So ein großes Sportereignis hat es in Deutschland seit Olympia 1972 in München nicht mehr gegeben: Mehr als 7000 Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung werden sich in Berlin messen, wenn am 17. Juni die Special Olympics World Games beginnen. Eine breite TV-Allianz hat sich in einem beispiellosen Akt zusammengetan, um dieses Weltfest der Inklusion mit vereinten Kräften zu begleiten. Für RTL wird jene Frau im Einsatz sein, die einmal ein Star des Sportjournalismus war, bis eine missglückte Hirnoperation sie vor vierzehn Jahren vom Sportschau-Olymp stürzte. Monica Lierhaus kehrt also zurück ins Free-TV.

Aus RTL-Sicht ist es ein perfect match. Monica Lierhaus und Inklusion, besser ließe sich die Aufmerksamkeit auf ein so wichtiges Thema nicht lenken, nicht wahr?

Und doch, es kommen Zweifel auf, als man ein paar Tage nach Bekanntwerden der exklusiven Zusammenarbeit das erste Interview mit Monica Lierhaus führen darf. Zweifel, ob hier nicht womöglich ein Missverständnis vorliegt. Denn je länger man mit ihr spricht, erhärtet sich der Eindruck: Dort drüben in Hamburg, wo sie zuhause ist, sitzt eine Frau, die mehr sein will als nur das Aushängeschild eines Senders für sein gesellschaftliches Engagement. Eine Frau, die mit eiserner Disziplin unbedingt dort anknüpfen will, was sie schon immer gemacht hat: über Sport berichten. Und die sich schon gar nicht von anderen Behinderten für deren Aktivismus vereinnahmen lassen will, sondern energisch darauf pocht:

"Ich fühle mich nicht behindert. Ich bin eingeschränkt, ich habe Einschränkungen."

Und:

"Menschen sollten nicht über ihre Behinderungen und Einschränkungen definiert werden – sie sind mehr als das. Sie sind wertvolle Individuen und sollten als solche wahrgenommen werden."

Aber von vorn. Beginnen wir mit einer Frage, die wohl nie so angebracht war: Wie geht es Ihnen, Frau Lierhaus?

"Heute ist ein guter Tag. Wenn ich arbeiten darf, geht es mir immer gut."

Monica Lierhaus © IMAGO / Future Image
Zu ihrer Rechten sitzt Eva Lierhaus, ihre Schwester und ständige Begleiterin. Da passt kein Blatt zwischen, wird Monica Lierhaus später bei "Stern TV" über die Geschwisterbeziehung sagen. Das Band ist so eng, dass Eva in unser Gespräch wiederholt dazwischen grätscht, als wolle sie die um ein Jahr und fünf Tage jüngere Schwester, die am kommenden Donnerstag den 53. Geburtstag feiert, vor den Fragen beschützen. Eva hilft auch der Erinnerung nach. Ergänzt Sätze. Denn Monica neigt nicht zum Plaudern, hat es vielleicht noch nie getan. "Das stimmt" ist die häufigste und knappste ihrer knappen Antworten.

Keine fünf Minuten vergehen, da stimmt allerdings etwas mal nicht. Der Redefluss versiegt fast vollständig, und es verdeutlicht sich nicht zum letzten Mal eine Diskrepanz zwischen Außen- und Selbstwahrnehmung.

Zugegeben, für den Einstieg ist es etwas unklug, Monica Lierhaus auf jenes "RTL Exclusiv Spezial" im Oktober 2016 anzusprechen, in der sie sich von Frauke Ludowig unter anderem zur Delfintherapie in Curaçao begleiten ließ. Es waren auch nie gezeigte Videoaufnahmen zu sehen, die ihre "schockierende Hilflosigkeit" ("Bunte") dokumentieren. Hat sie sich, wie in der "Welt" stand, von RTL als "bloßes Opfer vorführen lassen"?

Ehrlich gesagt empfinde sie diese Frage schon als Diskriminierung, kommt es eisig zurück. Die TV-Kritik spiegele eine Einzelmeinung wider, der sehr viele positive Zuschriften gegenüberstanden. Sie persönlich teile die Kritik nicht: "Frauke hat ein sehr persönliches und emotionales Portrait über mich erstellt, das auch anderen Menschen Mut gemacht hat, niemals aufzugeben."

"Können wir über Fußball reden?"

"Frauke" war es vermutlich, die Monica Lierhaus‘ Telefonnummer an Stephan Schmitter weiterreichte. Der Chief Content Officer von RTL in spe rief im Herbst 2022 an. Man traf sich und war sich ihr zufolge "auf Anhieb sympathisch". Auch über die Inhalte der exklusiven Zusammenarbeit seien sie sich "relativ schnell" einig geworden.

Der Deal beinhaltet nicht nur Monica Lierhaus‘ Reportereinsatz bei den Special Olympics inklusive Portraits von "Heldinnen und Helden des Alltags" für die RTL-Magazine. Am 19. Juni wird sie in den News "RTL aktuell" den Sportblock moderieren, vorerst nur dieses eine Mal, und am 20. Juni mit Florian König beim DFB-Länderspiel gegen Kolumbien in Gelsenkirchen am Rasenrand stehen. Letzterer Aufgabe dürfte sie, für die Fußball "immer ein Thema" ist ("Ich liebe Fußball"), am meisten entgegenfiebern.

Einen ersten Testlauf gab es bereits Mitte April, beim Viertelfinal-Hinspiel der Europa League, Leverkusen gegen Saint Gilloise. RTL übertrug, und Monica Lierhaus fand sich in einer Rolle wieder, die ihr sichtlich unangenehm war. Sie war die Interviewte, nicht die Interviewerin. Der Sportreporterin Laura Papendick fuhr sie irgendwann in die Parade der persönlichen Fragen mit einer Gegenfrage: "Können wir über Fußball reden?"

Grundsätzlich, das wurde hier mehr als deutlich, spricht Monica Lierhaus nicht gerne über sich und das, was ihr passiert ist. Sie will über den Sport reden. Das ist schließlich ihre Domäne.

Die erste Frau bei "ran" (Sat.1). Die erste Frau, die in der ARD-"Sportschau" über die Bundesliga berichtet hat. Fußballnationaltrainer Jogi Löw praktisch exklusiv im Interview. Kein Wunder, dass jüngere Kolleginnen sich die taffe Sportsfrau zum Vorbild nehmen. Schön, findet Monica Lierhaus, sollte sie Frauen wie Laura Papendick den Weg geebnet haben, aber ein Vorbild, nein, das wollte sie nie sein. Überhaupt, dieses Frau-Mann-Ding, es spielte in ihrem Leben nur einmal eine Rolle, wie sie erzählt.

Gleich in ihrer allerersten "ran"-Sendung, 1999, hatte sie eine Schalte mit Otto Rehhagel, der damals im Gespräch war als Trainer für Dortmund. Ihr war klar, dass sie ihn nach diesem Gerücht fragen musste, auch wenn sie ahnte, was er antworten würde. "Mein liebe junge Frau", sagte Rehhagel, wenn er sich zu allem äußern würde, was in der Welt passiert, müsste er auch Stellung nehmen, ob er Kaiser von China werden würde.

Rehhagels "meine liebe junge Frau" sei die erste und einzige Anspielung in ihrer Karriere gewesen, dass sie eine Frau ist. "Sonst war das nie Thema." Für sie selbst im Übrigen auch nicht: "Ich sehe die Sportjournalisten im Fernsehen nicht als Mann oder Frau. Ich sehe nur gut oder schlecht."

"Mister Sportschau" war ihr Mentor

Um selbst gut zu werden, ließ sich Monica Lierhaus von Ernst Huberty coachen. "Mister Sportschau", der Ende April im Alter von 96 Jahren verstarb, ist für seine Mentee unvergessen. "Ernst war so ein feiner Mensch. Er brachte mir zum Beispiel bei, niemals zu sagen ,die roten Teufel‘ oder ,die Königsblauen‘. Diese ganzen Floskeln, sagte er, streiche die aus deinem Kopf, Monica, formuliere immer auf den Punkt. Daran habe ich mich gehalten."

Das stimmt! Auch über den 8. Januar 2009 hinaus.

Monica Lierhaus © IMAGO / Future Image
Sie wollte sich eigentlich nur die Augen lasern lassen, als bei der Voruntersuchung eine Gefäßerweiterung im Hirn entdeckt wurde. Eine tickende Bombe, die jederzeit hochgehen könnte. Monica Lierhaus fackelte nicht lang. Das Skispringen bei der Vierschanzentournee nahm sie noch mit, dann legte sie sich unters Messer. Doch es ging was schief. Aus dem Plan, am Januarende wieder die "Sportschau" zu moderieren, zum Eröffnungsspiel der Bundesliga "ihres" Vereins HSV ("ich bin kein Fan, ich bin Sympathisant") gegen Bayern, wurde nichts. Monica Lierhaus war raus, für immer. Doch die Hoffnung an eine Rückkehr in den Beruf gab sie nie auf.

Sie erinnert sich an eine Situation in der Reha, als sie mit Eva die "Sportschau" sah. Die Schwester fragte, wer ist denn der Glatzkopf da beim HSV? Das ist Mladen Petrić, antwortete sie. Und da wusste sie ganz genau, ich komme zurück, nur nicht wo.

Monica Lierhaus‘ Disziplin und Ehrgeiz wurden oft beschrieben. Wobei sie "Ehrgeiz" gar nicht mag. Darin steckt das Wort "Geiz", "ich hasse es". Sie sei zielstrebig, ja, auch willensstark, aber nie würde sie sich als ehrgeizig bezeichnen.

Wo wir schon mal bei Wortklaubereien sind: Aus Sicht der Kritiker war die ARD alles andere als geizig, als sie Monica Lierhaus 2011 als Botschafterin der Fernsehlotterie für hilfsbedürftige Menschen verpflichtete. Die mutmaßlich 450.000 Euro pro Jahr führten zu Unmut, sodass Ende 2013 die Partnerschaft endete. Ein offizieller Anruf seitens der ARD kam nie wieder. Sie habe ihn auch nicht vermisst, sagt Monica Lierhaus. "Außerdem bin ich jetzt glücklich bei RTL."

Den Kölner Sender, der seit Anfang 2022 in einem eigenständigen Fachbereich unter Leitung von Mirijam Trunk die Themen Nachhaltigkeit, Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion bündelt, soll Monica Lierhaus als "Inklusionsberaterin" unterstützen. Wie genau, ist noch unklar. Man sei noch dabei, das Konzept zu erarbeiten. Sie findet es jedenfalls "unglaublich fortschrittlich", dass RTL allen Beschäftigten bis zum Jahr 2024 die Möglichkeit schaffen will, möglichst barrierefrei zu arbeiten. "Ich meine, welcher Sender macht so was?"

Völlige Untätigkeit kann man einem Sender wie Sky jedenfalls nicht vorwerfen. Im Auftrag und mit Hilfe des Pay-Kanals schaffte es Monica Lierhaus 2014 zur Fußball-WM nach Brasilien. Jogi Löw gab ihr dort das einzige Fernsehinterview. In den folgenden Jahren traf sie mehrere Sportpersönlichkeiten für eine Interviewreihe. Dass nun im Zuge der Ankündigung ihres RTL-Engagements von einem "TV-Comeback" geschrieben wurde, ärgert sie genauso wie das wiederhervorgeholte Zitat, mit 50 sei Schluss für sie vor der Kamera.

Ein "Riesenmissverständnis", sagt Lierhaus, sie habe nie von Rücktritt gesprochen, sondern nur gesagt, dass es Frauen ab 50 im Fernsehen grundsätzlich viel schwerer hätten als Männer. "Oder kennen Sie Fernsehfrauen über 50, außer Carmen Nebel oder Birgit Schrowange?" Allerdings, lenkt sie ein, ist es eine Rückkehr ins Free-TV und "hat somit eine ganz andere Öffentlichkeit". Und die kann furchtbar grausam sein.

Als Monica Lierhaus 2011 zum Beispiel bei der Verleihung der Goldenen Kamera zum ersten Mal nach der Rekonvaleszenz wieder im Fernsehen auftrat, noch unsicher auf den Beinen, ungelenk mit der Zunge, und dann auch noch vor ihrem Lebensgefährten Rolf Hellgardt zum Heiratsantrag niederkniete, waren die Reaktionen von peinlich berührt bis wie kann sie nur. Noch einmal würde sie so was nicht machen, sagte sie im Nachhinein.

Der Bruch mit dem Tabu

Ein Teil der Öffentlichkeit oder genauer gesagt: Behindertenverbände und -aktivisten nahmen ihr krumm, dass sie ihr Schicksal nicht heldenhaft annahm, sondern damit haderte bis hin zur Aussage, hätte sie gewusst, was auf sie zukommt, wäre sie besser nicht aus dem Koma nach der OP erwacht. Dieser "Bruch mit dem Tabu" (dem sie ein ganzes Kapitel in ihrer 2016 erschienenen Autobiografie "Immer noch ich" widmet) löste einen Sturm der Entrüstung aus. Und auch acht Jahre später wird Lierhaus in Social-Kommentaren dafür kritisiert, dass sie ihr Behindert-Sein nie angenommen habe und noch immer dafür kämpfe, ihr "normales" Leben zurückzubekommen.

"Schnee von gestern" ist das für sie, "das interessiert doch keinen mehr". Für sie gelte damals wie heute: "Ich spreche nur für mich selbst und maße mir nicht an, Vorbild zu sein oder für andere zu sprechen. Wenn ich andere Menschen inspiriere, freue ich mich. Wenn ich für mein Verhalten kritisiert werde, muss ich das aushalten können."

Wird sie aber aushalten können, dass mit der größeren Aufmerksamkeit im Mainstream-Fernsehen noch mehr über ihr Äußeres geurteilt wird? In knappster Knappheit antwortet Monica Lierhaus:

"Es ist jetzt so, wie es ist. Ich bin jetzt so, wie ich bin. Dann sollen mich die Leute nehmen oder eben nicht."

Nach ihren beruflichen Wünschen befragt, wen sie gerne interviewen würde, gibt sie sich redseliger. In der Reha in Allensbach hatte sie richtige Probleme zu sprechen. Und da suchte sie sich zum Üben zwei Namen aus: Thomas Tuchel und Pavel Pogrebnjak. In der Saison 2009/10 waren beide neu dabei. Sie kannte sie noch nicht. Deswegen würde sie "wahnsinnig gerne Thomas Tuchel mal interviewen".

Als Bayern-Trainer macht Tuchel gerade keine einfache Zeit durch. An ihn heranzukommen, dürfte ohnehin schwer sein, da RTL weder Rechte an der Bundesliga noch an der Champions League besitzt. Ihr eigener Vertrag mit dem Sender geht erstmal über ein Jahr. Es ist ein Jahr des Ausprobierens, auch für sie selbst, ob sie den Anforderungen von Live-Fernsehen wirklich gewachsen ist. Falls ja, ist vieles denkbar.

Warum nicht die Fußball-EM 2024 in Deutschland, von der RTL ein paar Spiele zeigen wird, als Reporterin und Moderatorin anpeilen? Monica Lierhaus wird schauen, "was sich ergibt und dann darauf reagieren".

Daumen sind gedrückt.