Am vergangenen Dienstag war Internationaler Frauentag und damit beste Gelegenheit, nicht nur Frauen zu feiern, sondern mit Kampagnen für mehr Geschlechtergerechtigkeit en passant auch das eigene Unternehmen in rosiges PR-Licht zu tauchen. Und so ging auch aus der Prinzregentenstraße in München ein Post hinaus in die Welt, ein sehr bildgewaltiger sogar: Wonder Woman, die erste Superheldin der Comic-Geschichte, ballt in ihren Fäusten das magische Lasso, das eingefangene Opfer zwingt, die Wahrheit zu sagen. Und über ihrem Kopf steht in dicken Lettern geschrieben: „Believe in Wonder“ – glaubt an Wunder.

Dass die Verfasserin zur Illustration ihrer Feiertagsadresse diese nun schon 80 Jahre junge Pop-Ikone für female power wählte, liegt nahe. Sylvia Rothblum arbeitet für jene Company, der Wonder Woman mehrere Realverfilmungen verdankt.

Und mit Blick auf ihre eigene illustre 63-jährige Vita liegt man wohl nicht falsch in der Annahme, dass auch Sylvia Rothblum sich als Wonder Woman der Medienindustrie gefällt.

Als „Head of TV Distribution“ von Warner Bros. bestückte sie die vergangenen zwei Jahrzehnte praktisch das halbe Pro Sieben-Programm mit Sitcoms Made by Warner. Im vorigen Juni wurde sie befördert. Rothblum ist jetzt Country Managerin bei WarnerMedia für Deutschland, Österreich und die Schweiz und zugleich Mitglied im Führungsteam ihrer Vorgesetzten Priya Dogra, das den Raum Europa, Naher Osten und Asien (außer China) betreut. Zu ihren Aufgaben gehört nun auch der Vertrieb von Kinofilmen, die lokale Kinofilmproduktion (und da bevorzugt Produktionen mit Fatih Akin und der „Wunderschön“-Kreativen Karoline Herfurth), die Lizenzierung von Content, der Bereich Home Entertainment und und und. Ganz schön viel Power also.

Aber mal ehrlich, reicht es, einfach nur an Wunder zu glauben, um so eine Karriere hinzulegen wie sie? Welche wundersamen Kräfte waren am Werk, die Sylvia Rothblum auf den Chefinnensessel in Warners weltumspannendes Entertainment-Imperium gesetzt haben? Last but not least: Wie geschlechtergerecht geht es in ihrer eigenen Firma eigentlich zu?

Wonder Woman © WarnerMedia

Bei WarnerMedia wird ja viel über die Zentrale in New York gesteuert – und einiges eben auch aus der Prinzregentenstraße, von wo sich Warners München-Statthalterin meldet (zur Büroführung bitte hier entlang). Am Morgen hatte sie ihren digitalen Wonder-Woman-Beitrag abgesetzt, was sie für unser Gespräch offenbar dynamisiert hat. Kämpferisch-euphorisch, so der erste Eindruck. Mit der schwarzhaarigen Amazonenprinzessin weist sie indes wenig optische Ähnlichkeit auf. Sie trägt blond am Kopf, winterwolliges grün am Oberkörper und bietet sofort das Du an.

Okay, Sylvia, findest du, der 8. März sollte bundesweit ein Feiertag werden wie in Berlin?

Dazu hat sie keine Meinung, aber sie findet: „Eigentlich sollte jeder Tag Weltfrauentag sein.“ Dass man zumindest an diesem einen Tag im März mit Aktionen wie „Women’s History Month“ ihres eigenen Konzerns nebst einer extra zusammengestellten „Frauenpower Musikplaylist“ auf das gesundheitliche Wohlbefinden von Frauen oder den Gender Pay Gap aufmerksam macht, hilft ihr zufolge den Frauen auf ihrem Weg zu mehr Gleichberechtigung sehr.

Sylvia Rothblum © WarnerMedia / Bodo Mertoglu
Was der passende Soundtrack für ihr eigenes Leben wäre? „Eindeutig: I will survive. Mit fünf verlor ich meine Mutter. Als ich 55 war, starb mein Mann unerwartet. Und trotz dieser Schicksalsschläge bin ich immer wieder aufgestanden. I will survive ist zu meinem Lebensmotto geworden.“ Sagt’s und aus dem amerikanischen Akzent in ihrem Deutsch ist die Kosmopolitin eindeutig herauszuhören.

1958 wurde Sylvia Rothblum in Uruguays Hauptstadt Montevideo geboren. Sie stammt aus einer jüdisch-ungarischen Emigrantenfamilie und lebte bis zur Volljährigkeit in Brasilien, Israel, Österreich und China. 10 Sprachen spricht sie. Den Doktor in Wien und Mailand machte sie zum Thema „China in den Werken von W. Summerset Maughan“. In New York baute sie erfolgreich ein eigenes Übersetzungsbüro auf. Pretty impressive so far, nicht wahr?

Als ihr Mann zu Siemens nach München wechselte, fing sie bei Kirch als Marktanalytikerin an, was bei einem geisteswissenschaftlichen Werdegang wie dem ihren damals nicht vorgesehen war: „Du warst entweder Anwalt oder hattest einen MBA.“ Sie war 30 und ihre einzige „Fortbildung“ im Medien-Biz bis dato: während der ersten Schwangerschaft „Dallas“ und „Dynasty“ gucken.

Hast du Kinder?, fragt sie.

Auch sie hat zwei, längst erwachsen. Großmutter ist sie und fest im Glauben, dass sie ihren Töchtern sehr gut vorgelebt hat, dass man beides haben kann: Kinder und Karriere. „Und sie lieben mich trotzdem“, lacht Sylvia Rothblum.

Herzensthema Work-Life-Balance

Bevor ihr Herzensthema Work-Life-Balance für Führungsfrauen auch hierzulande Fahrt aufnahm, schrieb sie mit der Journalistin Petra Preis ein Buch. „Frauen sind die besseren Manager“ behauptete die Trendsetterin 2002 keck in diesem populär-wissenschaftlichen Pamphlet, in das natürlich auch ihre eigenen Erfahrungen als Mutter und Managerin einflossen.

Wer eine Kindergeburtstagsparty für Vierjährige wuppen kann, schafft mühelos auch die Organisation einer Konferenz von Managern – das war so ein Rothblum’scher Knallersatz, der sogar Journalisten von „L’Express“ in Paris zur Reise nach München bewegte, um die Autorin kennenzulernen. Dass arbeitende Mütter in Deutschland noch so ein Thema sind, erstaunte die Franzosen doch sehr. Ein weiterer Reißer aus ihrem Buch zum an die Wand pinnen: „Es ist wahrscheinlicher, dass eine Frau vom Blitz erschlagen wird, als dass sie in den Vorstand eines deutschen Unternehmens aufsteigt.“

Rothblum war schneller als der Blitz. Zu einer Zeit, als Vorständinnen (wie es genderkorrekt heißt) noch eine Rarität waren, kam sie vom Kinderfernsehspezialisten Nickelodeon zum Kinderfernsehspezialisten EM.TV. Neuer Markt, Börsen-Hype, Kurse rauf, Kurse runter, all das erlebte sie mit den Haffa-Brothers an vorderster Front mit. In Erinnerung blieb ihr diese Episode: Ihre Mädchen waren 7 und 14, worauf Wolfgang Becker, der damalige Aufsichtsratsvorsitzende von EM.TV, sie bei der Vorstellung für den Posten fragte: Und was machen Sie mit Ihren Kindern?

Rothblums Entrüstung hat seither keinen Deut abgenommen: „Kein Mann wird das gefragt!“ Nie käme es ihr als Chefin in den Sinn, einer Frau diese Frage zu stellen. Bei WarnerMedia zählen andere Qualitäten. Sehr gute Englischkenntnisse zum Beispiel sind essenziell. Doch fragt sie Bewerberinnen danach, macht sie immer wieder dieselbe Erfahrung: „Frauen stapeln tief, obwohl sie die Sprache fließend sprechen. Viele Männer dagegen sagen sofort, mein Englisch ist perfekt, auch wenn sie nicht jedes Wort verstehen.“ Was sich Frauen von Männern ihrer Meinung nach abschauen könnten? „Selbstbewusstes Auftreten bei absoluter Ahnungslosigkeit.“

An ersterem mangelt es ihr jedenfalls nicht. Wie sonst ist zu erklären, dass zum Beispiel der in Rollenfragen nicht als progressiv aufgefallene Medienmogul Leo Kirch sich von der Zweifachmama zu einer Home-Office-Regelung bei gleichem Gehalt überreden ließ mit dem Uiuiui-Satz: Wenn Sie jemand anderes einstellen, wird der nicht so gut sein wie ich?

„Verhandeln ist meine Stärke“, bekräftigt Sylvia Rothblum, „sonst wäre ich nicht da, wo ich bin. Natürlich musst du sehr gut sein, denn du konkurrierst mit anderen, die die ganze Woche im Büro sind. Und du musst deinen Wert kennen. Bescheidenheit ist tödlich in der Karriere.“

Sylvia Rothblum © WarnerMedia / Bodo Mertoglu
In ihre jetzige Top-Position schaffte sie es dennoch erst nach längerem Anlauf, obwohl sie schon vor vielen Jahren ihrem damaligen Chef sagte: Sobald du in Rente gehst, möchte ich deinen Job, ich glaube, ich bin qualifiziert. Mit 62 klappte es dann endlich. Jemand, der sie gut kennt, habe zu ihr gesagt: Jetzt bist du endlich in deinem natürlichen Aggregatzustand angekommen.

Es sei nach wie vor so, dass Frauen meist nur bis zum mittleren Management kämen, aber bei der obersten Etage stießen sie an die glass ceiling. Sie habe sie durchbrechen können, sagt Rothblum. Dass sie jetzt Country Managerin sei, solle auch andere Frauen ermutigen: Nehmt mich zum Vorbild. Ihr könnt das auch.

Das Geschlechterverhältnis in ihrem DACH-Team: zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer, das kann sich sehen lassen. Auf Country-Management-Ebene wird’s bei WarnerMedia allerdings bescheidener. Es gibt nur noch eine weitere Chefin, in UK. Aber seit wenigen Tagen hat Sylvia Rothblum in München Unterstützung. Mit Iris Oetter, der Head of Finance, bekam sie eine Ko-Geschäftsführerin an die Seite. Gleich zwei Frauen an der Spitze – so was ist in der deutschen Medienlandschaft immer noch eher selten. Und Sylvia Rothblum könnte sich vorstellen, „dass es für den einen und anderen Mann um die 50 schwer zu ertragen sein dürfte“. Ihr Mitgefühl hält sich aber in Grenzen: „Sie fühlen halt das, was wir Frauen die letzten 100 Jahren an Diskriminierung erlebt haben. Welcome to the Club!“

Auf das Duo Rothblum/Oetter kommt nun ein Berg an Aufgaben zu. Nachdem WarnerMedia über Output-Deals für Serienklassiker wie „Friends“, „Sex and the City” und „The Big Bang Theory” eine jahrzehntelange Partnerschaft mit Pro Sieben pflegte respektive in Rothblums Worten eine „Win-Win-Geschichte“ hatte, gibt es neuerdings Veränderungen. Im Februar wurde eine Kooperation mit dem Pro Sieben-Konkurrenten RTL Deutschland bekanntgegeben, die auch Serien der Warner-Tochter HBO Max umfasst.

Wird Pro Sieben jetzt womöglich das Nachsehen haben?

Harry zaubert weiter in Sat.1

Nein, nein, beruhigt Sylvia Rothblum und erklärt mit einem Lachen, „wir versuchen, alle glücklich zu machen.“ Seven.One behalte zum Beispiel die Harry-Potter-Filme und Sitcoms. Nur sei es ja so: „Bedürfnisse ändern die Strategie.“ Und da RTL momentan sehr stark in sein Streaming-Angebot RTL+ investiere, sei der Bedarf für amerikanische Serien dort höher als bei Pro Sieben. Abgesehen davon: Über den Bachelor und andere Reality-Formate sei Warner schon länger mit RTL im Gespräch. „Zum Glück verfügen wir über eine Riesen-Library und können auch andere Partner wie Amazon, Netflix und Sky beglücken.“

Doch die größte Veränderung in diesem Jahr, sagt Sylvia Rothblum zum Schluss, werde sicher der Merger mit Discovery sein. Immerhin der zweitgrößte Medienkonzern der Welt hinter Disney soll dadurch entstehen.

Aber das ist dann eine andere, im besten Fall eine Win-Win-Geschichte. Vielleicht sogar für die Frauen bei WarnerMedia.