Manche Leute gehen zum Lachen ja angeblich in den Keller. (In den USA fußt darauf sogar die halbe Entertainment-Industrie.) Aber wahrscheinlich ist es auch okay, wenn der Keller im Erdgeschoss liegt, wie es Deutschlands langlebigstes Stand-up-Format "Nightwash" seit einem Vierteljahrhundert vormacht.
In der vergangenen Woche hat sich das Format endgültig von seiner bisherigen Waschsalon-Heimat verabschiedet – und damit auch vom vertrauten Hintergrund, vor dem ganze Generationen an Stand-up-Künstler:innen groß geworden sind: Adieu, ihr im Hintergrund durch die Kölner Nacht sausenden Straßenbahnen, tschüß, "Höninger Gewerbehöfe"-Leuchtreklame, macht's gut, ihr sattelbeschutzten Abstellfahrräder an Laternenpfählen!
Statt neonbeschienener Waschtrommeln gibt es künftig neonbeschienene Backsteinkulisse: im neuen "Nightwash Club" am Zülpicher Platz, mitten in der Kölner Innenstadt, wo nun noch regelmäßiger Spaßprogramm veranstaltet wird als das bisher möglich war (DWDL.de berichtete).
Bewegtbild-Inhalte mit Live-Gefühl
Mehrere Comedy-Abende pro Woche, Equipment kann stehen bleiben, KI-unterstützte Regie in der Wohnung drüber: Das macht die Produktion von neuen Inhalten mit Live-Gefühl für verschiedene Ausspielwege deutlich günstiger. Und gibt Talenten die Möglichkeit, sich regelmäßiger auszuprobieren.
Dabei ist die Sesshaftwerdung zum 25. Geburtstag alles andere als ein Rückzug in die häusliche Gemütlichkeit, sondern eher – das exakte Gegenteil: "Nightwash" versucht (auch mit seinem neuen Host Tony Bauer) sichtbar, an die US-amerikanische Tradition der Comedy Cellars anzuknüpfen, die schon seit Jahrzehnten die Stars von morgen hervorbringen.
Gleichzeitig ist der Umzug quasi ein Backsteinkulisse gewordener Dauerpitch an deutsche Bewegtbildveranstalter, der schreit: Wir haben verstanden, dass ihr nicht mehr soviel Kohle wie früher für originäre Programme ausgeben könnt – also produzieren wir euch das zum Schnäppchenpreis! (Bei der initiierenden Produktionsfirma Brainpool würde man es vermutlich geringfügig anders formulieren.)
Und vielleicht ist die "Nightwash Club"-Eröffnung exakt der Tritt in den Allerwertesten, den die Branche gebraucht hat, um zu merken: Wenn alle bloß sparen und neue Inhalte nur noch für die Hauptsendezeit beauftragen, die dann die Late Prime fressen, wird's irgendwann eng mit der Nachwuchsförderung.
Dafür aber reicht es nicht, wenn zur Eröffnung bloß die Kölner "Lokalzeit" vorbeikommt, um per Vorberichterstattung kurz ihren Schleier der Biederkeit über dem Format auszubreiten und zu referenzieren, wie der WDR es einst "bundesweit bekannt" machte.
Nuhr so ein Tipp
Vor anderthalb Jahren standen in dieser Kolumne schon mal zahlreiche Gemeinheiten über die Stand-up-Bemühungen der TV-Sender, und mittendrin der Satz, dass viele Formate inzwischen wie "betreutes Auftreten für Altstars" wirkten: "Die Zeiten, in denen Stand-up-Shows als Talentschmieden taugten, sind aber lange vorbei."
Das ist gleichzeitig weiter wahr – und furchtbar falsch.
Denn einerseits setzen die Sender nach wie vor auf groß inszenierte Bühnenauftritte vor riesigen LED-Walls – zu denen dann aber doch immer wieder dieselben Nasen mit denselben Gags geholt werden, damit ausreichend viel Publikum einschaltet, um die Werbespotpreise rechtfertigen zu können. (Hilft aber manchmal auch nix, so wie neulich die Leihgabe des ARD-Comedy-Gleichstellungsbeauftragten Dieter Nuhr an RTL für die "RTL Stand-up Stars Live!" in der "Supertalent"-Kulisse.)
Keine Effekte, keine Lightshow
Gleichzeitig aber rauschen unterhalb des klassischen TV-Radars zahlreiche Spaßtalente über großstädtische Comedy-Bühnen – so wie bei "Nightwash", den von Comedians selbst betriebenen Clubs in Berlin und München (letzterer bereits mit BR-Dependance).
Oder den inzwischen zur Tradition gewordenen Stand-up-Abenden, die Radio Fritz vom RBB seit drei Jahren regelmäßig unter dem Titel "Falsch, aber lustig" (ursprünglich: "fritzgeprüft") veranstaltet. Seitdem jemand im Sender gemerkt hat, dass man das nicht automatisch nur auf YouTube stellen muss, gibt es sogar eigene Folgen für die ARD Mediathek unter dem Zusatztitel: "Falsch, aber anders lustig."
Die werden allesamt im Schnellverfahren aufgezeichnet – teilweise drei Folgen pro Abend, in kleineren Veranstaltungssälen oder Techno-Clubs mit 150 bis 250 Zuschauer:innen. Vorne steht jedes Mal Host Moritz Neumeier und begrüßt das Publikum mit One-Linern: "Bock auf viel zu schnelle Schnitte, falsche Antworten und richtig gute Laune?", "Wer bereut, dass man uns hier machen lässt, was wir schon immer machen wollten? Der RBB!", "Sagt mal, gibt die ARD auch mal Geld für junges Publikum aus? Aber sicher: Hier!"
Viel kann das freilich nicht sein: Als Bühnenbild reichen Neonröhren vor Betonwand. Es gibt keine Effekte, keine Einspieler, keine aufwändigen Lichtshows. Nicht mal in ein anständiges Logo wurden unnötige Ressourcen investiert. Aber das ist gut so. (Zumal sich die Berliner Stand-up-Szene ohnehin gerade in Hipster-Spätis zu verlagern scheint.)
Zum nächsten Spiel gepeitscht
Stattdessen stehen da einfach vier Stand-upper:innen und haben richtig Bock, mit live vorgetragenen Gags, improvisierten Wortspielen und spontaner Publikumsinteraktion zu unterhalten. In den ersten Folgen der gerade erschienenen zweiten Staffel für die ARD Mediathek müssen Fred Costea und Niklas van Lipzig die – ihnen bis dahin unbekannten, aber auf den Leib geschriebenen – Ein-Satz-Witze von Filiz Tasdan und Alex Stoldt vortragen: Was sollte man nicht sagen beim Sex? Auf der Toilette? Bei der Feier zur Wiedervereinigung? Und haben teilweise arge Mühe, das eigene Amüsement zu Gunsten ihres Auftrags im Zaum zu halten.
Im "Drama in drei Akten" muss dieselbe vorgegebene Situation erst in dreißig, dann in zehn, dann in einer Sekunde gemeinsam improvisiert werden. Bei "Ruinier dich" geht's darum, einen Schwimmbadbesuch, einen Arztbesuch oder einen Kindergeburtstag in einem Satz kaputtzumachen (Hinnerk Köhn: "Noch vier mal Singen, dann ist Papa wieder frei."). Bei "Unnötig komplizierte Dates" darf ausschließlich in Red Flags kommuniziert werden. Bei "Who's your Daddy?" werden auf die Bühne geholte Zuschauer:innen in deren Anwesenheit gedisst. Und Neumeier peitscht die Riege von einem Spiel zum nächsten.
Von unschätzbarem Wert
Das ist wahnsinnig schnell, präzise, grenzüberschreitend – und sehr, sehr lustig, bis nach 24 Minuten schon wieder der Vorhang fällt.
Und, ja natürlich: Zur Hauptsendezeit würde jeder Fernsehveranstalter gnadenlos damit untergehen, weil sich das lineare Publikum fragte, wann endlich Atze Schröder kommt. Aber im Nonlinearen ist der Ausprobierkosmos, den Radio Fritz damit erschaffen hat, für den RBB von unschätzbarem Wert. Weil man sich einigermaßen sicher sein kann, dass man die Leute, die hier in überschaubarem Kreis Gag-Feuerwerke abfackeln, bald in größerem Rahmen wiedersehen wird. (Ensemble-Mitglied Till Reiners durfte sich zuletzt ja bereits als Böhmermann-Sommerlückenfüller im ZDF ausprobieren.)
Es kommt nicht oft vor, dass der RBB mal was richtig macht: Aber "Falsch, aber lustig" gehört definitiv dazu – weil man damit den Beweis antritt, dass es manchmal wirklich keine großen Budgets braucht, um cleveres Entertainment herzustellen.
Sender, schaut auf diese Röhren!
Sondern bloß eine Spielwiese für Kreativität. Welche die Branche so dringend braucht, wenn sie nicht weiter nur Budgetberge auf exhumierte Altstars schmeißen will. Minimalismus ist manchmal eben nicht nur billiger, sondern auch: besser. Man kann "Nightwash" im neuen Stammhaus und "Falsch, aber lustig" mit seinen wechselnden Bühnen nur wünschen, dass sie die von ihnen ausgehende Inspiration bis zu den Programmverantwortlichen in die Sender hineintransportiert kriegen.
Oder wie es eine alte Volksweisheit, die Wolpers'sche Weissagung, formuliert: Erst wenn der letzte Late-Night-Platz gerodet, der letzte Innovationsansatz vergiftet, der letzte Umsatzcent gespart worden ist, werdet ihr merken, dass Joko und Klaas auch irgendwann in Rente gehen.
Und damit: zurück nach Köln.
Auf nightwash-club.de steht das komplette Programm des neuen Clubs, ganze TV-Episoden gibt es bei myspass.de; "Falsch, aber lustig" ist bei YouTube und "Falsch, aber anders lustig" in der ARD-Mediathek abrufbar.
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