Wäre da nicht die Figur Claire Underwood, wäre ich schon vor ein paar Staffeln aus "House of Cards" ausgestiegen. (Wie sehr ich mich in den Staffeln 4 und 5 auf sie konzentriert habe, kann man zum Beispiel in meinem Kolumnentext zu Staffel 5 nachlesen.) In Staffel 6 nun ist sie zur Hauptfigur aufgestiegen - leider aus Gründen, die nichts mit der Serie an sich, sondern mit dem Rauswurf von Schauspieler Kevin Spacey zu tun haben, weswegen die einstige Hauptfigur Frank Underwood aus der Serie verbannt wurde. Ich habe "leider" geschrieben, weil es die Figur Claire Underwood in meinen Augen abwertet, dass sie nur durch diese äußeren Umstände ins Zentrum rücken konnte. Ihre Geschichte ist interessant, die Figur ist höchst ambivalent, mögliche Entwicklungen sind vielversprechend, weshalb ich seit drei Jahren gehofft hatte, dass sie zur zentralen Figur wird. Was - nebenbei gesagt - der Serie neue Kraft und eine neue Richtung gegeben hätte, woraus eine neue Faszination hätte entstehen können, die vielleicht an die Faszination der ersten Staffel hätte anknüpfen können. Hätte, hätte, hätte ...

Jetzt, nachdem ich eben das Finale der sechsten und damit letzten Staffel gesehen habe, muss ich sagen: Gut, dass die Serie endlich vorbei ist. Und schade, dass die Macherinnen und Macher aus dieser Chance, sich komplett auf Claire Underwood zu konzentrieren, nichts gemacht haben. Die sechste Staffel war zwar wie gewohnt hervorragend besetzt und hochwertig produziert, aber eben auch hanebüchen, überdreht und in Teilen sogar eine Beleidigung des Verstandes derjenigen und diejenigen, die sie gesehen haben. Ja, ich bin ziemlich sauer. Das war, gelinge gesagt, Zeitverschwendung. Diese Zeit hätte ich für spannende, tolle, herausfordernde Serien aufwenden können. So, der Dampf ist abgelassen. Jetzt mal etwas sachlicher. Aber zuerst ist eine Spoiler-Warnung vonnöten: 

Dicke Spoilerwarnung: Wenn Sie die sechste Staffel von "House of Cards" noch nicht kennen, sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie weiterlesen wollen.

Frank Underwood war zwar in dieser Staffel nicht im Bild - die Geschichte steigt nach seinem Ableben ein, und mit Ausnahme seiner Hände auf den Fotos von der Beisetzung, die Claire Underwood zur Freigabe vorgelegt wurden, wurde er nicht gezeigt -, doch er war ständig präsent. Als Schatten, als Spinner noch immer wirkender Intrigen, als des mehrfachen Mordes Verdächtigter, als Antagonist, als Über-Machtpolitiker. Nach dem Finale der fünften Staffel mit Claires in die Kamera gesprochenen Worten "My turn!" war zu vermuten, dass für Staffel 6 DER Machtkampf zwischen den Underwoods (beide lebendig, versteht sich) geplant war. Was ein interessanter Schlagabtausch hätte werden können.

Doch jetzt wurde es ein Machtkampf zwischen einem toten Frank Underwood und einer lebendigen Claire Underwood. Und das war, äh, schwierig. Um nicht zu sagen: eine blöde Idee. Zusätzlich zum toten Antagonisten Frank Underwood wurden die Shepherd-Geschwister als lebendige Antagonisten eingeführt, als Franks Gegenspiel-Stellvertreter auf Erden, sozusagen. Ein unglaublich mächtiges Bruder-Schwester-Gespann, das ein enorm wichtiges Unternehmen führt, das wichtigste amerikanische Unternehmen, natürlich. Ich übertreibe jetzt. Obwohl, eigentlich kaum. Denn so, wie die Shepherds dargestellt wurden und wie sie gehandelt haben, kommt das dieser Übertreibung sehr nahe. Es wurde auch oft davon gesprochen, wie sie schon immer Frank Underwood unterstützt haben und wie Frank nur dank ihnen an die Macht kommen konnte. Da frage ich mich doch: Hä? Warum sind die in den Staffeln 1 bis 5 nicht ein einziges Mal aufgetaucht? Aber man sollte vielleicht einfach nicht zu genau darauf achten, ob da Geschichten konsistent erzählt werden oder fröhlich vor sich hin fabuliert wird.

Erst in der allerletzten Szene wird Claire Franks Schatten tatsächlich los. Sie befreit sich. Und könnte jetzt mit ihren meisterhaften Fähigkeiten der Manipulation und ihrem politischen Instinkt eine ganz große, ganz fiese Politikerin werden - von eigenen Gnaden. Doch genau das versagt ihr die Serie. Und das nehme ich ihr - der Serie, den Macherinnen und Machern - übel. In einigen, wenigen Szenen und Sätzen - immer dann, wenn sie sich nicht gegen irgendwelche Vergangenheitsmonster oder Intrigenschatten von Frank zur Wehr setzen muss - wird Claire Underwoods eigentliche Agenda deutlich: die feministische Dominanz. Sie hat vom Besten (Frank Underwood) gelernt, wurde aber auch vom Besten (ebendieser) klein gehalten, an zweite Stelle gesetzt. Und es wird deutlich: Sie fühlte sich ihr Leben lang von Männer klein gehalten, gehindert, gemanagt.

All das Gelernte kombiniert mit ihren eigenen Fähigkeiten und Charakterzügen könnte sie zu einer äußerst reizvollen Figur machen. Eine, die, um das in ihren Augen Wichtigste (Herrschaft der Frauen!) zu erreichen, die Underwood-Methoden anwendet. Gespielt von einer wie immer großartigen Robin Wright. Ach, das hätte ein Fest sein können. So blieb mir nur, die wenigen mich begeisternden Szenen und Dialoge auszukosten und mich über viele andere Dinge aufzuregen. (Drei Morde. Zur selben Zeit. Klar. Passt ja sowas von gar nicht zur Figur. - Schwanger. Schwanger?! Was? Meinen die das ernst?!?!? - So, sie nimmt also die ganze Welt mit einer Atombombe in Geiselhaft, um den Verräter in den eigenen Reihen zu fassen. Verrückt. Aber irgendwie auch cool. Hm. - Doug? Doug war's? Ernsthaft? Äh.) 

Immerhin sehenswert: Jede gemeinsame Szene von Jane Davis (Patricia Clarkson) und Claire Underwood sowie von Claire Underwood und Annette Shepherd (Diane Lane). Die Krönung: Die Szene, in der alle drei im Oval Office aufeinandertreffen. Drei mittelalte Frauen in interessanten Rollen, gleichzeitig in einer Szene - das gibt es im Fernsehen leider immer noch viel zu selten. Außerdem alle Szenen mit Jane Davis, über die ich gerne mehr erfahren hätte, und die ich gerne öfter gesehen hätte - weil sie herrlich undurchsichtig und geheimnisvoll war. Und hervorragend von Patricia Clarkson gespielt wurde.

Ach, was soll's. Vielleicht habe ich die Figur Claire Underwood und die Künste der "House of Cards"-Drehbuchautoren und -autorinnen rund um Showrunner Beau Willimon (bis Staffel 4) und (ab Staffel 5) Frank Pugliese und Melissa James Gibson auch einfach überschätzt. "House of Cards" ist nach fünfeinhalb Jahren Geschichte, fünfeinhalb Jahre, in denen wir viel darüber gesprochen, gelesen und geschrieben haben. Höchste Zeit, dass wir uns nun neuen, frischeren Serien zuwenden.

Die sechste Staffel von "House of Cards" ist in Deutschland bei Sky zu sehen: freitags in Doppelfolgen auf Sky Atlantic HD, alle Episoden sind in den Sky-Streamingdiensten verfügbar. Erst in einigen Monaten wird die sechste Staffel auch in Deutschland bei Netflix zu sehen sein. 

Zum Schluss noch ein kleiner Hörtipp in eigener Sache:

In der neuen Folge des DWDL.de-Podcast "Seriendialoge" geht's um Daily Soaps: Wenn über Serien diskutiert wird, werden Daily Soaps in der Regel nicht erwähnt. Doch weil sie von mehreren Millionen täglich geschaut werden, sollte man auf jeden Fall auch über Daily Soaps reden, findet ich. Deswegen habe ich mir eine Gesprächspartnerin gesucht, die das Handwerk sehr gut kennt: Sarah Höflich, die Headautorin und später Producerin bei der RTL-Soap "Alles was zählt" war. Ein Gespräch über das Schreiben unter Zeitdruck, straffe Arbeitsorganisation, das ständige Schöpfen neuer Geschichten und das Herausschreiben langgedienter Figuren - um all das und noch mehr geht's in dieser Folge:

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