Noch einmal schlafen, Muchachos, dann werden wir wissen, wie die Gauchos wirklich gehen (sicher nicht so). Diego Maradona auf der Wolke, Lionel Messi auf dem Platz – bei diesem „Kokon der Unbesiegbarkeit und der Genialität“, der die Argentinier umgibt, dürfte es am Sonntag im Finale der Fußballweltmeisterschaft für ein aufrechtes Tänzchen reichen. Es sei denn, die Franzosen kommen mit ihrem „völlig emotionslosen, pragmatischen, aber unfassbar erfolgreichen Ansatz“ durch, dann schnappen sie den Albiceleste den Pokal weg und ganz Argentinien trägt „Staatstrauer“.

So schaut’s nach Einschätzung von Wolff-Christoph Fuss aus. Und der weiß da Bescheid. Er hat diese Fußballsache seit vier Wochen vor Ort fest im Blick.

Als Kommentator auf MagentaTV wird er mit seiner unverkennbaren, vaporisierten Stimme, die von dem einen und anderen bernsteinfarbenen Getränk zusätzlich angeraut sein dürfte, Messis mögliche Gottwerdung im Lusail-Stadion begleiten. An diesem Morgen, drei Tage vor Torschluss des Turniers, klingt sie noch einen Tick rauer als sonst.

Zehn der insgesamt 64 WM-Partien hat Fuss für die Telekom-Tochter bereits kommentiert. Am heutigen Samstag kommt mit Marokko-Kroatien, die um Platz drei spielen, Nummer elf hinzu und am Finaltag drauf mit der „Messi-Time“ Nummer zwölf. Und es kann dann gut sein, dass ihn nach Abpfiff die Magenta-Mannschaft noch als Experten ins Studio von Moderator Johannes B. Kerner zuschalten wird wie einige Male zuvor.

Wolff Fuss © MagentaTV
Ist also noch einiges zu tun für Kerners „Wolffi“, den die einen für den besten Kommentator auf dem deutschen Fußballplaneten halten und die anderen für den schlechtesten, wie das halt so ist, wenn man sich wie in seinem Fach einer Armada aus Besserwissern gegenübersieht. Einer der ermattetsten Kommentatoren ist er auf jeden Fall, da kann auch die Baseballcap-Camouflage nichts verbergen. „Die WM hier in Katar ist schon ein ziemlicher Schlauch“, sagt er selbst. Die Bundesligasaison, die er auf Sky und Sat.1 kommentiert, war so nah dran am Wüstenturnier, dass die Zeit für die reine Grundlagenvorbereitung stark verkürzt ausfiel. „Da passierte ganz viel währenddessen. Ich musste sehr strebsam sein. . .“

Hallo, hallo?! Ach, der Muezzin beginnt zu rufen. Schnell das Hotelfenster in Doha zu. Noch ein Schwenk mit der Webcam hinab zum Pool, in den Fuss „vielleicht zwei-, dreimal“ zur Entspannung gesprungen ist, mehr war nicht drin, er ist ja zum Arbeiten da, dann können wir uns konzentrieren und bilanzieren:

Wie war Katar?

Unter dem Sicherheitsaspekt ist es laut Fuss „die beste WM ever“. Im Netz sei ein Filmchen viral gegangen (bitte selbst suchen): Zum ersten Mal bei einem großen Turnier sei kein englischer Fußballfan verhaftet worden. Ha ha ha. „Das kann ich bestätigen.“ Auch nach der Halbfinalniederlage von Marokko habe es in Katar keine Ausschreitungen oder Ähnliches gegeben wie in europäischen Städten. „Natürlich war die Enttäuschung groß, aber es blieb alles ruhig.“

Dass seit 1978, seit der WM im damals von einer Militärdiktatur regierten Argentinien, kein Turnier derart umstritten war wie das in Katar und die Vergabe „ein ganz großer Fehler“, klar, das sieht Fußballkenner Fuss genauso und er findet, „dass unter solchen Umständen nie wieder eine sportliche Großveranstaltung vergeben werden darf“. Nichtsdestotrotz hat sich seiner Meinung nach „selten der differenzierte Blick so sehr gelohnt“ wie jetzt.

Und dann holt er aus. Erzählt, dass er nicht nur als Sportjournalist nach Katar gekommen sei, sondern „auch als Mensch mit der vollen Bereitschaft, mich der Kultur eines fremden Landes anzupassen“. Als solcher habe er „unfassbar gastfreundliche Menschen“ kennengelernt und eine Stimmung im Land erlebt, die der WM „außerordentlich zugetan“ ist durch alle gesellschaftlichen Schichten. „Stars wie Mbappé und Messi haben eine unfassbare Strahlkraft auch in der arabischen Welt.“

Was übrigens nicht für Neuer, Goretzka & Co. gilt. In keinem Stadion, in dem Fuss war, sei die Stimmung so schlecht gewesen wie beim Auflaufen der deutschen Nationalmannschaft. Auf den Rängen Schweigen, aber auf den Kopfhörern hörte der Kommentator phasenweise eine Explosion an Emotion. „Die Stimmung kann hier eigentlich nur vom Band zugespielt worden sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.“

Ob das Hin und Her bei der One-Love-Binde-Aktion der deutschen Elf und insbesondere des DFB möglicher Verursacher dieser Missstimmung war? „Es geht nicht darum, ob man sich unbeliebt macht, sondern dass man Haltung für die eigenen Werte zeigt und diese auch durchsetzt“, findet Fuss, „und da gab zu keinem Zeitpunkt eine klare Linie.“ Ebenso kritisiert er die im Westen heftig geführte Diskussion um das Alkoholverbot in und um katarische Stadien herum, die er als „schlicht und ergreifend populistisch und absurd“ empfand: „Bei Champions-League-Spielen in Europa gilt doch auch ein Alkoholverbot im Stadion.“

Tja, wie von Wolff Fuss bereits gesagt: „ein vielschichtiges Feld, das man differenziert betrachten muss“. Den Sport von der Politik zu lösen, scheint ihm ganz offensichtlich besser zu gelingen als der Nationalmannschaft, wenn er betont, dass auch in Katar noch immer das alte Spiel gespielt werde: „Elf gegen Elf, ein Ball und sehr viele junge Menschen, deren Kindheitstraum sich erfüllt, einmal bei einer Fußballweltmeisterschaft dabei zu sein.“

Als der Bus umherirrte und die WM begann...

Für ihn ist es die vierte als Kommentator – und die erste, deren Auftakt er um ein paar Minuten verpasste. Die Eröffnungszeremonie begann, aber bei MagentaTV war Stille, weil die Crew samt Fuss noch im Bus irgendwo umherirrte. Der Fahrer kannte nicht den Weg zum Al-Bait-Stadion. Erst zum Anpfiff der Partie zwischen Katar und Ecuador war Fuss zur Stelle.

Wolff Fuss © MagentaTV
Es ist, eigentlich, eine lustige Panne, die sich nicht so lustig angefühlt haben dürfte. Und sie gehört auf jeden Fall von ihm verewigt, wenn er wieder ein Buch über sich selber schreibt. Schon das erste, „Diese verrückten 90 Minuten“, im Jahr der Fußball-WM 2014 erschienen, ist die Lektüre wert, weil es erklärt, wieso dieser 1976 geborene Wolff Fuss a) Kommentator und nicht Fußballer wurde und b) er eine besondere Leidenschaft für den lateinamerikanischen Fußball hegt.

Was a) betrifft, paarte sich bei ihm kindliche Spielfreude am Fußball mit unbändiger Laufunlust, wenn er am Fuße der Schwäbischen Alb kickte. Beim Inhalieren von Kommentaren, Zahlen, Fakten entwickelte er deutlich mehr Elan. Das BWL-Studium in Stuttgart ließ er schweifen und schleuste sich als Praktikant bei Kirchs Bezahlsender DF1 in München ein, womit wir bei b) wären.

River Plate Buenos Aires gegen San Lorenzo, das war im Herbst 1998 Fuss‘ Einstieg in den Beruf – und in seiner Erinnerung ein Desaster, weil „multiples Versagen“. Aber bei DF1 war Not am Mann und was der 22-jährige Praktikant so von sich gab, „ausbaufähig“ und „sendefähig“. Nachts, wenn nur die Aficionados aufbleiben, ließ man ihn Spiele aus Brasilien, Argentinien oder aus der Major League Soccer kommentieren. Also unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze.

Diese harte Schule, durch die der Neuling fortan ging, zahlte sich aus. Nicht nur, dass Fuss seit jener Zeit das besondere Interesse für den argentinischen Ligafußball erhalten blieb und er unzählige Weltkarrieren beginnen sah (nein, Messi mit seinen damals erst 11, 12 Jahren noch nicht). 2002 durfte Fuss seine erste Fußball-WM bestreiten. Und wie in Katar gab es für ihn auch da gewisse Startschwierigkeiten, die er selbst nicht in der Hand hatte.

Sein damaliger, mit DF1 fusionierter Arbeitgeber Premiere hatte die Rechte. Doch statt Rock `n` Roll in Japan und Südkorea gab es für Fuss‘ Unit nur Tonstudio in Ismaning. Der Kirch-Kollaps bahnte sich an. Es wurde gespart. Für den WM-Novizen fühlte es sich an „wie ein vierwöchiger Flug in einem Düsenjet, der in der Luft betankt wurde, und am Ende winkte ein schwarzes Loch“.

Zum ersten – und wahrscheinlich letzten – Mal zweifelte Fuss an seiner Berufswahl. Aber nicht lang. „ran“ auf Sat.1 hatte Anfang der Neunziger ein neues Zeitalter im Sportfernsehen eingeläutet und besaß zudem die Rechte an der Champions League. Mehr Kameras, detaillierte Zeitlupen, auch das Drumherum bekam mehr Gewicht und musste rhetorisch bedacht werden. Den Leitsatz seines Lehrmeisters Ernst Huberty „Sie müssen mit Anfang 20 nicht reden wie ein Fünfzigjähriger“ beherzigt Fuss in abgewandelter Form noch heute, wo er stramm auf die 50 zugeht: „Wenn mich etwas beeindruckt oder emotionalisiert, dann war und bin ich bereit, das mitzuteilen.“

Schon klar, dass ein „Messi, Messiiiiii“-Brüller von ihm am Sonntag nicht ausbleiben wird. Und dass er, wie bei jedem von ihm kommentierten Fußballspiel, ob Mainz gegen Freiburg oder Argentinien gegen Frankreich, das Turnier abschließen wird mit seiner Standardfloskel „Bleiben Sie sportlich“. Drittens ist ebenso klar, dass, egal wie das Duell Messi-Mbappé ausgeht, in der ARD beim Fuss-Pendant Tom Bartels mehr Menschen mitfiebern werden als bei MagentaTV, deutlich mehr.

Auch wenn die TV-Tochter der Telekom am Freitag die Jubelmeldung herausbrachte, man habe mit der Live-Berichterstattung „regelmäßig siebenstellige Nutzungszahlen pro Spieltag“ erreicht (was immer das in konkreten Zahlen bedeuten mag), wird das Quotengefälle groß sein. Wolff Fuss macht es angeblich nichts aus. Jeder einzelne Zuschauer habe es verdient, „bestmöglich versorgt zu werden“. Wie viele es am Ende sind, könne er sowieso nicht beeinflussen. Was ihn beglückt, ja beruhigt, sind die Bilder aus Paris oder Buenos Aires, wo hunderttausende Fußballfans durchdrehen vor Freude. Da wisse er, bei aller Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußball, die er durchaus teilt, dass dieser Sport „immer noch Menschenmassen in besonderem Maße bewegen kann“.

Aber wie geht’s weiter mit MagentaTV und ihm? „Keine Ahnung. Mal schauen, ob wir für die EM 2024 wieder zusammenkommen. Ich würde es nicht gänzlich ausschließen“, lacht Fuss, zu den „Magenta-Brüdern und -Schwestern habe er seit „Liga total“ ein „gutes Verhältnis“.

Optimale Kombi

Dass er bei seinen aktuellen Arbeitgebern die Chance bekommt, wieder die Königsklasse zu kommentieren, ist auf absehbare Zeit ausgeschlossen. DAZN und Amazon haben gerade die Verträge für die drei Champions-League-Spielzeiten ab 2024/25 verlängert. An seinem aktuellen Status quo ändere das nichts, beteuert Fuss. Die Kombi mit Bundesliga bei Sat.1 und Sky und MagentaTV bei großen Turnieren sei für ihn „optimal“: „Das ist genau das, was ich haben wollte.“

Zumindest für die nächsten zwei Jahre bleibt ihm die Bundesliga erhalten. Also Stand heute. Ob die künftigen Sky-Eigner in Montabaur (1&1) oder Issy-les-Moulineaux (Canal+) sitzen, weiß auch der beste Fußballkommentator nicht. Fuss sitzt, wie gesagt, seit vier Wochen in Doha fest und kriegt „nicht viel mit“.

Auch gut möglich, dass ihm in dieser angespannten Fußballzeit entgangen ist, wie wieder ein Unterhaltungsformatangebot auf seinem heimischen Tisch eingetroffen ist. Von Lkw-Weitwurf bis Telefonbücherzerreißen, alles, was der Fernsehmarkt hergibt und in irgendeiner Form mit Sport zu tun hat, wurde ihm schon angeboten. Bei der Trampolinshow „Big Bounce“ auf RTL hatte er schon zugeschlagen. Solche Sachen mache er aber nur dann, „wenn ich 100 Prozent davon überzeugt bin und es auch zeitlich passt“. Bei „Big Bounce“ sei das so gewesen. „Es war die perfekte Familienunterhaltung. Ich würde meine Töchter problemlos davorsetzen.“

Emmi und Milla, die er gemeinsam mit der Magenta-Kollegin Anna Kraft hat, sind vier und zwei. Über die Ernsthaftigkeit ihres Interesses an Fußball ist nichts bekannt. Was bei ihrem Vater fußballerisch über das Jahr 2025 hinaus passiert?

„Sie wollen wissen, was ich über die Rechteperiode hinaus mache?“, fragt Fuss zurück. „Um Himmelswillen, das Geschäft ist so schnelllebig und unplanbar.“ Aus der Kirch-Krise 2002 habe er Folgendes mitgenommen: „Es lohnt sich, zwischendurch innezuhalten und sich auch mal an dem zu erfreuen, was man hat.“

Nach dem Finale werde er erstmal nach Hause gehen, um mit der ganzen Familienbande unterm Weihnachtsbaum zu liegen. „Das ist für mich ein erstrebenswertes Ziel. Kurzfristig, mittelfristig und langfristig.“

Dann wünschen wir von Herzen:

Feliz Navidad oder Joyeux Noël – Hauptsache Frohe Weihnachten.

Das Finale der Fußball-WM zwischen Frankreich und Argentinien beginnt am Sonntag um 16 Uhr. Das Erste und Magenta TV übertragen. Schon am Samstag um 16 Uhr spielen Marokko und Kroatien um Platz drei, in Deutschland exklusiv bei Magenta TV.