Diese Telegeschichte beginnt am 09. Dezember 1983 mit einer kurzen Zeitungsmeldung aus dem Wirtschaftsressort. In der ist zu lesen, dass sich der Gütersloher Bertelsmann-Verlag mit 40 Prozent am neuen deutschsprachigen Fernsehprogramm von Radio Luxemburg beteiligen wolle. Die zunächst unscheinbare Information hat es in sich und wird für viel Sprengstoff sorgen.

Zuvor aber kurz zur Situation in Deutschland: Die jahrelangen Streitereien um die Zulassung von kommerziellen Rundfunkanbietern sind endlich überwunden und mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Weg auch rechtlich für die Einführung des Privatfernsehens geebnet. Für die technische Verbreitung der neuen Angebote wird die Verkabelung von elf Großstädten vorangetrieben. Vier von ihnen bilden hierbei Kabelpilotprojekte, unter denen das im Raum Ludwigshafen am weitesten vorangeschritten ist und den Betrieb im Jahr 1984 aufnehmen kann. Daneben vergibt die Ludwigshafener Anstalt für Kabelkommunikation einige Frequenzen auf dem neuen europäischen Fernmeldesatelliten ECS-1.

Zwei ernst zu nehmende Projekte treffen in dieser Zeit die letzten Vorbereitungen, um mit einem werbefinanzierten Angebot gegen das bisherige öffentlich-rechtliche Monopol anzutreten. Dazu gehört das bereits erwähnte deutschsprachige Fernsehprogramm des populären Hörfunksenders Radio Luxemburg, das den Namen RTLplus tragen und im benachbarten Herzogtum entstehen soll.

Parallel schließt sich ein Konsortium aus verschiedenen Verlagen zusammen, um gemeinsam einen Platz auf dem Satelliten ECS-1 beantragen und das erste deutsche Satellitenfernsehen ausstrahlen zu können. Da dessen Inbetriebnahme erst für das Jahr 1985 anvisiert ist, platzieren sie ihr Testprogramm zusätzlich im Pilotkabelprojekt von Ludwigshafen. Hinter der Kooperation stehen der Axel Springer Verlag, die Bauer Verlagsgruppe, der Hubert Burda Verlag, der Otto Maier Verlag aus Ravensburg, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, die Kabel-Media-Programmgesellschaft, der Filmverlag der Autoren, die Neue Mediengesellschaft Ulm sowie das APF (Aktuelles Presse Fernsehen), in dem 165 weitere Zeitungsverleger (darunter fast 75 Prozent der kleinen und mittleren Tageszeitungen) vereint sind. Zu den Partnern gehören zu diesem Zeitpunkt noch die WAZ Mediengruppe und die Bertelsmann-Gruppe.

Vor allem aber ist die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenfunk (PKS) ein weiterer Anteilseigner, hinter dem wiederum der damals mächtige Filmhändler Leo Kirch steht. Ihm gelingt es dank seines riesigen Archivs aus Filmen und Serien, aus dem sich die neue Station bedienen kann, eine Beteiligung von 40 Prozent zu erwirken und sich zum eigentlichen Lenker der Gruppe aufzuschwingen. Sein Einfluss ist derart groß, dass der eigentlich gemeinsam gegründete Sender, einzig den Namen seiner Firma tragen wird – nämlich PKS.

Leo Kirch © IMAGO / Heinz Gebhardt Es gibt nicht viele Fotos des medienscheuen Leo Kirch. Dieses entstand 1976 anlässlich eines Interviews für "Die Zeit"

Diese Entwicklung missfällt der WAZ-Mediengruppe so sehr, dass sie bald ihren Austritt aus der Zusammenarbeit verkündet. Als Begründung nennt sie öffentlich, dass bei der gesamten Planung „einige wenige Gruppierungen in einem Maße [dominierten], das die angestrebte Pluralität und gewünschte Ausgewogenheit gefährdet erscheinen lässt.“ Gemeint ist hier vor allem die Übermacht von Kirch, der vorrangig an einer Abspielstation für seine Archivinhalte interessiert war. Der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Mark Wössner und Manfred Lahnstein, Vorstand für Neue Medien, sind mit dieser Schieflage und der daraus resultierende kleinen Rolle ihres Konzerns ebenso unzufrieden, weswegen sie sich noch vor Beginn der Ausstrahlung des Gemeinschaftsprogramm heimlich mit den Verantwortlichen von Radio Luxemburg treffen. Da Bertelsmann bereits den RTL-Hörerclub betreut, gibt es schon Berührungspunkte zwischen beiden Seiten. Am Ende des Gesprächs ist man sich einig und verkündet öffentlich den Einstieg von Bertelsmann bei RTLplus - und zwar mit dem gleichen Anteil, den Leo Kirch beim Sender PKS hält. Rund zwei Jahre später wird die WAZ-Mediengruppe nachziehen und mit einem kleinen Anteil ebenfalls bei RTLplus einsteigen.

Durch die eingangs zitierte Zeitungsmeldung erfährt das PKS-Konsortium von der Abmachung zwischen Bertelsmann und RTL. Insbesondere Leo Kirch zeigt sich über den Seitenwechsel äußerst verärgert und drängt die anderen Gesellschafter dazu, den Vertrag um einen Passus zu ergänzen, der ein gleichzeitiges Engagement bei einem Mitbewerber untersagt. Durch diese Konkurrenzklausel wird Bertelsmann letztlich aus dem Verbund herausgeworfen. Als Reaktion kündigt RTLplus daraufhin an, sich um eine eigene Frequenz auf dem Satelliten ESC-1 zu bewerben. Das Überlaufen von Bertelsmann zum Erzrivalen nur wenige Tage vor dem Start der beiden Sender wird ihren gegenseitigen Umgang in den nächsten Jahren maßgeblich prägen.

Der Wettlauf beginnt

Unter diesen Vorzeichen nahm PKS am 1. Januar 1984 als erster kommerzieller Kanal in Deutschland seinen Sendebetrieb auf. Am Tag darauf folgte RTLplus als zweiter Privatsender. Anfangs standen beide Unternehmen noch nicht in direkter Konkurrenz zueinander. PKS war ausschließlich im Kabelnetz von Ludwigshafen und damit bloß in rund 2.600 Haushalten zu empfangen. Mitbewerber RTLplus wurde zuerst einzig über den Sendemast Düdelingen in Luxemburg ausgestrahlt, dessen Reichweite gerade 130 km nach Deutschland hineinragte und so etwa 200.000 Menschen im Saarland und Rheinland-Pfalz erreichte. In höheren Lagen mit einer Spezialantenne und etwas Glück ließ er sich zudem am Rande von Nordrhein-Westfalen reinbekommen.

Jürgen Doetz © IMAGO / teutopress Jürgen Doetz 1985 bei der IFA in Berlin

Die Situation änderte sich, als Sat.1 am 1. April 1984 als erster deutscher Sender eine Frequenz auf dem ESC-Satelliten freigeschaltet bekam, während RTLplus erst Anfang 1985 nachziehen durfte und somit erneut Zweiter war. Seinen Sieg betonte PKS zusätzlich mit der Umbenennung des eigenen Senders in Sat.1, um unmissverständlich festzuhalten, dass es sich um das erste via Satellit übertragene Programm handelte.

Wenig später wurden RTLplus und Sat.1 dann in die wenigen deutschen Kabelpilotprojekten eingespeist und sendeten fortan in einigen Haushalten tatsächlich gegeneinander. Und das war erstmals zu spüren. Als nämlich RTLplus einen Platz im Kabelnetz von Ludwigshafen erhielt, sanken die Marktanteile von Sat.1, das dort zuvor das einzige deutschsprachige kommerzielle Vollprogramm war, unmittelbar von 23 auf 15 Prozent ab. Der Wettstreit zwischen Sat.1 und RTLplus war spätestens jetzt eröffnet und er sollte in den folgenden Jahren immer wieder zu kuriosen Vorfällen führen. Zu den absurdesten gehören zweifellos das absichtliche Spoilern des Ausgangs der RTL-Serie „Twin Peaks“ durch Sat.1 sowie der irre Wettlauf um das erste Frühstücksfernsehen.

Duell um das Erstgeburtsrecht

Im Jahr 1987 hatte RTLplus seinen Sitz gerade von Luxemburg nach Köln verlegt, um dort eine terrestrische Lizenz beantragen zu können, mit der man auf einen Schlag über sechs Millionen weitere Haushalte erreichen konnte. Das wäre ein gewaltiger Schritt nach vorn, bis dahin war der Kanal nur in 2,18 Millionen Haushalten zu empfangen. Zugleich arbeiteten die Verantwortlichen intensiv daran, das noch lückenhafte Programm schrittweise zu erweitern. Dies geschah hauptsächlich mit dem Ziel, Zeitfenster zu erschließen, in denen ARD und ZDF nicht sendeten und die öffentlich-rechtliche Übermacht mal pausierte. Zuletzt hatte RTLplus deswegen seinen täglichen Programmstart von 17.00 auf 15.00 Uhr vorverlegt.

Im Juli sickerten jedoch die ersten Anzeichen durch, dass RTLplus die Einführung einer morgendlichen Informations- und Unterhaltungsstrecke plane und spätestens im Oktober auf den Schirm bringen wolle. Derartige Formate waren in den USA und Großbritannien längst etabliert und beliebt.

Eine endgültige Bestätigung der Gerüchte erfolgte, als RTLplus den 5. Oktober 1987 als Starttermin für das Magazin „Guten Morgen, Deutschland“ kommunizierte und versprach, darin neben halbstündlichen Nachrichten auch Live-Interviews, ausführliche Wetterberichte und mehrere Service-Reihen anzubieten. Für das riskante Experiment hatte man ein Team zusammengestellt, das von Moderator Olaf Pessler angeführt wurde. Er hatte zuvor die Morgenschiene bei Radio Luxemburg präsentiert. An seiner Seite sollten Karl-Heinz Kaul und Ulrike Elfes die Nachrichten vortragen und Gottfried Mehlhorn die Wetterprognosen liefern.

Von diesen Plänen erfuhr die Konkurrenz von Sat.1 und begann, eine eigene Version des Frühstücksfernsehens zu entwickeln. Angeblich ohne von der Tragfähigkeit des Konzepts überzeugt gewesen zu sein. Doch dieses Feld wollte man RTLplus keinesfalls kampflos überlassen. Und so setzte man die Premiere der eigenen Frühsendung entschlossen auf den 1. Oktober 1987, um RTLplus zuvorkommen zu können.

„Damit haben wir das Erstgeburtsrecht für uns“, freute sich der damalige Sat.1-Geschäftsführer Jürgen Doetz auf der Pressekonferenz am 23. September 1987 und kündigte die Show „Guten Morgen mit Sat.1“ als Teil einer „expansiven Programmpolitik“ an. Das dreistündige Magazin sollte täglich außer sonntags von 06.00 bis 09.00 Uhr zu sehen sein und im Halbstundentakt Nachrichten zeigen, die um lokale Informationsblöcke ergänzt werden. Außerdem werde es feste Rubriken aus den Bereichen Fitness, Gesundheit, Literatur, Video und Kino geben, die sich mehrfach im Verlauf einer Ausgabe wiederholen. Besonders stolz war man darauf, dass mit Günther Bosch der ehemalige Trainer von Boris Becker für Tennis-Tipps verpflichtet werden konnte.

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Diesen Schachzug konnte RTLplus wiederum nicht durchgehen lassen, denn auf keinen Fall wollte man erneut als Zweiter über die Ziellinie einlaufen. Daher entschied Programmleiter Rainer Popp den Auftakt des eigenen Morgenmagazins kurzerhand auf den 23. September 1987 und dadurch genau auf den Tag vorzuverlegen, an dem Jürgen Doetz seine Pressekonferenz angesetzt hatte. Das geschah aber still und heimlich. Selbst das Team vor und hinter der Kamera erfuhr von der spontanen Aktion erst am Abend davor. Ohne Vorwarnung, ohne Ankündigung und ohne Pressemitteilung begann an jenem Mittwoch um 06.30 Uhr und vierzig Sekunden die „Ära Frühstücksfernsehen in der Bundesrepublik“ (Zitat von dpa). Sie begann vor allem, ohne dass es viele Menschen mitbekommen konnten. Niemand hatte um diese Zeit den Fernseher an, weil dort gewöhnlich auf allen Kanälen einzig Testbilder und Pieptöne zu bestaunen waren. Es konnte also keine Zuschauenden geben, die zufällig reinzappen. Das nahm man bei RTLplus in Kauf, um bis in alle Ewigkeiten behaupten zu können, man hat das erste Frühstücksfernsehen in Deutschland eingeführt.

„Mit einer ganzen Fußballmannschaft im Bett“

In der ersten zweistündigen Ausgabe von „Guten Morgen, Deutschland“ bei RTLplus wechselten sich Nachrichten mit Video-Clips, Alltagstipps und Blödeleien ab. Darüber hinaus waren die Schauspielerin Edith Hancke und Modeschöpfer Karl Lagerfeld zu Gast. Letzterer allerdings in Form eines in Paris aufgezeichneten Interviews. Für großes Aufsehen sorgte der Auftritt der Sexualtherapeutin Ruth Westheimer, die dem Publikum am dritten Tag Tipps für das Sexualleben gab. Und zwar um kurz nach acht, als die Männer „wohl bereits außer Haus vermutet“ wurden. (Zitat aus dem „Spiegel“). Sie erläuterte dann, dass es für Frauen nicht verwerflich sei, beim Liebesspiel von einem anderen Mann zu träumen. Die Vorstellung, „mit einer ganzen Fußballmannschaft im Bett“ zu sein, könne sogar „zum schönsten Orgasmus führen“ – solange man dem Ehemann davon nichts erzählt. Da waren die Zeiten noch in Ordnung.

Dass Sat.1 am Ende den Kürzeren gezogen und den Wettlauf verloren hatte, ließ sich Moderator Wolf-Dieter Herrmann bei der Premiere von „Guten Morgen mit Sat.1“ sieben Tage später nicht anmerken. Gemeinsam mit Wetterfrau Rita Werner und Nachrichtensprecher Hans-Herrmann Gockel begrüßte er das Publikum überschwänglich und führte betont gut gelaunt durch die dreistündige Show. Als Highlight konnte er ein Interview mit dem amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl ankündigen, in dem dieser gestand, nie richtig zu frühstücken und nach dem Aufstehen gewöhnlich eine Tasse Tee zu trinken. Aha.

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Anders als es die banale Beichte und die heutige Version der morgendlichen Sendung vermuten lässt, erlaubte sich das Frühstücksfernsehen zu dieser Zeit noch, Themen aus dem Bereich Politik zu bespielen. Insbesondere Sat.1 zeigte längere Gespräche, in denen Wolf-Dieter Herrmann regelmäßig durch seine Hartnäckigkeit in der Fragestellung glänzte.

Neben der Genugtuung, die Konkurrenz überrumpelt zu haben, hatte der Wettlauf tatsächlich reale, wirtschaftliche Gründe. Mit dem Frühstart hatte RTLplus gehofft, zur ungewohnten Sendezeit mehr der spärlichen Werbekunden für sich zu gewinnen. Schließlich hatte man für die Produktion von „Guten Morgen, Deutschland“ ein jährliches Budget von fünf Millionen DM veranschlagt, die Prognosen der Werbeeinnahmen betrugen hingegen lediglich 600.000 DM pro Quartal. Es ging also um jeden Pfennig.

Trotz des taktischen Sieges von RTLplus behielt Sat.1 im Wettlauf um die höchsten Sehbeteiligungen in den ersten Jahren die Nase vorn. Obwohl beide Kontrahenten im Jahr 1988 von jeweils rund zwölf Millionen Menschen empfangen werden konnten, beide fast gleichhohe Werbeeinnahmen hatten (etwa 100 Millionen Mark netto) und beide mit einem jährlichen Defizit zwischen 150 und 200 Millionen DM kämpfen mussten, konnte sich Sat.1 stets über höhere Marktanteile freuen. Während beispielsweise die deutschen Kabelkunden Sat.1 im Schnitt täglich 61 Minuten verfolgten, schalteten sie RTLplus für nur 28 Minuten am Tag ein. Daran vermochte selbst das Frühstücksfernsehen nicht zu rütteln.

Erst ab 1989 konnte RTLplus die Konkurrenz (bezogen auf die Jahresmarktanteile) erstmals überholen und hat diese Führung seitdem nicht mehr abgegeben. Ein Grund für den Kräftewechsel lag darin, dass RTLplus überraschend die Übertragungsrechte der Fußballbundesliga von der ARD wegschnappen konnte. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte… die in der kommenden Woche erzählt wird.