Götz George, die unvergessene „Schimanski“-Legende, fragte einmal seine Lieblingsgastgeberin, als er wieder auf Arbeitsbesuch in Köln war: „Frau Ragge, warum haben Sie dieses Haus an diese hässliche Straße gebaut?“ Und diese Frau, mit Vornamen Gisela, antwortete: „Nun, ich habe es nicht gebaut, sondern Etage für Etage übernommen, weil ich dachte: Okay, der Dom ist zum Anfassen nah, ich bin schnell am Bahnhof, es ist auch nicht weit zur Messe. Daraus kann ich was machen.“

Okay, das erklärt noch nicht, warum Götz George bis zu seinem Tod vor acht Jahren ganz vernarrt war ins Savoy, seit er 1997 zum ersten Mal dort logierte, während des Drehs der Boxer-Biografie „Die Bubi-Scholz-Story“ war das, die eigentlich in Berlin spielt.

Und es beantwortet längst nicht die Frage, warum nach diesem ersten berühmten Gast aus der Filmwelt gefühlt die gesamte Entertainment-Branche dieses Hotel, dessen Name glanzvoller ist als seine Lage an einer sechsspurigen Schneise, so unglaublich toll findet.

Die Rheinmetropole hätte ja noch 37.000 andere Betten parat, wo man gemäß dem Künstler-Klischee ordentlich die Sau rauslassen könnte, wenn es denn nicht den beklagenswerten Trend zu Bravheit und Keuschheut gäbe. Was macht also ausgerechnet das Savoy zum „Wohnzimmer der Stars“, wie der Kölner Klotz auch genannt wird? Vor allem: Wer macht das?

Ortsbesuch an der Turiner Straße, inkl. Valet-Parken. Schon mal sehr toll!

Kaum ist man von der schrecklich lauten Verkehrsachse durch die Savoy-Schleuse eingetreten, wird’s noch toller. Es empfängt einen angenehm ruhige-Betriebsamkeit. An der Rezeption gestikuliert fröhlich Özcan Coşar, die für den Deutschen Fernsehpreis nominierte Baklava-Hälfte von Bratwurst-Comedian Bastian Bielendorfer. Trotz tiefsitzendem Cap ist der Schauspieler Ercan Durmaz aus „Enkel für Fortgeschrittene“ gut zu erkennen. Und als einen Daniela Ragge, die Junior-Chefin des Hauses, von der Lobby zum Kaminzimmer führt, lümmelt doch glatt die „Super Nanny“ Katharina Saalfrank auf einem der Samtsessel.

Das Savoy hält also auch an einem stinknormalen, verregneten Septembermontag, was es verspricht: Promi-Dichte nicht nur auf den riesigen Porträts, die der Wiener Künstler Andreas Reimann per Auftrag geschaffen hat, sondern in real life.

Wobei die angetroffene TV-Prominenz freilich nicht annähernd den abgebildeten Diven Marlene Dietrich, Romy Schneider und Angelina Jolie nahekommt.

Schon eher Filmgöttinnen-gleich schwebt Daniela Ragge übers dunkle Parkett. Die Mutter eines Sohnes ist die pure Eleganz auf Strass-geschmückten Pumps. Schon als Kind zogen sie und ihre drei Geschwister staubtuchwedelnd durchs Hotel, denn das Savoy war immer Familie und Geschäft zugleich. Nach einem Praktikum im New York Marriott Marquis, wo sie so richtig Feuer fing für die Hotellerie, stieg sie, vor nunmehr 20 Jahren, in den Betrieb der Mutter ein und zieht jetzt als General Manager die Fäden.

Dass die Tochter mit der gleichen Leidenschaft und mit Herzblut das Savoy weiterführt, ist Gisela Ragge ein großes Glück. Sie hat unlängst die 70 übersprungen und lässt trotzdem noch nicht los. Der Mutterstolz auf ihr „Baby“ ist groß. In unserem Gespräch zu dritt übernimmt sie sofort das Regiment:

„Das Savoy wäre nie so geworden, wie es heute ist, wenn wir nicht diese vielen kreativen Menschen immer um uns gehabt hätten. Sie haben uns auf diesem Weg begleitet, auch herausgefordert. Im Dialog mit ihnen kommen wir auf neue Ideen. Wir wollen ja nicht stehenbleiben, sondern uns permanent weiterentwickeln. Unsere Gäste schätzen das. Wir bemühen uns, es in ihrem Sinne schön zu machen.“

Schöner Wohnen ist im Mutter-Tochter-Tandem Gisela Ragges Domäne. Die lokale Zeitung zog vor ein paar Jahren den nicht sonderlich charmanten, aber sehr zutreffenden Vergleich, dass „gemessen an den Verwandlungskünsten dieser ehemaligen Ursulinenschülerin selbst das Chamäleon eine nur mäßig talentierte Echse ist“. Ragge wechsle nicht nur Farben oder Tapeten, sondern mitunter auch Türen und Fenster schneller, als mancher Gast gucken könne.

Wer eine reduzierte oder gar puristische Umgebung zum Übernachten braucht, ist im Savoy fehl am Platz. Ähnlich wie auf Reimanns Bildern dominieren auch bei der Einrichtung Karamell-, Pflaumen- oder Petroltöne in Kombination mit schwarzen Polstern und goldenen Palmwedeln. Als der Frühstücksraum, „Mythos“ genannt, noch fensterlos war und aufdringlich violett, soll die Entertainerin Maren Kroymann gesagt haben, sie fühle sich wie in einem Uterus. Es war, so hoffen wir, im Sinne von wohlig und nicht gruselig gemeint.

Auch die Zimmer und Suiten, durch die Daniela Ragge später führen wird und die nach hinten raus den Blick auf eine überraschend grüne Hofoase freigeben, schreien es hinaus: Opulenz, Opulenz! Hier wird nicht mit Ikea gekleckert, sondern mit Breetz geklotzt. Der Optik wie der Nachhaltigkeit zuliebe.

Savoy © Savoy Nicht mit Ikea gekleckert, sondern mit Breetz geklotzt.

Die Film-Leute, erzählt Daniel Ragge, hätten sie dazu inspiriert, die Räumlichkeiten im Savoy mit einer speziellen Atmosphäre zu gestalten, wie eine Film-Kulisse. Kein Wunder, dass die Einrichtung des Hauses schon die Leinwände und Bildschirme eroberte.

Jürgen Vogel vögelte, pardon führte mit Lavinia Wilson „Schoßgebete“ (Regie: Sönke Wortmann) auf einem Bett im Savoy. Dieter Pfaff machte im Kaminzimmer Gitarre spielend auf Johnny Cash, zu sehen in einer „Bloch“-Folge von Regisseur Züli Aladag (und hier). Angetan von dem Herren-WC, wo es keine Spiegel gibt, dafür ein Aquarium, ließ Regisseur Matti Geschonneck im ZDF-Krimi „Tod in Istanbul“ eine Geldübergabe stattfinden. 2017 sperrte die „Let’s Dance“-Crew für den Dreh des Einspielers kurzzeitig sogar fast das halbe Hotel.

Gisela Ragge weiß nicht, ob sie sich so viel Mühe mit dem Interior Design gemacht hätte, wenn sie auf der Domplatte gewesen wäre und eine tolle Fassade gehabt hätte so wie das Excelsior: „Ich musste es schaffen, in diesem nüchternen Bau für jeden Gast einen Mikrokosmos zu schaffen, in den er eintaucht und sich sofort wohlfühlt.“

Als sie 1983 in einem Bürogebäude die drei Etagen des damaligen Hotel Turin übernahm, ahnte niemand, auch sie selbst nicht, dass das Haus zum bevorzugten Logierbetrieb der Stars avancieren würde. Ebenso wenig hatte sie Ahnung vom Hotelgeschäft. Dadurch, dass sie ihrem Mann Robert Ragge, dem Gründer des Hotel Reservation Service (HRS), als junge Frau beim Aufbau seines Kölner Unternehmens geholfen hatte, war ihr die Branche jedoch nicht völlig fremd. Die vierfache Mutter packte der Ehrgeiz, quasi aus dem Nichts ein eigenes Business zu schaffen.

Zunächst waren Messebesucher die Hauptklientel

Messebesucher waren zunächst ihre Hauptklientel. Mit dem Aufkommen des Privatfernsehens taten sich dann aber völlig neue Möglichkeiten auf. Köln wurde als Medienstandort immer wichtiger. Gisela Ragge kaufte mit ihrem Mann zuerst Etage für Etage zu und später, innerhalb von sieben Jahren, fünf alte Häuser im Quartier. Sie ließ sie abreißen, erweiterte das Haupthaus mit An- und Neubauten. Als ihr Enkel sie unlängst oben in der Sky Lounge fragte: „Oma, was gehört alles dir?“, sagte sie, die ein Faible für japanische Gartenkultur hat: „Alles, was grüne Dächer hat.“

„Gott sei Dank hatte ich nicht das Geld, alles auf einmal zu machen“, fährt Gisela Ragge fort, „ich konnte mich mit diesem Produkt weiterentwickeln und auf die Bedürfnisse der Gäste reagieren.“

Die Herren äußerten zum Beispiel den Wunsch, ihre Muskeln für den telegenen Auftritt aufpumpen zu können. Also richteten die Ragges einen Fitnessraum ein, nach Gestaltungstipps von Ralf Moeller. „Ein Gym muss rough sein“, sagte der Hüne aus „Gladiator“ und riet zu unverputztem Beton, auf den der Schweiß sorgenlos tropfen kann. Für Jürgen Vogel kauften sie einen Boxdummy. Und von der Crew, die die Geschichte der Dassler-Brüder verfilmte, hängen noch die Turnstrippen von der Decke.

Aus dem Dialog mit den Gästen entstand auch das Boarding-House-Konzept des Savoy: Gerade bei längeren Produktionen wächst das Bedürfnis, sich in ein zweites Zuhause mit mehr Platz zurückzuziehen, auch mal selber zu kochen oder vom Bettrand in die sprudelnde Wanne zu hüpfen, anstatt im Spa, das es natürlich auch in diesem Haus des gehobenen Komforts gibt, unter den prüfenden Blicken der Kollegen zu relaxen. Das mit „Babylon Berlin“ langzeitbeschäftigte Team von X-Filme testete die Apartments als erste aus. Von da an verselbständigte sich die Geschichte „ohne einzigen Werbebrief“, wie die Ragges betonen, „einfach von Mund zu Mund“.

Und wir wissen ja, wie tratschfreudig diese Branche ist, nicht wahr?

Jetzt kommen mehr Menschen, die kochen, raten, tanzen

Natürlich hat all dieser Service (inkl. Frühstück auch am Nachmittag für Erschöpfte vom Nachtdreh) seinen Preis. Und natürlich haben Film- und Fernsehproduktionen ihre finanziellen Zwänge. Für dieses Jahr rechnet die Branche mit einem Rückgang des Auftragsvolumens um zehn Prozent.

Heißt das: auch Krise im Savoy?

Sie höre es hier und da, dass Fernseh- und Filmprojekte mehr Vorlaufzeiten bräuchten als früher, sagt Daniela Ragge. Und sie sehe es ja selbst am Fernsehprogramm, dass der Fernsehfilm immer weniger wurde. Die großen Mehrteiler an Weihnachten, „Der Schattenmann“, „Der große Bellheim“, von denen ihre Mutter schwärmt, die gibt es nicht mehr. Aber von einer Krise könne sie aus ihrer Sicht nicht berichten. Schauspieler kämen ja immer noch und seien sogar internationaler, seit die Filmstiftung NRW Koproduktionen mit hierzulande ansässigen Firmen unterstützt. Nur habe sich das Hospitality-Geschäft „halt mehr in Richtung Show verlagert“.

Sprich: Es kommen vermehrt Menschen, die kochen, raten, tanzen.

Projekte wie „Let’s Dance“, die sie im Savoy seit Jahren begleiten, laufen immer weiter und weiter. Sogar als Pandemie war und die Welt weitgehend geschlossen. „Fernsehen läuft immer in der Krise“, meinte einmal ein Gast. „Und das stimmt auch.“

Daniela Ragge, die in Köln und an der Cornell in New York BWL studierte, ist jedenfalls sehr dahinter, dass es für alle Seiten kostenmäßig passt:

„Wenn wir in eine Produktion mit reingehen, dann sind wir für die Zeit auch Teil des Produktionsteams und unterstützen, wo wir können. Wir sind in der Lage, auf kurzen Zuruf auf rollende Produktionslisten zu reagieren, also Zimmer neu einzubuchen oder auch mal ein No-Show nicht zu belasten. Es ist ein Geben und Nehmen und am Ende für alle eine Win-Win-Situation.“

Gisela und Daniela Ragge © Savoy
Mutter-Tochter-Gespann: Gisela und Daniela Ragge

Hin und wieder komme es vor, dass woanders eingebuchte Gäste anriefen, nach einem Zimmer im Savoy verlangten und den Aufschlag zum Ketten-Hotel aus eigener Tasche bezahlten. Das ist für die Ragges „eine schöne Bestätigung“ und rührt laut der Seniorchefin daher, dass sie wüssten, im Savoy „einen absoluten Gegenwert“ zu bekommen, nicht nur in materieller Hinsicht:

„Was viele Medienschaffende an unserem Haus schätzen: Dass sie bei uns auf Kollegen treffen. Man sieht sich zwanglos an der Rezeption, man trifft sich beim Frühstück. Es hat was von Klassentreffen. Das Savoy gibt ihnen einen unkomplizierten Rahmen für Austausch.“

Auch in Form von Exzessen und Skandalen?

Gisela Ragge lacht: „Die haben wir hier nicht, auch früher nicht.“ Gut, abends spät seien sie und ihre Tochter meist nicht mehr im Hotel. Sie bekämen auch nicht alles mit, was an der Bar oder hinter den panzerdicken, schalldichten Hoteltüren passiert. Dass ein Gast „mal über die Strenge schlägt“, das werde es im Savoy sicherlich auch hin und wieder geben, aber es halte sich „in Grenzen, unsere Gäste sind halt sehr auf ihre Arbeit fokussiert“. Sie müssten es auch sein, weil Drehzeiten immer kürzer und damit Drehtage immer länger und fordernder würden. „Früher ging es noch etwas entspannter zu.“

„Ich glaube“, ergänzt Daniela Ragge, „dass das Umfeld, in dem du dich bewegst, sehr beeinflusst, wie du dich benimmst.“ Weil man im Savoy sehr eng beieinander sei und sich über die Jahre sehr gut kenne, rege es gar nicht an, sich danebenzubenehmen. „Bei uns kommen im Vergleich zu anderen Häusern auch nur minimalst Aschenbecher und Bademäntel weg.“

Ob die Ragges nach dem 25. September wieder Inventur machen?

P.S.: Update zur Bettenlage: Das Savoy ist rund um die Verleihung des Deutschen Fernsehpreis ausgebucht. Was sonst.