Diese Telegeschichte beginnt am 2. Januar 1984 in einem kleinen Studio in Luxemburg. An diesem Tag, genau um 17:27 Uhr, nimmt das deutschsprachige Fernsehangebot von Radio Luxemburg (Radio Télévision Lëtzebuerg) seinen Betrieb auf. Zu empfangen ist es ausschließlich über Kanal 7 des Sendemastes Düdelingen, der etwa 130 km nach Deutschland ausstrahlt und damit rund 200.000 Menschen im Saarland und in Rheinland-Pfalz erreicht - allerdings nur, wenn diese über eine Zusatzantenne verfügen. Entsprechend gering dürfte die Zahl der Zuschauenden bei diesem historischen Moment gewesen sein.

Er beginnt mit einem kurzen Sketch mit drei Ärzten in OP-Kleidung. Sie sind auf dem Weg in den Kreißsaal und sehen besorgt aus. Als sie sich über das Bett beugen, beginnt die Geburt. „Sie müssen drücken!“, ruft einer der Ärzte der Patientin zu. „Kaiserschnitt?“, fragt ein anderer in die Runde. „Um Gottes willen! Das Kind liegt völlig normal“, antwortet der dritte. Im Hintergrund sind Herztöne und schmerzverzerrte Schreie zu hören. Es ist soweit. Eine letzte Anstrengung - „Aaaaaaah!“ - und es ist geschafft. „Ein Prachtexemplar“, kommentiert einer der Ärzte sofort. Stolz halten sie das Neugeborene in den Händen. Es ist ein kleiner Fernseher, auf dem das Logo von RTLplus leuchtet.

Die Einlage ist albern, platt, handwerklich mäßig umgesetzt und von Männern dominiert. Man hätte kaum einen besseren Auftakt für das finden können, was sich in den kommenden Jahren bei RTLplus abspielen wird. Einen gänzlich anderen Antritt hatte Konkurrent PKS (später Sat.1) bei seinem Start einen Tag zuvor gewählt. Da hinter dem Unternehmen mehrere Verlage stehen (die Nachrichten werden beispielsweise von der FAZ geliefert), ging es dort deutlich seriöser zu. Anstelle eines plumpen Witzes eröffnete man dort das Programm mit der Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel. Danach folgten im Laufe des ersten Tages Aufzeichnungen der Märchenoper „Hänsel und Gretel“, des Balletts „Schwanensee“ von Tschaikowski, der Operette „Die Fledermaus“ nach Johann Strauß sowie eine Aufführung der „9. Sinfonie“ von Ludwig van Beethoven.

Bei RTLplus bildet hingegen ein Sketch die Ouvertüre für das neue Zeitalter. Er leitet zugleich eine anderthalbstündige „Geburtstagsparty“ ein, in der sich die Köpfe des neuen Programms vor einer biederen Wohnzimmerkulisse vorstellen. Dazwischen gibt es Musikvideos, ein Telefongewinnspiel und viel Sekt. Es ist eine wilde Mischung, die ständig zwischen improvisiertem Chaos und erschreckender Spießigkeit oszilliert. Um 18.53 Uhr beginnt schließlich die erste richtige Sendung. Hierbei handelt es sich um die Newsshow „7 vor 7“, in der über die Erhöhung der Telefonzellengebühren und den Tod des Musikers Alexis Korner berichtet wird. Sie versteht sich als Aushängeschild des neuen Senders und will fortan täglich über die wichtigsten Ereignisse aus Politik, Gesellschaft, Sport sowie über das Wetter informieren. Das aber soll locker, volksnah, provokant und ausdrücklich anders als bei der steifen „Tagesschau“ oder bei den gediegenen „heute“-Nachrichten erfolgen.

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„Der Spiegel“ beschreibt dieses Vorgehen kurz darauf als eine „besonders saloppe Präsentation des Tagesgeschehens“, bei der die Meldungen meist in einer „heiteren Darbietung“ verpackt werden. Auf diese Weise sollen sich auch jene Menschen angesprochen fühlen, die sich bisher kaum für das Weltgeschehen interessieren. Vor allem aber stellt der Newcomer mit seinem kleinen Magazin die öffentlich-rechtliche Konkurrenz infrage und erhält hierbei große mediale Aufmerksamkeit. Genau das, was Geschäftsführer Helmut Thoma für sein noch reichweitenschwaches Neugeborenes benötigt. Angesichts des schmalen Budgets, so erinnert er sich im Interview mit DWDL.de, blieb nur, „erfrischend anders zu sein, manchmal auch erschreckend anders - aber eben anders. Und dieses ‚anders‘ hat viel bewirkt“.

Vor der Kamera prägen vor allem Geert Müller-Gerbes, Hans Meiser und Björn-Hergen Schimpf die unkonventionellen News. Zum Team gehört aber auch ein gewisser Marc Conrad, der als Redakteur noch unauffällig im Hintergrund bleibt. Doch schon bald wird er den Kanal und das deutsche Fernsehen prägen wie kaum ein anderer.

Napoleon marschiert durch das Programm

Etwa drei Jahre nach der Premiere von „7 vor 7“ stieg Marc Conrad zum Chef vom Dienst der Nachrichtenredaktion auf. Hierbei beeindruckte er den Senderchef Helmut Thoma dermaßen, dass der ihn im Jahr 1988 erst zu seinem persönlichen Referenten und zwei Jahre später zum Prokuristen des Unternehmens beförderte. In dieser Position war er zugleich für die Film- und Serienproduktion und damit für einen wichtigen Bereich der Programmplanung zuständig. Im Jahr 1992 stieg er dann zum Programmdirektor auf und war nun gemeinsam mit Thoma auch offiziell für die strategische Ausrichtung von RTLplus verantwortlich.

Conrad genoss das nahezu uneingeschränkte Vertrauen von Thoma. Kein Bericht über ihn kam ohne die Beschreibung seines Status als „Ziehsohn“ oder „Kronprinz“ aus. Das enge Verhältnis mag darin begründet gewesen sein, dass beide dieselbe klare Vision von der Ausrichtung des eigenen Angebots hatten. Zudem waren beide in ihren Entscheidungen und Aussagen genauso konsequent wie direkt. Am Ende des Tages zählte für sie allein die Wirtschaftlichkeit des Programms. Diesem Ziel hatte sich alles und jeder unterzuordnen.

Marc Conrad, Helmut Thoma © IMAGO / teutopress Marc Conrad, Helmut Thoma und ziemlich viel auf dem Schreibtisch

Nach dieser Prämisse plante Conrad das Programm. Seine wichtigsten Instrumente waren hierbei Einschaltquoten, Tausenderkontaktpreise für die Werbung und Ergebnisse der Marktforschung. Stimmten die Zahlen nicht, wurde ein Format schonungslos verschoben oder abgesetzt. Egal, wie lange es bereits auf dem Bildschirm lief, welche Kolleg:innen daran mitarbeiteten oder welchen ehrenwerten Anspruch es vielleicht verfolgte. Conrad schreckte nicht davor zurück, beliebte Produktionen wie „Tutti Frutti“, „Alles Nichts Oder!?“, „Ein Tag wie kein anderer“, „Weiber von Sinnen“ oder „Eine Chance für die Liebe“ einzustellen, obwohl sie einst das schrille und unangepasste Image des Senders prägten und ein wichtiger Motor für seinen Aufstieg waren. Selbst große Namen blieben vor ihm nicht sicher. Den Shows von teuer eingekauften Stars wie Rudi Carrell oder Diether Krebs zog er ebenso skrupellos den Stecker. Als die „Late Night“ von Thomas Gottschalk nicht zünden wollte, setzte er ihm gegen dessen Willen einen neuen Chefredakteur vor die Nase und krempelte das Konzept um.

Solche oft als gnadenlos empfundenen Entscheidungen brachten Conrad intern schnell die Spitznamen „Napoleon“ und „Stalin“ ein. Seine trockene Replik darauf:

"Ich werde ja nicht dafür bezahlt, beliebt zu sein."
Marc Conrad


Auf der anderen Seite war Conrad entscheidungsfreudig und schätzte blitzschnell ab, ob eine Idee zu seinem RTL passen würde. War er von einem Konzept überzeugt, ordnete er direkt die Umsetzung an, ohne weitere Gremien einzubeziehen. In einem zehnminütigen Gespräch mit ihm konnte man deshalb dasselbe erreichen, wofür man in anderen Häusern ein halbes Jahr durch alle Instanzen tingeln musste.

Sein Gespür war unübertroffen. Er brachte Serien wie „Notruf“, „RTL Samstag Nacht“, „Wie bitte?!“, „Explosiv - Das Magazin“, „Traumhochzeit“, „Alarm für Cobra 11 - Die Autobahnpolizei“, „Die Stadtklinik“, „Die Wache“, „Doppelter Einsatz“, „Im Namen des Gesetzes“, „Hinter Gittern“ oder „7 Tage, 7 Köpfe“ auf den Bildschirm, die sich zu langlebigen Dauerbrennern entwickelten. Darüber hinaus trieb er die Professionalisierung und den Ausbau der Nachrichten durch die Einführung des „Nachtjournals“ und eines Mittagsmagazins voran. Letzteres firmierte zuerst unter dem Titel „Zwölfdreißig“, bevor es um eine halbe Stunde vorverlegt wurde und den noch immer gültigen Namen „Punkt 12“ erhielt.

Den größten Einfluss hatte er jedoch mit seiner zielstrebigen Programmplanung und dem von ihm eingeführten Sendeschema, das bis heute das Rückgrat des Kanals bildet. Innerhalb kürzester Zeit machte er aus der bunten Spielwiese ein straff organisiertes Formatfernsehen, das sich zum erfolgreichsten TV-Anbieter Europas mauserte. Hierbei orientierte er sich stark an den großen amerikanischen Networks, deren Strategien er auf die deutschen Verhältnisse übertrug. Drei Aspekte waren für ihn besonders zentral, wie sich aus einem ausführlichen Interview mit dem Fachblatt „Funkkorrespondenz“ im Herbst 1992 herauslesen lässt.

Key-Demographics – Al Bundy statt Harry Wijnvoord

Das oberste Ziel bestand für ihn darin, das Programm soweit zu optimieren, dass es hauptsächlich jene Personen ansprach, die finanzstark und konsumfreudig und daher für seine Werbekunden besonders relevant waren. „Das ideale Publikum sind Jungverheiratete, die zwei Kinder haben, gerade ein Haus bauen und sich einen Zweitwagen kaufen wollen.“ Wenig Interesse zeigte er hingegen an einem „Opa mit Schlafstörungen“ oder an einem „jungen, mittellosen Studenten, der in einem gemieteten Apartment wohnt“. Die daraus resultierende Fokussierung auf die berühmte Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen (später der 14- bis 49jährigen) sollte für die Werbetreibenden einen möglichst geringen Streuverlust gewährleisten, was wiederum höhere Preise für die Schaltung von Werbespots rechtfertigte.

Zum Stanglwirt © IMAGO / United Archives
In diesem Zuge stoppte Conrad sofort Produktionen wie „Musikrevue“ und „Sielmann 2000“ und mit etwas Verzögerung auch die Quotenhits „Die Heimatmelodie“, „Peter Steiners Theaterstadl“ und „Zum Stanglwirt“, die seiner Meinung nach das falsche Klientel ansprachen. Außerdem mussten ab 1992 die beliebten Spielshows „Riskant“ und „Der Preis ist heiß“ ihren langjährigen Platz am Vorabend aufgeben und in den Vormittag um 10:30 Uhr wechseln. „Nicht, weil sie schlechte Quoten hätten“, wie Conrad versicherte, „ich verlege sie, weil mir ihr Publikum insgesamt zu alt ist“. An ihre Stelle um 17:00 Uhr traten tägliche Ausstrahlungen der amerikanischen Sitcoms „Wer ist hier der Boss?“ und „Eine schrecklich nette Familie“, die zwar weniger Menschen erreichten, aber „die Leute, die uns sehen, die passen dann viel besser in die von uns angepeilten ‚Key-Demographics‘ hinein.“

Stripping – Das Fernsehen ist keine Wundertüte

Für Conrad war Fernsehen ein Gewohnheitsmedium, das besonders erfolgreich agieren konnte, wenn es verlässlich war. Je erwartbarer das Programm war, so seine Beobachtung, desto verlässlicher verhielten sich auch die Zuschauenden und desto berechenbarere Bedingungen konnte man den Werbekund:innen bieten, die diese Planbarkeit wiederum honorierten. Für ihn war klar: „Der Gedanke, dass Fernsehen die Wundertüte sei, wie das die Leute jahrelang in Deutschland von den Öffentlich-Rechtlichen gewohnt waren, ist passé.“

Also wirkte er darauf hin, den nicht seltenen Wechsel von Serien und Sendezeiten abzuschaffen und unter dem Begriff „Stripping“ einen täglich identischen und somit verlässlichen Ablauf durchzusetzen. „Also jeden Tag das gleiche um die gleiche Uhrzeit“. Davor kam es häufig vor, an jedem Wochentag (auch tagsüber) andere Formate zu zeigen und sogar die Anfangszeiten der Primetime variieren zu lassen. Mit der Vereinheitlichung hatte man bei RTLplus bereits zwei Jahre zuvor begonnen, doch nun perfektionierte Conrad das Konzept. Dies umfasste auch die konsequente Trimmung aller Inhalte auf einen halben oder vollen Stundentakt.

Seine Idealvorstellung war es, das eigene Programm derart vorhersagbar zu gestalten, dass kein Blick in die Fernsehzeitschrift mehr nötig sein würde. Deshalb fuhr er gleichzeitig den Einsatz von Spielfilmen drastisch zurück und setzte sich deutlich verhaltener für den Erwerb von Sportrechten ein. „Es ist für mich jedes Mal ein Ärgernis, wenn eine Sendung von ihrem gewohnten Platz plötzlich wegen einer Sport- Live-Übertragung verschwinden muss.“

Die Springfield Story © RTL
Ein wichtiger erster Baustein bildete hierfür die Lizenzierung der Endlos-Soap „Springfield Story“, die seit 1986 verlässlich im täglichen Sendeplan auftauchte. Sie allein genügte jedoch nicht. Es mussten weitere Reihen installiert werden, deren Herstellung derart effizient und standardisiert gelang, dass die Versorgung mit täglich neuen Ausgaben zu geringen Kosten gewährleistet werden konnte. Dadurch wurden TV-Formate erstmals nicht mehr als reine kreative Kunstobjekte betrachtet. Ab jetzt waren sie Industrieware, die quasi am Fließband zu produzieren war und deren Anfertigung nie ins Stocken geraten durfte.

Für solche industrielle Fernsehware geriet ab dem Jahr 1992 das „Familienduell“ mit Werner Schulze-Erdel zu einem wahren Lehrstück. Pro Produktionstag konnten gleich mehrere Folgen am Stück aufgenommen werden und die Abläufe – selbst die Sätze des Moderators – waren derart normiert und schematisiert, dass jede Einheit der anderen glich. Die täglichen Talkshows von Hans Meiser und Ilona Christen, die ab September 1992 bzw. ab September 1993 liefen, passten ebenfalls in diesen Prozess. Und die in einem vergleichbaren industriellen Verfahren hergestellte tägliche Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ löste die bisherige werktägliche Jonglage von US-Serien am Vorabend ab. Zuletzt sollte die Einführung von „Gottschalk Late Night“ einen verlässlichen Anker auch am späten Abend gewährleisten.

Audience Flow – Mehr vom Gleichen

Das dritte Prinzip war die Schaffung eines „homogenen Programmflusses“ an allen Tagen, um die Abwanderung des Publikums zwischen einzelnen Sendungen so gering wie möglich zu halten. Dabei galt für Conrad schon der Verlust von mehr als zehn Prozent von einem Format zum nächsten als überproportional. Für ihn bestand somit die Herausforderung darin, die richtigen Elemente so miteinander zu kombinieren, dass dazwischen möglichst kein Umschaltimpuls aufkam. Hierbei ging er davon aus, dass Menschen in ihrer Mediennutzung eher Kontinuität als Abwechslung – eher Verlässlichkeit als Überraschung – anstreben. Anstelle einer breiten Palette aus möglichst unterschiedlichen Angeboten servierte er ihnen daher eine homogene Auswahl, die allenfalls feine Schattierungen umfasste. Es war ein Fluss, der durch die Vermeidung von Brüchen erzeugt wurde. Beispielsweise kramte er die fast vergessene Krimiserie „Quincy“ aus dem Archiv und kombinierte sie mit der beliebten Reihe „Columbo“ am Montagabend, da es sich bei beiden Produktionen um amüsante Krimis handelte, die aus der Feder derselben Autor:innen entsprangen. Durch diesen Schritt verhinderte er nahezu ohne Kosten im Vergleich zu vorher einen Verlust von zwei Millionen Zuschauenden.

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Längst bilden die Fokussierung auf Key-Demographics, die Umsetzung eines umfassenden Strippings und die Erzeugung eines möglichst hohen Audience Flows maßgebliche Standards in der Programmplanung aller TV-Stationen - im Privatfernsehen ebenso wie in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Insofern reichte der Einfluss von Marc Conrad weit über die Grenzen von RTL hinaus, wenngleich er diese Entwicklung selbstverständlich nicht allein herbeigeführt hat und auch auf anderen Sendern ähnliche Bemühungen zu erkennen waren. Jedoch ging Conrad oft entschlossener als seine Mitbewerber:innen vor. Unzweifelhaft leistete er einen gewichtigen Beitrag dazu, dass das Fernsehen seine spielerische Naivität ablegte und sich zu einem enorm profitablen Geschäft wandelte. Mit allen damit zusammenhängenden Vor- und Nachteilen.

Ein neues Zeichen der Stärke

RTLplus © RTL
Die von Conrad angestoßenen Veränderungen und Maßnahmen zeigten schnell Erfolg, sodass das Unternehmen am Ende des Jahres 1992 erstmals die Marktführerschaft in der jungen Zielgruppe übernehmen und diese bis heute behalten konnte. Zugleich wuchsen die Werbeeinnahmen stetig an, sodass allein für sein erstes Jahr ein Netto-Umsatz von 1,9 Mrd. DM prognostiziert werden konnte.

Doch eine Sache störte ihn bei seinem Amtsantritt als Programmdirektor ganz besonders. Der Fernsehsender galt nämlich weiterhin als Anhängsel des Radioprogramms, aus dem er ursprünglich hervorgegangen war. Deutlich wurde dies darin, dass der TV-Ableger den Zusatz „plus“ im Namen trug. Dieser degradierte das Haus quasi zu einem RTL Junior. Das aber war angesichts dieser beeindruckenden Bilanz lang überholt, was Conrad dringend nach außen zum Ausdruck bringen wollte. Nach einjährigen Verhandlungen mit dem Mutterkonzern erreichte er endlich, dass der ungeliebte Anhang gestrichen werden konnte.

Damit einher ging die Ablösung des alten Logos, welches Conrad ebenso ein Dorn im Auge war: „Versuchen Sie dieses alte RTL-plus-Logo mal nachzuzeichnen“, beschwerte er sich im Interview. „Sie werden es nicht schaffen.“ Gemeint war jenes Logo, bei dem sich die drei Haus-Buchstaben an ihren jeweiligen Rücken trafen und eine Art Fächer bildeten. Es war seit 1988 in Verwendung und stammte von der Firma Studio Cerise.

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„Marc Conrad wollte ein neues Logo“, erinnerte sich der damalige Creative Director Manfred Becker in einem Interview mit Nina Kirst. „Es sollte wie eine Bank sein und eher in Richtung CBS oder ABC aus Amerika gehen. Ein Logo, aus dem man direkt RTL rauslesen kann.“ Es sollte insbesondere das veränderte Selbstverständnis von RTL zum Ausdruck bringen, denn Conrad verstand den Sender nun als Network, als etablierten Broadcaster, der nichts mehr mit dem provinziellen Amateurfunk zu tun hatte, der einst von der Antenne in Luxemburg ausstrahlte. Und weil bei ihm die Orientierungspunkte oft aus den USA stammten, beauftragte er mit der Kreation und Umsetzung des neuen Markenzeichens die Firma Novocom aus Los Angeles. Sie schufen die drei markanten Rechtecke, die am 1. November 1992 erstmals über den RTL-Schirm flogen und bis heute verwendet werden.

Als Helmut Thoma 1999 gehen musste, verließ Marc Conrad mit ihm den Konzern. Er gründete dann seine eigene Produktionsfirma, die neben Unterhaltungssendungen auch viel beachtete Kinofilme umsetzte. Für seinen alten Arbeitgeber lieferte sie zudem zahlreiche TV-Movies sowie die Shows „Freitag Nacht News“, „Mein Morgen“ und „Dritte Halbzeit“ zu. Im Jahr 2004 kehrte er als Geschäftsführer zu RTL zurück, blieb aber bloß 103 Tage im Amt. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.