Gucken Sie gerne Serien? Haben Sie auch manchmal die Sorge, dass Sie den neuesten heißen Scheiß verpassen könnten? Aber haben Sie sich mal überlegt, dass es bei dieser Flut an Serien sowieso nicht möglich ist, auf dem Laufenden zu bleiben? Ich sage nur: 487 Serien allein in den USA im Jahr 2017. Wenn man dann noch die europäischen Serien dazurechnet ... Keine Chance! Also könnten Sie sich doch eigentlich entspannen und einen Blick zurückwerfen. Zum Beispiel ins Jahr 2006. Das habe ich neulich gemacht, und ich bin auf etwas Altes gestoßen, das selbst jetzt, zwölf Jahre später, noch als heißer Scheiß durchgehen würde: "Friday Night Lights" (FNL). Hier ist ein kleiner Hinweis angebracht: In dieser Serie geht es um American Football. Ein Fakt, der mich in den vergangenen drei Jahren davon abgehalten hat, einzuschalten. Völlig zu Unrecht, übrigens.

"Friday Nights Lights" ist ein visuelles Durcheinander, das manchmal sogar hingerotzt wirkt. Mal wird gefühlt zu früh aus Szenen rausgegangen, dann wackelt die Kamera, es reiht sich ein ungewöhnlicher Blickwinkel an den anderen, mal wird eine Szene halb verdeckt gezeigt, dann wieder geht die Kamera ganz nah an die Gesichter und mal wird dem Publikum die Orientierung genommen. Dazu sieht das Bild immer etwas unsauber aus, besonders bei weitwinkligen Einstellungen. Doch all das zusammen erzeugt eine Lebendigkeit, eine Bodenständigkeit, ein Gefühl des Mittendrin-Seins, die mich nicht losgelassen haben. Und dass ich hier jetzt mit dem Visuellen anfange und noch nichts über die Geschichte und ihre Figuren erzähle, zeigt, welchen Stellenwert diese Art der Geschichten-Vermittlung bei dieser Serie für mich einnimmt. Es gab Szenen, von deren Bildsprache ich so beeindruckt war, dass ich sie meinem Mann (der die Serie weder kennt, noch gucken wird) vorgespielt habe - nur um meiner Begeisterung Luft zu machen. 

Der Kern der Serie ist nicht etwa American Football, sondern eine Ehe: die von Eric und Tami Taylor, gespielt von Kyle Chandler und Connie Britton. Er ist der neue Football-Coach eines Highschool-Teams in der fiktiven footballverrückten Kleinstadt Dillon in Texas, sie anfangs noch Hausfrau und Mutter, sucht sich aber einen Job, weil die einzige Tochter Julie (Aimee Teegarden) mittlerweile ein Teenager ist. Die Taylors sind ein glückliches Paar. Klar, sie haben Krisen, sind sich oft uneinig, streiten sich. Aber es steht nie außer Frage, dass sie einander lieben und zusammenbleiben werden. Man könnte meinen, dass es langweilig sein könnte, einem glücklichen Paar zuzusehen. Und sind nicht die vielen, vielen erfolgreichen Serien, in denen sich Paare entlieben, betrügen, bekämpfen, hassen oder trennen vielleicht sogar ein Beweis dafür, dass man mit glücklichen, zusammenbleibenden Paaren keine überzeugende Geschichte erzählen kann? Die Taylors beweisen das Gegenteil. Und mit "Kern der Serie" meine ich nicht etwa, dass sie das Zentrum aller Handlungsstränge sind, sondern: Sie sind das, was "Friday Night Lights" ausmacht. Egal, wie schlimm es wird - und es geht bei FNL oft an die Substanz -, es tut gut zu wissen, dass man sich an den Taylors festhalten kann. Das gilt für mich als Zuschauerin genauso wie für die wichtigsten Figuren, die von den Taylors immer wieder aufgefangen werden.

Jetzt, da ich die Taylors erklärt habe, kann ich auch kurz ein Beispiel für eine Szene bringen, die mich begeistert hat: Tami und Eric sitzen abends auf dem Sofa und reden, sie sind sich uneinig über eine wichtige Entscheidung, die sie fällen müssen. Und diese Uneinigkeit ist an der Bildsprache abzulesen: Die Kamera lässt, obwohl beide nebeneinander sitzen, die größtmögliche Distanz zwischen beiden entstehen. Immer der, der gerade redet, ist groß im Bild und am Rand ist ein kleiner Ausschnitt des Gesichts des anderen zu sehen, oft in Unschärfe. Faszinierend eindrücklich.   

"Friday Night Lights" verlangt seinen Figuren viel ab, besonders den Jüngeren: Die jugendlichen Hauptfiguren - viele von ihnen spielen Football in Coach Taylors' Team - müssen einiges durchmachen. Vier Beispiele: Da ist Matt Saracen (Zach Gilford), der noch zur Schule geht, aber mit seiner pflegebedürftigen Oma allein lebt, denn seine Mutter hat die Familie vor langer Zeit verlassen, und sein Vater ist im Einsatz in Afghanistan. Da ist Tim Riggins (Taylor Kitsch), der ebenfalls ohne Eltern aufwächst, mit seinem großen Bruder zusammenwohnt, ein Footballstar im High-School-Team ist, aber ein Disziplin- und ein Alkoholproblem hat. Da ist Tyra Collette (Adrianne Palicki), die bei ihrer Mutter und ihrer als Stripperin arbeitenden Schwester lebt. Nach Tyra schauen sich alle Jungs an der Schule um, sie ist sexuell erfahren, klaut hin und wieder. Obwohl sie eigentlich clever ist, macht sie sich keine Hoffnung, diese Kleinstadt irgendwann verlassen zu können. Da ist Brian "Smash" Williams (Gaius Charles), dessen Vater tot ist, der ein Footballstar in seinem Highschoolteam ist, ein Mädchenschwarm ist, eine große Klappe hat und unter dem Druck steht, Profi-Footballer zu werden, weil er ohne Football keine Perspektive für sich und seine Mutter und Schwestern sieht. Was allein diese vier Figuren im Laufe der Serie durchmachen müssen, liest sich überdramatisch - hier geht es um existenzielle Geldsorgen, Gewalt, Drogen, Rassismus, Doping, Verletzungen, Vergewaltigung, Betrug, Konflikte mit Freunden, Konflikte mit den Lehrern, Konflikte mit der Polizei, ersten Sex, Orientierungslosigkeit durch fehlende Eltern, Überforderung durch fehlende Eltern, Teenagerschwangerschaft, enormen Druck auf die Footballer. Doch den Autoren und Autorinnen rund um Erfinder, Produzent, Regisseur und Autor Peter Berg und Showrunner Jason Katims ist es gelungen, dass die Geschichten unaufgeregt, fast zurückhaltend erzählt werden. Sie plätschern dahin, wie das echte Leben es auch tut, und entfalten dadurch einen besonderen Sog. Und ja, erst wenn man die Themen aufzählt, wird einem bewusst, wie viel in der Serie eigentlich verhandelt wird.

Kommen wir zum Football. Der ist überraschend spannend - selbst für Football-Desinteressierte und -Unkundige wie mich. Und das nicht, weil hier natürlich auch zum bekannten Sportfilme-Mittel "Entscheidungen in allerletzter Sekunde" gegriffen wird. Sondern vor allem, weil hier mit einem ungewöhnlichen erzählerischen Kniff gearbeitet wird: Alle Spiel-Sequenzen werden von einem Sportmoderator kommentiert, was diese Szenen vom fast dokumentarischen Stil des Rests der Serie abhebt. Für die deutsche Synchronisation ist das ebenfalls gelungen, weil mit Günther Zapf (der in den ersten drei Staffeln die Spiele kommentiert) jemand engagiert wurde, der im Football und im Sport-Fernsehen zu Hause ist und die fiktiven Spiele professionell begleitet. Ein wichtiger Punkt ist für mich allerdings auch: Dadurch, dass ich die entscheidenden Figuren auf dem Spielfeld und am Spielfeldrand kenne, wird ein Spiel zusätzlich interessant, weil ich einerseits weiß, welche Bedeutung der Spielausgang hat und ich andererseits auch weiß, dass die Ereignisse auf dem Spielfeld in den folgenden Episoden Konsequenzen für die Figuren haben.

So, das war kurz das Wichtigste zu "Friday Night Lights". Natürlich liegt mir noch mehr auf dem Herzen, das ich gerne über diese wunderbare Serie loswerden würde. Zum Beispiel, wie unglaublich gut Staffel 4 ist - Folge 5 gehört zu den besten Episoden einer Serie, die ich je gesehen habe. Oder dass die besondere Episodenstruktur (erzählt wird meistens von Montag bis Freitag beziehungsweise bis zum Wochenende) ein passendes Vehikel ist, um diese Geschichten zu erzählen. Oder dass ich die Kargheit der Dialoge mag, den Mut, Dinge ungesagt zu lassen. Oder wie hervorragend die Schauspieler und Schauspielerinnen sind und zwar durch die Bank weg, weswegen ich hier mit zwei Ausnahmen keinen hervorheben will: Jesse Plemons als Teenager Landry Clarke ist grandios, und Taylor Kitsch - den ich in der zweiten Staffel von "True Detective" nicht gut fand - hat mich überrascht.

Preise ich Ihnen hier jetzt die perfekte Serie an? Mitnichten! Es gibt in der zweiten Staffel erzählerische Entscheidungen, die nicht zum Charakter der Serie passen - doch die Crew findet den Weg wieder zurück, liefert eine sehr gute Staffel 3 ab und läuft in Staffel 4 zu erzählerischen Meisterleistungen auf. Auch die Continuity wird nicht immer beachtet - Backstory-Details, die in der einen Staffel noch galten, werden in einer späteren verändert, weil es der Geschichte dient. Und, eine Sache, über die ich vergangene Woche bereits thematisiert habe: Die Schauspieler, die jugendliche Figuren spielen, sind zu alt für die Rollen und sehen auch so aus.  

Doch es ist eine verdammt gute, eine außergewöhnliche Serie. Besser als vieles, was in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen ist. Und sie ist es auf jeden Fall wert, sich in sie zu versenken und den ganzen neuen heißen Scheiß 76 Folgen lang einfach zu ignorieren.  

Sollten Sie zu denen gehören, die die Serie bereits kennen und FNL genauso schätzen wie ich, dann habe ich noch eine Lektüre-Empfehlung für Sie: das Buch "The Revolution Was Televised" von Alan Sepinwall, in dem sich der US-Serienkritiker ausführlich den 15 Serien widmet, die seiner Meinung nach das serielle Erzählen im Fernsehen revolutioniert haben. Eine der 15 Serien ist "Friday Night Lights". Und hier noch eine kürzere Leseempfehlung: Alan Sepinwall hat vor ein paar Jahren in einem Text die Szenen/Episoden der Serie zusammengestellt, die ihn am meisten beeindruckt haben.

Ich mache jetzt eine kleine Sommerpause, diese Kolumne allerdings nicht ganz: Unter dem Vertretungstitel "Seine Woche in Serie" wird hier in den nächsten Wochen mein Kollege Kevin Hennings schreiben. Was ich vorhabe? Einiges. Zum Beispiel ganz genüsslich Staffel 5 von "Friday Night Lights" gucken und hoffentlich jede Sekunde davon genießen.

Alle fünf Staffeln von "Friday Night Lights" gibt's bei Amazon und iTunes.