Diese Telegeschichte beginnt am Vorabend der Silvesternacht im Jahr 2000. Auf dem Gelände der NOB Studios in Hürth wurde gerade die 23-jährige Brandenburgerin Alida Kurras unter großem Jubel und pompösen Feuerwerk zur Gewinnerin der zweiten Staffel von "Big Brother" gekürt. Im verwaisten Reality-Container blieb das Moderations-Team Oliver Geissen, Gudrun Loeb und Aleksandra Bechtel zurück, um auf die gute Zusammenarbeit anzustoßen. Hinter ihnen lagen 106 aufregende Tage. 106 Tage, in denen die Sendung dank des Herzensbrechers Walter, der ruhigen Art des WG-Papas Big Harry und den ewigen Streitigkeiten zwischen Hanka Rackwitz und dem selbsternannten Nominator Christian Möllmann erneut zum dominierenden TV-Ereignis geriet und hohe Reichweiten erzielen konnte.

Aus Sicht der Produktionsfirma Endemol war diese Entwicklung ein großer Gewinn, erfüllte sich darin doch endlich das Versprechen nach wirklich intimen Momenten vor den allsehenden Kameras. Das Publikum goutierte diesen voyeuristischen Blick durch das Schlüsselloch und bescherte dem Sender RTL II auch eine hervorragende finanzielle Bilanz. Schätzungen zufolge hätte der Kanal über die Hälfte des Vorjahres-Gewinns von mehr als 100 Millionen Mark (nach Steuern) allein durch "Big Brother" erwirtschaftet. Daher war es bloß konsequent, dass Oliver Geissen an diesem Abend noch mit dem Sektglas in der Hand ankündigte, die neuen Bewohnerinnen und Bewohner der dritten Staffel würden schon in vier Wochen einziehen.

"Girlscamp": Heiße Girls und deftiges Essen
Den Anfang machte der Sender Sat.1, der den Auftakt seiner neuen Reihe "Girlscamp" auf den 26. Januar 2001 und damit auf den Tag vor Beginn der neuen Runde von "Big Brother" datierte. Die Entwicklung aus dem Hause der Me, Myself & Eye Entertainment GmbH (MME) wies zum Original die meisten Ähnlichkeiten auf, verfolgte jedoch eine Zuspitzung der Grundidee. Offensichtlich angespornt durch das viel beachtete "Bettengeraschel" bei "Big Brother" wollte man nackte Haut, Erotik und Sex nun nicht mehr dem Zufall überlassen. Und da vor allem junge Männer als Zielgruppe auserkoren waren, inszenierte man die vermeintlich typische Männerfantasie eines Ferienlagers für Mädchen.
So zogen ausschließlich Single-Frauen im Alter zwischen 19 und 34 Jahren in einen Luxusbungalow, der auf der Kanareninsel El Hierro gelegen und mit 57 Kameras ausgestattet war. Statt dröger Studio-Atmosphäre im Kölner Vorort sollte somit atlantisches Inselflair die Freizügigkeit der Kandidatinnen beflügeln. Dafür wichen Hühnerstall und Holzofen einem Swimming-Pool, einem Fitnessraum und einer Großraumbadewanne, in der sich gleich mehrere Frauen gemeinsam rekeln konnten. Das zumindest war die Hoffnung. "Es ist eben ein Unterschied, ob in einem Schlichtcontainer Back to Basics geprobt wird, oder ob wir eine Ausstattung wie in einem First-Class-Resort bieten", prahlte Producer Michael Voppe im Interview mit der "taz".

Um ebenso heterosexuell aufgeladene Momente provozieren zu können, wurde jede Woche ein baggerfreudiger "Boy Of The Week" eingeflogen, dessen einzige Aufgabe darin bestand, um die Zuneigung der Frauen zu buhlen. Für diese schien die Paarung aber gar nicht die wichtigste Rolle zu spielen, denn seltsamerweise war das Thema Essen genauso präsent. Das zeigte sich schon in den ersten offiziellen Pressetexten, in denen bei den Kurzbeschreibungen der "schönen Gesichter" jeweils deren Lieblingsessen angegeben waren. Etwa bevorzugte die Medizinstudentin Anja aus Berlin einen guten Selleriesalat, derweil Schornsteinfegerin Nadja aus Berlin am liebsten Hähnchen, Pizza und Nudeln mit Spinat verspeiste. Gut zu wissen.
Sieben Wochen waren für das Schauspiel angesetzt. In dieser Zeit lichtete sich das Feld der Kontrahentinnen auf der Basis einer wöchentlichen Publikumsabstimmung so weit, dass am Ende das "Super-Girl" mit einem Preisgeld von 100.000 DM belohnt werden konnte. Die zugehörigen Entscheidungen wurden in zunächst zwei wöchentlichen Live-Sendungen verkündet, die montags und freitags um 20:15 Uhr angesetzt waren. Dazwischen liefen die Zusammenfassungen der vermeintlichen Höhepunkte der Tage von Dienstag bis Donnerstag jeweils in der Nacht um 0:15 Uhr. Die damals noch am Anfang ihrer Karriere stehende Barbara Schöneberger übernahm die Präsentation der großen Shows. An ihrer Seite berichtete Kena Amoa als Außenreporter direkt vom Bungalow und führte durch die nächtlichen Zusammenfassungen. Er hatte zuvor vor allem öffentlich-rechtliche Jugendformate moderiert.
"House of Love": Willkommen im Liebes-Loft

Jeden Tag wählte der "Textilkaufmann mit Waschbrettbauch" (Zitat aus einer Pressemitteilung) die Bewerberin aus, die ihn am wenigsten beeindruckte. Während die erste Dame bereits nach einer Stunde wieder abreisen musste, durfte die Gewinnerin die letzte Nacht allein mit ihm verbringen. Ob und wie es knisterte, war werktags um 23.15 Uhr auf RTL zu beobachten. Die täglichen Berichte lieferte das ehemalige VIVA-Gesicht Aleksandra Bechtel, die ja parallel auch als Außenreporterin für das Original vor der Kamera stand. Durch die kompakte Laufzeit von fünf Tagen und die Reduktion auf spätabendliche Zusammenfassungen ohne aufgeblasene Live-Events flog "House of Love" in der medialen Wahrnehmung eher unter dem Radar und erregte trotz des anrüchigen Konzepts kaum Aufmerksamkeit.
"II Club": Tanzt für mein Leben
Im Kontrast zu den anderen Formaten, stellte der dritte Neustart nicht das Thema Sex in den Mittelpunkt des Geschehens, sondern verortete sich in der Berliner Partyszene. Ab dem 28. Januar 2001 begleitete "II Club" 13 Personen dabei, wie sie ein stillgelegtes Berliner Abwasserpumpwerk in einen hippen Nachtclub zu verwandeln versuchten. Dafür mussten die sieben Frauen und sechs Männer, die auch auf dem Gelände des Clubs wohnten, die Bar einrichten, den Ablauf organisieren, DJs aussuchen, Getränke einkaufen, hinter der Theke stehen, die Location putzen und auf dem Alexanderplatz Flyer an potentielle Partygänger:innen verteilen. Der Kniff bestand darin, dass die Disco tatsächlich für Gäste geöffnet war und diese dadurch Teil des Programms werden konnten. Von dem Geld, das sie auf diese Weise durch den Betrieb des Clubs verdienten, mussten die Teilnehmenden ihr tägliches Leben bestreiten.
Das Konzept war zunächst auf 13 Wochen angelegt. Danach bestand theoretisch die Möglichkeit, den Club eigenständig weiterzuführen. Aber, ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten: dazu sollte es nicht kommen.

Durch eine Ausstrahlung von Sonntag bis Donnerstag um 21.15 Uhr erhielt das Format einen vielversprechenden Platz, weil es direkt im Anschluss an die allabendlichen Highlights aus dem "Big Brother"-Haus darauf hoffen durfte, ein großes Publikum vom beliebten Original zu erben. Ein Erfolg war für den damaligen RTL II-Chef Josef Andorfer dringend nötig, hatte er sich doch dafür mit dem großen Bruder RTL angelegt. Nachdem man dort nämlich die Rechte an der schwedischen Idee "Die Bar" erworben hatte, soll Andorfer das Team von MME beauftragt haben, möglichst schnell eine ähnliche Variante zu entwickeln, um der hauseigenen Konkurrenz zuvorzukommen. Zusammen mit "Girlsclub" war das Hamburger Produktionsunternehmen dadurch für gleich zwei der neuen Mitstreiter verantwortlich.
Die Mischung aus Clubatmosphäre, Popmusik und Reality-TV ohne Sex traf aber überhaupt nicht den Nerv des Publikums. Mehr als sechs Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen wurden bei der Premiere am Sonntagabend nicht gemessen. Am zweiten Tag sank der Wert um weitere zwei Prozentpunkte. Die Zahlen allein waren schon ernüchternd, doch dann kam auch noch Pech hinzu. Aufgrund eines technischen Totalausfalls konnten am dritten und vierten Tag gar keine Ausgaben produziert und ausgestrahlt werden. Stattdessen musste man auf alte Spielfilme zurückgreifen. Das war deshalb doppelt tragisch, weil die fehlenden Folgen kurz vor der Eröffnung des Clubs geplant waren und eigentlich für eine umfangreiche Promotion sorgen sollten. So aber geriet das Opening fast ohne Gäste zur nächsten Pleite. Ob die ausgefallenen Episoden dies tatsächlich hätten abwenden können, wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben.
"Da kann man doch nicht meckern, oder?"

Da sich zudem schnell herausstellte, dass sich die Girls trotz aller Bemühungen nicht auf frivoles Treiben einlassen wollten, die eingeflogenen Männer regelmäßig abblitzen ließen und lieber Nudeln kochten oder gelangweilt in Bademantel und Schlappen am Pool lagen, sank die Quote weiter. Nach rund vier Wochen reagierten die Verantwortlichen von Sat.1 und verschoben die montägliche Live-Shows auf 22:15 Uhr. Die Ausgaben am Freitag entfielen sogar gänzlich. Außerdem wurden in den mitternächtlichen Zusammenfassungen vermehrt Duschszenen der Kandidatinnen eingebaut. Dies führte zu der schwer erträglichen Situation, dass Kena Amoa vor der Werbepause kommende Nacktaufnahmen aus der Dusche vollmundig anpries und nach deren Ausstrahlung mit den Worten kommentierte: "Da kann man doch nicht meckern, oder?"

Schreckliche Enden und endloser Schrecken
Ein solches reguläres Finale blieb der gebeutelten Reihe "II Club" verwehrt. Vor dem Hintergrund der niedrigen Quoten kündigte der damalige Josef Andorfer kurz nach ihrem Start im Interview mit dem "Standard" trocken an, "Maßnahmen ergreifen" zu wollen Gemeint war damit die Verkürzung der Laufzeit von ursprünglich 13 auf vier Wochen, wodurch der Wettbewerb bereits am Donnerstag, den 22. Februar 2001, unglamourös endete. Immerhin durften sich Teilnehmende die Siegerprämie von 100.000 DM untereinander aufteilen. Der Betrieb des Clubs fand logischerweise keine weitere Fortsetzung und auch RTL nahm nach dem Flop Abstand davon, die eingekaufte Idee "The Bar" noch umzusetzen.

Einen kleinen Aufreger verursachte die Show dennoch, als die Kandidatin Claudia angab, sich einen "arischen" Mann zu wünschen - also einen großen Mann mit blauen Augen und blonden Haaren, wie sie schnell ergänzte. Natürlich hatte die Presseabteilung von Sat.1 zuvor auch ihre kulinarischen Vorlieben kommuniziert. Passenderweise waren diese mit "Negerküsse mit Tabasco" angegeben. Das ist leider kein Scherz.
Richtige Notiz nahm von all dem kaum jemand. Zu beliebig und bieder geriet das Ergebnis letztlich und zu übersättigt war das Publikum von der omnipräsenten Reality-Schwemme. Darunter litt selbst das Original, denn nach einer verheißungsvollen Premiere, sanken auch bei "Big Brother" die Quoten dramatisch, sodass es am 12. Mai 2001 kaum noch jemanden interessierte, dass die Staffel eine gewisse Karina gewann. Und das, obwohl dort durch den Austausch der Einzelbetten zugunsten von Matratzenlandschaften, durch den Einbau einer Badewanne und einer Sauna, durch das Entfernen der Tür zur Dusche sowie durch ein neues Verbot, in Badebekleidung zu duschen, ebenfalls heftig an der Sex-Schraube gedreht wurde. Von den regelmäßig zweieinhalb Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern der Tageszusammenfassungen in Staffel eins und zwei blieben noch Werte übrig, die etwa einem Drittel davon entsprachen. In der Folge sank der gerade erst kräftig gewachsene Marktanteil des Senders von 7,1 Prozent wieder auf 5,8 Prozent ab.
Richtig belehrt schienen die Programmplanenden bei RTL II trotz des mäßigen Abschneidens aller vier Varianten dennoch nicht, denn mit "Big Diet" hatten sie bereits die nächste Container-Show im Anschlag. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte…