Es waren dramatische Tage in der Medienrepublik Deutschland, als der russische Auslandssender RT DE am frühen Morgen des 16. Dezember 2021 ein TV-Programm in deutscher Sprache auszustrahlen begann, ohne dafür hierzulande eine Lizenz erworben zu haben, wie es geboten gewesen wäre. Nach nur fünf Stunden war der Spuk via Satellitenverbreitung vorbei; im Netz ging die Propagandaschau Made in Moscow aber noch eine ganze Weile weiter. Bis heute sind Politik und Gerichte damit beschäftigt und ganz besonders jene Behörde, die den Sendestopp veranlasst hat.

Die von Eva Flecken geleitete Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) gab aus Sicht ihrer Kritiker in der Causa RT DE ein unrühmliches Bild ab. Katz-und-Maus hätten die Russen mit ihr gespielt. Sogar die Systemfrage wurde gestellt: Nicht mehr zeitgemäß sei die föderale Medienregulierung angesichts der Konflikte mit global agierenden Medien wie dem kremlfinanzierten RT oder Google.

Fragen wir also nach: Wie effektiv ist Eva Fleckens Prüfapparat? Wer ist die Katze und wer die Maus im Spiel mit RT DE? Und wie wird man das eigentlich, mit nicht mal 40 eine der einflussreichsten Medienaufseherinnen des Landes?

„Wie bin ich dahin gekommen? Das weiß ich auch nicht so genau“, gibt sich Eva Flecken fröhlich ratlos. Als sie mit 19 zu studieren anfing, ging sie „sicherlich nicht“ davon aus, dass sie mal „Teil der staatsfernen Medienaufsicht“ wird. 20 Jahre später – im März feierte die gebürtige Krefelderin ihren 39sten – gehört sie zum Kreis aus vier Direktorinnen und zehn Direktoren, deren Medienanstalten darüber bestimmen, welcher private Veranstalter seine Inhalte in Radio, TV und Internet verbreiten darf. Auch wenn die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin die Jüngste von ihnen ist, verfügt sie über medienregulatorische Kenntnis wie ein alter Hase.

Plattformregulierung? Was das so ganz genau ist, davon hatte die MABB-Chefin zunächst keine Ahnung, als sie sich 2010 nach Studium und Promotion in Münster und Wien auf eine Stelle in der Gemeinsamen Geschäftsstelle der Landesmedienanstalten in Berlin bewarb. Sie, die eigentlich ihre berufliche Zukunft im Journalistischen sah und in ihrer Doktorarbeit die feministische Theorie vom Geschlecht als sozialem Konstrukt kommunikationstheoretisch zerpflückte, kämpfte sich zur Vorbereitung durch den Rundfunkstaatsvertrag und, voilà, schaffte es „irgendwie durch die Bewerbungsgespräche“. Am Regulatorischen fand sie zunehmend Gefallen. Von 2013 an war sie bei der MABB zuständig für digitale Projekte sowie Netz- und Medienpolitik – und wurde von Gründungsdirektor Hans Hege kräftig gefördert.

Eva Flecken © Studio Monbijour
„Ohne Hans Hege wäre ich heute nicht Direktorin“, sagt Eva Flecken über ihren einstigen Förderer, der die Zweiländeranstalt seit ihrer Gründung 1992 fast ein Vierteljahrhundert geleitet hat. Wie „begeistert und unabhängig“ Hege diesen Job „ausgefüllt und gelebt“ habe, wie „garantiert nicht konfliktscheu, sondern mutig und voller Tatendrang“ er gewesen sei, das hat Flecken aus nächster Nähe beobachten können, das hat sie geprägt. Hege schubste sie ins kalte Wasser, indem er sie schon nach wenigen Monaten auf einer Konferenz einen Vortrag über Plattformen der Zukunft halten ließ. „Das hat er häufig gemacht.“ Geschadet hat es ihr nicht. Im Gegenteil.

Als sich Heges MABB-Ära 2014 eigentlich dem Ende neigte (er blieb nach Querelen um die Nachbesetzung zwei weitere Jahre im Amt), wechselte Eva Flecken auf die Senderseite, zu Sky Deutschland. Bis zur Vice President für „Public Policy, Regulatory & EU Affairs, Protection of Minors” arbeitete sie sich in den folgenden sieben Jahren hoch. Die Jobbeschreibung ganz grob übersetzt: für das Pay-TV aus Unterföhring in der Hauptstadt lobbyieren.

„Sky war wirklich gut zu mir“, bilanziert die frühere Sendermanagerin. Dennoch warf sie ihren Hut in den Ring, als 2021 der Spitzenposten bei der MABB öffentlich ausgeschrieben wurde. Nicht aus Frust, weil sie als Industrie-Lobbyistin medienpolitisch einen nicht ganz so großen, anderen Gestaltungsspielraum hatte, „es war auch keine Flucht“, betont Flecken. Der Job an sich sei „einfach toll“. Den Begriff „Purpose“ mag sie eigentlich nicht, „er wird mittlerweile in jeder drittklassigen systemischen Coach-Ausbildung gebraucht“, aber ihre Rückkehr zur MABB im vorigen Jahr „hatte tatsächlich etwas mit Purpose zu tun“.

Medienregulierung als Zweck für ein glückliches, zufriedenes und erfolgreiches Leben, nun ja, das muss man als Nicht-Juristin schon sehr doll mögen. Die Organisation Lobby-Control mochte wiederum gar nicht, dass ausgerechnet jemand aus den Reihen der zu beaufsichtigenden Unternehmen eben jene Aufsicht verantworten soll. Schon bei Fleckens Düsseldorfer LFM-Kollegen Tobias Schmid, der von RTL kam, gab es einen Rüffel.

Das „kritische Nachfragen“ der Lobby-Controller hält die Kritisierte für „natürlich berechtigt“. Zwei Dinge möchte sie aber in ihrem Fall hervorheben: „Zum einen war es für mich eine Rückkehr zur Medienaufsicht. Zum Zweiten sollte man die Resilienz dieser Institution nicht unterschätzen.“ Sie hielte es für „lebensfremd zu glauben, nur weil eine ehemalige Lobbyistin kommt, wird bei der MABB plötzlich anders reguliert“. Klar müsse sich die Anstalt verändern. „Aber ihre Unabhängigkeit ist die Konstante in ihrer 30-jährigen Geschichte. Das bleibt auch so.“

Nicht ganz lebensfremd hält es jemand aus dem MABB-Dunstkreis, dass Eva Flecken den Direktorenposten nicht allein ihrer Qualifikation verdankt, sondern auch ihrem Parteibuch. Mit Mitte 20 hatte die Promovendin ihr sozialliberales Herz entdeckt und arbeitete für einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Kurt Beck war damals SPD-Chef, und sie trat in die Partei ein. Ob aus Begeisterung oder Protest, soll hier offenbleiben. Selber politisch aktiv wurde sie aber nie. Fakt ist: Der neunköpfige MABB-Medienrat, der als Aufsichtsgremium über die Personalie Flecken entschied, wird vom SPD-Landespolitiker Martin Gorholt geführt. Die letzte Auswahlrunde ging schließlich an sie und nicht die Amtsinhaberin Anja Zimmer, die erneut kandidierte.

 

"Nackte Haut oder ein nacktes Hakenkreuz ist für eine KI leichter zu erkennen als Desinformation."

 

Auch wenn Eva Flecken glauben machen möchte, dass im heterogen besetzten Medienrat „nicht entlang von Parteilinien abgestimmt“ werde, dürfte ihr die Nähe zur SPD durchaus von Nutzen sein. Sowohl die Regierung Berlins als auch Brandenburgs steht unter sozialdemokratischer Führung. Mancher Weg ist für die Chefin der Zweiländeranstalt sicher kürzer. Leichter als die anderen Medienanstaltsleitungen hat sie es bei der Bewältigung einer Riesenzusatzaufgabe indes nicht.

Ein Vierteljahr vor Fleckens Amtsantritt im März 2021 trat der neue Medienstaatsvertrag in Kraft. Neben dem privaten Rundfunk müssen die 14 Medienanstalten in ihrem jeweiligen Bundesland nun auch Online-Medien auf ihre journalistische Sorgfaltspflicht hin observieren. Zusätzliches Geld gibt es dafür nicht. Künstliche Intelligenz soll da aus der Patsche helfen.

Ein von der Landesanstalt für Medien NRW (lfm) entwickeltes KI-Tool wird gerade auch bei der MABB implementiert. Es soll dabei unterstützen, „den Aufsichtsblick zu weiten und mehr Fälle zu bearbeiten“, hat aber Flecken zufolge seine Grenzen: „Nackte Haut oder ein nacktes Hakenkreuz ist für eine KI leichter zu erkennen als Desinformation.“

Eva Flecken © Studio Monbijour
Wie knifflig es sein kann, Lüge, Hass und Manipulation auch ohne KI aus dem Netz zu filtern, zeigte sich im Fall des Portals Ken FM von Ken Jebsen im vorigen Jahr. Kaum hatte die MABB als „Anstalt der Präzedenzfälle“ (Flecken) dem verschwörungsintellektuellen Video-Blogger den Online-Saft abgedreht und damit einen „regulatorischen Fall von besonderer Tragweite“ über Berlin hinaus ausgetragen, dräute schon mit RT DE die nächste Präzedenz.

Bereits ihre Vorgängerin, Anja Zimmer, habe „sehr vorausschauend agiert“, findet Flecken, indem sie RT DE gleich nach der Bekanntgabe der Senderpläne im Januar 2021 auf die Zulassungspflicht hingewiesen habe – der RT DE bekanntlich nicht nachgekommen ist. Während Fleckens Team im Dezember den TV-Start um fünf in der Früh Berliner Zeit live vor den Homeoffice-Bildschirmen verfolgte, richtete sich europaweit der Scheinwerfer auf sie: Was würde die MABB gegen „Putins Informationskrieger“ („Bild“) unternehmen?

Aus Fleckens Sicht waren die Kriterien, anhand derer die Medienanstalten Rundfunk definieren, nicht erfüllt: Ohne Lizenz vom Zulassungsgremium ZAK darf nicht gesendet werden, egal was. Punkt. Ende der MABB-Prüfung. Dass es vom RT DE-Sendestart an in nur sechs Wochen zu einer Entscheidung im Verbotsverfahren kam, findet die Medienaufseherin „äußerst bemerkenswert“. Ihre Kritiker nicht. Das von der MABB vollstreckte Zwangsgeld über 25.000 Euro habe nichts gebracht. RT DE sei nach wie vor auffindbar. Die Katze spiele mit der Maus. Ist das so?

„Wir haben uns weder als Maus noch als Katze gefühlt“, lacht Flecken die Kritik weg und ergänzt im launigen Ton: „Ich habe lange in meinem Büro gesucht, aber keinen Hebel gefunden, mit dem ich das Internet abschalten kann – und das ist auch gut so.“ Eine deutsche Medienanstalt könne nun mal kein Recht außerhalb der EU umsetzen. Das ist in ihren Augen „keine Schwäche der Rechtsdurchsetzung, sondern es liegt in der Architektur des Internets, dass jeder anhand eines VPN-Tunnels behaupten kann, in Chile zu sein und nicht in Deutschland. Wer das bedauert, nennt das Internet wahrscheinlich noch Neuland“. Und sie betont: „Wir haben all das gemacht, was wir machen konnten. Und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.“

Staatsferne für alle

Dass der russische Staatssender gegen den MABB-Bescheid beim Berliner Verwaltungsgericht Klage eingereicht hat, begrüßt die MABB-Chefin gleichwohl sehr: „Einem Rundfunkveranstalter das Senden zu untersagen, ist in einer demokratischen Medienöffentlichkeit keine Kleinigkeit. Da muss man a) mit Sorgfalt ran und b) gerne mit einer gerichtlichen Überprüfung.“

Das Hauptsacheverfahren dürfte die nächsten zwei, drei Jahre andauern. Was hat Eva Flecken aus dem „Präzedenzfall RT DE“ derweil gelernt?

„Erstens“, sagt sie, „dass unser Instrumentenkasten nicht ausreicht.“ Laut Medienstaatsvertrag könne sie Dritte in Anspruch nehmen, um geltendes Recht durchzusetzen. Allerdings sei das „sehr langwierig, hier brauchen wir eine Beschleunigung“. Mit ihrem zweiten Learning gehe eine Forderung einher: Staatsferne für alle!

Eva Flecken glaubt, dieser Fall zeige, dass die Idee, Staatsferne im Gesetz zu verankern, „sehr weitsichtig und klug“ ist: „Die anderen europäischen Mitgliedsstaaten kennen das so in dieser Form nicht.“ Aus ihrer Erfahrung wäre es gut, im Rahmen des European Media Freedom Acts zu prüfen, „ob das nicht europaweit zu harmonisieren wäre“.

Natürlich prüfe ihre Behörde weiter regelmäßig, dass RT DE in Deutschland tatsächlich nicht mehr zu empfangen ist, sagt Eva Flecken abschließend noch. Und man kann getrost davon ausgehen, dass sie das nicht mit weniger Elan vorantreiben wird, als all die anderen Aufgaben zu erfüllen, also Lokaljournalismus zu fördern und Nachrichtenkompetenz zu stärken von einer Behörde aus, die gleich an drei Standorten zuhause ist.

Eine Anekdote, die Eva Flecken gerne zum Besten gibt (auch hier), geht so: Alle ihre drei Häuser liegen an der Stammstrecke der S7. Vom Offenen Kanal Alex an der Warschauer Straße über den Hackeschen Markt, wo reguliert und gefördert wird, bis zum Medieninnovationszentrum Babelsberg dauert die Fahrt nur 42 Minuten. Sie, die selbst öffentlich pendelt, glaubt, „das ist ein sehr gutes Zeichen für unsere drei Häuser und unsere Zukunft.“