Als im Januar offiziell wurde, wer künftig die Filmakademie Baden-Württemberg leiten wird, lag hinter Thomas Schadts designiertem Nachfolger Andreas Bareiß ein für ihn unerwartet intensives Auswahlverfahren, das aus mehreren Gesprächen auch mit diversen Ministeriumsvertretern der grün-schwarzen Landesregierung bestand. Oder wie er den Prozess beschreibt: „Ich wurde – wenn auch wohlwollend – gegrillt, als ginge es um einen Geheimdienstchefposten.“

Man darf das nicht kleinreden: Natürlich hat die Leitung der renommierten Filmhochschule auch eine politische Dimension, schließlich ist The Länd alleiniger Gesellschafter und steckt jährlich um die 18 Mio. Euro in den 1991 gegründeten Leuchtturm. Die Entscheidung, wer ihn wartet, muss tragfähig sein über Landtagswahlen hinaus. Und in Baden-Württemberg wird im März 2026 wieder gewählt.

Ebenso gibt es kein Vertun: Da startet jetzt einer in Ludwigsburg, der wirklich Ahnung hat vom Film und dem juristischen Drumherum. In seinem vorherigen Job arbeitete Bareiß als Anwalt und Produzent bei Gaumont Deutschland, dessen französischer Mutterkonzern immerhin das älteste familiengeführten Filmproduktionsunternehmen der Welt ist mit über 130-jähriger Tradition.

Andreas Bareiß © FABW / Anja Fellerhoff
Der neue Akademie-Direktor ist gerade mal 45 Jahre jung und eigentlich noch lange nicht am Ende seines Produzentenschaffens angelangt. Trotzdem übergab er im Februar das Gaumont-Projekt „Heidi“ (mit DCM Schweiz) im laufenden Entstehen in die Hände seiner Ex-Kollegen und wechselt zum Lehrbetrieb nach Ludwigsburg als „Artistic & Managing Director“, so der offizielle Titel.

Also aus der Praxis in die Theorie. Wieso?

Da möchte Andreas Bareiß umgehend „mit einem beherzten Lächeln gehörig widersprechen“:

„Es fühlt sich überhaupt nicht so an, als würde ich mich in den theoretischen Elfenbeinturm zurückziehen. Wir arbeiten an der Filmakademie sehr praktisch, sehr hands on.“ Die Studierenden schrieben und produzierten quasi vom ersten Tag an. Und mit ungefähr 250 Filmen pro Jahr gehöre man „zu den führenden Produktionshäusern in Deutschland“. Ergo: „Die Filmakademie ist überhaupt nicht theoretisch.“

Tatsächlich ist es so, dass Andreas Bareiß die Themen, die ihn bislang bei Gaumont beschäftigten, am Campus nicht loswird. Dazu gehört auch, dass er sich mit den Rahmenbedingungen, die die Politik der Filmbranche setzt, weiter auseinandersetzen muss. Und genau die funkt dazwischen, als wir am Montag dieser Woche sprechen.

Nur wenige Stunden alt ist die Meldung, dass der dem konservativen Lager zugehörige Publizist und Zeitschriftenverleger Wolfram Weimer neuer Staatsminister für Kultur und Medien werden soll. Die Reaktionen: von überrascht bis entsetzt.

Die Filmakademie Baden-Württemberg gehörte bislang zum Gefördertenkreis der bisherigen Bundesbeauftragten Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), wovon später hier noch die Rede sein wird. Auch die von Weimers Vorgängerin halb auf den Weg gebrachte Filmförderungsnovelle hat Folgen für die Region im Südwesten, die so gerne mehr als nur „Filmländle“ sein möchte, aber in einem wirtschaftlichen Strukturwandel steckt.

Das sind also die, vorsichtig ausgedrückt, nicht einfachen Bedingungen, unter denen Andreas Bareiß die Leitung der Filmakademie übernimmt, die Thomas Schadt in 20 Jahren zu bestem internationalem Ruf führte. Gerade bei Animation und Special Effects sind die Ludwigsburger führend. Vom 6. Mai an finden sich Spezialisten aus aller Welt wieder beim Trickfilm-Festival in Stuttgart ein.

Dass Schadts Nachfolger für die Sache brennt, ist ohne Zweifel. Allein wenn man sieht, welches (auf seinem LinkedIn-Profil gut dokumentierte) Arbeitspensum er seit seinem Ausscheiden bei Gaumont im Februar absolviert hat, mag man gar nicht glauben, dass sein offizieller Jobbeginn eigentlich der 1. Mai war, also vorgestern.

Zurück in die Heimat

Seit Mitte März schon läuft Andreas Bareiß in der Filmakademie mit, als „ranghöchster Praktikant“, wie er bescheiden sagt. Trifft sich mit Menschen, nimmt Kontakt auf, arbeitet sich in die Unterlagen ein, stürzt sich in Diskussionen wie zuletzt im Anschluss an unser Gespräch, als er unter anderem mit dem Kulturstaatssekretär Arne Braun und dem Produzenten Jochen Laube (hier geht’s zur „Nahaufnahme“) über die jetzt zu ergreifenden Chancen des Filmstandorts Baden-Württembergs debattierte. Und sich natürlich als „der Neue“ vom Campus präsentierte.

So neu ist er eigentlich dort nicht. Bareiß studierte an der Filmakademie. Seit 2018 kam er immer wieder als Dozent zurück, in eine Stadt, die auch qua Geburt Heimat ist.

Nur 500 Meter von der Filmakademie in Ludwigsburg kam Andreas Bareiß 1980 zur Welt. Die Beschäftigung mit Film wurde ihm also fast in der Wiege auferlegt. Im 15 Kilometer entfernten Stuttgart, wo er aufwuchs, verdiente er sich zu Schulzeiten als Kartenabreißer im Atelier etwas dazu, zudem war er einer der treusten Kunden der Filmgalerie 451. Tage und Wochen verbrachte er im Keller, um mit der eigenen Kamera mit Stop-Motion zu experimentieren. Eigentlich schien der Berufsweg „was mit Film“ programmiert. Doch die andere Leidenschaft war auch sehr stark.

Frankreich war Bareiß‘ Sehnsuchtsdestination, seit er dort regelmäßig die Wochenenden und Sommerferien verbrachte. Über ein Studium in französischem und deutschem Recht an der Berliner Humboldt-Universität ergab sich die Chance, nach Paris zu ziehen. Die drei sehr leistungsfordernden Semester an der Panthéon-Assas vergällten ihm zwar nicht die Freude an der Stadt, aber an der Juristerei. „Nie wieder Jura“, sagte er sich. Und näherte sich wieder dem Thema Film an.

Über das Weiterbildungsprogramm Atelier Ludwigsburg-Paris ließ er sich an der Filmakademie in Ludwigsburg und an der französischen La Fémis zum Filmproduzenten ausbilden. Es war „das beste Jahr seines Lebens“, enge Bande entstanden, die bis heute halten. Die Arbeit am Abschlussfilm kostete ihn aber zu viele Nerven, er baute gleich zwei Autounfälle in einer Woche. „Nie wieder Film“, sagte er sich. Und wandte sich wieder dem Thema Jura zu.

Zu einer ganz klaren Entscheidung zwischen „nie wieder Film“ und „nie wieder Jura“ sollte es so bald nicht mehr kommen. Andreas Bareiß machte einfach beides.

Nach den Doppelexamina und der Promotion zum Dr. jur. (über ein Dilemma zwischen amerikanischem und europäischem Recht) spezialisierte er sich in der Nische Vertragsrecht bei Filmproduktionen. Vier Jahre arbeitete er für die Kanzlei Noerr, betreute die großen Babelsberg-Projekte „Monuments Men“ und „Grand Budapest Hotel“. Für die nicht minder renommierten Juristen von SKW Schwarz baute er bis 2019 am Standort Berlin ein auf Film spezialisiertes Team auf.

Er sei „wirklich gerne Anwalt“ gewesen, sagt Andreas Bareiß. Trotzdem wurde in ihm die Stimme lauter: „Wenn irgendwann die passende Gelegenheit käme, zum Film zu gehen, dann machst du das.“ Und die bot ihm ausgerechnet: sein Namensvetter.

Zwischen Andreas Bareiß (der ohne Dr.) und Andreas Bareiß (der mit Dr.) gibt es keine verwandtschaftliche Beziehung, außer man geht tief zurück in die hugenottische Historie aller Bareißens, dort dürfte sich was finden. Letzterer setzte ersterem den Vertrag auf beim Wechsel zu Gaumont Deutschland als Senior Executive Producer – und folgte ihm nur ein Jahr später nach. Bei der Produktionsfirma ging von da an der Witz: Jeder, der Bareiß heißt, wird eingestellt.

Prozesse aufsetzen, Kontakte spielen lassen, das Büro in Berlin aufbauen und leiten, nebenbei eigene Filmprojekte anstoßen wie die national wie international visible Serie „In Her Car“: Bei Gaumont fühlte sich der Jüngere von den Bareißens genau richtig. Niemals hätte er sich vorstellen können, dort wegzugehen – bis dann die Anfrage aus Ludwigsburg kam, für den „einzigen Job auf der Welt“, den er „noch lieber machen wollte“. Deshalb kürzte er das Vorgespräch mit der Headhunterin ab: „Wenn die mich wollen, ich mach’s. Alles andere ist für mich Kleingedrucktes.“

Nur „die“ machten es ihm, wie bereits erwähnt, nicht ganz so einfach mit der Jobzusage. Doch Bareiß‘ Performance auf dem „Grill“ überzeugte. Mit der „authentischen, intrinsischen Begeisterung“, die er bei allen auf dem Campus vor Augen hat, will auch er sich an die Arbeit machen – in vollem Bewusstsein, dass die Herausforderungen „horrend“ sind, technologisch, finanziell und auch geopolitisch.

"Bande innerhalb Europas stärken"

Bareiß beginnt sein Direktorat in einem Jahr, wo die Filmakademie zum ersten Mal keinen Workshop in Hollywood abhalten wird. Ein Finanzierungspartner sprang ab, die Partnerhochschule UCLA war plötzlich nicht mehr ansprechbar für die guys from Ludwigsburg. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Dass der Ausstieg der Kalifornier mit Donald Trumps neuer Policy an Universitäten zusammenhängt, will Bareiß „nicht behaupten“. Wegen der momentan „nicht offenen Haltung in Amerika“ hält er es ohnehin für unverantwortlich, Studierende nach Hollywood zu schicken. Er hat es ja in seinem direkten Umfeld schon erlebt: Ein kritisches Trump-Meme im Social-Media-Profil, und zack kommt man in Custody.

Die Brücken nach USA will er dennoch „auf gar keinen Fall abbrechen“. Hollywood sei „noch immer ein Epizentrum der weltweiten Filmwirtschaft, gerade für uns an der Filmakademie“. Gleichzeitig findet Bareiß, dass man den Fokus auch auf andere Länder richten sollte. Wie sich zum Beispiel London als Produktionsstandort entwickelt habe, findet er „wahnsinnig spannend“. Mit der National Film and Television School habe die Filmakademie „eine super Partnerhochschule“. Polen, überhaupt Mittel- und Osteuropa, sei zu Unrecht ein weißer Fleck für die meisten deutschen Hochschulen.

Was Andreas Bareiß damit sagen will: „Ich finde, wir sollten die Bande innerhalb Europas stärken und nicht mehr so sehr am Tropf der amerikanischen Filmindustrie hängen.“

Andreas Bareiß © FABW / Anja Fellerhoff
Aber auch im eigenen Ländle sieht der Filmschulleiter sich „ein Fenster der Gelegenheit“ öffnen, seit der SWR, ein langjähriger Partner der Filmakademie Baden-Württemberg, angekündigt hat, Produktionen nach außen zu vergeben. Endlich hätten die Absolventinnen und Absolventen eine Perspektive, hier vor Ort arbeiten zu können. Das läge auch im Interesse des SWR, der die Mediathek bestücken müsse. „Die Leute dafür haben wir. Wieso den Umweg über Köln, Berlin oder München nehmen? Warum nicht außerhalb der Box denken und einen Genre-offenen Topf für neue Formate bilden?“

Auf diesem Feld scheint also eine Lösung zum Greifen nah. Aber nun kommt – je nachdem von welcher politischen Seite aus man die Sache betrachtet – eine weitere Herausforderung auf Andreas Bareiß zu: Wolfram Weimer.

Von der scheidenden Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gab es Geld zum Beispiel für einen Nollywood-Workshop in Nigeria. Inhaltlich und programmtechnisch stand diese internationale Initiative der Filmakademie in Verbindung zur kontrovers diskutierten Rückgabe der Benin-Bronzen. Diese wurde im Dezember 2022 von Claudia Roth gemeinsam mit der damaligen Außenministerin Annalena Baerbock verwirklicht (was nicht ohne Protest aus der Schwarzen Community in den USA und Empörung auf wissenschaftlicher wie politischer Seite hierzulande vonstattenging).

Ob es zu einer dritten Zusammenarbeit mit nigerianischen Nachwuchsfilmemacherinnen und -filmemachern kommt? Andreas Bareiß ist da skeptisch. Für die „Fortführung derartiger, sehr besonderer Programme“ sei die neue Besetzung im Kulturstaatsministerium „nicht unbedingt eine gute Nachricht“, formuliert er vorsichtig-abwägend, „aber schauen wir erst mal, wie sich die Dinge entwickeln.“ Insgesamt sei er doch „guten Mutes“, weil:

„Immerhin steht Herr Weimer für Tradition. Und der oder die jeweilige BKM war traditionell ein starker Partner bzw. eine starke Partnerin für Film und Medien.“

Pathos scheint an sich keine herausstechende Eigenschaft des neuen Filmakademie-Leiters zu sein, aber unser Gespräch schließt er dennoch mit einem leidenschaftlichen Appell: „Wir rüsten aus guten Gründen die Bundeswehr auf. Ich bin aber auch sehr für eine kulturelle Aufrüstung.“

Er knüpft daran die Hoffnung, dass erkannt wird, dass auch an der Filmakademie „nichts weniger als die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigt wird“. Und dass sie dafür mit den Mitteln ausgestattet werden müsse, „die essenziell sind für das Überleben unserer Gesellschaft“. Es gehe schließlich auch um die narrative Souveränität: „Wer soll die Geschichte, die unsere Demokratie und unser Sozialwesen zusammenhalten, erzählen, wenn nicht wir selbst? Wollen wir wirklich diese große Narration den Algorithmen aus den USA oder China überlassen? Oder wollen wir hier die Leute ausbilden und hier den Rahmen schaffen, damit sie diese Geschichte erzählen können?“

Eigentlich erübrigt sich die Antwort auf diese Frage. Toi, toi, toi an alle Beteiligten!