. Wie das Format, das Klums Namen trägt, aussehen soll, wie es zeitlich in ihren Terminkalender passt, wie sie ihre Rolle als Executive Producerin ausfüllt etc. Am 25. Januar 2006 ist GNTM-Premiere.

 

"Man fliegt relativ schnell von allen Einladungslisten dieser Welt, wenn man nicht mehr Unterhaltungschef ist, sondern nur noch ein Produzent von vielen."

 

Parallel zieht Benthues weitere Gesichter zu Senderstars hoch, Stefan Raab zum Beispiel. Als er übrigens Raabs Comeback-Boxkampf auf RTL sah und die Rückblicke in den MAZen, habe er gedacht: „Besser hätte man meinen beruflichen Werdegang nicht zusammenfassen können. Es waren durchgehend schöne Erinnerungen, die da hochkamen.“

Dennoch, nach einem Septemberabend im Jahr 2007, als Benthues für „Stromberg“ und „Schlag den Raab“ gleich zwei Deutsche Fernsehpreise abräumt, wächst in ihm der Wunsch, nach 13 Jahren Management der ProSieben-Unterhaltung noch mal was Neues zu machen. Innerhalb des Konzerns geisterte schon länger die Idee, einen eigenen Produktionsarm zu gründen. Und da gibt ihm der damalige CEO, Guillaume De Posch, die Chance, auf die Produzentenseite zu wechseln. Eine für ihn „persönlich spannende Erfahrung“, wie Benthues lachend erzählt:

„Man fliegt relativ schnell von allen Einladungslisten dieser Welt, wenn man nicht mehr Unterhaltungschef ist, sondern nur noch ein Produzent von vielen.“ Gott sei Dank habe er „einige verwegene Mitarbeiter“ überreden können, mit ihm diesen Weg zu gehen. Darunter seine Assistentin Christina Keck, seinen Bruder Sebastian (der am Standort Köln vor allem die Comedyformate der Redseven betreut) oder auch seine heutige Co-Geschäftsführerin Christiane Heinemann, die kurze Zeit später dazu kam.

„Unsere Vision war: Wenn ich eine Produktionsfirma aufbaue, dann möchte ich nicht, dass sie sich wie eine Abteilung in einem Konzern anfühlt, sondern dass sie im Markt akzeptiert und wertgeschätzt wird“, sagt Benthues. Klar, sie hätten mit einer starken Mutter im Rücken eine „spezielle Situation“ (vor der sich die Konkurrenz anfangs fürchtete) und produzierten mit Shows wie „Topmodel“, „The Taste“ oder „Hochzeit auf den ersten Blick“ einige der stärksten Brands der Gruppe. Im Herbst gingen außerdem die zwei ganz neuen Formate „Schätze der Plätze“ (Sat.1) und „Destination X“ (ProSieben) on air. „Aber wir arbeiten nicht exklusiv für ProSiebenSat.1“, ist Benthues wichtig zu betonen.

Jobst Benthues © Redseven Entertainment / Yves Krie
Es macht den Redseven-Chef nach eigener Aussage „sehr glücklich“, dass sie mit „Duell der Gartenprofis“ (ZDF) und neuerdings dem Personality-Talk „Karlsplatz“ (BR) nicht nur den Sprung ins bislang unbekannte öffentlich-rechtliche System geschafft hätten. Sie arbeiten auch für internationale Streamer, etwa an einer deutschen Version von „Love is blind“ für Netflix.

Nicht zu vergessen: Auch im Bereich Fiction (aktuell: „Behringer und die Toten – Ein Bamberg-Krimi“, RTL) und Magazine ist bzw. war die einst reine Showbude Redseven aktiv. Dass die Magazin-Produktionen „Unser Tag“, „Volles Haus“ und „Zervakis & Opdenhövel“ sich nicht langfristig entwickeln konnten, schmerzt Benthues. Bei „ZOL“ hätten sie trotz zwei Jahren „viel Lehrgeld bezahlt“. Dennoch: „Ich sage nicht, dass wir nie mehr ein Magazin produzieren würden.“

Das kann man Jobst Benthues getrost abkaufen. Leute, die ihn besser kennen, beschreiben ihn als „guten Verkäufer“, als „Visionär“, wenn auch nicht allzu detailverliebt. Er selbst scheint in der Produzentenrolle voll aufzugehen und sehnt sich nicht nach erneuter Senderverantwortung. Denn eine Idee zu haben, sie aufzuschreiben, sich ans Telefon zu hängen, Künstler anzufragen, bewegten Content herzustellen – das treibe ihn an, das mache ihm Riesenspaß, sagt er. Außenstehende loben wiederum den „immer guten Umgang“ trotz der Größe seines Ladens (rund 400 Mitarbeiter in den Büros in München, Köln und Berlin). Die Weihnachtsfeiern der Redseven, tja, die gelten als legendär.

Kommt der erste Preis zu spät?

Nichtsdestotrotz: Das größte Schiff der Redseven ist immer noch GNTM. Auch wenn Jobst Benthues es nicht zugeben mag: Es muss ihn doch wurmen, dass diese Show so lange auf einen Preis warten musste. Haken wir noch einmal nach:

Herr Benthues, kommt dieser erste Fernsehpreis für Heidi Klum und GNTM 20 Jahre zu spät?

Oh Gott, was solle er jetzt dazu sagen, stöhnt Benthues. Dann ringt er sich diesen relativ diplomatisch formulierten Satz ab: „Wenn man ein Format so viele Jahre so prägend im deutschen Fernsehen produziert, finde ich, hat es einen Preis verdient. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass es erst jetzt dazu kommt.“ Es freue ihn, dass der Blaue Panther für Heidi Klum zugleich der erste Preis für ,Topmodel‘ ist. Als Münchner Firma sage er: „Da fügt sich, was zusammengehört.“

Andererseits:

Es hat schon Gründe, warum Preisjurys bislang vor einer Auszeichnung für „Topmodel“ zuckten oder sie erst gar nicht in Betracht zogen. Denn seit es die Castingshow gibt, hörte das Dauerfeuer der Kritiker eigentlich nie auf:

GNTM zeichne ein falsches Bild der Modelbranche. GNTM idealisiere ein falsches Schönheitsbild und fördere Magersucht. Über GNTM kehre der Sexismus zurück ins Fernsehen. GNTM gebe die Möchtegernmodels der Lächerlichkeit preis und so weiter und sicher nicht falsch. Zum Super-GAU kam es im Sommer 2022, als die Ex-Finalistin Lijana Kaggwa all ihren Zorn über GNTM in ein Youtube-Video goss. ProSieben zog gegen Kaggwa vor Gericht und bekam teilweise Recht.

Es war eine sehr lange Auseinandersetzung mit mehreren Runden. Jobst Benthues ist da „nicht mehr in den Details“ (oder will es auch nicht mehr sein, weil unangenehme Sache). Aber wie er mit all den Vorwürfen umgeht, will man doch von ihm wissen. Könnte er es, als Vater zweier Töchter, verantworten, dass sie bei „Topmodel“ mitmachen?

Mit seiner Antwort „absolut!“ lässt er keinen Zweifel daran: er würde. Sein Wertekanon sei relativ stabil. All die Dinge, die über das Format behauptet würden, machten sie nicht: „Heidi, mein Team und ich passen seit 20 Jahren auf die Models und neuerdings auch die Männer auf. Wir gehen sehr wertschätzend mit ihnen um.“ Zickenkrieg und solche Dinge, sowas inszenierten sie nicht, manchmal würden sie sich halt einfach ergeben. So erzähle man heute im Übrigen auch kein Fernsehen mehr, „außer vielleicht im Reality-TV, wo Menschen dafür Geld kriegen, dass sie sich vor der Kamera streiten“. Das sei ein eigener Kosmos. „Damit hat ,Topmodel‘ nichts zu tun.“

Die jetzt mit dem „Blauen Panther“ ausgezeichnete 19. Staffel war jedenfalls die harmonischste bisher. Keine Dramen, kein Geschlechterkrieg, kein Sex-Alarm. Dass man das genauso wahrgenommen habe wie er, das freut Jobst Benthues. „Es hat gezeigt, dass man mit Harmonie genauso eine hohe Reichweite erreicht.“

Gerade hat ProSieben Heidi Klums Vertrag übrigens um „mehrere Jahre“ verlängert. Wie lange genau, gibt auch Jobst Benthues nicht preis, nur so viel: „Topmodel“ werde es „noch lange“ geben. „Wenn wir ein Teil davon sein können, dann freuen wir uns darüber.“

Na dann, auf weitere GNTM-Jahre voller Harmonie und vielleicht ein paar Preisen.