+++ Spoilerwarnung: In folgendem Text werden wichtige Ereignisse in Staffel 2 und Staffel 3 von "Star Trek: Discovery" thematisiert. +++

In Folge 7, mitten in der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery", bemerke ich dieses unerwartete, aber bekannte Gefühl: eine Mischung aus aufgehoben fühlen, Warmherzigkeit, Optimismus. Ich horche in mich hinein und stelle fest: Dieses Gefühl ist schon etwas länger da. Am Ende der zweiten Folge war es zum ersten Mal kurz zu spüren, als das unglaublich erleichterte und strahlende Gesicht von Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) überraschend auf dem Schirm der Discovery auftaucht und sagt: "Ich habe euch gefunden". Und je weiter die Serie fortschritt, desto öfter spürte ich es, ohne wirklich den Finger darauf legen zu können. Ich wusste nur: Ich mag diese dritte Staffel bisher sehr. Auch weil sie ganz anders ist als die anderen. Und jetzt, seit Folge 7, weiß ich auch warum: Durch diese Staffel weht sehr viel Geist von "The Next Generation" - meiner Lieblings-Star-Trek-Serie. 

In der dritten Staffel macht die Discovery und ihre Crew das, was ich an "The Next Generation" immer geliebt habe: neue Welten entdecken, auf andere Völker und Lebewesen treffen, ihnen zuhören, Konflikte lösen. Auf eine wertschätzende, diplomatische, offene, freundliche Art. Strenggenommen sind diese Welten, die die Discovery in dieser Staffel bisher bereist hat, nicht neu. Die Trill, die Barzaner, die Vulkanier, die Romulaner, die Menschen - all die kennen die Crew und das "Star Trek"-Publikum längst. Aber die Crew ist mal eben fast 1000 Jahre in die Zukunft gereist. Da hat sich viel verändert, es gibt nicht nur neue Technologien, sondern neue Machtverhältnisse, neue Einstellungen, neue Konflikte. Es hat sich so viel verändert, dass sich dieses Universum neu und unbekannt anfühlt. Gleichzeitig hat die Reise in die ferne Zukunft ohne Aussicht auf Rückkehr und all das, was außerdem in Staffel 1 und 2 passiert ist, die Crew so sehr zusammengeschweißt, dass in allem, was die Crew-Mitglieder tun, ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl mitschwingt. Alles ist fremd um sie herum, sie haben ihre Angehörigen in der Vergangenheit zurückgelassen - umso wichtiger sind die guten alten Kollegen und Kolleginnen auf der Discovery. Sie alle sind jetzt wirklich eine Familie, hier finden sie den Rückhalt, den sie brauchen, um in diesem neuen Universum gemeinsam oder auch auf Einzelmissionen zu bestehen.

Hier ist Platz für Trauer über das Zurückgelassene, aber auch Begeisterung, Optimismus und Offenheit für all das Neue. Sie wissen: Wir haben das scheinbar Unmögliche geschafft, durch unseren Sprung in die Zukunft wurde das Überleben allen Lebens gesichert. Und jetzt schauen wir uns an, was diese neue Zukunft bereithält. Was für eine großartige Grundhaltung für eine Science-Fiction-Serie im Jahr 2020! Das ist genau die Botschaft, die ich als Zuschauerin jetzt gerade brauche. Und die ich mir eigentlich von einer anderen neuen "Star Trek"-Serie erhofft hatte: "Picard". Weil nämlich Captain Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) in seinem Dienst als Captain der Enterprise in "The Next Generation" diese Haltung verkörperte. Sie war etwas anders hergeleitet, aber in ihrer Auswirkung auf den Erzählton und die Botschaft der Serie dieselbe: Offenheit, Zuversicht, Warmherzigkeit, Diplomatie. Die Serie "Star Trek: Picard" hat es leider nicht geschafft, das zu transportieren, wie ich zum Ende der ersten Staffel in dieser Kolumne kritisiert habe. Allerdings: Vielleicht habe ich bei "Picard" vorschnell geurteilt. Denn auch bei "Discovery" musste sich dieser Grundton erst entwickeln, Staffel 1 war für "Star Trek"-Verhältnisse ziemlich grausam und feindselig. Staffel 2 überraschend bedrohlich und gleichzeitig nostalgisch. Doch die in diesen Staffeln erzählten Geschichten haben für "Discovery" die neue Grundhaltung, die mich besonders berührt, erst möglich gemacht.  

Auch wenn ich Staffel 1 und Staffel 2 gut fand und in ihnen immer wieder einige Aha-Momente für erfahrene Star-Trek-Guckerinnen und -Gucker zu finden waren: Für mich fühlte sich "Discovery" nicht immer wie "Star Trek" an. Ich hatte dieses Phänomen bisher allerdings folgendermaßen gedeutet: Um in der Serienwelt, wie sie sich seit einigen Jahren entwickelt hat, bestehen zu können, muss sich "Star Trek" zwangsläufig verändern. Weg vom streng episodischen Erzählen, hin zu Folgen- oder gar Staffeln-übergreifenden Geschichten. Weg von der hellen, optimistischen Grundhaltung, hin zu einer düsteren, bedrohlicheren Tonalität. Doch die dritte Staffel von "Discovery" zeigt mir: In dieser Radikalität war das vielleicht gar nicht nötig. Natürlich dürfen die Kulissen nicht pappig aussehen, die Produktionsqualität muss sich mit denen anderer aktueller Serien messen lassen. Auch die Erzählqualität muss ein hohes Niveau haben. Doch das heißt nicht zwangsläufig, dass eine andere Art des Erzählens und eine andere Haltung nötig ist. Nur weil die Realität nicht optimistisch und hell strahlt, heißt das noch längst nicht, dass alle Serien feindselig und düster sein müssen. Gerade dann brauche ich persönlich einen Gegenpol. Und wenn ich den sogar in einer Serie finden kann, die in der Zukunft spielt: umso besser.

Ich muss eine Sache gestehen: Als Vorbereitung auf "Picard" habe ich mir bestimmte Folgen von "The Next Generation" erneut (zum x-ten Mal) angeschaut, auch begleitend zu bestimmte "Picard"-Episoden. Und ich konnte einfach nicht aufhören, ich guckte immer mehr "The Next Generation"-Folgen. Weil es sich so gut anfühlte. Eigentlich hatte ich dafür absolut keine Zeit, aber ich redete mir ein, dass das unter Recherche fällt. 

Das Schöne ist: Die dritte Staffel von "Discovery" macht nicht nur einfach nach, was an "The Next Generation" so gut war. Sondern entwickelt es weiter. Zum Beispiel indem Figuren wie Philippa Georgiou und Adira vorkommen. Philippa Georgiou (Michelle Yeoh), die in jeder Sekunde völlig unerwartet explodieren kann, Diplomatie torpediert, die Sternenflotte für einen Witz hält und Konventionen überflüssig findet. (Sie erinnert mich in Staffel 3 ein bisschen an Q, aber als feste Figur.) Adira ist ein Neuzugang in S3 und ist die erste nicht-binäre Figur im "Star Trek"-Universum, gespielt von Blu del Barrio, ebenfalls nicht-binär. Adira outete sich in Folge 8 als nicht-binär in einer eigentlich unspektakulären, aber gleichzeitig berührenden Szene. Adira gehört zur Crew, die Geschichte dieser Figur wird uns also weiter begleiten und ist nicht nur eine Randnotiz bleiben. Ich mag die Figur sehr und hoffe auf interessante Handlungsstränge mit diesem jungen Sternenflotten-Mitglied. Die alten "Star Trek"-Reihen wurden immer für ihre Diversität gerühmt - allerdings jeweils im Rahmen der Zeit, in der sie produziert wurden. Und so ist es nur folgerichtig, dass "Discovery" hier weiter geht als bisherige Reihen. Auch in den beiden Staffeln davor war auffällig, wieviel mehr Frauen und nicht-weiße Menschen für große Rollen besetzt wurden, zusätzlich gibt es mit Hugh Culber (Wilson Cruz) und Paul Stamets (Anthony Rapp) ein homosexuelles Paar, das zu den wichtigsten Nebenfiguren gehört. Dass nun auch in Sachen Geschlechterdiversität der nächste Schritte gemacht wurde, ist nur konsequent und öffnet die Reihe für spannende neue Figuren und ihre Geschichten. Auch das trägt zu diesem besonderen "Star Trek"-Gefühl bei, das ich derzeit so genieße.

Wer wissen will, was ich über Staffel 1 und Staffel 2 geschrieben habe: 
Mein Text zu Staffel 1: Wie weit kann man gehen?
Mein Text zu Staffel 2: Die neue große Sci-Fi-Erzählung ist ... weiblich 

Die neuen Folgen der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" werden wöchentlich bei Netflix veröffentlicht. Die Staffeln 1 und 2 gibt's bei Netflix und iTunes.