Bryan Adams, der Weltstar des Feelgood-Rock, tourte vorige Woche durchs deutsche Fernsehen, um für sein neues Album zu werben, und weil er auch ein talentierter Fotograf ist, der kriegsversehrte Soldaten im Bildband „Wounded“ porträtiert hat, passte es angesichts der Weltlage doppelt gut, dass er Montagmorgen kurz vor halb zehn auch bei RTL vorbeischaute. Wie es ihm denn gehe, dass an Don und Dnjepr gerade „neue Bilder“ produziert würden, wollte also Moderator Marco Schreyl von ihm wissen, worauf Adams in seiner lederjackigen Coolness irgendwas von „offensichtlich nichts gelernt“ nuschelte. Viel tiefer schürfend wurde es nicht, was nicht an Schreyls Fragen lag, da war es auch schon Zeit sich zu verabschieden, nur wie: Shakehands oder doch nur die Corona-Faust?

Superstar hin oder her: Schreyl machte, anders als Adams, auf „Team Vorsicht“ – wir stecken ja mitten drin in dieser fetten sechsten Welle, sodass sich zwischen den beiden ein „Handgerangel“ abspielte, das in seiner Heiterkeit eigenartig war, aber auch herzlich willkommen, zumal in einer Sendung, die an heiteren Momenten sonst nichts zu bieten hat, abgesehen vom Wetterbericht.

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sendet RTL werktags nicht mehr das übliche Frühstücksfernsehen „Guten Morgen Deutschland“, sondern stemmt von 6 Uhr an gemeinsam mit der News-Schwester ntv die Sondersendung „Krieg in der Ukraine“. Und so kommt es, dass Marco Schreyl nicht wie gewohnt die Republik fröhlich wach plaudert, sondern (meist) an der Seite seiner ntv-Kollegin Isabelle Körner das Kriegsgeschehen präsentiert.

Marco Schreyl © RTL / Bernd-Michael Maurer
Aber warum eigentlich er, ein Gute-Laune-Moderator mitten in der Breaking-News-Schleife?

Er selbst wird sich über den überraschenden Rollenwechsel diese Erklärung entlocken lassen, die in ihrer Widersprüchlichkeit wohl vielen anderen mit dem Krieg konfrontierten Moderatoren und Reporterinnen aus der Seele spricht:

Jeder, und da schließe er sich mit ein, würde sich wünschen, „es nicht machen zu müssen. Das ist ein ganz schrecklicher Anlass“. Wenn er nach fünf Stunden Arbeit am Stück nach Hause komme und die Gedanken kreisen, was habe ich heute eigentlich gesendet, was habe ich für Fragen gestellt, welche Informationen habe ich bekommen, welche Bilder gesehen – „einfach schlimm“. Aber jede Karte habe eine Rückseite. Und auf seiner steht: „Du hast die berufliche Chance bekommen, im richtigen Moment an der richtigen Stelle die richtige Leistung abzuliefern. Es ist sehr schön zu wissen, dass man mir vertraut.“

Nichtsdestotrotz, dieser Vergleich ist manchen in der Branche gekommen, als Marco Schreyl im vorigen Dezember den Frühdienst bei „Guten Morgen Deutschland“ antrat: Das wäre ja so, als würde Thomas Gottschalk „hallo deutschland“ am Nachmittag im ZDF moderieren. Will heißen: Interessant, diese Wandlung vom Showolymp hinab in die Niederungen des Daytime-Infotainment.

Tatsächlich war der 1,93 Meter große Hüne, der, nein, nicht im Summer of 69, sondern am Neujahrstag 74 in Erfurt geboren wurde, einmal ein ganz Großer der Samstagabendunterhaltung, so wie Gottschalk.

Von 2005 bis 2012 moderierte er die (damals noch) Supershow „Deutschland sucht den Superstar“. Nach Quote musste Schreyl sich vor Gottschalk überhaupt nicht verstecken, auch wenn es sicher so war, dass der eigentliche Star hier nicht der Gastgeber war, sondern das Format und Chefjuror Dieter Bohlen natürlich auch einen wesentlichen Teil zum Erfolg beitrug. Das bis dato total unerfahrene Unterhaltungstalent kam vom ZDF-Magazin „hallo deutschland“ und musste sich in der Rolle der Rampensau zur Primetime erst finden.

 

Du bist ganz schnell der ganz Große und auch ganz schnell mal nicht mehr gefragt.

 

Schreyls Kritiker waren denn auch anfangs gar nicht gnädig mit ihm. Als „Phantom des deutschen Fernsehens“ und „Tarnkappen-Moderator“ betitelte ihn etwa der „Stern“. Anderen missfiel, wie steif er an seinen Moderationskarten hänge. Doch Schreyl arbeitete an sich, nach der Devise „ich bin groß, stark und arbeitswillig“. Nach sieben Jahren „DSDS“ kam dennoch das Aus. Abrupt und „nicht ganz geschmeidig“, sagt Schreyl, „aber wissen Sie“, schiebt er lachend hinterher: „Heute bin ich 48. Als ich mit ,DSDS‘ aufhörte war ich 38. Da fehlte mir noch die Leichtigkeit, das Business zu verstehen. Du bist ganz schnell der ganz Große und auch ganz schnell mal nicht mehr gefragt.“

Seit kurz nach zwei in der Früh ist er nun schon auf den Beinen, als wir auf diesen letztlich unerfreulich abgeschlossenen Abschnitt in seinem Berufsleben zurückschauen, um sein Jetzt besser zu verstehen. Fünf Stunden Live-News-Strecke hat er da schon hinter sich. Im Hintergrund röchelt seine Espressomaschine. Hellwach sagt er, dass er sich manchmal selber kneifen müsse: „Ich habe beim selben Sender die Chance zu zeigen, dass ich das eine kann und das andere auch.“

Zwischen öffentlich-rechtlich und privat

Bis zum Sendercomeback sollten allerdings ein paar Jahre ins Land gehen, die sich Schreyl mit seiner zweiten (oder ersten?) Leidenschaft vertrieb: Radio. Noch während der „DSDS“-Zeit fing er als Morningshowmoderator bei hr1 an. Das hieß: Freitags um 10 aus dem Studio in Frankfurt raus, nach Köln hetzen zur „DSDS“-Probe, samstags bis in die Puppen den Gesang der anderen glänzen lassen, und montags Früh wieder Radioschicht. 2014 dockte er dazu beim WDR an.

Im WDR-Fernsehen moderierte er die Quasi-„DSDS“-Variante „Der Chor im Westen“ und machte mit Promis „Lust auf Wandern“. Auf WDR2 spricht er nach wie vor nachmittags und sonntags ins Mikrofon (manchmal, Chapeau!, sogar noch am selben Tag nach der RTL-Frühschicht!). Auch im Deutschlandfunk Kultur hat er eine Gesprächssendung. Schreyl ist also ein umtriebiger Wanderer zwischen den Rundfunkwelten.

Was für ihn der größte Unterschied zwischen Öffentlich-Rechtlich und Privat ist?

Ach, glücklicherweise hätten wir uns von diesem Schubladendenken emanzipiert, antwortet Schreyl. Ihm sei es völlig egal, ob da öffentlich-rechtlich oder privat drübersteht: „Ich muss ich selbst sein und gut.“ Ein Kollege habe neulich etwas sehr Richtiges gesagt: Es ist doch viel schöner, über Können zu sprechen, über Fertigkeiten und Fähigkeiten und wofür jemand steht, und warum soll der oder die das nicht in verschiedenen Bereichen zeigen können?

Im Februar 2020 kam die zweite Chance zum Können-Zeigen: RTL gab Marco Schreyl nachmittags um vier eine Sendung, die seinen Namen trug. Bei „Marco Schreyl“ wurde, anders als in den nachmittäglichen Quasselbuden der Hans Meisers und Bärbel Schäfers zuvor, weder über Schamhaarfrisurentrends geredet noch jemand an den Lügendetektor angeschlossen. Das Themenspektrum war deutlich breiter als die definierte Brust des ehemaligen Turners. Es umfasste Tierschutz und vegane Ernährung, sehr junge oder sehr späte Mutterschaft, seltene Krankheiten, Kleiderregeln für die Schule, Raser-Wahnsinn auf deutschen Straßen, und ja, das auch, die Abteilung „Penthouse“ („Wie viel Sex ist normal?“), nur in dezent.

Schreyl machte als besonnener Moderator, das kann man im Nachhinein nicht anders sagen, eine gute Figur. Und erst recht, als mit dem ersten Lockdown von heute auf morgen aus einer unterhaltsamen Talkshow plötzlich eine tägliche Informationssendung und aus 60 Minuten aufgezeichnet jeden Tag 90 Minuten live wurden. Aber im Juni 2020 war schon wieder Schluss.

Dass er aus „Marco Schreyl“ gerne einen Marathon gemacht hätte, daraus macht Schreyl keinen Hehl. Hat leider nicht funktioniert. Warum nicht, kann er nicht erklären. Er weiß nur: „Wir haben 100 Folgen gemacht, und wir haben 100 Mal volle Pulle gegeben.“ Den Gedanken, dass der RTL-Nachmittag eine Todeszone ist, hatte er schon. „Aber ich wäre doch ein Schisser, wenn ich mich nicht darauf eingelassen hätte, es wenigstens zu versuchen.“ Es wäre wie für die Olympischen Spiele trainieren, aber nicht antreten, weil man das Gefühl hat, es nicht ins Finale zu schaffen.“

Um im Bild zu bleiben: Ins Ziel ist er ja nun doch irgendwie gekommen, nur anders als gedacht. Sieht er seine Zeit beim täglichen Corona-Talk als Warmlaufen für die RTL-News?

Marco Schreyl © RTL / Bernd-Michael Maurer
„Warmlaufen“ gefällt ihm nicht. Mit einem journalistischen Grundgedanken Fragen stellen, zuhören, ein Zeitgefühl entwickeln, wann eine Live-Sendung beginnt und aufhört – das habe er ja alles „zum Glück mal richtig gelernt und mehrfach angewandt“. Offenbar habe es Leute gegeben, die meinten, der Schreyl macht das im Infotainment-Bereich gar nicht schlecht. Den lassen wir mal morgens zweieinhalb Stunden moderieren. Mit „Leuten“ meint er wohl Magazin-Chefredakteur Martin Gradl, der auf Nachfrage das Lob ausrichten lässt, Marco sei „ein sehr guter Journalist“ und man sei „sehr glücklich, dass wir ihn zu unseren Frühnews geholt haben“.

Gut, aus dem Zweieinhalbstundenjob wurde für Schreyl mit dem 24. Februar ein Breaking-News-Langlauf. Und statt Annett Möller & Co. sitzt neben ihm eben besagte Isabelle Körner, die, O-Ton Schreyl, „Top-Journalistin von ntv, die alles hinterfragt und jede Eilmeldung sieht“. Da prallen doch zwei Kulturen aufeinander, oder? Auch „zusammenprallen“ gefällt Schreyl nicht. Er spricht lieber von „annähern“. Sie hätten „gut zueinandergefunden“: „Wir sind ein Superteam. Wir sind RTL United.“

Vereint sind sie auch in dem, was der Krieg in der Ukraine an Bildern produziert und die Redaktion zwei Mal die Stunde in einer von melodramatischer Musik begleiteten Fotocollage des Schreckens in die Gemeinschaftssendung einbaut. Was wird gezeigt und was nicht? Wie wird das intern diskutiert?

 

Ich bin ein emotionaler Mensch.

 

„Da müssen wir gar nicht diskutieren. Das entscheidet der gesunde Menschenverstand“, sagt Schreyl, „wir sind uns alle einige, dass wir keine sterbenden Menschen zeigen würden.“ Dennoch gehörten zu diesem Krieg auch Kriegsbilder. Die Flüchtlingskrise von 2015 und was es bedeutet, in einem Gummiboot übers Meer zu schippern in der Hoffnung, dem Tod zu entrinnen, „das haben wir doch alle erst richtig kapiert mit dem Bild des kleinen Jungen, der tot am Strand lag.“

In Gebäude einschlagende Geschosse aus Drohnensicht gefilmt, produzierten bei ihm genügend Bilder im Kopf, was drinnen passiert sein muss, fährt Schreyl fort. Es gehe ihm „schon echt nah“ in diesem Business, wo es darum geht, weiter, weiter, weiter, das nächste Gespräch. „Aber dann gibt es diese Momente wie heute Morgen, wo Isabelle und ich uns fragten: Wie weit treibt dieser Mensch das noch? Mir kam dann dieser, ich weiß, dämliche Vergleich: Wenn ich scharf bin auf das beste Porzellan, dann klau ich’s, aber ich schlage es nicht kaputt. Was passiert mit diesem Land?“

Und wie er diesem Bild noch hinterherdenkt, füllen sich plötzlich seine Augen, die Stimme versagt. Marco Schreyl, wounded. Der Moment für den Porträtierten wie für die Porträtierende berührend. Es dauert eine Weile, bis er sich wieder fasst und sogar zu einem kleinen Scherz aufgelegt ist: Wenn jemand bei „DSDS“ gewann und sich freute, dann habe er auch mal mitgeheult. „Ich bin ein emotionaler Mensch.“ Wenn es im Job passiere, sei es aber eher nicht förderlich.

Schnell die Stimmung aufhellen. Vielleicht mit dieser Schlussfrage?

Können Sie sich vorstellen, wie zu guten alten „DSDS“-Zeiten wieder auf einem Shiny Floor zu stehen, Herr Schreyl?

„Lackschuhe und Smoking wieder herausholen für eine Show, die sich mir erklärt und zu mir passt, warum nicht?“, fragt er zurück. Doch der Dresscode für die Primetime sieht bei Marco Schreyl momentan anders aus: Schlafanzug. Zu-Bett-Gehzeit ist um halb acht. Denn schon um zwei beginnt für ihn wieder ein neuer, schrecklicher Nachrichtentag.