Die Stimmung war in Bezug auf HBO im vergangenen Jahr nicht die beste. Von einer "kreativen Krise" war vielerorts zu lesen. Klar, mit "Game of Thrones" im Drama-Bereich hatte man die derzeit vielleicht angesagteste Serie im Programm - doch das nahende Ende geriet schon da langsam in Sichtweite. Da geriet mit einem Mal ins Blickfeld, dass neben dieser Ausnahme-Serie insbesondere im Dramaserien-Bereich zuletzt etwas Ebbe eingekehrt war. "Vinyl" geriet nicht nur aus Quotensicht, sondern auch inhaltlich zum Flop und fand bei den Emmys gar keinen Niederschlag. Und "True Detective" hatte sich vom Kritikerliebling in Staffel 2 zur Enttäuschung gewandelt. Die deutlich rückläufige Zahl an Emmy-Nominierungen spiegelte das wieder.

In diesem Jahr war wegen produktioneller Gründe "Game of Thrones" so spät gestartet, dass es gar nicht ins Emmy-Rennen gehen konnte - doch von einer HBO-Schwäche ist trotzdem keine Rede mehr. Trotz des Fehlens von "Game of Thrones" stieg die Zahl der Nominierungen von 94 auf 110 an. Zu verdanken ist das beispielsweise der Tatsache, dass es gelang, mit "Westworld" ein neues Epos erfolgreich an den Start zu bringen, das das Zeug dazu hat, die Zuschauer ebenfalls über viele Jahre zu fesseln. Mit 22 Nennungen dominierte "Westworld" schon auf Anhieb die Emmy-Nominierungslisten.

Dazu kommt, dass HBO auch im Bereich der Limited Series wieder viel stärker aufgestellt ist. Im vergangenen Jahr war HBO hier untypischerweise noch völlig nominierungslos geblieben, diesmal hat man gleich zwei Produktionen im Rennen: Neben "The Night Of - Die Wahrheit einer Nacht", in der ein College-Student neben einer ermordeten jungen Frau aufwacht, ohne sich an etwas erinnern zu können, ist das vor allem auch die mit Reese Witherspoon und Nicole Kidman hochkarätig besetzte Miniserie "Big Little Lies", die auf dem gleichnamigen Bestseller beruht. Und im Comedy-Bereich gehört HBO dank "Veep" ja ohnehin zu den Dauer-Favoriten auf einen Emmy-Sieg, mit "Silicon Valley" hat man zudem auch hier noch ein zweites heißes Eisen im Feuer.

Dass das Ende von "Game of Thrones" als mit Abstand zugkräftigste Serie für HBO hart wird, steht außer Frage - doch inzwischen ist deutlich eine Strategie erkennbar, wie das aufgefangen werden soll. So hat HBO inzwischen nicht weniger als vier Spin-Offs in Entwicklung gegeben, um die Geschichte in Westeros weitererzählen zu können. Die werden natürlich kaum alle auch wirklich in Serie gehen, doch es zeigt, dass man die unterschiedlichsten Möglichkeiten prüft, um noch länger am Erfolg von "Game of Thrones" zu partizipieren.

Und mehr noch: George R. R. Martin, der zum Missfallen seiner Fans noch immer nicht mit seiner Buchreihe "Das Lied von Eis und Feuer" fertig ist, die die Vorlage für "Game of Thrones" bildet, arbeitet für HBO schon am nächsten Projekt, nämlich an der Science-Fiction-Serie "Who fears Death". Die Serie soll in einem postapokalyptischen Afrika spielen, wo ein Stamm von einem Weißen unterdrückt wird. Aus einer Vergewaltigung geht ein Mädchen hervor, das allmählich übersinnliche Kräfte entwickelt, jedoch zugleich auch Zielscheibe einer düsteren Macht ist. Und David Benioff und D.B. Weiss, die kreativen Köpfe hinter "Game of Thrones", arbeiten mit "Confederate" ebenfalls schon an einer neuen Serie, die in einer alternativen Zeitlinie angesiedelt ist, in der Süd- und Nordstaaten der USA getrennt sind und in der in den Südstaaten Sklaverei auch heute noch eine feste Institution ist. An den Plänen gab es im Vorfeld schon viel Kritik - doch schon in einem so frühen Stadium so stark im Gespräch zu sein, zeigt nur, wie groß die Aufmerksamkeit für ein solches Projekt ist.

Dass bei HBO trotz des näher rückenden "Thrones"-Endes weniger eine Stimmung des Abschieds als des Anpackens zu spüren ist, lässt sich teils wohl auch ganz einfach mit einem alten Sprichwort erklären: "Konkurrenz belebt das Geschäft". Denn lange galt HBO quasi als unangefochtene Heimat der Qualitätsserien im US-Fernsehen. Als Kabelsender wie AMC aufstrebten, musste man sich bei HBO noch nicht verstärkte Sorgen machen. Doch ein weltweit operierender Dienst wie Netflix ist schon allein aufgrund der Finanzkraft und der schon quantitativ enormen Menge an Programmausstoß ein anderes Kaliber - und wird dem jahrelang unangefochtenen Emmy-Platzhirsch auch mit Blick auf Kritiker-Lob und Anerkennung bei den Preisverleihungen zunehmend gefährlich.

Man muss sich vor Augen führen, dass es gerade Mal vier Jahre her ist, dass man sich die Frage stellte, ob eine Produktion wie "House of Cards" eigentlich überhaupt mit einem Emmy ausgezeichnet werden kann, weil sie schließlich gar nicht im herkömmlichen US-Fernsehen lief. Das war kurz zuvor mit einer Anpassung des Reglements geklärt worden. Und dann kam der kometenhafte Aufstieg: Von 0 auf nun 94 Emmy-Nominierungen in nur fünf Jahren. Damit ist Netflix was die Nominierungsanzahl angeht schon in Schlagdistanz zu HBO und weit vor allen anderen Konkurrenten angelangt.

Und es sind nicht einzelne qualitative Ausreißer, die Netflix zu dieser hohen Nominierungszahl verholfen haben, es sind nicht weniger als 27 verschiedene Produktionen, noch fünf mehr als bei HBO. Ins Rennen um die beste Drama-Serie geht Netflix mit nicht weniger als drei Kandidaten: "The Crown", "House of Cards" und "Stranger Things", auch bei den Comedys ist man mit "Master of None" und "Unbreakable Kimmy Schmidt" gleich doppelt vertreten. Dazu punktet man längst auch mit Non-Fiktionalem wie der Doku "13th", die die Kriminalisierung von Afroamerikanern in den USA thematisierte. 8 Nominierungen gab's dafür. Oder auch die Doku über Amanda Knox. Auch wenn ein Breakout-Hit wie "Making a Murderer" diesmal fehlte, ist Netflix längst nicht mehr nur im Serien-Bereich gut aufgestellt.

Da Netflix für einen Bruchteil des Preises von HBO zu haben ist, tut HBO also gut daran, so viel in die Entwicklung eines kräftigen Zugpferdes für die Zeit nach "Game of Thrones" zu investieren - und sich auch nach Partnern umzusehen. Vor diesem Hintergrund ist auch die angekündigte Zusammenarbeit von HBO mit dem europäischen Pay-TV-Riesen Sky zu sehen. Zwei hochwertige Serien wollen die beiden Partner künftig pro Jahr produzieren. Angesichts des Tempos, das Netflix zuletzt vorgelegt hat, erscheint das auch nötig, damit das Emmy-Rennen so spannend bleibt wie in diesem Jahr.