Eine Frau im höchsten politischen Amt der USA. Was in der Realität noch immer nicht eingetreten ist, wurde bei HBO bereits durchexerziert. So gesehen ist die Fiktion der Realität einen Schritt voraus. Blickt man jedoch auf die Aktionen des aktuellen amerikanischen Präsidenten und vergleicht diese mit der zum Ende der fünften Staffel abgewählten Präsidentin Selina Meyer bei "Veep", weiß man nicht so recht, was schlimmer ist: Realität oder Fiktion. Denn wer hätte gedacht, dass die Vorgänge in Washington D.C. ein ähnlich irrsinniges Level erreichen könnten?! Immerhin fiel der Startschuss des Comedy-Veteranen zu einem Zeitpunkt als Donald Trump seinen Kandidaten bei NBC noch "You’re fired!" entgegen schmetterte und die Amtszeit des ersten schwarzen Präsidenten weit von Realsatire entfernt war. Aber nun ist 2017, Donald Trump will eine Mauer und Selina Meyer eine Bibliothek in Form einer Vagina bauen lassen, ihr drittgrößter Geldgeber ist die eigene Tochter und Opportunismus ist so wichtig wie der richtige Lichtschutzfaktor in Äquatornähe, um nicht orange zu werden. Bekanntermaßen soll Lachen ja die beste Medizin sein - so gesehen könnte man "Veep" eine leicht heilende Wirkung attestieren.

Interessant wird, wie sich die Academy-Mitglieder im ersten Trump-Jahr zu dieser homöopathischen Therapie positionieren werden, nachdem "Veep" im letzten und vorletzten Jahr die Kategorie der "Besten Comedyserie" für sich entscheiden konnte. In diesem Jahr geht sie mit einem Maximum von 17 Nominierungen an den Start, womit sie sich nochmals um eine Nennung gesteigert hat. Im Gegensatz zur amerikanischen Präsidentschaft ist eine Wiederwahl nach zwei Siegen bei der wichtigsten Verleihung im TV-Bereich möglich. Wer das Ohr auf die Schiene der Geschichte legt, dem wird sogar auffallen, dass die für die Auszeichnung verantwortlichen Academy-Mitglieder nicht nur konstant in der Wahl der Nominierten sind, sondern auch, was das Auszeichnen selbst anbelangt. So taucht im Feld der Nominierten mit "Atlanta" lediglich ein neuer Kandidat auf - "Veep", "black-ish" (ABC), "Silicon Valley" (HBO), "Unbreakable Kimmy Schmidt" (Netflix), "Master of None" (Netflix) und "Modern Family" (ABC) sind alles keine Emmy-Neulinge. Ausgetauscht wurde lediglich "Atlanta" gegen "Transparent", der Rest des Feldes ist gleich geblieben. In den letzten zehn Jahren gab es zudem überhaupt nur drei Serien, die sich mit dem begehrten Titel schmücken konnten. Zum Zweifachsieger "Veep" gesellt sich in dem Fall die ebenfalls nominierte und zwischen 2010 und 2014 fünf Mal in Folge mit dem Preis ausgezeichnete ABC-Comedy "Modern Family", sowie die 2013 bei NBC zu Ende gegangene Tina Fey-Produktion "30 Rock", die von 2007 bis 2009 auf dem Treppchen stand.

 

Wenig abwechslungsreich gestaltet sich ebenfalls die Suche nach der witzigsten Frau des Jahres. 2011 markierte bislang das letzte Jahr, in dem nicht der Name Julia Louis-Dreyfus verlesen wurde. Für ihre Rolle als politische Würdenträgerin bekam sie damit nicht nur fünf Trophäen, sondern - und das ist die Besonderheit - ihr wurde diese fünf Jahre in Folge überreicht. Gleichgezogen hat sie damit mit Candice Bergen, die für ihr Engagement bei "Murphy Brown" ebenfalls mit einer Hand voll ausgezeichnet wurde, wenn auch nicht aufeinanderfolgend. Die Frage wird also nicht nur sein, ob die Politcomedy die Hälfte des halben Dutzends erreicht, sondern auch ob die vom Absurditätslevel Kopf an Kopf mit der Trump-Administration liegende Frontrunnerin das halbe Dutzend voll machen kann und dadurch mit sechs Siegen in Serie für die gleiche Rolle Alleinherrscherin auf dem Terrain wird. Etwas dagegen einzuwenden haben in diesem Jahr Ellie Kemper ("Unbreakable Kimmy Schmidt"), Lily Tomlin und Jane Fonda (beide "Grace And Frankie") Allison Janney ("Mom"), Pamela Adlon ("Better Things"), sowie die in diesem Jahr für ihre Rolle der Dr. Rainbow "Bow" Johnson in "black-ish" mit dem Golden Globe ausgezeichnete Tochter von Diana Ross, Tracee Ellis Ross. Im Feld der Nominierten war bei den Golden Globes neben der Brown-Absolventin übrigens nur eine aus der Emmy-Kategorie. Julia Louis-Dreyfus. Auch wenn sie so etwas wie ein Abonnement auf ihre Rolle bei den Emmys hat, ein Golden Globe dafür sprang bislang noch nicht für sie raus. 

Apropos Golden Globes: den konnte in diesem Jahr nicht nur die neue FX-Serie "Atlanta" in der Kategorie "Beste Serie - Komödie/Musical" einheimsen, auch das aus der NBC-Serie "Community" bekannte Multitalent Donald Glover wurde mit dem Preis für die beste Leistung in der Hauptdarsteller-Kategorie ausgezeichnet. Earnest "Earn" Marks kehrt darin nach dem Abbruch seines Studiums an der Elite-Uni Princeton in seine Heimatstadt Atlanta zurück und versucht dort wieder Fuß zu fassen. Eine kleine Tochter, ein Gelegenheitsjob, eine schwierige Wohnsituation und ein komplexes Abhängigkeitsverhältnis zur Ex machen die Sache nicht einfacher. "I just keep losin’" konstatiert er einmal abends im Bus vor einem Fremden und philosophiert anschließend über die Balance des Gewinnens und Verlierens mit der ernüchternden Erkenntnis, dass er auf der Verliererseite unterwegs ist. Einen Ausweg sieht er im Management seines Rap-Cousins, alias Paper Boi, der einen Überraschungshit gelandet hat. Zehn Folgen liefen bei FX über den Schirm - und diese sind im Gegensatz zu "Veep" nicht auf Pointen und schnelle Dialoge ausgelegt, sondern bewegen sich eher im Bereich einer Dramedy, noch viel stärker als einst "Girls".

Im Gegensatz zu der von Lena Dunham geschaffenen, geschriebenen und bespielten HBO-Serie handelt es sich bei der von Donald Glover geschaffenen, geschriebenen und bespielten FX-Serie um einen Halbstünder. Wer sich erinnert: ein Kriterium ist seit 2015 für die Kategorisierung bei der Emmy-Verleihung ausschlaggebend und zwar die Dauer. So startet ein Halbstünder automatisch bei den Comedy-Serien, auch wenn die Serie deutlich schwerer daher kommt als alle anderen in dem Feld. Bei einer Brutto-Länge von 60 Minuten findet sich eine Produktion im Drama-Fach wieder. Im Gegensatz zur dritten Staffel der recht leichten Netflix-Produktion "Unbreakable Kimmy Schmidt", in der die gleichnamige Protagonistin an der Columbia Universität studieren will und sich am Ende als Schülerlotsin versucht, startet "Atlanta" in den ersten zwei Minuten mit einem Schusswaffengebrauch auf einem Parkplatz in der Nähe eines Stripclubs. Die Frage wird also auch sein, inwiefern die Academy-Mitglieder den Wert einer besonderen, neuen Serie goutieren und sich damit schmücken wollen, dies früh erkannt zu haben. Dies würde auf der anderen Seite aber auch bedeuten, dass man sich in gewisser Weise von den Vorjahressiegern abwendet und keine klassische Comedy auszeichnet. Die Grenze zur Drama-Serie würde dadurch in jedem Fall deutlich verschwimmen. Übrigens war auch Lena Dunham im ersten "Girls"-Jahr mit ihrer für einen ungewöhnlicheren Erzählstil und naturalistischeren Performances bekannte Serie für die "Beste Comedy-Serie" nominiert. Ergänzt wurde dies 2012 durch Nominierungen im Bereich Drehbuch, Regie und beste Leistung im schauspielerischen Segment. Genau wie Glover in diesem Jahr. Gewinnen konnte Dunham nichts, aber wir haben wie gesagt 2017 und wer weiß, was am Abend des 17. Septembers im Microsoft Theater in Los Angeles passieren wird.

Neben Donald Glover ist ein weiterer in der Kategorie der besten Hauptdarsteller nominiert, der nicht nur in eine Rolle schlüpft, sondern ebenfalls mehrere Posten bei der Produktion besetzt. Zum Einen stammt die Idee zur semi-autobiographischen Serie "Master of None" von Aziz Ansari, Nominierungen gab es neben der für den besten Hauptdarsteller auch in den Kategorien Drehbuch und wie bereits erwähnt für die Serie selbst. Gewinnen konnte Ansari im letzten Jahr übrigens den Preis für das beste Drehbuch. Dieses stammt wieder von ihm, wodurch Netflix-Zuschauer noch ein Stück tiefer in das emotionale Leben des indisch stämmigen Schauspielers Dev Shah eintauchen können. Glover und Anzari eint also nicht nur die Nominierung in mehreren Kategorien, sondern auch das Prinzip des Auteurs. Sie gelten als geistige Urheber ihrer Werke und sind in jeglicher Hinsicht federführend bei der Gestaltung der Serien. Konkurrenz kommt in diesem Jahr erneut vom Sieger aus dem letzten und vorletzten Jahr, Jeffrey Tambor ("Transparent"), dem bislang immer sieglosen Anthony Anderson ("black-ish"), sowie dem erstmalig in dieser Kategorie nominierten Zach Galifianakis ("Baskets"). Und dann wäre da noch William H. Macy ("Shameless"), der sich in den letzten Jahren aber ebensowenig durchsetzen konnte, wie - langfristig gesehen - das Nasenpflaster auf dem Fußballplatz.

Die Frage wird also in den drei wichtigsten Kategorien der Comedy sein, ob die Academy weiter auf Beständigkeit setzt und einfach die Gewinner aus den Vorjahren auf Wiedervorlage legt, oder ob im Bereich der Comedy neue Sieger aus dem Saal gehen werden. Die einstige Vize- und zwischenzeitliche Präsidentin Selina Meyer gibt nicht auf und will in der von HBO bestellten siebten Staffel wieder ins Rennen um die Präsidentschaft einsteigen. Zum zweiten Mal. Julia Louis-Dreyfus hat ihr da einiges voraus. Aber wer weiß, vielleicht wird das Vaginagebäude in Staffel sieben dann ja doch noch gebaut.