Katzen haben sieben Leben – und ihren neuen Meister gefunden. Denn wenn ich mir den Verlauf seiner Karriere so ansehe, würde ich sagen: Bei Oliver Pocher kann man locker noch eine Null hinten dranhängen. Wieviele Fernsehleben er schon verbraucht hat, ist schwer zusagen. Aber niemand wird behaupten wollen, er wisse das jetzige nicht in vollen Zügen auszukosten.

2020 scheint Pochers Jahr zu sein. Im Januar hat er sich mit Schlagersänger Michael Wendler erst fern- und dann nahduelliert, anschließend verbündet und damit so erfolgreich diverse Sendeplätze gefüllt, dass ihm RTL bereitwillig große Teile seiner Programmgestaltung überschrieb. Pocher ließ sich beim Abenteuerurlaub mit seinem Vater filmen, taucht als Dauergast bei "Denn Sie wissen nicht, was passiert" auf und quizzte bei "Bin ich schlauer als Oliver Pocher?". Im Frühjahr hat er erst Corona bekommen und dann seine eigene Late Night, die der 42-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Amira bestreitet. Gerade wurde "Pocher – gefährlich ehrlich!" in die dritte Staffel verlängert und läuft künftig zweimal pro Woche. Wahrscheinlich muss Peter Kloeppel froh sein, dass er seinen Job noch hat.

Plötzlich Ex-Star

Dabei besitzt Pocher eine Angewohnheit, die sonst nur entfernte Verwandte an den Tag legen, wenn sie mitbekommen, dass man im Lotto gewonnen hat: Er taucht aus dem Nichts auf, reißt alles an sich und lässt sich nur schwer wieder abschütteln.

Das geht schon eine ganze Weile so: Nach dem abrupten Ende der Zusammenarbeit mit Showpartner Harald Schmidt im Ersten rollte ihm überraschend Sat.1 den roten Teppich für "Die Oliver Pocher Show" aus. Und als die sich als Totalflop herausstellte, spannte ihm Wettbewerber RTL mit "Alle auf den Kleinen" einen Rettungsschirm auf. Bis es vor ungefähr sechs Jahren so aussah, als hätte das Glück endgültig die Lust verloren, sich weiter strapazieren zu lassen.

Auf einen Schlag waren alle Programme, in denen Pocher seine Späße treiben durfte – weg. Statt prominenter Sendeplätze blieben nur Mini-Moderationen in Spartenkanälen. Die Medien interessierten fast ausschließlich die zahlreichen Aufs und Abs seines Privatlebens. Und wenige Jahre, nachdem er sich als Moderator bei "Promi Big Brother" über gescheiterte Ex-Stars lustig gemacht hatte, war Pocher plötzlich selber einer.

Er nahm die ungewollte Rolle an – und sich fest vor, sie wieder loszuwerden. Koste es, was es wolle.

Zurück ins Scheinwerferlicht geackert

In den Folgejahren turnte Pocher geduldig durch diverse Reality- und Spielshows und witterte seine Chance, als RTL ihn 2019 als Kandidat für "Let’s Dance" verpflichtete. Dort durfte er endlich wieder eine seiner größten Stärken ausspielen: den Ehrgeiz, das Publikum mit vollem Körperein- und Bauchansatz zu unterhalten, notfalls auch bis an die Grenze der Selbstblamage. Pocher selbst bezeichnete die Teilnahme bei "Let’s Dance" im Nachhinein als "Wendepunkt", auch wenn er letztlich nur Platz sieben belegte. Ein paar Monate später hatte er einen zweijährigen Exklusivvertrag mit RTL in der Tasche.

All das verlangt zunächst einmal: Respekt. Es gibt wenige im deutschen Showgeschäft, die sich nach mehrmaligem Scheitern mit einer solchen Hartnäckigkeit zurück ins Scheinwerferlicht geackert haben. Möglich war das auch deshalb, weil Pocher akzeptiert hat, nicht der Typ Entertainer zu sein, der von allen gemocht wird; und dass es auch völlig aussichtslos wäre, das zu versuchen. Daraus hat er ein Geschäftsmodell gemacht.

Erfolgsgestänker gegen Influencer

Mit der Erfahrung, dass ihm seine Plattform im Fernsehen von heute auf morgen weggenommen werden kann, baute er sich seine eigene auf, über die es sich jederzeit nahtlos weitersenden lässt: erst Twitter, dann YouTube, heute Instagram. Damit das funktioniert, braucht es Opfer, die sich parodistisch quälen lassen, bis sie zurückkeilen und der Social-Media-Beef ins Fernsehen hinüber schwappt – wo er nach Pochers Regeln vergoldet werden kann. Der öffentlich ausgetragene Streit mit Boris Becker war 2014 Beleg dafür, dass diese Strategie funktioniert; der mit dem Wendler in diesem Jahr die Krönung.

Zwischendurch nimmt Pocher all jene aufs Korn, die sich entweder öffentlichkeitswirksam zu wehren wissen oder genauso öffentlichkeitswirksam zusammenbrechen: Influencer. Dass hinter seinem Gestänker oft nicht mehr steckt als billige Provokation (und zunehmend die unangenehm wirkende Überzeugung, sich als moralische Instanz aufspielen zu können), ist egal. Funktioniert doch!

Pocher - gefährlich ehrlich © Screenshot TVNOW Oliver Pocher macht bei RTL künftig zweimal wöchentlich Late Night mit Unterstützung seiner Frau Amira.

Dass Pocher, um sein Publikum zu unterhalten, auch keine Gags auf eigene Kosten scheut, ist unbestritten. "Die Leute hassen oder lieben mich", hat er sich kürzlich noch mal selbst vorgestellt – und im Zweifel gefällt’s ja beiden Seiten, den Typen mit der großen Klappe im Fernsehen leiden zu sehen. Bloß glaubt Pocher all zu selbstverständlich, von seinen Opfern ähnliches erwarten zu können (minus dem Drang zur wiederholten Selbstentkleidung vielleicht).

Das geht doch auch günstiger!

Vor allem aber hat er eins verstanden: dass Fernsehen im Jahr 2020 unter anderen Zwängen funktioniert als zu Beginn seiner Karriere. Im DWDL-Interview lobte RTL-Geschäftsführer Jörg Graf seinen Exklusiv-Star im Mai erst für dessen Talent, genau die Art Spontanunterhaltung zu machen, mit der man sich in Köln lange Zeit eher schwer tat. Gleichwohl machte Graf aber auch keinen Hehl daraus, dass Pochers Art, Sendezeit zu füllen, ganz gut in die aktuelle Zeit passt, in der selbst RTL auf vielen Sendeplätzen "an wirtschaftliche Grenzen" stoße.

Pochers Späße sind der Gegenentwurf zu aufwändig inszenierter Unterhaltung, wie sie Joko und Klaas bei "Circus Halli Galli" und Jan Böhmermann im "Neo Magazin Royale" zelebriert haben. Im Zweifel reicht ihm: eine Kamera, eine mittelmäßig auftoupierte Perücke und ein nachträglich im Schnitt hinein geschnipster Soundeffekt – fertig ist der Zehn-Minuten-Beitrag!

Spiel’s noch einmal, Pochi

Kreativ überstrapazieren muss sich Pocher dafür nicht. Wenn er als Clemens Tönnies verkleidet die Gütersloher Fußgängerzone stürmt, reichen ihm für die komplette Aktion drei Gags, die sich dann halt permanent wiederholen. Mit Amira stellt er dämliche Influencer-Fotoposen an Original-Sehenswürdigkeiten in Paris nach – und weil das gut lief, in den Wochen drauf halt auch noch in Wien, Venedig, Rom, Pisa und Florenz. Und die Promotion für die konsequente Maskendurchsetzung in einem bekannten Freizeitpark läuft in der Rubrik "Rent a Pocher" – mit der der Namensgeber vor 17 Jahren mal bei ProSieben angefangen hat. (Und die während der Sat.1-Zeit zwischenzeitlich mal "Pochers Auftrag" hieß.)

Wenn dann noch ein bisschen Zeit bis zum "Nachtjournal" übrig ist, werden ein paar Grimassen geschnitten, während auf dem Bildschirm des hastig bei Ikea eingerichteten Studios im Hintergrund ein Best-of vom "Sommerhaus der Stars" läuft.

Gegen "Pocher gefährlich ehrlich!" wirkt das späte "TV total" rückblickend geradezu wie ein Hort der Innovation und "Markus Lanz" wie die Sendung mit den Überraschungsgästen. Aber das macht nichts, weiß Pocher, so lange eine wichtige Grundvoraussetzung gegeben ist: Wenn keine Live-Band, kein teures Studioset mit Showtreppe und keine Heerscharen an Gag-Autoren bezahlt werden müssen, geht’s für den Sender im Zweifel auch in Ordnung, wenn die Marktanteile mal ein, zwei Wochen nicht ganz so üppig ausfallen, wie man das sonst gerne sieht.

Derselbe Fehler auf Repeat

Pocher macht Fernsehen so, wie Fernsehen heute manchmal aussehen muss, wenn zwischendurch nicht noch drei Folgen "Monk" zum Wiederholen da sind. Das ist nicht weiter schlimm (jedenfalls meistens) – aber halt auch nicht sonderlich originell. Und es wird nicht besser, wenn das bisschen Inhalt zusätzlich auf einen Podcast und eine Live-Tour gestreckt werden muss.

Vor allem begeht Pocher damit wieder denselben Fehler, der ihn schon so viele seiner Fernsehleben gekostet hat: Mit der Dauerpräsenz sorgt er im Zweifel dafür, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer ganz schnell wieder an ihm sattsehen.

Pocher und Papa auf Reisen © Screenshot TVNOW Mit seinem Vater reiste Pocher für RTL mit Kamerabegelitung nach Thailand und in die USA.

Dabei wäre es vermutlich sehr viel nachhaltiger, mit den eigenen Talenten besser zu haushalten. Als Gast in anderen Shows entpuppt Pocher sich nämlich durchaus als gut gelaunte Bereicherung; "Pocher und Papa auf Reisen" merkt man an, wieviel unterhaltsamer Programme sein können, wenn ausreichend Zeit für Schnitt und einen pointierten Off-Text bleibt. Und sobald Comedy auf die harte Realität trifft, zahlt sich manchmal auch Hartnäckigkeit aus: Kürzlich tauchte Pocher wieder in Gütersloh auf, diesmal unverkleidet, aber mit rumänischem Dolmetscher – um zu checken, unter welchen Bedingungen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter des in die Schlagzeilen gekommenen Fleischfabrikanten nach der Corona-Sperre inzwischen leben.

Abschied per Fist Bump

Anfangs gab es mächtig Stress mit dem (vermeintlichen) Vorabeiter, der laut fluchend versuchte, die Eindringlinge in die Flucht zu schlagen. Pocher blieb ruhig, aber ließ sich nicht abschütteln – und durfte nach telefonischer Absprache mit den Verantwortlichen tatsächlich in eines der Häuser, um dort zu filmen und sich kurz mit den Bewohnerinnen und Bewohnern über ihren Alltag zu unterhalten. Zum Schluss verabschiedete man sich per Fist Bump.

Das war gar nicht lustig. Aber unerwartet und tausend Mal interessanter als das öde Influencer-Bashing. Nicht auszudenken, was aus der Situation hätte werden können, wenn sich Pocher vorher von einer Redaktion noch ein paar interessante Fragen mehr hätte einbimsen lassen.

Gut, am Ende ist’s halt doch leichter, mit Kamerabegleitung durch einen Swinger-Club zu touren und sich nachher am Folterrad ein bisschen auspeitschen zu lassen, wenn man ganz unbedingt mehrmals pro Woche auf Sendung gehen will. Die Leute lieben oder hassen Oliver Pocher ja ohnehin. Wahrscheinlich auch noch im nächsten Fernsehleben.

Und damit: zurück nach Köln.

RTL zeigt "Pocher – gefährlich ehrlich!" donnerstags und sonntags nach 23 Uhr.