Die Schufa ist immer wieder für Aufregung gut. Als im Juli eine Sicherheitslücke in der Bonify-App entdeckt wurde, mit der man die eigene Kreditwürdigkeit einsehen kann, folgte erwartbarer Protest. Hacker hatten den Mietbonitätswert von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn ausgelesen und online gestellt. Die Deutschen und ihre Daten – eine heikle Beziehung. Im Umgang mit der Schufa gilt das doppelt: Neben Leaks fürchtet man fast noch mehr den Basis-Score selbst, weil dieser darüber entscheidet, ob man eine Wohnung, eine Kreditkarte oder einen Mobilfunkvertrag bekommt.

Eine Dystopie über eine Gesellschaft, die den Score zum De-facto-Diktator erhoben hat, kommt da gerade recht, sollte man meinen. "Der Algorithmus berechnet den Bürgerscore auf Basis von IQ, Ausbildung, Lohn, Gesundheit, Gewicht, Fitness, gesellschaftlichem Beitrag und Einhaltung der Gesetze von Arcadia", referiert Luz, eine der Hauptfiguren, pflichtschuldig in der ersten Episode der belgisch-niederländischen Serie. Dass dieses postapokalyptische Arcadia mehr Stasi-Staat als harmonisches Naturidyll ist, bekommt ihre Familie gleich zu Beginn mit voller Wucht zu spüren.

Irgendetwas stimmt nicht mit dem Chip, den Luz (Lynn Van Royen) wie alle Bürger Arcadias im Handgelenk eingepflanzt hat und mit dem sich ihr Score jederzeit von den Sicherheitsbehörden scannen lässt. Kurz darauf wird ihr Vater Pieter Hendriks (Gene Bervoets), ein hochrangiger Offizier, vor versammelter Mannschaft verhaftet, weil er die Scores seiner Töchter manipuliert hat, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Das Urteil lautet: Deportation. Da Frau und Töchtern keine Mitwisserschaft nachgewiesen werden kann, bekommen sie "nur" zwei Punkte vom Score abgezogen.

Mit gravierenden Folgen: Ehefrau Cato (Monic Hendrickx) verliert ihr privilegiertes Leben. Sicherheitsbeamtin Alex (Melody Klaver) wird die geplante Hochzeit mit ihrer Verlobten untersagt. Medizinstudentin Hanna (Ellie de Lange) muss die Uni abbrechen und als Krankenschwester jobben. Soldatin Milly (Abigail Abraham) verliert ihre Abzeichen und ihren Rang. Die autistische Luz muss eine stupide Aufgabe in der Verwaltung übernehmen.

Wie die jungen Frauen sich entweder mit dem System arrangieren oder Widerstand dagegen leisten, wird mit zunehmender Eskalationsdramaturgie über acht Folgen erzählt. Für Spannung sorgt dabei nicht nur die Frage, wie ein mysteriöser Anschlag einst das heutige Sicherheitsregime nach sich ziehen konnte, sondern vor allem auch die Tatsache, dass weder die Schwestern noch die Repräsentanten des Systems moralisch eindeutig zu verorten sind. So gelangt etwa Alex an den Punkt, an dem Verrat an der eigenen Familie zur Option wird – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen.

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Auch Milly gerät in Gewissenskonflikte, als sie sich freiwillig zu Patrouilleneinsätzen außerhalb der Mauern von Arcadia – in einer lebensfeindlichen, steppenartigen Außenwelt ohne Trinkwasser – meldet, um dort nach ihrem verbannten Vater zu suchen. Die "Regulator" oder "Revisor" genannten Agenten des maßlosen Überwachungsapparats – an ihrer Spitze die hochschwangere, Ingwertee trinkende Lena Harms (Natali Broods) – haben wiederum ihre eigenen Nöte und sind weit mehr als kalt und böse.

Autor, Produzent und Showrunner Philippe De Schepper hat sich unverkennbar von der 2016 erschienenen "Black Mirror"-Episode über Social Scoring inspirieren lassen. Allerdings gelingt es ihm, die Ursprungsidee auf Strecke zum geschickt verwobenen Familien- und Sozialdrama mit mehr als nur einer Prise Verschwörungsthriller zu befördern. Kann es in einer Gesellschaft der totalitären Transparenz so etwas wie Solidarität geben oder ist jeder auf sich allein gestellt? Wie entgeht man Verrat und bewahrt seine Selbstbestimmung? Das sind große Fragen, die De Schepper und sein Regisseur Tim Oliehoek erzählerisch dicht und visuell geschlossen verhandeln.

Nicht nur ist "Arcadia" die erste flämische Science-Fiction-Serie überhaupt, sondern auch der Auftakt zur "FabFiction"-Initiative, mit der WDR, SWR und NDR verstärkt internationale Serien für die ARD-Mediathek koproduzieren wollen. Aus dem Kreativen haben sich die deutschen Redakteure klugerweise weitgehend herausgehalten. Statt deutscher Schauspieler oder Storylines steuern sie das imposante Hauptmotiv des dystopischen Staats bei: Das Wolfsburger Wissenschaftsmuseum Phaeno, entworfen von Star-Architektin Zaha Hadid, dient als futuristische Regierungszentrale.

"Arcadia" startet am 18. August in der ARD-Mediathek und läuft am 18., 19. und 20. August jeweils ab 20:15 Uhr auf One