Als die Kanzlerin in der Nacht auf Dienstag vor die Kameras trat, um die Corona-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz zu verkünden, war Kristina Faßler schon in einer (Achtung, Kalauer!) anderen Welt. Bis halb zwei in der Früh hatte sich die Sprecherin von Axel Springers Nachrichtensender wachgehalten, dann schlummerte sie weg im ruhigen Wissen, dass vor dem Kanzleramt Wenigschläfer Michael Wüllenweber Wache hält, um ab sechs das Welt-Publikum zu informieren. Kurz nach acht war sie dann selbst „auf Sendung“, auf ihrem eigenen Twitterkanal – und richtig wütend: „So löst man keine Probleme. So geht Krisenmanagement nicht. Fühle mich komplett verar. . . .“ Ihren heiligen Zorn über die #MPK spürt man noch Tage später, als man sie mit der Frage anpiekst: Frau Faßler, wie würden Sie es denn machen?

Nun muss man vorausschicken, dass wohl kaum jemand so gut weiß, wie man sich nach außen verhält, wenn drinnen die Hütte brennt. Seit zwölf Jahren spricht Kristina Faßler für den TV-Sender Welt, der sich vormals N24 nannte. Die 17 Jahre davor arbeitete sie in der PR von Sat.1. Sie ist eine Kommunikatorin mit 58 Lebensjahren Erfahrung. Sie kennt die Macken von Schauspielerdiven und die Zicken von Fernsehchefs. Breaking News sind ihr täglich Brot und der Kampf für mehr Diversität ihre Leidenschaft. Sie ist begnadete Netzwerkerin und Co-Gründerin der deutschen Sektion von „Global Women in PR“. Und nicht zuletzt ist sie studierte Biologin, die sich zwar niemals anmaßen würde, das Spikeprotein bis ins kleinste Detail verstanden zu haben, aber im Groben halt schon.

Kristina Faßler Nahaufnahme © Luca Vogel
Es sei ein Privileg, bei einem Nachrichtensender zu arbeiten und qua Beruf sozusagen an einer „permanenten Corona-Weiterbildung“ teilnehmen zu können. Also halbwegs zu verstehen, was da gerade passiert, sagt Kristina Faßler. Das erwarte sie „eigentlich auch von unseren politischen Entscheiderinnen und Entscheidern: dass sie sich die Grundlagen in Sachen Corona draufpacken“. Aber wenn sie dann über die lange MPK-Nacht lese, Jens Spahn hat noch schnell darauf hingewiesen, dass man sich im Supermarkt eher seltener mit Corona ansteckt, und deshalb sollen sie Karsamstag doch öffnen dürfen, treibt sie das „wirklich auf die Zinne, obwohl zornig gar nicht meins ist“. Kaum zu stoppen ist ihre Suada. Die handelt von Trägheit und fehlendem Pragmatismus, von der Frage, warum niemand das Impfen beschleunigt, wo schon der erste Pieks Menschenleben rettet, von maximaler Politikverdrossenheit in diesem Land, die etwas macht mit der Demokratie und zwar nichts Gutes. Und sie mündet in dem selbstberuhigenden Mantra: „Ooom, Kristina, reg‘ dich nicht auf.“

Zum Runterkommen eignet sich der Ort, an dem man Kristina Faßler erreicht, eigentlich sehr gut. Es ist ihr Ferienhaus auf Fischland Darß und derzeit permanenter Lebensmittelpunkt. Ins Ostseeinselparadies hat sie sich zu Pandemiebeginn isoliert. Einerseits aus Rücksicht auf die Gesundheit des Ehemanns, den Corona böser treffen könnte als andere. Andererseits um jenen Kollegen den Bürovortritt in Berlin zu lassen, die es daheim nicht so komfortabel haben wie sie. Von frischer Brise umweht steuert die Teamchefin weiterhin sowohl die Kommunikation als auch das Marketing von Welt TV. Und da ist gerade einiges in Bewegung.

Seit gut einem Jahr befindet sich Welt fast in einer Art Dauer-Breaking-News-Modus. Von einem auf den anderen Tag flogen ein paar Dokus über Panzer und Hitler aus dem Programm und die Sendezeit, in der live aus dem Studio moderiert wird, verdoppelte sich. Was erstmal nur ein Versuch sein sollte, so wie es halt immer im Fernsehen gemacht wird – neues Programm einstarten, schauen, welche Sendung ihr Publikum findet und ob überhaupt – das bleibt. Die Nachrichtenstrecke nach Corona wieder zu verkürzen, darüber denken sie bei Welt aktuell überhaupt nicht nach. Es passiert so viel, es gibt so viel zu erklären. Und der Mut, den Nachrichtentag ohne strikt vorhersehbaren Tagesablauf zu planen, hat sich Faßler zufolge „verbindlich gelohnt“. Welt habe 2020 das beste Jahr in der Sendergeschichte gehabt. Nur, das Wort „Krisengewinnler“, das mag die Welt-Sprecherin in diesem Zusammenhang nicht. „Es hätte uns genauso gut eiskalt erwischen können.“

Gründonnerstag steht die nächste „Mutprobe“ an. Dann tritt nicht nur der bisherige Washington-Korrespondent der ARD, Jan Philipp Burgard, seinen Dienst bei Welt an. In die Chefredaktion von Arne Teetz steigt auch Chefmoderatorin Tatjana Ohm auf. Als erste Frau überhaupt. „Nur“ 20 Jahre hat Ohm, die 2002 zu N24 kam, auf diesen Karriereschritt gewartet. Und „nur konsequent“ findet Faßler die Beförderung, schließlich sei die neue Co-Chefredakteurin „ein Phänomen im allerbesten Sinne“: gestandene Reporterin mit Erfahrung in Krisen- und Kriegsgebieten, Moderatorin mit der im Nachrichten-Livefernsehen wichtigen Gabe, in Ausnahmesituationen absolut ruhig und souverän zu bleiben, nicht zuletzt Ansprechpartnerin und Coach für die anderen Moderatorinnen. „Das ist eine so, so wichtige Rolle“, sagt Faßler und wenn sie Worte doppelt, was sie oft tut, dann ist es ihr ernst.

Schachspielen und vorausdenken

Unvorstellbar eigentlich, dass die Welt-Kommunikatorin bei dieser Top-Personalie nicht selbst die Finger im Hintergrundspiel gehabt haben soll, getreu der von Jörg Eigendorf im aktuellen „Wirtschaftsjournalist“ formulierten Berufsbeschreibung: „In der Rolle des Kommunikators kann man direkt an der Wurzel verändern.“ Man berät und entscheidet, statt nur zu senden. Eigendorf spricht seit fünf Jahren für die Deutsche Bank und ist Faßler noch wohlbekannt aus seiner Investigativ-Journalistenzeit bei der „Welt“. Absolut finde sie sich in diesem Rollenprofil wieder, sagt sie heftig nickend: „Etwas nach draußen verkünden macht vielleicht ein Zehntel unseres Jobs aus.“ Einer ihrer Lieblingssätze: „Kommunikator*innen müssen Schach spielen können. Sie müssen ganz bewusst viele Ziele vorausdenken. Und sie müssen sich in das Publikum hineinversetzen können und wollen.“ Das sei der wichtige Empathieteil: Was bedeutet es, wenn ich mit einem bestimmten Thema komme? Macht es Sinn? Muss ich es anders erzählen? „Kommunikator*innen müssen Strateg*innen sein.“

Das gesprochene Gendersternchen baut Kristina Faßler so bestimmt in ihren Redefluss ein wie Petra Gerster bei der „heute“. „Loves #feminism and #diversity“ steht in ihrem Twitterprofil, was ihr Wirken, ihre Ziele exakt beschreibt. Frauen sichtbar machen, Frauen fördern, daran arbeitet sie, eben auch sprachlich. Als Beirätin der Initiative „BeyondGenderAgenda“ ist Faßler aktiv, als Vortragsrednerin auf Kongressen, und auch als Gastgeberin einer Talk-Reihe auf Clubhouse, zu denen sie mit Freundinnen andere Frauen einlädt.

Kristina Faßler Nahaufnahme © Luca Vogel
Am Dienstag wird die 25. und letzte Folge dieser „Clubhouse-WG“ live gehen. Die Fernsehjournalistin Düzen Tekkal war zum Beispiel schon da. Ganz viel Gänsehaut bekamen die Damen bei Tekkals Erzählungen von ihren jesidischen Familienwurzeln und ihrem gefährlichen Einsatz als Reporterin auf IS-Gebiet. Besonders rührte Kristina Faßler Tekkals Satz: „Auf mich hat keiner gewartet. Schon gar nicht auf eine Frau.“ Wie war das eigentlich bei ihr selbst?

Nie habe sie es erlebt, dass jemand zu ihr gesagt hätte, ah, die ist eine Frau, die ist hier nicht willkommen, sagt sie. „Aber ich kämpfe aus tiefster Überzeugung für jeden Menschen, der sich nicht willkommen fühlt.“ Ihr Kämpfergeist, ihr Revoluzzertum zeigte sich schon in der DDR, wo sie 1962 in eine Familie von Biologen geboren wurde. Schuldirektorin wollte sie werden. Aber dann unterrichtete sie etwas zu viel Ökologie, und man gab ihr zu verstehen, das ist nicht systemkonform, das wird nichts mehr. Faßler orientierte sich um, Richtung Journalismus. Für die Zeitschrift „Jugend und Technik“ begann sie zu schreiben. Es kam die Wende und irgendwann das Angebot, zu Pawel-Moewig nach Rastatt zu gehen, aber wie? Der Mann mit drei Söhnen in Berlin und sie pendelnd? Just zu dem Zeitpunkt suchte Sat.1-PR Verstärkung mit Aufgabengebiet „der Osten“. Ich kann doch nicht Kommunikation, sagte Faßler. Doch, kannst du, bestärkte sie ein Freund. So fing es an.

Heute sind die Söhne groß und bis auf den jüngsten aus dem Haus. Voller Herzenswärme und Mutterstolz erzählt Kristina Faßler die Geschichte, wie sie mit ihm vor zwei Sommern im Freilichtkino in Friedrichshain saß (ach, das waren noch Zeiten. . .). Es lief „Die Verlegerin“ mit Meryl Streep als Katharine Graham, der Grande Dame der „Washington Post“, die vor qualmender Männerriege die Vietnam Papers eisern durchboxt. Mama, da sitzen ja nur Männer, flüsterte der Filius entsetzt. Tja, privat alles richtig gemacht. Was zu der Frage führt: Wie ist es um Diversität bei Welt bestellt?

„Wir sind so viel besser geworden“, und das sagt Kristina Faßler „mit einem lachenden Herzen“ angesichts einer Branche, die sehr männlich geprägt war und in Teilen auch immer noch ist. „Nehmen wir dieses Beispiel“, schlägt sie vor: Freitagabend, Paris, Anschläge, zweites Glas Wein, du fährst wieder in den Sender, in die Redaktion – das war viele Jahre Jahrzehnte lang einfach der Mann. Denn die Frau, so die verbreitete irrige Annahme, müsse eher auf die Kinder aufpassen. Je aktueller das Medium, umso größer das Ungleichgewicht der Geschlechter, erklärt Faßler. „Verrückterweise waren wir bei Welt schon immer eher divers aufgestellt. Das sieht man auch on air.“

Besagte Tatjana Ohm, der tolle Neuzugang Fanny-Fee Werther oder, mit Blick auf die gedruckte Konzernschwester, die „großartige Social-Chefin“ Franziska Zimmerer, die Investigativ-Koryphäe Anette Dowideit, Co-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld („diese Woche gerade wieder mega gut bei ,Maischberger‘“) – Faßler zählt eine hauseigene weibliche Führungskraft nach der anderen auf und bilanziert: „Da hat sich etwas bei Welt bewegt.“ Sie feiere das. „Wir bei Welt lieben Widerspruch, wir lieben Streiten“, fährt sie fort. Das Streiten in diversen Teams sei „so viel produktiver als in einer Männerrunde gleichen Alters. Das weiß eigentlich jede*r“. Sie selbst habe in ihrer Abteilung ein super diverses Team, wobei Diversität ganz viele Komponenten habe: jung, alt, laut, leise, Frau, Mann, mit Kindern, ohne Kinder, Herkunft. „Jede*r bringt andere Erfahrungen, Blickwinkel, aber auch Sorgen und Nöte ein. Jede*r erlebt etwas anderes, liest etwas anderes, denkt anders, ist einzigartig, und das macht uns stark und krisenresistenter.

Und wenn man Kristina Faßler bei ihrem Plädoyer für mehr Diversität so zuhört, befällt einen der irre Gedanke, wie es wohl wäre, wenn Merkels Corona-Supertaskforce wirklich divers aufgestellt wäre. Wenn dort auch eine kluge Kommunikatorin säße, die in wenigen Sätzen verständlich und empathisch erklärt, warum was und wie entschieden wurde. Schließlich sind die so genannten Pressekonferenzen, die nicht nur Welt live überträgt, Publikumskonferenzen geworden. So ungefähr würde es jedenfalls Kristina Faßler anstellen. Ooom.