1985 war ein aufregendes Jahr. Boris Becker siegt das erste Mal triumphal in Wimbledon, und in Köln beschließt ein studierter Foto-Designer und Kameramann, sich mit einer Produktionsfirma für Film und Fernsehen selbstständig zu machen. 36 Jahre später kreuzen sich nun beider Wege. In der Woche vor Weihnachten wird RTL das Boris-Becker-Biopic „Der Rebell“ ausstrahlen. Spiel, Satz und Sieg, das gilt dann auch für Michael Souvignier, der dieses Fest für Bobbele-Afficionados mit produziert hat. Untertitel: „Von Leimen nach Wimbledon“.

Aber hey, „Von Essen-Bredeney nach Köln-Müngersdorf“ – wäre das nicht ein ebenso spannender Titel? Für eine Verfilmung von Souvigniers Lebensstory? Film ab.

Aus seinem Büro am Alten Militärring im Kölner Westen schaltet sich Michael Souvignier zu. Die Woche davor war der 63-jährige Gründer und Chef der Zeitsprung Pictures in New York bei den International Emmy Awards unterwegs. Endlich, nach zwei Jahren Pause wieder Socialising. Zu gewinnen gab’s dort diesmal für ihn zwar nichts (der Emmy für das Gaby-Köster-Drama „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ liegt drei Jahre zurück). Aber als Member im Preis-Board ist der Termin Pflicht und für ihn nicht zuletzt ein willkommener Anlass, um mal wieder in jene Stadt zu reisen, die er seit 1983 regelmäßig besucht und fotografiert.

Denn genau das ist ja Michael Souvignier qua Herkunft: ein Fotograf, ein Fotokünstler, der sich mit Fotokunst auch von anderen umgibt. Der großformatige Horst Wackerbarth neben seinem Schreibtisch fällt sofort ins Auge. Im Hintergrund: die Beatles und Mick Jagger in Schwarzweiß. Nicht von ihm fotografiert, leider. Einen Weltstar der Musik hatte Souvignier gleichwohl selbst einmal vor der Linse, ohne es zu ahnen. Und allein diese Geschichte ist filmreif, so wie er sie erzählt.

Michael Souvignier Zeitsprung © Stephan Pick
„Über einen langen Zeitraum meines Lebens habe ich zwischen drei und zwanzig Filme am Tag durch die Fotokamera laufen lassen. Wenn Sie so wollen, habe ich mein ganzes Leben wie ein Tagebuch fotografiert.“ Standfotografie, Theaterfotografie, Modefotografie, subjektive Fotografie im Stil von Otto Steinert, alles hat der fertige Dortmunder Student Souvignier ausprobiert, um sich sein WG-Leben im damals pulsierenden Köln zu finanzieren. Und so kam er Anfang der 1980er zu einer Modenschau ins Neptunbad. Dort trat eine Band auf, von der man noch nie gehört hatte. Sie sang „Sweet Dreams“. Und Souvignier war sofort verliebt in Annie Lennox, die Frontfrau der Eurythmics.

„Annie wunderte sich, warum ich nicht die schönen Hintern der dünn angezogenen Models fotografiere, sondern nur sie. Wir sind dann um die Häuser gezogen. Es war unglaublich schön.“ Bis heute sei er ein begeisterter Annie-Lennox-Fan, „eine unheimlich faszinierende Frau“.

Gut möglich, dass auch der damals 16-jährige Tennis-Rebell aus Leimen Annie Lennox auf den Ohren und im Herzen hatte. Die Achtziger gehörten ja auch zu seinem Soundtrack des Lebens.

Wie kam der Becker-Stoff eigentlich zur Zeitsprung? Anders als sonst üblich nicht aus der eigenen Firma heraus, klärt Souvignier auf. 13 Mitarbeiter zählt sie aktuell einschließlich seiner Tochter und Assistentin Gala; mehr als die Hälfte davon ist mit Stoffentwicklung beschäftigt. Und da ist im Laufe der Jahre ja Beträchtliches und Preisgekröntes zusammengekommen.

Auch wer den Namen Michael Souvignier noch nie gehört hat (okay, hier auf DWDL ist das eher unwahrscheinlich), hat wenigstens einen seiner mehr als hundert Filme gesehen. Gerade glänzt auf der großen Leinwand das Drama „Lieber Thomas“ über den Schriftsteller Thomas Brasch. In der ARD-Mediathek und auf Netflix kann man sich noch mal das Serienepos „Oktoberfest 1900“ reinziehen. Und der Dortmunder „Tatort“ vorigen Sonntag, der war auch von ihm.

Im Boris-Becker-Fall war es nun aber so, dass Richard Kropf, der eine Kopf des Autorentrios „HaRiBo“ (mit Hanno Hackforth und Bob Konrad), Michael Souvignier und dessen Ko-Produzenten Alexis von Wittgenstein von der Violet Pictures mit seiner Leidenschaft für Tennis und Bum-Bum-Boris angesteckt hat. Und zwar nachhaltig. Eine „absolute Heldenfigur“ ist Becker für Souvignier und nicht zuletzt eine Person der Zeitgeschichte ganz nach seinem Produzentengeschmack. Denn dass er sich für deutsche Geschichte interessiert und für Geschichten nach wahren Gegebenheiten, das hat er oft genug in Interviews betont.

„Boris Becker hat mit Steffi Graf Deutschland zur Tennis-Nation gemacht“, sagt Souvignier. Wie er alle Hindernisse übersprungen habe, dieser unglaubliche Kampfeswille, dieser Wahnsinns-Aufschlag . . . Souvigniers Begeisterung schlägt Funken. Ob er denn selbst ein leidenschaftlicher Tennisspieler ist? Nein, nein, nicht doch. Er sei in Essen-Bredeney groß geworden: „Da gibt es eine rechte und eine linke Seite. Die linke ist da, wo die Albrechts wohnen. Ich kam von der rechten. Meine Eltern waren ganz normaler Mittelstand, ich war eher linksorientiert als Schüler. Tennis, das waren die reichen Pinkel. Ich wollte nicht zu so einem Schnöselverein.“

Also hat er lieber Basketball, Handball und Fußball gespielt. Gut, bei einer Leibesgröße von zwei Metern und Schuhgröße 47 überragt er Boris Becker um knapp zehn Zentimeter. Im Dirk-Nowitzki-Sport war Souvignier dann wohl doch besser aufgehoben.

Für „Der Rebell“, der den sportlichen Teil von Beckers buntem Leben bis zum zweiten Wimbledon-Sieg fiktionalisiert – Becker-Faust, Becker-Hecht, alles drin! – haben sich die RTL-Leute samt den Produzenten mit dem Tennisstar zusammengesetzt. Details aus diesem Treffen möchte Souvignier aber lieber nicht veröffentlicht sehen, nur das: Letztlich hätten sie sich allein auf das Buch von Fred Sellin konzentriert und einfach einen „realistischen Film“ draus gemacht.

„Der Rebell“ scheint also genauso realistisch zu sein, wie es schon Sellins Werk „Ich bin ein Spieler – Das Leben des Boris Becker“ von 2002 vorgab. Einer Hagiographie ist es völlig unverdächtig. Der dort als „Filzball-Despot“ porträtierte Protagonist zeigte damals, wie man so schön nachlesen kann, „keinerlei Interesse, die Arbeit an seiner Biografie zu unterstützen“.

Michael Souvignier Zeitsprung © Stephan Pick
Konzentrieren wir uns besser auf ein anderes Detail.

In „Der Rebell“ wurde auch ein bisschen RTL-Historie hineingemogelt, in Form von Archivmaterial aus der frühesten Zeit, als RTL noch RTL plus hieß (nicht zu verwechseln mit der heutigen Streamingtochter RTL+) und der Anchorman der RTL-News noch nicht Peter Kloeppel war, sondern Hans Meiser. Meiser vermeldete am 7. Juli 1985 die Weltsensation aus Wimbledon. Nostalgie pur!

Michael Souvignier stand zu dem Zeitpunkt kurz vor seinem 27. Geburtstag und war blutjung wie das Privatfernsehen, mit dessen Aufstieg seine Bilder erst so richtig ans Laufen kamen. Als Kameramann und Regisseur arbeitete er zunächst, zum Beispiel bei der allerersten deutschen Soap, „Galerie Buecher“ auf Sat.1. Der erste Spielfilm als Produzent kam 1998 ins RTL-Programm, „Die Mädchenfalle – Der Tod kommt online“ mit der damals blutjungen Alexandra Maria Lara als Mädchen. Mit dem „Wunder von Lengede“ 2003 war die Zeitsprung dann endgültig im Fiction-Genre etabliert, wenn auch nicht vor Rückschlägen gefeit. Die Insolvenz 2011, ach ja, das ist ein Kapitel in Souvigniers Leben, das wir ihm zuliebe hier geschlossen halten. Er muss da nicht noch mal durchs Feuer gehen.

Ein geiles goldenes Zeitalter

Wenn er mit dem Filmnachwuchs spricht, und das tut er oft, dann hat der lebenserfahrene Produzent diese ermutigende Botschaft parat: „Ihr lebt jetzt genauso in einem geilen goldenen Zeitalter, wie ich es mit 27 erlebt habe. Ihr habt sogar noch mehr Chancen als ich zu meiner Zeit.“ Allein was da alles bei RTL mit RTL+ „gepusht und beauftragt“ werde: „So viele Möglichkeiten für Kreativität und Vielfalt im Programm gab es noch nie.“ Er selbst lässt diese Chancen nicht an sich vorbeiziehen.

Mit besagten „HaRiBos“ stemmt Souvignier gerade sein erstes Netflix-Original, „Kleo“ mit Jella Haase als DDR-Top-Spionin. Die „besten Erfahrungen“ mache er mit dem Streamer da gerade: „Schnelles Entscheiden, schnelles Agieren. Es gab für ,Kleo‘ noch kein Treatment, keine Drehbücher, da hat uns Netflix schon die gesamte Autobahn für eine Serienproduktion gebaut. Alles geht viel schneller als beim linearen Fernsehen.“ Wobei er sich nicht festlegen will, was besser oder schlechter ist, „es ist einfach anders“. In der Corona-Zeit, dieser auch für die Filmbranche so nervenkitzligen Zeit, sei ihm der US-Streamer ein „total verlässlicher Partner“ gewesen, „in allen Bereichen. Die beschützen ihre Kreativen ganz besonders“.

Das mit Corona hat bekanntlich nicht aufgehört. Und obwohl auch die Zeitsprung es schon zigmal mit Corona an verschiedenen Sets zu tun hatte, ist der Firmenchef stolz drauf, dass nicht nur er, sondern die gesamte Produzentenlandschaft bisher alle Produktionen fertiggestellt haben. „Wir Produzenten haben das fabelhaft hingekriegt“, klopft sich Souvignier auf die Schulter, „wenn ich mich richtig erinnere, sagte Martin Moszkowicz in Richtung Bundesregierung, ihr hättet besser uns mal das Krisenmanagement überlassen sollen. Produzenten sind es gewohnt, mit Problemen umzugehen. Wir haben immer Probleme. Es gibt keine Produktion ohne Probleme.“

Man stelle sich das mal vor: Die „MiMaNis“, also Michael Souvignier, Martin Moszkovicz und Nico Hoffmann statt Jens Spahn hätten die Beschaffung von Masken, Impfstoffen und Pflegekräften in die Hand genommen – wie stünden wir dann heute da? Ach, sweet dreams.

Ein letzter Zeitsprung zurück in die Achtziger muss noch einmal sein, damit hier nicht hängen bleibt, Michael Souvignier würde nur Fiction produzieren. Bevor er in diesem Fach überhaupt anfing, drehte und produzierte er an die 500 Dokus und Reportagen, was er in Zukunft auch wieder verstärkt tun will, weshalb er sein Zeitsprung-Team etwa um den Welt-Journalisten Tim Röhn erweitert hat. Die allerallererste Doku trug den Titel „Totenkult auf Südsulawesi – Fest des niedergehenden Rauches“. Und die Story geht so, dass Souvignier nicht selbst nach Indonesien reiste, sondern einen Kameramann und einen Realisator schickte.

Als er sie am Flughafen Frankfurt wieder abholte, waren aber die Tapes mit dem Drehmaterial weg – und er als Produzent „fast schon wieder Pleite“. Er fing an, sich damit abzufinden, dass das Schicksal hart zugeschlagen hatte, da tauchten die Tapes sechs Wochen später beim Zoll wieder auf. „Die dachten wohl, wir hätten da irgendeinen Schweinekram drauf, und brauchten so lange, um ein Abspielgerät zu finden.“

Wie sang Annie Lennox noch mal? There must be an Angel. Auch in Michael Souvigniers filmreifem Leben.