"Wie leben wir in naher Zukunft?", hat die ARD kürzlich ihr Publikum gefragt – und die wenig aussichtsreiche, in Mittwochsfilmform gegossene Antwort gleich mitgeliefert: scheiße. Zumindest wenn man dem "Near-Future-Schwerpunkt" Glauben schenken mag, den der Senderverbund derzeit im Ersten und in der ARD Mediathek zelebriert.

Los gegangen ist das alles mit einer eigentlich guten Idee bzw. wie man auf ARDisch sagt: einer "besonderen Programminitiative von NDR und SWR", die bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern "Fantasie für Geschichten von morgen" bestellt und geliefert bekommen haben, weil diese angeblich "Seismographen unserer Gesellschaft" sind. (Obwohl manche vielleicht einfach nur zu oft "Im Land der Raketenwürmer" gesehen haben.)

Ein Teil der Ergebnisse ist verfilmt worden, um den "erschreckenden Mangel an Zukunftsvisionen" zu beheben, den Vordenker Harald Welzer den Deutschen vor einigen Jahren unterstellt hat. Was im Norden und Süden der ARD die Frage provozierte, wie es "ohne Ideen, Bilder und Träume von der Zukunft eine Entwicklung geben" könne. Die Antwort, loben sich die Programmverantwortlichen selbst, sei "zutiefst öffentlich-rechtlich" ausgefallen – und irgendwie stimmt das ja auch, wenn man sich ansieht, wie repetitiv, pessimistisch und mittelvisionär die jetzt im Programm laufenden Filme geworden sind.

Verwirrspiel mit Gänsehaut-Effekt

Die positive Nachricht ist: Die meisten lassen sich trotzdem ganz gut ansehen. An diesem Mittwoch zeigt das Erste "Das Haus" mit einem starken Tobias Moretti, der sich nach einem öffentlich ausgesprochenen Schreibverbot als Journalist mit seiner Frau (genauso toll: Valery Tscheplanowa) in ein vollständig durchautomatisiertes Ferienhaus zurückzieht, das im Laufe der Zeit ein Eigenleben zu entwickeln scheint und die Geheimnisse seiner Bewohner preisgibt – was großartig gefilmt ist und trotz Corona-Drehunterbrechung als Thriller wirklich gut funktioniert. (Bloß der "Sixth Sense"-hafte Schlussversuch wirkt arg erzwungen.)

Das Haus © NDR/Andreas Schlieter Erst Schreibverbot, dann Smarthome-Stress: Tobias Moretti als investigativer Zukunftsjournalist in "Das Haus".

Vor einem Jahr lief auf demselben Sendeplatz bereits "Exit", das im Tokio des Jahres 2047 spielt, wo das Entwickler-Team einer Künstlichen Intelligenz die lukrative Übernahme durch eine große Firma unterschreiben soll – bis ein Mitglied der Gruppe nach Einwänden urplötzlich im Hotel verschwindet. Und man mit Gänsehaut abwartet, wie sich das Verwirrspiel auflöst.

"Zero" mit Heike Makatsch als taffer Social-Media-Skeptikerin, die den groß angelegten Manipulationsversuch eines mächtigen Digitalkonzerns aufdeckt, war Anfang November der eher peinliche Versuch, die gängigsten Vorbehalte gegenüber neuen Technologien zu einer großen Verschwörung zusammenzurühren.

Kein Kommissar, nirgends!

Kurz vor Weihnachten folgt noch das leisere "Ich bin dein Mensch" von Regisseurin Maria Schrader, bei dem die Hauptprotagonistin sich darauf einlässt, einen nach ihren Wünschen gebauten Humanoiden als Lebenspartner zu testen und von der konsequenten Ablehnung in ein ungeahntes Glück stolpert. Mit überraschendem Humor.

Ich bin dein Mensch © SWR/Letterbox Filmproduktion/Christine Fenzl Robot meets Girl: Am Anfang funkt's zwischen Alma (Maren Eggert) und Tom (Dan Stevens) in "Ich bin dein Mensch" noch gar nicht.

Jeder Film ist – insbesondere für ARD-Verhältnisse – ungewöhnlich, durchaus sehenswert und (das Allerbeste!) kommt vollständig ohne Kommissar aus, was in der deutschen TV-Fiction ja längst keine Selbstverständlichkeit ist. Allen Unterschieden zum Trotz sind sich die Produktionen in einem aber doch ähnlich: ihrem zutiefst skeptischen Blick in die Zukunft. Nun ist genau diese Skepsis das Grundprinzip jeder Dystopie, die auch als Warnung verstanden werden will, es nicht soweit kommen zu lassen wie in der dem Publikum zugemuteten Erzählung. Die Frage ist bloß, was eine Vision wert ist, die digitalen Fortschritt immerzu nur als Bedrohung sehen kann und ihn fast automatisch mit einem gesellschaftlichen Rückfall in uralte Muster kombiniert.

Damit ist die ARD nicht alleine, das ZDF lieferte gerade pünktlich zum Einstieg in einen ohnehin beschissenen Winter drei kleine Dystopie-Fernsehspiele mit Ideen, wie alles noch viel schlimmer sein könnte. Was durchaus den Schluss zulässt, dass der deutsche Zukunftsfilm vor allem eines hat: Lust, seinen Zuschauerinnen und Zuschauern die Laune zu verderben.

Und zwar mit immer denselben Weissagungen aus der Geisterbahn des Möglichen.

"Human-Rank" und "Bürger-Score"

Dazu gehört zuallererst eine bedrohliche virtuelle Währung, die sich die Gesellschaft in einem schwachen Moment hat überstülpen lassen, um Individuen kontinuierlich bewerten, belohnen und bestrafen zu können: einen "Human Rank" mit "Smart-Punkten" wie bei "Zero", ein "Karma-Konto" wie in der visuell völlig überladenen ZDF-Produktion "Hyperland" oder einen Rohstoffknappheit-bedingten "Bürger-Score" wie in der WDR-Produktion "Arcadia", die gerade für 2023 in Kooperation mit dem belgischen und dem niederländischen Fernsehen entsteht.

Neue Technologien werden ausschließlich erfunden, um Menschen auszuspionieren oder fernzusteuern: Die mittels "Data Glases" funktionierende "Act App", gegen die Makatschs Filmfigur aufbegehrt, will alles ausmerzen, was nicht dem Mainstream entspricht. In "Das Haus" funktioniert das geisterhaft agierende Smarthome als geschlossenes System, das letztlich sogar über Leben und Tod entscheiden kann – mit freundlichem Kundenservice der vielsagend benannten Firma "Peace of Mind". Und die Humanoiden in "Ich bin dein Mensch" werden programmiert, indem man sie mit den "Mind Files" der kompletten Bevölkerung speist.

Wer dann noch nicht genug von der Zukunft hat, dem wird eine rechtspopulistische Regierung präsentiert, die sich mit einem inszenierten Attentat an die Macht zu putschen versucht, um die Abschaffung der Demokratie in Aussicht zu stellen ("Das Haus"); oder wie bei "Zero" ein übermächtiger Digitalkonzern namens "Freemee", in dessen Firmenkathedrale aus Beton ein gruseliger Tech-Gott im Rollkragenpullover auf die Heldin wartet, um bedeutungsschwer klingende Sätze zur "Befreiung der Menschheit" auszutauschen, bevor er sich von der selbst gebauten KI die Kontrolle abnehmen lässt.

WDR/Volker Roloff © WDR/Volker Roloff Würden Sie einem Herrn mit diesem Klamottengeschmack trauen? Freemee-Chef Carl Montik (Sabin Tambrea) mit Social-Media-Skeptikerin Cynthia (Heike Makatsch) in "Zero".

(Eine deutsche Tech-Koryphäe, der das ganze Land auf der Keynote zur Präsentation einer ausgefeilten App zujubelt, ist auch so ziemlich das Irrste, was man sich ausdenken kann – und rangiert in der Plausibilität nur knapp hinter der Möglichkeit, dass Frank Thelen irgendwann sympathisch wirken könnte.)

Die kalten, leeren Straßen von Berlin

Und dann ist da natürlich die Angst vor den Algorithmen, die uns durchoptimieren und verbiegen werden, weil die träge Masse zu faul ist, dagegen aufzubegehren. (Bis Heike Makatsch kommt und protestiert: "Du lässt dir von einem Algorithmus vorschreiben, wie du dich gegenüber deiner Mutter verhältst!") Was ja als Angstbild durchaus berechtigt sein mag – in der stupiden Annahme, dass die Gesellschaft wirklich alles mit sich machen lässt, aber halt auch: unendlich traurig.

Selbst der Spiegel der Zukunft nervt, weil er morgens beim Zähneputzen im Bad zuallererst den Eisen- und Calciummangel seines Besitzers einblendet.

Am übelsten nehme ich den Macherinnen und Machern aber, wie sehr sie ihre Erzählungen in Umfeldern platzieren, die dadurch futuristisch wirken sollen, dass sie besonders unwirtlich aussehen. In "Zero" fährt die Kamera permanent durch farbentsättigte Neubaustraßenschluchten, die allesamt aus der Froschperspektive gefilmt sind, damit die dafür ausgewhlten Berliner Büro- und Wohnanlagenkulissen noch ein bisschen ausladender wirken, nachdem man ihnen den Discounter mit den grellen Farben aus dem Erdgeschoss wegretuschiert hat.

Szenen aus Zero © Screenshots Das Erste Die kalten, leeren Hochhausschluchten von Berlin in "Zero".

Alles sieht wahnsinnig leer, düster und trostlos aus, während die Protagonistin (selbstverständlich) im autonom fahrenden Auto durch die Metropole kutschiert wird. (In "Das Haus" ist es ein autonom fahrendes Boot, das die Charaktere an den Ort ihres Unheils bringt.) Erst als die Heldin die beabsichtigte Manipulation entlarvt und am nächsten Morgen aufwacht, strahlt die Sonne durchs Fenster in das plötzlich ganz gemütlich wirkende Loft mit der Zimmerpflanze, die sich über Nacht dazu geschlichen haben muss.

Ignorierte Chancen für die Stadt von morgen

"Ich bin dein Mensch" widersteht der Versuchung, die Großstadt als plakative Leere zu zeigen, scheint einfach in der Gegenwart zu spielen, wie wir sie kennen, und versäumt darüber leider komplett, sich in irgendeiner Form Gedanken darüber zu machen, wie die Welt übermorgen anders aussehen könnte. Alles ist einfach wie immer – nur halt mit Hologrammen und Humanoiden.

Und das alles wirkt nicht nur erstaunlich fantasielos, sondern auch wahnsinnig falsch.

Bei aller naheliegenden Skepsis gegenüber den derzeitigen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen ignorieren die deutschen Near-Future-Visionen, wie sehr Gesellschaftsakteurinnen und -akteure sich schon heute und jetzt um Verbesserungen bemühen; wie Städte zugänglicher für alle werden, die in ihnen wohnen; wie die Überzeugung wächst, dass wir unsere Umwelt so gestalten müssen, dass es sich darin besser leben lässt – ohne sie dabei zu zerstören.

Metropolen wie London, Paris, Edinburgh und New York City verbannen Teile des Autoverkehrs aus ihrer Mitte, um mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger zu schaffen; das britische Städtchen Stockton-on-Tees reißt ein nicht mehr benötigtes Einkaufszentrum ab, um auf der Fläche einen Park anzulegen; Miami will den ungenutzten Platz unter den Schienen einer Metro-Linie zu einer riesigen Freizeitanlage machen; in Berlin werden Hochhäuser für alle Einkommensklassen gebaut – aus Holz; und Wien macht Straßen klimafreundlicher: mit Bäumen, Wasserspendern, Bänken und weniger Autos.

An der Zielgruppe vorbei erzählt

Keine dieser Gegenwartsinitiativen ist Basis für die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigten Zukunftsvisionen, bei denen es angeblich um die "Herausforderungen und Möglichkeiten des Einzelnen und der Gemeinschaft" gehen soll, wie ARD-Fiction-Koordinator Jörg Schönenborn behauptet. Am Ende kriegen wir aber doch bloß präsentiert, was alles richtig schief gehen kann.

Das hat selbstverständlich Tradition. Die von Charlie Brooker für Channel 4 und Netflix entwickelte britische Zukunftsreihe "Black Mirror" ist von einem noch viel tiefergehenden Pessimismus gegenüber der Beherrschbarkeit von Technologien durchsetzt, die immer weiter in unsere Privatsphäre hineinreichen. Als bitterböse Satire auf die Gegenwartszustände sind die Episoden von einer Schärfe und einer Lust geprägt, ihr Publikum mit Alpträumen zu quälen, wie es sich nur schwer adaptieren lässt.

Auch deutsche Fernsehfilmklassiker wie "Smog", "Fleisch" und "Das Millionenspiel", an die mit der Near-Future-Reihe angeknüpft werden soll, haben zweifellos ein von Skepsis beherrschtes Zerrbild von Zuständen gezeichnet, die morgen schon Wirklichkeit sein könnten. Aber um "mit Mitteln der Fiktion die gesellschaftliche Zukunft zu verhandeln", wie es sich NDR-Fernsehfilmchef und Initiator Christian Granderath zur (ambitionierten) Aufgabe gemacht hat, reicht das im Jahr 2021 bei weitem nicht mehr aus.

Willkommen im Digitalparadies?

Insbesondere, um damit eine jüngere Generation anzusprechen, die man in der ARD explizit als Zielgruppe der Filme ausgemacht hat, und die sich seit ein paar Jahren Mund und Füße fusselig demonstriert, um die Verhältnisse endlich zum Besseren zu wenden.

Die Streaming-Anbieter, zu denen die öffentlich-rechtlichen Sender rüberschielen, weil das Genre dort schon sehr viel länger und konsequenter bedient wird, haben zumindest verstanden, Bilder von der Zukunft nicht immer unter den gleichen grauen Schleier zu hängen. Die amerikanische Prime-Video-Serie-"Upload" zeigt eine mögliche Realität, in der unsere Seelen, von ihrer körperlichen Hülle befreit, ein hübsches Digitalparadies bewohnen können – so lange jemand im Hier und Jetzt weiter die Abogebühr dafür zahlt. Aber das passiert so leicht und humorvoll, dass die kritischen Passagen umso stärker nachwirken.

Ein vergleichbarer Ansatz fehlt den Produktionen von ARD und ZDF völlig. Und natürlich ist es das gute Recht der Zukunft, per se schlechte Laune zu haben. Aber wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon so genau weiß, wie ätzend wir demnächst zusammenleben, kann er ja vielleicht einfach aufhören, weiter danach zu fragen.

Und damit: zurück nach Köln.

"Das Haus" läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten und ist bereits in der Mediathek abrufbar; "Ich bin dein Mensch" folgt eine Woche später. "Zero" und "Exit" stehen ebenfalls in der Mediathek bereit.