Was macht denn Schiwa Schlei da vorige Woche vor der Leinwand in Köln am Ring? Digga, die Programmchefin von Cosmo, wo der Sound der Welt zu hören ist, lässt sich von der rechtsrheinischen Rap-Elite feiern. Genießt die „Schi-wa, Schi-wa“-Rufe bei der Kinopremiere von „Hype“, dem ersten „Cosmo Original“, für das die Sender-PR die Bezeichnung Rap-Musical-Serie erfunden hat. Bleibt trotz des Boheis um ihre Person bescheiden. Versucht den tobenden Saal abzukühlen: „Ich hab‘ doch gar nichts gemacht, ich hab‘ nur den Geldkoffer gefunden.“

Das ist natürlich eine bodenlos sympathische Untertreibung und wirft Fragen auf: Wo liegt das Geld herum? Warum muss ein Radiosender TV-Serien produzieren? Und wer ist eigentlich diese findige Frau, die keine klassische Radiomacherin ist und von sich sagt, sie hasse Musicals?

Zunächst einmal ist Schiwa Schlei, Hatschi, ein leicht unterkühltes Gegenüber, das am Abend zuvor erst gegen drei ins Bett kam. Die Premieren-Party bis in die frische Nacht, fett. Die Serie selbst über laute Beats, Arsch-shakende Sis‘ und dealende Bros in einer Vorstadtgang, die zwischen Porzer Party und Perspektivlosigkeit um Anerkennung kämpft, wallah!, echt cool (siehe auch DWDL.de-Serienkritik) und, gar nicht cringe, in der ARD-Mediathek abrufbar.

Also, was geht, Frau Schlei? Immer noch beseelt, antwortet sie, die seit 2015 Cosmo leitet und erst seither eine andere Perspektive auf Vielfalt in der Medienbranche hat. Im Ersten Golfkrieg waren die Eltern mit ihr aus Teheran in die Münchhausen-Stadt Bodenwerder geflohen. Nie wollte sie in die Schublade gesteckt werden: Hier kommt die Ausländerin, die für Diversity kämpft. Sondern als kompetente Medienfrau fürs Digitale und für Innovation. Was sie ist, by the way.

Schiwa Schlei © WDR / Annika Fußwinkel
Cosmo wiederum ist jene Welle, deren Vorläufer Funkhaus Europa als Programm für die so genannten Gastarbeiter startete und die der WDR gemeinsam mit dem RBB und Radio Bremen betreibt. Die Italienisch-Redaktion, Urgestein in der Senderhistorie, feierte im Dezember 60. Geburtstag. Zig Sprachen kamen hinzu. Zentrale Idee gestern wie heute: durch Information Teilhabe ermöglichen.

Und jetzt auch: durch Serienunterhaltung Teilhabe ermöglichen.

Sie habe an das Projekt „Hype“ geglaubt, sie hätten da „etwas Fantastisches geschaffen“, findet Schiwa Schlei. Mit dem, was sie in der Serie abbilden, könne sie sich „absolut identifizieren“. Das Gefühl, anders zu sein, nicht dazuzugehören, kenne sie sehr gut. „Und das hat nichts damit zu tun, aus welchem Elternhaus man kommt.“

Als Tochter einer Modedesignerin und eines Tierarztes wuchs Schlei mit Sicherheit komfortabler auf als das „Hype“-Personal. An so einem Abend hautnah zu erleben, „wie wertvoll es ist, Programm für Menschen zu machen, die ebenso Beiträge zahlen, aber von uns noch zu wenig berücksichtigt werden, zu sehen, wie sie sich freuen und ,Hype‘ als Chance begreifen“ – das sei noch mal eine andere Ebene gewesen, die sie „sehr bewegt“ habe. Sie spricht von Sichtbarkeit und Möglichmachen, und wie wichtig es sei, Offenheit zu vermitteln, „damit sich diese Community nicht weiter aus Frust in Social Media in einer aktivistischen Haltung abgrenzt“.

Könnte klappen, dieses Vorhaben. Xatar, special guest des „Hype“-Events, weil eben der Baba aller Babas und Followermillionär, hat auf Insta schon mal dafür gesorgt, dass sich dieses WDR- Leuchtturmprojekt in einer Zielgruppe herumspricht, die sonst einen Bogen macht. Check it out!

Im Vergleich zu Xatar ist Schiwa Schlei natürlich eine mickrige Insta-Nummer, nur 828 Follower. Aber das zählt nicht. Sie hat andere, entscheidende Power.

Im Januar kam innerhalb des WDR eine weitere Aufgabe auf die Cosmo-Chefin zu. Sie folgte bei 1LIVE Wellengründer und -leiter Jochen Rausch nach. Beide Sender sind seither in einem Programmbereich zusammengefasst. Richtig so, findet Schiwa Schlei, „weil beide Programme junges Publikum ansprechen“. Außerdem seien schon vorher freie Mitarbeitende wegen der Überschneidungen bei Themen zwischen den Redaktionen gewechselt. Strategisch sei es für den WDR sowieso „unerlässlich, sich im Digitalen komplementär aufzustellen und ein Portfolio zu entwickeln, das die ganze Bandbreite des jungen Publikums klug abdeckt“.

So gesehen hätte der WDR keine bessere Führungswahl treffen können als Schiwa Schlei.

Kluge Strategin. Schlaue Programmacherin. Geerdet. Und immer wieder: unkonventionell. So klingen die Hymnen über sie. Unkonventionell findet sie selbst gut, „ein großes Kompliment“. Unkonventionell sei sie in dem Sinne, dass sie versuche, Dinge, die ihr wichtig sind, durchzusetzen. Ähnlich wie ihr Vorbild Jochen Rausch. Auch der dachte größer, als es die Umgebung verkraftete. „Das kann für andere sehr nervig sein, weil ich kein Nein dulde, wenn ich etwas unbedingt will. Aber es lohnt sich doch, für eine Sache zu kämpfen.“

Einen großen Kampf nahm sie 2006 auf. Was sie in der Online-Abteilung von SWR 3 gelernt hatte, sollte sie nun bei 1LIVE einbringen. Spät dran war man im „Sektor“ mit Aktivitäten, die im Netz längst möglich waren. Nicht alle in der Redaktion verstanden, was Schlei da Verrücktes vorhatte. Aber alle hatten Spaß.

Aus Platzmangel mieteten sich die jungen Online-Wilden in einer Wohnung im Mediapark ein, in direkter Nachbarschaft von „Hausmeister Krause“ Tom Gerhardt. Küche, Kicker-Tisch, Karaoke-Singen, echtes Startup-Feeling und nach der Arbeit legendäre Penthouse-Partys, bis die Nachbarn sich beschwerten. „Das waren Bottle-Partys, ich habe keine Etats veruntreut“, blickt Schlei lachend zurück auf jene spaßige Zeit, als sie „ein bisschen unter dem Radar“ flogen. „Auf unserer Spielwiese konnten wir sehr viel ausprobieren und eigentlich nur gewinnen.“ Als sie 2015 Richtung Funkhaus Europa ging, war 1LIVE hinsichtlich der Digitalaktivitäten der erfolgreichste Radiosender bundesweit.

Heute, als Programmchefin, findet sie, „dass wir bei 1LIVE noch mal so eine innovative Phase einläuten können“. Das Potenzial als junge Marke sei „noch nicht ausgeschöpft“. Sie möchte, „dass 1LIVE nicht nur die Adresse für junge Themen im Radio ist, sondern auch im Netz“, ohne allerdings MA-Reichweite zu riskieren. Heißt: die Podcastisierung des Radios weiter vorantreiben, indem ein Podcast-Hero wie Felix Lobrecht on Air eine Sendung bekommt, „99 Problems“, als „Domian der Gen-Z“ vermarktet. Oder indem 1LIVE einen zehnteiligen Podcast über die Toten Hosen macht.

Die Toten Hosen, echt jetzt?

Schiwa Schlei © WDR / Annika Fußwinkel
40 Jahre Band-Geschichte auf dem Buckel, da kann man an der 1LIVE-Tauglichkeit zweifeln. Haben sie intern auch getan. Heiß wurde diskutiert, ob diese „Ikonen“ der Musikgeschichte zum freshen Markenkern passen. Wer so lange die Toten Hosen begleitet habe, könne sich so einen „historischen Abriss“ erlauben, findet Schiwa Schlei, die in Düsseldorf studierte und lebt und privat eher der elektronischen Musik von Kraftwerk zugeneigt ist. Beide Bands hätten etwas gemeinsam: Sie versammelten „wirklich alle Generationen“. Es sei nicht mehr so, wie es einmal war, dass bestimmte Alterssegmente nur eine bestimmte Art von Musik hören. „Für die Musikplanung bei 1LIVE ist das eine Herausforderung. Aber wir müssen uns auf diese Entwicklung einstellen.“

Für Schlei ist so ein Storytelling-Podcast wie über die Toten Hosen nicht zuletzt „eine Neuinterpretation von Musikjournalismus, wie er im Radio nicht möglich ist und leider kaum noch stattfindet“. Durch solche Formate könne man ihn „gut am Leben erhalten“, zumal wenn er „so detailverliebt umgesetzt wurde“ wie von Autor Jochen Schliemann.

Andererseits, an der Vertreibung von Musikjournalismus on Air ist Schiwa Schlei nicht ganz unschuldig. Zurück zu Cosmo.

Im Januar machte die Cosmo-Programmchefin die neue Wellenstrategie öffentlich: 50 Prozent der Ressourcen sollen ins Digitale fließen. Unter dem Label „Fifty Fifty“ wurde nach einem „sehr intensiven Prozess“ eine Struktur geschaffen, in der Digital- und Audio-Unit als „gleichberechtigte Einheiten unter neuer Führung eigenständig Programm machen“. Alle fremdsprachlichen Radiosendungen wurden auf Podcast umgestellt, 17 an der Zahl. Die meisten davon überstiegen in den ersten vier Monaten 2022 die Nutzung aus dem gesamten Vorjahr. In einer Zeit, wo man aus der ganzen Welt streamen kann, war es Schlei zufolge höchste Zeit für diesen Schritt: „Warum sollte ich jemanden zwingen, bis 22 Uhr zu warten, bis seine Lieblingsradiosendung läuft?“

Digitale Transformation kein Nebenbeigeschäft

Unter dem Label „Fifty Fifty“ verbirgt sich aber auch das: ein Streichprogramm. Unvermeidbar, aus Schleis Sicht. Man lüge sich in die Tasche, wenn man glaube, alles machen zu können. „Digitale Transformation ist kein Nebenbeigeschäft.“ Man könne die Digitalisierung nur ernsthaft betreiben, „indem man Dinge weglässt oder mehr Geld hat“. Da sie sich im öffentlich-rechtlichen Kontext bewege, könne sie die Einnahmenseite „nicht hochskalieren“. Also: Dinge weglassen, „ohne dass es wehtut und sich das Publikum abwendet und ohne dass die Qualität des Programms leidet“.

Statt der bisherigen Magazinsendung läuft jetzt mittags auf Cosmo Musik nonstop, kuratiert, aber unmoderiert. Die Sendung „Soundcheck“ gibt es nicht mehr, die Inhalte verteilen sich über den Tag. Abends ab 19 Uhr (montags bis freitags) laufen eine Stunde lang Podcasts. Dass bei so was das Herz klassischer Radiomacher und Radiomacherinnen blutet, ist Schlei, die selbst nie Radiobeiträge machte oder moderierte, bewusst. „Unser Publikum scheint es zu goutieren.“ Aber sie mache keinen Hehl draus: „Radio ist für uns genauso wertvoll wie unser Instagram-Channel. Würden Ressourcen keine Rolle spielen, würde ich nicht auf die Moderation verzichten.“

Vorzeige- und Vorbildprojekt für „Fifty Fifty“ ist „Hype“. Noch nie hat Cosmo so etwas Großes auf die Beine gestellt. Ohne die WDR-intern hinzugezogene Fiction-Expertise wäre das auch nicht möglich gewesen. Das Einbinden dieser Fachabteilung stellte Intendant Tom Buhrow sogar zur Bedingung, um die Euros aus dem „Innovationstopf“, also seinem Sonderetat für innovative Projekte und Schleis „Geldkoffer“, fließen zu lassen. Sie selbst schlüpfte für dieses Herzensprojekt zeitweilig sogar in die Redakteursrolle. Weitere Originals kann sie sich vorstellen, nicht nur von Cosmo, sondern auch von 1LIVE. Natürlich seien fiktionale Produktionen „auch eine Kostenfrage“.

Nur warum müssen Radiosender überhaupt visuell sichtbar sein?

„Die Video-Komponente ist essenziell, weil das Nutzungsszenario unseres Publikums ein visuelles ist“, erklärt Schlei, „wir müssen da aktiv werden.“ Übersetzt: Es geht ums nackte Überleben der alten Kiste Radio in der schönen neuen Welt aus Apps und Downloads. Und: um Wissenstransfer. „Wir bei Cosmo wissen, was authentisch ist und sind auf Augenhöhe mit der Zielgruppe.“ Die etablierten Redaktionen im WDR sollen von diesem Zugang profitieren.

Und was macht Schiwa Schlei persönlich, um nicht den Zugang zu verlieren? Sich auf jeden Fall keinen Podcast aufbrummen wie manch andere Medienchefin. „Es gibt schon so viele.“ Und ehrlicherweise habe sie ein Zeitproblem, weil sie auch „gerne lebe“. Aus der Medienblase mal rausgehen möchte sie, wahrnehmen, was draußen passiert, den Zeitgeist mitkriegen.

Digga, wo ist die nächste Party für Sister Schlei?