Der Politik-Influencer Rezo, der sich in der Rolle als einzig wahre Stimme der Generation Z gefällt, mag noch immer beleidigt in seiner Youtube-Ecke schmollen, weil ihm das Spitzentrio für die nächste Kanzlerschaft (und da in erster Linie Armin Laschet) ein Triell versagte. Grund zum Triumph hat dafür Eva Schulz, Journalistin und Moderatorin im öffentlich-rechtlichen Jugendkanal Funk. Dass sich die zwei Kanzlerkandidaten und die eine Kanzlerinkandidatin von ihr und nicht von dem Blauschopf Rezo in die Digitalsphäre lotsen lassen, wenn auch „nur“ nacheinander, ist eine kleine Sensation. Schließlich ist die Auswahl an Promo-Gelegenheiten vor der Bundestagswahl uferlos, seit nun auch private Fernsehanbieter frisches Blut in die „Public Value“-Ader pumpen.

Wie hat Eva Schulz das bloß geschafft?

Es ist gar nicht so leicht, mit dem „Postergirl des Digitaljournalismus“ (so wurde Eva Schulz unlängst in einer Talkshow angekündigt) kurzfristig darüber zu sprechen. Schwer beschäftigt ist sie in diesen Wahlzeiten, auch in eigener PR-Angelegenheit (wie hier und hier). Eine Agentur koordiniert ihre Termine, was als ein Zeichen von Wichtigkeit interpretiert werden darf. Immerhin reiht sich Eva Schulz jetzt ein in die Kundenkartei aus Top-Gesichtern von ARD und ZDF. So wie Ingo Zamperoni und Dunja Hayali trägt auch sie die öffentlich-rechtliche DNA bis in die Haarspitzen. In ihrem Fall sind sie rot, im buchstäblichen Sinn.

Rot, wirbt ein Hersteller für Coloraturprodukte, „steht für Dynamik, Temperament und Wärme“. Eine rote Haarfarbe „ist perfekt für alle, die gerne etwas aufregendes Neues ausprobieren wollen“.

Dann los zum Test! Lassen wir diese „Nahaufnahme“ so „dynamisch“ beginnen, wie Eva Schulz jede Ausgabe ihres Funk-Podcasts „Deutschland3000 – `ne gute Stunde mit Eva Schulz“ eröffnet, den parallel auch die jungen ARD-Radios on Air bringen. Zum Warm-up-Ritual der Gesprächsreihe gehören Entweder-Oder-Fragen, der sich ein Christian Ulmen oder eine Hazel Brugger genauso stellen müssen wie eben von Montag an die Polit-Prominenz Olaf Scholz, Annalena Baerbock (10.9.) und Armin Laschet (13.9.)

Eva Schulz © Paula Winkler
Podcast oder Fernsehen, Frau Schulz?

„Podcast mache ich ja schon. Deswegen: ein Fernsehformat, warum nicht? Aber darüber mache ich mir erst wieder Gedanken, sobald ich die Gespräche mit den Kanzlerkandidat*innen hinter mir habe.“

Lieber das Comeback von „Talk im Turm“ oder „Der heiße Stuhl“?

„Die waren beide deutlich vor meiner Zeit . . . Aber als eine, die auch gerne Formate entwickelt, sage ich: ,Der heiße Stuhl‘ klingt nach dem spannenderen Format, weil mit gängigen Genre-Regeln gebrochen wird.“

Berlin oder Borken?

„Berlin. Ich kann mir nicht vorstellen, wieder in Borken zu leben . . .“

Schnitt. An dieser Stelle würde Eva Schulz im Podcast ihre Gedankenstimme sprechen lassen und Zusatzinformationen über ihre „Gästin“ einstreuen:

Dass sie noch vor dem Abi in Borken ein aufgehender Stern am Journalistinnenhimmel war, Siegerin beim Schülerzeitungswettbewerb des „Spiegel“ und so fort. Dass sie neben dem Studium in Friedrichshafen TV-Luft als Reporterin bei „Klub Konkret“ auf EinsPlus schnupperte. Dass sie ihre Bachelorarbeit zum Thema „Innovation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – und wie sie verhindert wird“ schrieb. Dass sie beinahe Stadtplanerin geworden wäre und an einer Straße im Brüsseler Stadtteil Molenbeek die Globalisierung quasi vom Kleinen ins Große veranschaulichen kann. Dass sie immer noch gerne in die münsterländische Heimat fährt, um die Familie zu sehen und den Kopf durchzulüften. Dass aber in Berlin ihre Arbeit ist, ihre Freunde. Schnitt.

Ob sie sich zur berüchtigten Berliner Journalistenblase zählt? Eher nicht, sagt Eva Schulz lächelnd, aber bestimmt in die Computerkamera, und in ihrer Mimik erkennt man die wärmende Fröhlichkeit, die die inzwischen 31-Jährige auch in ihren Videos auf Facebook und Instagram verströmt.

2017 startete sie dort, inspiriert von amerikanischen Angeboten wie Vox Media, „Deutschland3000“. Wissen über Politik „locker und leicht“ vermitteln für Menschen, die es betrifft, damit sie sich eine Meinung bilden und mitreden können, das ist Sinn und Zweck dieses Kanals, den sie im Auftrag von Funk entwickelt hat. Ihr eigener Anspruch ist, dass die Leute bloß nicht denken, oh, das ist was mit Politik, das fühlt sich an wie eine Hausaufgabe oder Pflicht. Zur Umsetzung gehört dann auch das plattformtypische Schnittgewitter mit musikalischer Daueruntermalung und kleinen Showeinlagen wie dieser bemerkenswerten hier:

Um zu erklären, „wie wir hier wirklich arbeiten“, ob also ARD, ZDF und Co. „politisch neutral“ berichten oder „Deutschland3000“ womöglich doch Wahlwerbung macht für Links-Grün, schlüpft Schulz in eine Doppelrolle. Eva 1 und 2 dialogisieren in einer Spielszene über das Prinzip „abgestufte Chancengleichheit“ und, „uiuiui“, warum auch die AfD davon profitiert. Will heißen: Selbstverständlich widmet sich ihr Kanal dem Wahlprogramm von Rechtsaußen ebenso wie dem von SPD, Grüne & Co. Jeweils ein Zehn-Minuten-Check zu Klima, Bildung, Rente und, so das Versprechen am Anfang jedes Videos, „so objektiv wie möglich, damit ihr selbst vergleichen könnt“.

Die Community im safe space Instagram scheint das zu gefallen. Es werden meist sogar erstaunlich sachlich Argumente unter den Videos ausgetauscht. „Unser Wahlprogrammcheck ist ein bisschen eine Reaktion auf das Internet der Meinungen“, sagt Eva Schulz. Und aus diesem Satz ist herauszulesen: klare Unterscheidung von der Herangehensweise eines typischen Rezo Rants. „Deutschland3000“ will nicht zerstören, es will vermitteln. Und das in einer Zeit, in der Eva Schulz zunehmend beschäftigt, „wie verhärtet unsere Debattenkultur ist“.

Sie habe das Gefühl, „es wird oft nur diskutiert, um das Gegenüber von der eigenen Meinung zu überzeugen. In einer Demokratie müssen aber doch Kompromisse gebildet werden. Im Zuge dessen können sich Meinungen ändern. Aber das wird im Netz fast gar nicht akzeptiert, eher sanktioniert. Das finde ich schade“.

Um das Diskussionsklima zu verbessern, hat sich Eva Schulz in diesem Sommer ein neues Format ausgedacht, diesmal für die ARD-Mediathek: In „Der Raum mit Eva Schulz“ sperrt sie zum Beispiel einen veganen Aktivisten mit einem konventionellen Landwirt in eine Art Escape Room ein, die dann durch einen Kühlschrank in einen Raum klettern, der dem Psychothriller „Einer flog übers Kuckucksnest“ alle Ehre macht. Befreien können sich die Meinungskontrahenten nur, wenn sie zusammen im Spiel Lösungen finden, statt gegeneinander zu kämpfen. Von einem Kontrollpult aus werden sie von Eva Schulz dirigiert, zur Not auch gemaßregelt.

Politik-Vermittlerin mit Unterhaltungsplus

Hatte Eva Schulz nicht erst in einer großen Sonntagszeitung behauptet, „ich kann auch Showmasterin sein“? In „Der Raum“ sind schon mal gute Ansätze zu erkennen, freilich mit Einsatz eines Budgets, das wechselnde Set-Aufbauten für aufwändige Spielanordnungen erst ermöglicht. Und auch hier wird der Anspruch deutlich, den Eva Schulz schon bei „Deutschland3000“ wichtig ist: nicht nur die studierte Hafermilchfraktion im großstädtischen Milieu soll sich angesprochen fühlen. Wenn es etwa um das Thema Fleischkonsum oder Vermögenssteuer geht, dann überlegt Eva Schulz stets: Was würde der junge Polizist aus Wuppertal wohl dazu sagen? Würde es ihn weiterbringen?

Eva Schulz © Paula Winkler
Diese Qualitäten als Politik-Vermittlerin mit Unterhaltungsplus sind inzwischen bis in die Kaste der Hauptstadtjournalisten vorgedrungen. Rainald Becker und Thomas Schneider besetzten sie gerade erst als Talking-Head in der ARD-Doku „Merkel-Jahre – Am Ende einer Ära“. Thierse, Seehofer, Gabriel, Schäuble, de Maizière, Deppendorf, und zwischen all diesen grau melierten Ü60-Jährigen: der Rotschopf Eva Schulz. „Kein gutes Zeugnis“ könne sie der Kanzlerin ausstellen, sieht man sie da kurz vor Filmende ziemlich klug analysieren, mit Blick auf 16 Jahre Klimaschutzpolitik habe sie „sogar Angst, dass das Zeugnis mit den nächsten Jahren schlechter werden wird“.

Ihrem „Fame“ bei der jungen Zielgruppen kann sich also weder die etablierte Journaille im linearen Fernsehen entziehen – noch die hohe Politik. Zwar war Eva Schulz über Monate dran, alle drei Kanzlerkandidaten in ihrer Podcast-Sendung zu versammeln – diese ist quasi die Line Extension ihres Videoformats „Deutschland3000“. Schwierig sei es gewesen, die Zusage von allen dreien zu bekommen. „Insbesondere bei Armin Laschet hatte man ja zuletzt den Eindruck, dass er jungen Formaten nicht so sehr zugetan ist. Wir saßen hier auf heißen Kohlen.“ Aber letztlich hat es geklappt. Wie auch immer.

Nun erwarten die einen von ihr, dass sie die Kandidaten alle „grille“, die anderen, dass sie sie „irgendwie emotional knacke“. Sie selbst verfolgt ein anderes Ziel. Sie will - das hatten wir ja schon mal erwähnt - „vermitteln“: Was sind das für Persönlichkeiten, die in den kommenden vier Jahren Land und Alltag prägen wollen? Mit Sprachnachrichten aus der Community sollen Laschet & Co. konfrontiert werden. Wer weiß, vielleicht ist auch der Polizist aus Wuppertal dabei?

Und wird eigentlich Christine Strobl zuhören?

Dass die seit Mai neu beschäftigte ARD-Programmdirektorin unlängst im Interview mit der „Hörzu“ ihrer Sendergemeinschaft nur eine Note „Zwei bis Drei“ ausstellte, hat Eva Schulz überrascht. Mit Funk habe die ARD doch ein „Erfolgsbeispiel“ auf die Beine gestellt „mit inzwischen Milliarden Abrufen und einer sehr großen Markenbekanntheit in der Zielgruppe unter 30“. Aber gut, schränkt Schulz ein: „Note Zwei bis Drei heißt: Es ist noch Luft nach oben, um sich weiter zu verbessern.“ Da kann man ihr nicht widersprechen.

In puncto Talenteförderung in der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ gäbe es ja viel zu beklagen Zum Beispiel, dass Schulz‘ Funk-Kollegin Mai-Thi Nguyen-Kim das ARD-Weite Richtung ZDF suchte. Oder dass die ARD-News-Ladys Linda Zervakis und Pinar Atalay zu dem Schluss kamen, sich bei ProSieben respektive RTL besser weiterentwickeln zu können.

Ob auch sie ein Gefühl der Unzufriedenheit in sich trägt? Ob sie gar mit den Privaten liebäugelt? Die geschmeidige Antwort, die Eva Schulz letztlich stehen lässt, lautet: „Gerade habe ich mit ,Der Raum‘ ein neues Format für die ARD-Mediathek veröffentlicht, als nächstes interviewe ich die Kanzlerkandidat*innen für meinen Podcast.“

Übersetzt heißt das wohl: Ich darf mich echt nicht beklagen. Mal sehe, wie lange das so bleibt. Es ist ja noch Luft nach oben.