Er ist wieder da! Michael „Bully“ Herbig, dieser wahnsinnig gut gealterte Gesichtsakrobat deutscher Lustigkeit, zeigt sich nach langer Pause wieder auf altem Terrain. Sechs Mal 30 Minuten Comedy-Show „Last One Laughing“ (LOL) wird Amazon ab April auf der eigenen Videoplattform bereitstellen mit ihm in der Gastgeberrolle und einem berückend einfachen Spielansatz: Zehn Humorfachkräfte sind über Stunden in einem Raum eingesperrt. Wer lacht, fliegt raus. Was kinderleicht klingt, ist eine herrliche Qual, auch für Spielleiter Bully Herbig. Als einziger darf er der Lachträneninkontinenz freien Lauf lassen, mit unübersehbaren Folgen. So knallrot umfeuchtet waren seine Augen, hat er erzählt, dass er im Schneidraum saß und befürchtete, „die Leute denken, ich hab‘ was genommen“. Hat er natürlich nicht. Aber ein paar Fragezeichen zu seinem „LOL“-Trip gibt es dann doch.

Wollte er, der für Fernsehen und Kino Lachklassiker wie die „Bullyparade“ und „Der Schuh des Manitu“ schuf, eigentlich nicht schon längst weg sein aus dem Comedy-Fach? 2015 war das, im Interview mit Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, als er sagte, er sei jetzt 47 und wisse nicht, ob er mit 50 noch in Frauenklamotten steigen möchte oder auf ein Pferd. Er sei ja nicht auf die Welt gekommen, um Komiker zu sein, „ich wollte immer Filme machen“. Wenn Leute von ihm einen Thriller akzeptieren würden, wäre das „ein Traum“.

Michael Bully Herbig © 2021 Amazon.com, Inc. or its affiliates.
Man konnte das so verstehen: Bully macht Schluss mit lustig und rüber ins ernste Fach. Doch nur zwei Jahre später, mit 49, steckte er schon wieder in der Klamotte drin, in der „Bullyparade“ als Kinovariante, zwanzig Jahre nach ihrer Erfindung auf Pro Sieben. Darin noch einmal versammelt: all die legendären Ulkfiguren von Winnetouch über Mr. Spuck bis Kaiserin Sissi alias Lissi. Im Jahr drauf, da war er dann schon 50, tauchte das erste, sehr respektable Drama in Bullys Filmvita auf, eine Story über die Ballonflucht einer Familie aus der DDR. Und heute, mit fast 53: wieder eine Comedy-Show, wenn auch (zumindest seinerseits) ohne Klamotte und ohne Pferd. Ja, was denn nun?

Das Interview damals im Zeit-Magazin, erklärt der Wanderer zwischen Lustig und Ernst an einem langen Zoom-Tag, habe zu einer „leichten Irritation geführt“, weil die meisten Leute bei ihm nicht zwischen Regisseur und Darsteller unterschieden. „Es ist eher unwahrscheinlich, dass mich das Publikum jemals als Schauspieler in einem Drama oder Thriller sehen möchte. Sobald ich mit meinem Gesicht durchs Bild laufe, denken die Leute, oh, jetzt wird’s lustig.“ Dessen sei er sich bewusst, und deshalb habe er auch keine Ambitionen, daran etwas zu ändern und freue sich dafür, wenn er weiter komödiantische Rollen spielen dürfe wie den Sensemann (bairisch: Boandlkramer) in Joseph Vilsmaiers letztem Film. Aber als Regisseur, stellt Bully Herbig klar, könne er sich seit dem „Ballon“-Thriller das Genre aussuchen. Wenn es nach ihm geht, dann bitte keine Komödie mehr, „als Filmemacher habe ich ja schon fast alles durch“.

Irgendwie „durch“ scheint Bully Herbig auch mit dem Fernsehen zu sein. Wie lässt sich sonst seine nun schon acht Jahre währende TV-Abstinenz erklären? „Bully macht Buddy“, eine Pro Sieben-Sitcom nach Vorbild von „Two and a half Men“, war sein bis dato letzter Streich und im Abgang himmelweit entfernt von seinen Anfangserfolgen. Über Jahre genoss er in Unterföhring eine Sonderstellung. Pro Sieben bekam die Bücher, es wurde gedreht, es wurde gesendet, that’s it. Doch als 2017 das Jubiläum der „Bullyparade“ anstand, wählte er nicht seinen Hausundhofsender für die Post-Kino-Auswertung, sondern Amazons Videodienst. Er arbeite halt gern mit der Champions League zusammen, ließ sich Herbig damals großspurig zitieren.

„Bullyparade – Der Film“ war, im alten Mediensprech, ein Straßenfeger, der Amazons Erwartungen übertraf. Und auch wenn es ihn als Filmschaffenden nach wie vor kreuzunglücklich macht, dass der Streamer wie alle anderen keine konkreten Abrufzahlen des eigenen Œuvres herausrückt – „kein Live-Künstler spielt gerne hinter einem Vorhang, ohne zu wissen, was auf der anderen Seite passiert“ – die beiderseitigen Erfahrungen waren offensichtlich nachhaltig gut, sonst gäbe es „LOL“ nicht.

Streaming sei das, „was vor 60 Jahren vielleicht mal das Fernsehen war“, sagt Bully Herbig und schwärmt pflichtbewusst von den „großen Freiheiten“ im Abruf-TV. Neu für ihn waren allerdings die internationalen Strukturen: „Weil eine Show wie die unsrige auch in anderen Ländern gestreamt werden kann, wird bei Amazon verschärft darauf geachtet, ob der Inhalt politisch korrekt ist oder ob er womöglich in einem Land als anstößig wahrgenommen werden könnte. Das heißt, die Schleife, die diese Produktion durchwanderte, war eine weitaus größere, als wir das in Deutschland gewohnt sind. Sie ging bis nach L.A.“ Any complaints? Keine, sagt Bully, dafür „sensationelles Feedback aus Amerika“. Das zeige ihm, „dass wir mit ,LOL‘ absolut auf internationalem Niveau mitspielen“.

So was dürften auch Bullys Mitspieler mit Freude zur Kenntnis genommen haben. Seinem Rufen im vorigen Sommer war als allererste „Mutti“ gefolgt alias Anke Engelke. Seit ihrem Gastspiel in der Extra-Large-Version von „Der Schuh des Manitu“ (sie spielte die Mutter der Bully-Figuren Abahachi und Winnetouch) hat die nur drei Jahre ältere Comedienne diesen Spitznamen bei ihm weg. Mit Engelkes Zusage, da ist sich Herbig sicher, war die Tür zu „LOL“ weiter offen, als sie es vielleicht gewesen wäre. Es gingen dann durch die Tür in einer noch nie gesehenen Kombi-Klasse: Barbara Schöneberger, Carolin Kebekus, Max Giermann, Kurt Krömer, Wigald Boning, Torsten Sträter, Mirco Nontschew, Teddy Teclebrhan und nicht zu vergessen Rick Kavanian, der Kumpel aus der alten „Bullyparade“-Kombo. Mit dabei und doch nur am Rande: Bully.

Ganz allein sitzt er in dem „BND“ genannten Kontrollraum, in Bullys Nachrichtendienst, und drückt den Buzzer, sobald er auf einem der gut drei Dutzend Bildschirme eine Gesichtsentgleisung entdeckt, die nur ansatzweise ein Lächeln sein könnte. „Ich habe eigentlich nichts gemacht. Ich habe nur zugeguckt“, beschreibt Herbig seine Rolle in „LOL“, was ja pro forma so auch stimmt. Er führte nicht Regie (das machte Ladislaus Kiraly). Er produzierte nicht (das machte Otto Steiner von der Constantin Entertainment). Er schauspielerte nicht (das machten andere wie Max Giermann, der sich in einem wahnwitzigen Method-Acting-Moment eine Tonsur rasiert). Und die Texte schrieb Herbig auch nicht (das machten Jens Oliver Haas et al. Comedy-Autoren). Letzteres erwies sich ihm zufolge letztlich als unnötig: „Du kannst bei diesem Format nichts vorher skripten. Ich selbst hatte auch keine Ahnung, was da auf mich zukommt.“ Mit der Redaktion habe er vorab nur „sehr intensiv diskutiert und besprochen, dass wir ein gewisses Niveau halten wollen“.

"Immer mit Herz imitiert"

Von Anfang war Bullys Bedingung: Lass uns das familientauglich machen. Darüber muss ein Zehnjähriger genauso lachen wie ein Neunzigjähriger. Das sagt der Vater eines zehnjährigen Sohnes, der dazu ausgeprägte Antennen für schicklichen Humor für sich beansprucht. Nicht auf Anhieb gefiel ihm, was ihm Produzent Steiner zumailte; es war der Link zur japanischen, hochgradig grellen Vorlage von „LOL“. Ist das sein Ernst? Wow, interessant. Humor, dachte sich Herbig, ist eben eine sehr vielschichtige lokale und kulturelle Angelegenheit. Auch was die Gürtellinie betrifft. „Der eine trägt den Gürtel am Hals, der andere am Knöchel.“ Herbigs eigener Gürtel ist übrigens „nicht so eng geschnallt“, als dass er nicht „schonmal nach oben oder nach unten verrutschen kann“.

Michael Bully Herbig © 2021 Amazon.com, Inc. or its affiliates.
Nun ist in der hierzulande regelmäßig geführten Debatte über die Grenzen und das Zeitgemäße im Humor zuletzt einiges ins Rollen gekommen, wovon zum Beispiel der WDR ein Lied singen kann. Comedy-Helden wie Kaya Yanar, Bernhard Hoëcker und Anke Engelke gingen zuvor schon mit ihren früheren Sketchen hart ins Gericht. Parodien, in denen sich weiße Menschen schminken, um schwarze oder andersfarbige Menschen darzustellen, würden sie nicht mehr machen, weil sie aus heutiger Sicht rassistisch sind. Dazu mehren sich Forderungen, die Senderarchive radikal zu säubern. Wo sich Bully Herbig verortet zwischen den Extrempolen „alles löschen“ und „Humor darf alles“?

Gewisse Sketche, das sagt auch er, würde er heute nicht mehr machen, „weil ich sie schlichtweg nicht mehr lustig finde“. So seien einige „Rohrkrepierer“ aus den Staffeln 1 bis 3 der „Bullyparade“ in seinem Giftschrank gelandet und dürften nicht mehr gesendet werden. Ob Rassismus-Verdächtiges dabei ist, sagt er nicht. Nur so viel, das ist ihm ernst: Sie hätten damals in der TV-Show „immer mit Herz imitiert“. Männer, Frauen, Machos, Studenten, Journalisten, Porschefahrer, Astronauten, sogar Zecken, alles dabei. „Wir wollten immer auch die Leute zum Lachen bringen, die wir auf den Arm nehmen.“ Wer ihm mit dem Einwand der kulturellen Aneignung kommt, dass also ein Indianer-Kostüm, egal ob in der bairisch sprechenden schwulen Variante, mancherorts nicht mehr erwünscht ist, weil es die Gefühle der indigenen Völker verletzen könnte, gerät bei ihm, dem Manitu der Westernkomödie, an den Falschen. Auf Winnetou, seinen Helden, sein Vorbild in Kindertagen, lässt Herbig nichts kommen. Er wollte immer so sein wie Winnetou und hätte alles gegeben für ein cooles Indianer-Faschingskostüm. „Leider hatte ich als Achtjähriger in den 70ern keine Kohle dafür, also bin ich als schlecht gelaunter Kürbis gegangen“.

Erstaunlicherweise, ergänzt Herbig mit kaum verhülltem Stolz, hätten gerade die Teenies seinen „Bullyparade“-Blockbuster geliebt. Die kannten die TV-Show aus den Neunzigern gar nicht und waren erstaunt, was ist das denn für ein abgefahrener Scheiß. Da fielen dem Schöpfer zeitloser Komik die Worte eines anderen Evergreens ein. Otto Waalkes meinte also einmal zu ihm: Bully, einen guten Witz kannst du alle zehn Jahre noch mal machen. Fragt sich nur, in welchem Format? Natürlich stelle auch er sich diese Frage: Wo ist das, was ich mache, am besten aufgehoben? Möchte ich einen Film mit großen Bildern und fettem Sound? Dann ist Herbigs Antwort eindeutig: „Dann soll er im Kino laufen. Da gehört er hin. Nach wie vor.“ Es mache nun mal einen riesigen Unterschied, ob man „Herr der Ringe“ auf dem Laptop oder auf der Leinwand anschaut. „Selbst wenn der Fernseher groß ist, da blutet mir das Herz.“

Über die Bildschirmgröße bei Herbigs daheim in München ist nichts bekannt. Derzeit dürften die großen Apparate wenig benutzt werden. Der Hausherr weilt auf Motivsuche im Ausland. Denn Mitte Mai, wenn alles gut geht, sollen die Dreharbeiten für sein nächstes Projekt beginnen. Herbig macht sich – nicht als Darsteller, sondern als Regisseur – ran an einen der größten Presseskandale seit Veröffentlichung der vermeintlichen Hitler-Tagebücher: In „1000 Zeilen“, so der Arbeitstitel, geht es um den Spiegel-Fälscher Claas Relotius. Schon ist die Rede von einem zweiten „Schtonk!“. Das saftige Stück über den Stern-Skandal von Helmut Dietl selig gilt manchen als Messlatte, die Herbig überspringen müsse. Noch sehr schmallippig gibt er sich zu diesem aus juristischer Sicht nicht ganz einfachen Cinemascope-Projekt. Nur so viel gibt er preis: Eine Mediensatire soll aus dem Stoff werden, der doch im Kern eine Tragödie ist. Ob tragisch, dramatisch, satirisch, komisch – bei Michael Bully Herbig, das haben wir gelernt, ist alles möglich, nicht wahr?