Judith Rakers hat unlängst über ihren „Tagesschau“-Kollegen Thorsten Schröder gesagt, „du bist der Sport-Goofy bei uns in der Redaktion“, und zollte ihm damit den allerhöchsten Respekt für seine sportliche Disziplin, die jede Couch Potato in Grund und Boden beschämt. Während die einen gerade mal die Runde um den Weiher schaffen und die anderen in der Gartenarbeit ausreichend körperliche Ertüchtigung sehen, schindet sich dieser große, schlanke Fernsehnachrichtenmann bis zum geht nicht mehr. Ein Finish beim Ironman 2017 auf Hawaii war ihm nicht genug. Im vorigen Oktober legte er noch mal einen drauf. Auf Hawaii würde man sagen: Mana, was hat er für eine göttliche Kraft!

Thorsten Schröder liebt also die Langdistanz, auch beruflich. Seit 1999 spricht er die Nachrichten in der „Tagesschau“. Nur, Schichtdienst und Triathlon-Training, wie kriegt er das bloß hin?

Thorsten Schröder © Thorsten Samesch
Wir sprechen an einem Vormittag nach einer 20-Uhr-„Tagesschau“ und vor dem nächsten Frühdienst, für den er um vier Uhr morgens aus den Federn muss. Es ist ein freier Arbeitstag für ihn, aber natürlich nicht sportfrei. Am Nachmittag will er noch eine Runde laufen und eine Runde Radfahren. Das „normale“ Programm, eher gemächlich. Er befindet sich gerade mal nicht in einer heißen Wettkampf-Phase.

Die Unzeiten bei der „Tagesschau“ hätten ihre Vorteile, sagt Schröder. Egal ob er früh oder spät dran sei: „Ich kann mein Lauftraining entweder vor oder nach dem Dienst einplanen und laufe meist im Hellen.“ Bei Tageslicht durch den Wald oder durch das Alster-Tal – „das motiviert deutlich mehr als im Dunkeln."

Andererseits, wie verrückt muss man sein, um sich auf einen Sport einzulassen, der solche Höchstleistungen abverlangt? Nur damit die Dimensionen hier mal unter uns Couch Potatos klar werden: Ironman bedeutet 3,8 km Schwimmen, 180 km auf dem Rad, 42 km Laufen. Und das an einem Tag! In 11 Stunden, 5 Minuten, 45 Sekunden hat Thorsten Schröder das zuletzt auf Hawaii, dem härtesten Rennen, geschafft. Holy moly!

Die Frage, wie er überhaupt zu dieser Extremform des Triathlon gekommen ist, lässt sich am besten mit Horst Schlämmer beantworten: Thorsten Schröder hatte Rücken.

Als Kind kannte Thorsten Schröder nur eine Leidenschaft: Fußball. Speziell der vom FC St. Pauli, dem er als Fan seit 40 Jahren die Treue hält. Doch dann glitt ihm buchstäblich ein Wirbel in die Vereinskarriere beim FC Voran Ohe. Operation mit 14, ein Jahr Korsett. Ein Albtraum für den Teenager mit ausgeprägtem Bewegungsdrang. Statt gegen den Ball zu treten, durfte er nur noch wenige Sportarten ausüben, darunter: Schwimmen, Radfahren und Laufen. Aus der Not wurde über die Jahre eine Passion für jene Sportart, die alle drei Disziplinen vereint, den Triathlon. Die Steigerung davon an der Grenze zum Martyrium ist der Ironman, und zwar das Original auf Hawaiis glutheißem Asphalt. Es gilt als das härteste Rennen der Welt.

Das „Projekt Kona“ hat Schröder nicht nur zum YouTube-Projekt gemacht, für das er sich zwei Jahre lang selbst filmte. Er hat auch ein Buch geschrieben, das demnächst auch als Hörbuch erscheint. Es dokumentiert seinen Weg zum Ironman, also zum ultrafitten Waschbrettbauch, auf dem man Käse reiben und zwischen den Schulterblättern Nüsse knacken könnte. In „Mit jeder Faser“ erfährt man auch, dass er das „Projekt Journalist“ ebenso langfristig und strategisch angegangen ist.

Thorsten Schröder © Nils Flieshardt/www.tri-mag.de Thorsten Schröder am Ziel.

Seit er als zur Bewegungslosigkeit verdammter Teenager anfing, die „Kurier“-Sendungen auf NDR 2 in sich aufzusaugen, stand für ihn fest: Ich will zum Radio. Er schloss den Deal: ungeliebtes Studienfach (Volkswirtschaft) gegen die Chance auf einen Job bei einem Hörfunksender, aber bitte nur ein öffentlich-rechtlicher. „Auf keinen Fall“, schreibt er in seinem Buch, wollte er zu den Privaten. Über „die Befindlichkeiten von Adeligen zu berichten und eine Promi-Scheidung zur Meldung des Tages ,hochzusterilisieren‘ (um eine Fußballerperle zu bemühen)“, war undenkbar für ihn. Er wollte dorthin, „wo die Nachrichten einen anderen Stellenwert hatten und seriös daherkamen“.

Wie diese Nachrichten entstanden, lernte der VWL-Student Schröder vor etlichen Semestern kennen. Agenturmeldungen ratterten Ende der 1980er noch aus Fernschreibgeräten im Kellerverlies des NDR und mussten im Haus verteilt werden. Das war sein Job. Er hoffte auf eine steile Karriere vom Boten zum Redakteur, hinauf in die hellen Hallen der „Kurier“-Journalisten, die nicht nur Nachrichten verkündeten, sondern auch Skandale aufdeckten und Politikern in Interviews auf den Zahn fühlten.

 

"Ich bin ein Kind des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."
Thorsten Schröder

 

Ganz so steil lief es dann nicht. Die erste Stelle nach dem Studium nahm Schröder bei einem Lokalradio im oberbayerischen Fürstenfeldbruck an. Er hat dort viel gelernt, aber auch vieles aus der Lokalpresse abschreiben müssen für die eigenen News mangels Senderressourcen. Wenige Monate später glückte die Bewerbung fürs NDR-Volontariat. Im Anschluss fand er seinen „absoluten Traumjob“: bei NDR 90,3, wo auch Dagmar Berghoff moderierte. Die damalige Chefsprecherin der „Tagesschau“ ermunterte den jungen Radiokollegen zum Casting.

1999, mit fast 32 Jahren, fing Schröder bei der „Tagesschau“ an, seit 2007 spricht er die prestigeträchtige 20-Uhr-Ausgabe, mit der er wie viele andere Menschen in Deutschland aufgewachsen ist. Punkt acht, Glotze an, taa-taa ta-ta-ta-taaa!, guten Abend, meine Damen und Herren – auch bei Schröders in Reinbek war das ein Ritual.

Linda Zervakis, seine frühere Kollegin bei der „Tagesschau“, hatte schon Recht, als sie der „Emotion“ sagte: „Die ,Tagesschau‘ ist heilig.“ Wobei ihr Satz noch weitergeht: „Aber zur Wahrheit gehört auch, ich habe nur abgelesen, was andere für mich aufgeschrieben haben.“ Und so ging sie 2021 fort zu ProSieben.

Jan Hofer hatte kurz zuvor die erste „Tagesschau“-Sprechergarde Richtung RTL verlassen. Auch „Tagesthemen“-Moderatorin Pinar Atalay suchte das Weite. Liegt es an mangelnden Entfaltungsmöglichkeiten? Oder am Geld? Thorsten Schröder findet: „Über unser Honorar bei der ,Tagesschau‘ können wir uns überhaupt nicht beklagen. Die meisten Leute stellen sich aber vermutlich andere Dimensionen vor, wenn sie an Präsentatoren in der Primetime denken.“

Kleiner Faktencheck zwischendurch: „Tagesschau“-Sprecher sind nicht festangestellt, sondern arbeiten auf selbstständiger Basis. Das höchste Honorar gibt es für die 20 Uhr-„Tagesschau“, nämlich 274,39 Euro. Für die übrigen, oft kürzeren Ausgaben liegt der Satz drunter. Bei im Schnitt drei bis vier Sendungen pro Schicht läppert sich was zusammen. Nur, bei vielleicht drei, vier solcher Schichten im Monat kann man gar nicht so viele Meldungen vorlesen, um echt reich zu werden, weshalb nebenbei Veranstaltungen moderieren eine Option ist, um die Kasse aufzubessern, aber nicht unbedingt die Reputation, wie Linda Zervakis gerade erfahren muss.

Thorsten Schröder © Thorsten Samesch
Fakt ist auch: Bei RTL und Sat.1, selbst beim ZDF verdient man besser. Hat jedenfalls Thorsten Schröders Ex-Chefin Dagmar Berghoff aus der sicheren Distanz des Ruhestands gesagt. Was passieren müsste, damit er zu den Privaten rübermacht?

„Ich bin ein Kind des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich bin glücklich und zufrieden beim NDR und der ARD. Deshalb muss da gar nichts passieren“, antwortet er mit seiner norddeutschen Klarheit, die keine Zweifel aufkommen lässt. Er möchte weiterarbeiten „für die glorreiche ,Tagesschau‘“ und für „NDRinfo“, die Regionalnews im norddeutschen Dritten Programm, die er seit 2006 zusätzlich moderiert. Diese Kombination mache ihm „wirklich wahnsinnig viel Spaß“.

Er freue sich im Übrigen „für Linda“, und finde es zugleich schade, dass sie beim NDR nicht die Entwicklungsmöglichkeiten fand, die sie sich vorgestellt hat. „Ist ja auch toll, was sie bei ProSieben alles macht“, findet Schröder. In ihrer Sendung mit Matthias Opdenhövel gehe es „ja nicht nur um besagte Promi-Scheidungen“. Sie könne dort auch als politische Journalistin arbeiten und ihr Show- und Talk-Gen ausleben. „Und ich bin genau richtig, wo ich bin.“

Okay, okay, wir haben‘s, Herr Schröder.

Neue berufliche Herausforderungen sucht er konsequenterweise nur im eigenen Haus.

Mit weißen Socken und Luftgitarre

Sobald der Mai-Dienstplan steht, will der öffentlich-rechtliche Überzeugungstäter schauen, ob sich Lücken auftun für einen Probetag bei Tagesschau24. Die ARD ist ja dabei, ihren Sparten- zum echten Nachrichtensender auszubauen, und will von April an auch spätabends zwischen den „Tagesthemen“ und der Nachtausgabe der „Tagesschau“ Aktualität bringen. Personal wird gebraucht. Geeignet wäre Schröder allemal. Nachrichten verkünden, Interviews führen, auch mal eine Live-Strecke moderieren, das wäre nichts Neues für ihn. Das alles macht er schon bei „NDRinfo“ und hat er auch gemacht beim ARD-„Nachtmagazin“ bis zu dessen schleichender Einstellung, die er „eindeutig ja“ bedauert.

Zu fortgeschrittener Stunde konnte es dort ein bisschen lockerer zugehen als bei der stocknüchternen „Tagesschau“, wo der kleinste Schnörkel zu viel wäre. Am „Tag der weißen Socke“ mit eben diesem Accessoire moderieren oder Luftgitarre spielen zum Bericht über die WM in Finnland (ein herrliches Must-See!), das war alles möglich auf dieser „kreativen Spielwiese“ namens „Nachtmagazin“. (Und brachte die Berliner Band MIA auf die verrückte Idee, Thorsten Schröder als Star ihres Musikvideos „Limbo“ zu engagieren.)

Kreativität bei Tagesschau24 und „Tagesschau“ gipfelt allenfalls im Weglassen der Krawatte, aber auch nur nachts. Was man so hört, hält sich die Attraktivität eines Moderatorenjobs bei Tagesschau24 ohnehin in Grenzen. Schichten mitunter über Stunden ohne Möglichkeit für eine WC-Pause, dazu ein Honorar, über das die Konkurrenz bei ntv und Welt nur müde lächeln würde – Schröders 20 Uhr-Kollegen Julia-Niharika Sen, Constantin Schreiber oder Jens Riewa kennen das schon. Nicht oft bis gar nicht mehr sind sie bei Tagesschau24 im Einsatz. Aber er will da jetzt auch mal mitmischen, weil er die Herausforderung „spannend“ findet.

Spannend wird aber auch, wie Thorsten Schröder Tagesschau24-Schicht und Triathlon-Training künftig kombinieren kann. Schwer vorstellbar, dass er mal eben zwischen zwei Sendungen eine Runde laufen geht und pünktlich UND geduscht wieder vor der Kamera steht, so wie er es einmal tatsächlich gemacht hat. (Wow, was für eine coole Socke, nicht wahr? Darf halt nichts dazwischenkommen. Keine Bombe hoch gehen und keine Wade krampfen.)

Thorsten Schröder © Frank Wechsel/www.tri-mag.de
Zumindest mit Hawaii hat Thorsten Schröder aber erst mal abgeschlossen, sagt er. Mitte Juli will er bei der Altersklassen-Weltmeisterschaft in der Sprintdistanz in seiner Heimatstadt Hamburg starten, sofern er nominiert wird. Heißt: „nur“ 750 Meter Schwimm-, 20 km Rad- und 5 km Laufstrecke. Ein Klacks zu Kona, wo er nach der zweiten Tour de Force merkte, boah, war ja doch ne Menge an Arbeit und Entbehrungen. Jetzt erst mal alle Fünfe gerade sein. „Kein neues Projekt, sondern erst mal zur Ruhe kommen.“

Wirklich nichts tun? Hat er denn nicht, wie es gute Ironman-Sitte ist, wieder die Blumenkette in den Pazifik geworfen?

Natürlich habe er das, lacht Thorsten Schröder, „ich habe allerdings nicht verfolgt, wohin die Blumenkette gespült wurde, ob an Land oder aufs offene Meer hinaus.“ Davon hängt der Legende nach ab, ob man wohlbehalten nach Hawaii zurückkehrt.

Und damit Aloha ins Wochenende!