Diese Telegeschichte beginnt am 6. Februar 2000 in einem Saal des Hotels Intercontinental in Berlin. Es ist ein funktioneller Raum. Bodentiefe Glasfenster geben einen Blick in die Dämmerung frei. Etwa einhundertfünfzig Zuschauende sind am Rand verteilt. In der Mitte sitzen sich fünf Männer in schmucklosen Sesseln gegenüber. Die Kamera fährt langsam auf den Journalisten Erich Böhme zu. Dunkler Anzug, weißes Hemd, das Einstecktuch passt zur hellgrünen Krawatte. Freundlicher Applaus ist vom Publikum zu hören. Böhme sortiert noch schnell einen Stapel grüner Zettel. Er legt eine Klarsichtfolie beiseite, die diesen zuvor zusammengehalten hatte. "Vielen Dank für den Beifall. Ich beziehe ihn zunächst mal auf mich. Ich komme wieder."
Mit diesen Worten ist er nach 16 Monaten mit seinem Kultformat zurück. Zwar heißt die Sendung aus rechtlichen Gründen nun "Talk in Berlin", sie ist aber eine nahezu exakte Kopie seiner legendären Reihe "Talk im Turm". Neun Jahre lang prägte er mit ihr die politische Diskussionskultur im deutschen Fernsehen. Alles an der neuen Show fühlt sich sehr vertraut an. Bis hin zu ihrem Sendeplatz am Sonntagabend.
Böhmes Comeback ist eine Trotzreaktion auf den Erfolg der Moderatorin Sabine Christiansen. Ihr Polittalk war vor zwei Jahren im Ersten in direkter Konkurrenz zu ihm gestartet und lief ihm bald den Rang ab. Nach seinem Abschied nahm ihre Relevanz zu, sodass sie inzwischen als televisuelles "Ersatzparlament" wahrgenommen wird. Böhme hat nie einen Hehl aus seiner Abneigung für Christiansen gemacht und kaum eine Möglichkeit vermieden, sich öffentlich über ihr vermeintliches Unvermögen auszulassen. Die ganze Vorgeschichte rund um die Auseinandersetzung zwischen Böhme und Christiansen, die schließlich in ein Buhlen um Jörg Haider mündete, ist eine eigene Telegeschichte wert, die hier erzählt wird.
"Dann machen wir das halt"
Eigentlich steht seine Rückkehr erst in zwei Wochen am 20. Februar an. "Aber die Zeiten sind nicht so", leitet Erich Böhme die Ausgabe ein. Als Anlass nennt er die gerade vollzogene Regierungsbildung in Österreich, an der die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) beteiligt ist. "Umstritten, ob sie eine rechtsradikale, eine rechte oder was auch immer für eine Partei ist", laviert sich Böhme um eine klare Zuschreibung herum. Wenigstens ist er zuversichtlich und verspricht: "Das kriegen wir gleich raus." Er begrüßt an diesem Abend nämlich den FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider in seiner Männerrunde.
Haiders Auftritt ist für Böhme und sein Team ein strategischer Coup und ein nächster Seitenhieb gegen die ewige Rivalin Sabine Christiansen. Sie hatte ihn ursprünglich für die Vorwoche eingeplant. Als daraufhin die meisten anderen Gäste ihre Teilnahme absagten, lud sie ihn kurzfristig wieder aus. Daraufhin meldete sich Erich Böhme zu Wort und beklagte die Mutlosigkeit seiner ungeliebten Kollegin. Daraus war für ihn nur eine Schlussfolgerung abzuleiten: "Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender bei Haider eine Beißhemmung kriegen, dann machen wir das halt."
Im Auftrag der Demokratie
Die Einladung eines Mannes, der die Taten des Dritten Reichs und den Holocaust verharmlost und regelmäßig mit extremistischen oder fremdenfeindlichen Parolen provoziert, rechtfertigt Böhme mit einem aufklärerischen Auftrag. "Das deutsche Fernsehpublikum hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie ein zukünftiger Spitzenpolitiker denkt, was er sagt und was es davon zu halten hat", erklärte er gegenüber der "Berliner Morgenpost".
Zugleich kündigt er an, "den Mythos Jörg Haider entzaubern" zu wollen. Wie genau ihm diese Entzauberung gelingen soll, erläutert Böhme im Interview mit der "Frankfurter Rundschau": "Er wird Fragen gestellt bekommen, wir werden uns unterhalten. Und wenn er nur populistische Sprüche absondert, dann werden zumindest die Leute, die genug Verstand haben, darüber nachdenken, ob das einer ist, den man unter der Kategorie Politiker führen kann." Mit anderen Worten: Böhme hofft darauf, dass sich der medienerfahrene Haider aus Unachtsamkeit mit seinen eigenen Worten selbst entlarven würde. Eine erstaunlich naive Haltung für einen so erfahrenen Journalisten. Zumal sich vor ihm schon Giovanni di Lorenzo und Thomas Gottschalk mit ähnlichen Vorhaben am Republikaner-Chef Franz Schönhuber spektakulär verhoben hatten.
Rückendeckung erhält Böhme von RTL-Chefredakteur Hans Mahr. In einem Gastkommentar für die "Süddeutsche Zeitung" lobt er die Entscheidung euphorisch: "Gott sei Dank gibt's Erich Böhme!" Er sei einer der wenigen, der den Mut habe, Haider direkt entgegenzutreten. Mahr wertet eine Verbannung Haiders vom Bildschirm als "Vorzensur". Sender, die sich so verhielten, würden sich daher zu einer grauslichen "Ideologie-Kommission" erheben. Das ist eine bemerkenswerte Verkehrung der Verhältnisse, ausgerechnet jenen Redaktionen, die dem demokratiefeindlichen Haider kein Forum anboten, eine antidemokratische Haltung zu unterstellen.
Wie sehr Haiders Auftritt die Gemüter erhitzt, zeigt sich vor dem Hotel Intercontinental, wo wütende Protestierende gegen Haider und den Faschismus skandieren. Ihr Protest ist derart heftig, dass die Polizei die Demonstrant:innen gewaltsam zurückdrängen muss. Daraufhin sperrt sie das Gebäude weiträumig ab. Aus Sorge vor Zwischenfällen wird zudem kurzerhand entschieden, das ursprünglich live geplante Programm vorsichtshalber vorab aufzuzeichnen.
All das schwebt an diesem Abend über Erich Böhme. Er will Haider reden lassen und ihn zugleich entzaubern. Er will dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit gerecht werden, die Demokratie verteidigen, keine Zensur verüben, jedoch nicht zu Haiders Popularisierung beitragen. Er will sein eigenes Comeback auf spektakuläre Weise einläuten und beweisen, dass er mit knapp 70 Jahren seine Sache besser macht als Konkurrentin Sabine Christiansen. Und eine unterhaltsame Show soll es bitteschön auch werden. Ziemlich viel auf einmal. Was kann da schon schiefgehen?
"Der liebe Jörg"
Mit einem breiten Grinsen sitzt Jörg Haider, den Böhme fast bewundernd als "den derzeit umstrittensten Politiker Europas" vorstellt, nun in der Runde. All der Rummel schmeichelt ihm. Mit ihm diskutieren sollen der Publizist Ralph Giordano, Freimut Duve (SPD), Medienbeauftragter der OSZE, sowie Michael Glos, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. So viel sei vorab verraten: Sie können ihm kaum etwas entgegenbringen. Stattdessen geraten sie zu Statisten, die ihm lediglich die notwendigen Stichworte für seine Themensetzungen liefern.
Mit sichtlicher Gelassenheit lässt er alle Vorwürfe und jeden Versuch eines Angriffs von sich abprallen. Seine rassistischen Äußerungen, seine radikalen Forderungen, Alles Missverständnisse. Alles aus dem Zusammenhang gerissen oder verdreht. Alles Teil einer persönlichen Diffamierung und einer beispiellosen Verleumdungskampagne gegen die FPÖ. Mit seinem österreichischen Charme inszeniert er sich als Kümmerer für die wahren Probleme der Menschen, als Vorsitzenden einer weltoffenen Partei, als Bewahrer des europäischen Friedens und als überfälliger Retter der Demokratie, der die Bevölkerung endlich von den Zwängen der früheren Regierungsparteien befreit. Es ist erstaunlich, mit welcher Mühelosigkeit ihm das gelingt und erschreckend, wie wenig Gegenwehr er dabei erfährt.
An einem Punkt wird es besonders deutlich. Böhme versucht ihn unbeholfen zu überrumpeln und fragt: "Sind Sie ein Neonazi?" Haider geht darauf gar nicht ein und schweigt mit unbewegter Miene. Böhme legt nach: "Ein Neofaschist?" Haider schweigt beharrlich. "Ein Rechtspopulist?" Weiterhin kein Wort von Haider. Böhme hat allerdings keine Alternative mehr parat. So fragt er ihn verzweifelt: "Oder der liebe Jörg?" Endlich eine Regung. Haider lächelt. "Das ist gut." Dann gibt er endlich die Antwort, die er sich zurechtgelegt hat. Er hält sich für einen freiheitlichen Reformpolitiker.
Haider taktiert, der Rest verliert
Der eigentlich meinungsstarke Ralph Giordano gibt sich nachdenklich und zweifelnd. Offenbar will er Haider auf der Sachebene begegnen und an dessen Vernunft appellieren. Dabei verliert er sich in endlosen Monologen und scheut sich, sein Gegenüber entschieden anzugreifen. Er betont, dass seine Bewertungen kein "persönlicher Anwurf" sind, sondern "eine politische Einstufung". Am Ende bezeichnet er ihn sogar als einen "der sympathischsten Menschen", der ihm in seinem 76-jährigen Leben je begegnet sei. So lässt sich Haider nicht packen. Im Gegenteil, er wendet Giordanos Höflichkeit gegen ihn und nimmt sie als Beweis dafür, dass man sich einander annähere. Angesichts dieser Pleite hilft es wenig, dass der Publizist die Debatte wenige Minuten vor Schluss empört verlässt.
Derweil echauffiert sich Freimut Duve im Laufe des Gesprächs zunehmend. Er arbeitet sich an seinem Sitznachbarn am engagiertesten ab, prallt dennoch permanent an dessen Rhetorik ab. Mehrfach will er dem FPÖ-Vorsitzenden irgendwelche Eingeständnisse abringen, zu denen der partout nicht bereit ist. Und mehrfach irritiert ihn, dass sich unter das Publikum offenbar einige Haider-Anhänger mischen konnten, die jeden Satz lautstark honorieren.
Michael Glos wiederum leistet Haider ein Stück weit Schützenhilfe, indem er davor warnt, sich zu sehr in die Innenpolitik des kleinen Nachbarlandes einzumischen. Er kann ohnehin keine Gefahr in dem österreichischen Politiker erkennen und ist sich sicher, dass sich eine Partei wie die FPÖ in Bayern nicht durchsetzen könne. Dort würde sich die CSU all die radikalen Positionen vorher einverleiben.
Zum Eindruck der Wehrlosigkeit der anderen Gäste tragen ebenso einige rhetorische Taktiken bei, die Jörg Haider geschickt einsetzt und die mittlerweile zum festen Repertoire populistischer und extremistischer Akteur:innen gehören. Als Duve ihn beispielsweise auffordert, seinen Freund Thomas Prinzhorn wegen einer rassistischen Behauptung aus der Partei auszuschließen, lenkt er mit der Gegenfrage, wann die SPD den Bundesinnenminister Otto Schily herauswerfen wolle, von der eigentlichen Vorhaltung ab.
Als Giordano ihn beschuldigt, ein Zwangsdemokrat zu sein, also jemand, der "in ein demokratisches System hineingeboren ist, aber es eigentlich nicht will", interpretiert Haider den Begriff kurzerhand um und verwendet ihn zu seinem Vorteil. Für ihn wäre nämlich das politische System der bisherigen Regierungsparteien eine Zwangsdemokratie mit einem Zweikammersystem und Zwangsmitgliedschaften. Böhme nuschelt zwar leise vor sich hin, dass Giordano den Begriff anders gemeint habe, trotzdem hindert er Haider nicht daran, ihn im weiteren Verlauf öfter in seinem Sinne aufzugreifen.
Lange Gesichter ersetzen keine Recherche
Vor allem scheitert die Sendung an dem Vorgehen, das Journalist:innen immer wieder versuchen. Sie halten Haider frühere Zitate von ihm oder seinen Parteigenossen vor und hoffen auf eine verfängliche Reaktion. Diesen Gefallen tut er ihnen nicht. Routiniert wehrt er alle Versuche ab. Für jede dieser alten Kamellen hat er sich längst zigfach in vorherigen Interviews gerechtfertigt. Zuletzt erst vor zwei Tagen in der ARD-Sondersendung "Farbe bekennen", wo er ebenfalls ein solches Zitatengewitter parieren musste.
Überdies macht es ihm die Runde allzu leicht, die ihm schlecht vorbereitet entgegentritt. Mal stimmen Namen nicht, mal fehlt der exakte Wortlaut, mal bleibt die Quelle unklar. Auf dieser Basis kann Haider problemlos alles von sich weisen: "Woher stammt dieses Zitat?", "Wo nehmen Sie das jetzt wieder her?", "Wo haben Sie das gelesen?", "Wie heißt der? Gibt es bei uns nicht."
In der bereits erwähnten Auseinandersetzung mit Duve schlägt Haider besonders scharf zurück: "Sie können sich doch nicht hierher setzen und haben weder das Zitat im Original, noch wissen Sie genau, wer es gesagt hat." – "Ich nehme das aus den Medien", muss Duve kleinlaut bekennen. Davor will Ralph Giordano ihn mit ungeheuerlichen Vorfällen konfrontieren, für die er ebenso keine Belege hat außer der Zusicherung, sie seien ‚wohl recherchiert‘." Selbst Gastgeber Böhme bleibt allzu oft bei einem vagen "Ich habe es nachgelesen".
Schwer erträglich, wie sich der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur und langjährige Politmoderator zusehends in seinem Zettelstapel verliert. Offenbar enthalten seine Notizen lediglich Fragen und keine belastbaren Zitate, Quellen oder Fakten. Es endet darin, dass er sein Gegenüber mit einem FPÖ-Beschluss aus den 50ern konfrontiert. Da Haider erst 1950 geboren wurde, kann er daran nicht mitgewirkt haben. Der Österreicher kostet diesen Fauxpas genüsslich aus. Schließlich muss Böhme erschöpft kapitulieren: "Das ist ja wahnsinnig schwer zu diskutieren."
"Schimpf und Schelte für Erich Böhme"
Nach der Ausstrahlung hagelt es Kritik von allen Seiten. Die "Nürnberger Nachrichten" sprechen von "Schimpf und Schelte für Erich Böhme", die "taz" attestiert ihm "Selbstüberschätzung", und die "Welt" nennt sein Comeback ein "Fiasko". Besonders pointiert fasst Heribert Riehl-Heyse das Trauerspiel in der "Süddeutschen Zeitung" zusammen: "Haider durfte schwadronieren, was das Zeug hielt, durfte so ungestört lügen wie vermutlich noch nie in einer Fernsehsendung. Es war zum Haare raufen."
Fassungslos zeigt sich ebenso Monika Maron in der "FAZ". Wer aus "leichtfertiger Geilheit" solche "Demagogen und Populisten ins Fernsehen lädt", so klagt sie, sollte "mehr wissen, als dass er im Großen und Ganzen Recht hat". Angesichts der desaströsen Leistung des Hosts muss auch RTL-Chefredakteur Hans Mahr einsichtig gestehen, dass sich der Gott-sei-Dank-so-mutige Böhme "ein wenig besser" hätte vorbereiten können.
Und Böhme? Er gibt sich am Tag danach selbstkritisch – ein wenig. Im "Tagesspiegel" räumt er "Recherche-Fehler" ein: "Natürlich hätte ich Esel wissen müssen, dass Haider in den 50er Jahren gerade 5 Jahre alt war und im Laufstall saß." Seine Einsicht endet hier. Schuld seien vor allem die anderen. Haider habe "sämtliche Kreidevorräte Österreichs aufgefressen", und seine Gäste hätten ihn im Stich gelassen. Was hätte er da machen sollen? "Ich kann ihm ja nicht das Maul zubinden."
Immerhin gesteht er ein, dass er mit seinem Ziel, Haider zu entzaubern, gescheitert ist: "So einer lässt sich nicht entzaubern." Eine (zu) späte Erkenntnis.
Playbook der Neuen Rechten
So sehr Böhme seine mangelnde Vorbereitung vorzuwerfen ist. Viel bewirkt hätte sie wohl kaum. Populist:innen wie Haider sind im Diskurs nicht zu stellen, weil sie an einem solchen gar kein Interesse haben. Sie suchen vor allem eine Bühne. Ein Podium. Sichtbarkeit. Legitimität. Empörung. Zu glauben, man könne ihnen mit wohlrecherchierten Fakten beikommen, ist eine naive Annahme. Man geht so ein Duell mit ungleichen Waffen ein. Ein Spiel, bei dem die eine Seite fair nach den Regeln spielt, während die andere das Spielbrett im nächsten Moment beleidigt vom Tisch wirft. Wer sich darauf einlässt, begibt sich, wie es die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl nannte, auf eine "schiefe Bühne auf der man nur hinterher hüpft."
Hier hilft auch der oft bemühte nachträgliche Faktencheck wenig. Er erreicht aufgrund seiner zeitlichen Verzögerung bloß einen Bruchteil des ursprünglichen Publikums. Viele der Zitate, die Haider am Abend vehement bestritten hatte, konnten tags darauf belegt werden. Dafür durchforstete der ORF sogar sein Archiv nach alten Videoaufnahmen. Doch das war vergebene Liebesmüh. Haiders Normalisierung hatte bereits stattgefunden. Die Lügen hatten ihre Wirkung zu diesem Zeitpunkt längst entfaltet.
Aus einer solch ungleichen Konfrontation lässt sich keine neue Erkenntnis gewinnen, die nicht zuvor bekannt war. Allein deshalb war fraglich, was Böhme an Haider eigentlich "entzaubern" wollte. Der trat ja jahrelang abseits von Talkshows sprachlich derart enthemmt auf, dass alle Karten längst offen auf dem Tisch lagen.
Der Auftritt von Jörg Haider zeigt zudem, dass sich die Vorgehensweisen und Parolen rechter Akteur:innen seitdem kaum verändert haben. Schon damals nutzte er jede Unsicherheit seiner Gesprächspartner zu seinem Vorteil. Er inszenierte sich als Opfer von Verleumdungen, lenkt Anschuldigungen gegen seine Person zu Angriffen auf die österreichische Bevölkerung um. Er definierte Begriffe um und verpflichtete andere Teilnehmende zur Einhaltung demokratischer Regeln, während er sich darum nicht scherte. Das alles wirkt aus heutiger Sicht beunruhigend vertraut. Das gilt nicht zuletzt für das Vokabular. "Altparteien", "Zwangssysteme", "Sprechverbote". Diese Worte gebrauchte Haider ganz selbstverständlich. Bereits vor 25 Jahren deklinierte er so das Playbook der Neuen Rechten sauber durch. Allein deswegen ist die Ausgabe von "Talk in Berlin" noch heute ein warnendes Lehrstück.
Keine Interviews!
Sie ist ein früher Beleg für das, was Journalist:innen wie Maria Timtschenko und Johannes Giesler vom Newsletter "Wie Rechte reden" seit Langem fordern: Keine Live-Interviews, keine Talkshows, keine O-Ton-Gespräche mit extremen Rechten. Stattdessen ausschließlich kontextualisierte Zitate, zusammengefasste Reden und alle antidemokratischen Inhalte oder Lügen sind konsequent zu kennzeichnen.
Oder, wie es Wiglaf Droste damals in der "taz" formulierte: "Man kann über Haider reden, mit Haider redet man nicht - es sei denn, man will ihm nützen." Ein Rat, der mit anderen Namen bis heute seine Gültigkeit hat.
Übrigens: Wenigstens in Sachen Einschaltquote war die Premiere des Formats ein Erfolg. Mit 1,36 Millionen Zuschauenden und einem Marktanteil von 4,6 Prozent erreichte sie die besten Werte, die eine Talkshow bei n-tv bis dahin je erzielt hatte. Glückwunsch. War es das wert?
Rund zwei Jahre führte Erich Böhme durch die Reihe "Talk in Berlin", bevor er sich endgültig in den Ruhestand verabschiedete. Sein Nachfolger wurde der langjährige ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser, der sich zuvor mit seinem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber überworfen hatte. Ihm hatte er mehrmals eine inhaltliche Verflachung vorgeworfen. Ausgerechnet bei einem privaten Nachrichtenkanal wollte er es jetzt besser machen. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.