Mittwochabend war's, als bei RTL ein älterer Typ im giftgrünen T-Shirt mit ausgebreiteten Armen die Showtreppe herunterkam, aus dem Off angekündigt als "Superstar der deutschen Comedy", und "Tachchen" sagend das darauffolgende Treffen der prominenten Gegenwartsbeklagenden eröffnete.

"Wir haben sie alle zusammengekriegt, es wird ein sensationeller Abend", versprach Mario Barth, "und eine sensationelle Legende, meine Damen und Herren – es wird heute eine Legende im deutschen Fernsehen auftreten, die hab ich persönlich eingeladen, eine Legende, ich bin Fan, ich bin Fan von ihm seit ich zwölf bin, seit, seit – wirklich, seit ich zwölf bin, bin ich ein Riesenfan, ich bin wirklich ein Riesenfan, seit ich zwölf bin. Und ich hab ihn hinten wiedergesehen, und da merkste erstmal, wie alt du geworden bist. Wirklich, das merkste. Wenn du da hingehst und sagst: Ich kenn Sie, seit ich zwölf bin. Sacht er: Ja, ick dich och. Da merkste einfach, dass du älter wirst, wirklich."

Unkompliziertheiten der Vergangenheit

Anschließend machte Mario Barth noch ein paar Gags über "Dinkelkeksmuttis", Diplomsozialpädagoginnen und diverse Pullergeräusche ins Mikro, um einzufordern: "Wir müssen wieder verrückter werden!" Bevor Sascha Grammel sich von einer uralten Vogelpuppe im Schottenkostüm bauchrednerisch selbstbeleidigte, Cindy aus Marzahn den Verlust von Fleischwurst als "Fundament der Zivilisation" beklagte, Ralf Schmitz mit Publikumsbeteiligung ein Horrorhörspiel improvisierte und Guido Cantz endgültig der Kragen platzte: "Das Schlimme bei uns Komikern ist: Mittlerweile muss alles politisch korrekt sein, genderkonform und woke – ich hab's erlebt." Ein Redakteur hat ihn mal kritisiert, weil er "Alter Schwede" gesagt hat! Was denn sonst? "Lebenserfahrener Mittelskandinavier"?

Aber da war die Zeit auch schon fast rum, und die sensationelle Legende Mike Krüger stapfte auf die Bühne, um mit der Gitarre "Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen" zu intonieren, währt die ganze Band um ihn herumstand und ihr Glück kaum fassen konnte.

Nirgendwo sonst im deutschen Fernsehen ist das Früher ein so großes Glück wie in der Stand-up-Comedy. Aber die Leute im Studio hatten alle einen Riesenspaß dabei, dem "Gipfeltreffen" dabei zuzusehen, wie es sich die eingebildeten Unkompliziertheiten der Vergangenheit zurücksehnte, um gemeinsam ein Gag-"Feuerwerk der Extraklasse" (Senderinfo) abzufackeln als seien es wieder die frühen Zweitausender.

Bewegtbildinfluencer Sat.1

Für RTL war "Mario Barth präsentiert: Die größten Stars der Comedy" in erster Linie: ein ordentlicher Erfolg; und für den Rest der Branche: das wirklich allerletzte Indiz für die Wiederauferstehung eines beerdigt geglaubten Genres: der Stand-up-Comedy-Show, in der sich die Spaßmacher:innen gegenseitig das Mikro in die Hand geben.

Jetzt sind sie alle wieder da. Teilweise mit neuer Moderation, so wie bei der leicht aufpolierten "Quatsch Comedy Show" auf Pro Sieben, wo es mit Tahnee und Khalid Bounouar jetzt gleich zwei Leute braucht, um sich über das "Fundstück der Woche" kaputt zu ömmeln (ein Social-Media-Star-Spielset von Playmobil, muahahaha!), bevor Mirja Boes, Alain Frei und Ole Lehmann über Pubertierende, Höhenangst und Latte-Macchiato-Füchse lästern; oder "Nightwash", das auf einer nie enden wollenden Odyssee durch die deutsche Senderlandschaft nun bei RTLzwei gestrandet ist, um aus dem immer noch existierenden Kölner Waschsalon das traurigste Ökowaschmittel-Placement der Welt zu präsentieren und nebenbei wechselnde Künstler von Simon Stäblein über Osan Yaran bis Mirja Regensburg Witze über Kinderrotze, Escooterfahren, Tindern und Älterwerden machen zu lassen.

Angefangen hat den Trend womöglich – man mag's kaum glauben: Sat.1, das sonst wirklich weiter weg ist vom Bewegtbildinfluencer als Mario Barth vom Gag-Feuerwerk, aber mit den "Besten Comedians Deutschlands" dieses Frühjahr bereits zum wiederholten Mal erfolgreich war – und Stand-up fürs Fernsehen wieder zurück auf die Agende geholt hat.

Dieselben Leute wie überall sonst

"Ich verspreche einen Abend, der uns alle auf die Sonnenseite des Lebens holen wird. Einfach mal ohne Sorgen ablachen. Ansonsten kannste das da draußen ja gar nicht mehr ertragen, oder?", begrüßte Gastgeber Daniel Boschmann sein Publikum im März, um dann exakt dieselben Künstler anzumoderieren, die nun auch überall sonst aktiv sind – während selten, ganz, ganz selten mal ein, zwei Komiker:innen dazwischen funken dürfen, die vorher nicht schon durch unzählige Shows hindurchgereicht wurden.

Dabei waren die Mixed Stand-up-Shows im Fernsehen ja lange Zeit nicht nur der günstig zu produzierende Traum jeder Programmdirektion, sondern quasi auch das Hogwarts der deutschen Comedy-Szene, in denen Spaßlehrlinge für die Bühnen des Landes ausgebildet wurden.

In den kleineren Shows errangen neue Talente Aufmerksamkeit, um in die größeren eingeladen zu werden – wo sie sich beweisen konnten, um eigene Sitcoms und Personality Shows zu erringen oder als gefeierte Solo-Stars auf Tour zu gehen und ihr Bühnenprogramm dann wieder ins Fernsehen zurückzutragen. Es war eine Zeit der geschlossenen Verwertungskette.

Und nichts davon klappt mehr wie früher.

Genug der zeitlosen Schlichtheiten

Bei ihrer Rückkehr wirken viele Formate inzwischen eher wie Betreutes Auftreten für Altstars, die ihrem Tränen lachenden Publikum ohne Zweifel immer noch einen ganz hervorragenden Abend bescheren können – dagegen ist ja nichts einzuwenden. Die Zeiten, in denen Stand-up-Shows als Talentschmieden taugten, sind aber lange vorbei.

Und wenn man sich die zeitlosen Schlichtheiten, die immer ähnlichen naheliegenden Alltagssituationen und die augenzwinkernd vorgetragenen Früher-war-alles-besser-Wehklagen anhört, aus denen eine erschreckend hohe Zahl der Auftritte besteht, womöglich auch: zurecht.

Bedarf an neuen Talenten hat das Medium zwar nach wie vor, ganz enormen sogar. Nur der Rekrutierungsmechanismus ist ein anderer. Der Late-Night-Talk- und Personality-Show-Reigen, den etwa ZDFneo derzeit veranstaltet, speist sich aus völlig anderen Metiers: Bei "Neo Tropic Tonight", "Neo Ragazzi" und "Edins Neo Night" stehen keine klassischen Stand-upper auf der Bühne, sondern Social-Media-erprobte Allrounder, die als Autor:in, Podcaster:in, Schauspieler:in Erfahrungen gesammelt haben, um sie in die Formate einbringen zu können.

Alle Gags schon mal gemacht

Dass nicht auch die anderen Sender schon viel öfter solche Programmexperimente wagen, liegt vielleicht an einer generellen Inkompatibilität, die weiter zunimmt: Junge Leute, die sich für neue Künstler:innen interessieren, gucken seltener klassisch fern; also setzen die Sender fürs Lineare in zunehmendem Maße auf Gesichter, die ihren Zuschauer:innen noch von früher vertraut sind. Wobei am Ende vielleicht nicht mal das hilft: RTLzwei dürfte sich für seine "Nightwash"-Neuauflage jedenfalls deutlich mehr Aufmerksamkeit erhofft haben; und die "Quatsch Comedy Show" ist in Unterföhring wohl auch nicht gerade als Überflieger verbucht worden.

"Man braucht doch Leute, die Witze erzählen! (…) Deswegen sind solche Sendungen hier auch so wichtig", komplimentierte Markus Krebs kürzlich "Nightwash" bei "Nightwash" und war (nach ein paar Schneemannwitzen: "Du schuldest mir 50 Euro" – "Frag mich mal im Juli, da bin ich wieder flüssig") "sehr dankbar", wieder hier sein zu dürfen.

Aber vielleicht sind die Zeiten, in denen das Fernsehen für die Stand-up-Szene das gelobte Land war, in das es immer wieder neue Auftrittsmöglichkeiten hineinregnete, einfach ein für alle mal vorbei. Entweder das. Oder das Publikum hat inzwischen einfach alle Gag-Variationen, die man über Helikoptereltern, Kinderpipi und Fahrradfahren in Köln machen kann, schon mal gehört und wartet darauf, dass sich irgendjemand mal was Neues einfallen lässt.

Und damit: zurück nach Köln.

ProSieben zeigt die "Quatsch Comedy Show" mittwochs ab 21.25 Uhr; "Nightwash" und "Mario Barth präsentiert" sind bei RTL+ abrufbar.