Der Februar mag sich gerade von seiner schmutzigsten Seite zeigen, aber Ablenkung naht: In nicht einmal zwei Wochen geht "Let's Dance" wieder los! Und es kann ja nix schaden, sich schon mal die mit Sicherheit spektakuläre Staffel-Eröffnung vorzuträumen, die der aus dem vergangenen Jahr in nichts nachstehen wird: Unter Kronleuchtern und Lichtgewittern legen die Profi-Tänzer:innen eine einmalige Chorepgraphie aus Farben und Bewegungen aufs Studioparkett, die Jury ruft zu donnernden Pyro-Effekten: "Get ready, folks, it's showtime", woraufhin Victoria Swarovski und Daniel Hartwich ihr Publikum begrüßen: "Herzlich willkommen zur großen Kennernlernshow von 'Let's Dance', liebe Zuschauer:innen. Staffel 16 beginnt jetzt und Sie sind live dabei – exklusiv bei RTL+."

Was? Halt! Hat die das wirklich gesagt: "exklusiv bei RTL+"?

Nee, natürlich nicht, ist ja bloß: ein Traum. Und Sie können sich jetzt wieder abregen: Selbstverständlich startet "Let's Dance" ganz normal und wie gewohnt im Freitagabendprogramm von RTL, flankiert sogar von allerlei auf das TV-Highlight einstimmenden Begleitsendungen ("Jauch gegen Let's Dance" bei RTL, die "Shopping Queen"-"Let's Dance"-Woche bei Vox). Zumindest in diesem Jahr.

Live und exklusiv auf Disney+

In den USA allerdings ist das obige Gedankenspiel bereits Realität: Nach 16 Jahren und 30 Staffeln bei ABC wechselte "Dancing with the Stars" im vergangenen September komplett zum Streaming-Dienst Disney+. Im furiosen Opening flog die Kamera vom ABC Building in Kalifornien rüber zum Roy E. Disney Animation Building, durch dessen Türen die Profis plötzlich zu Diana Ross' "I'm Coming Out" auf den New Yorker Times Square tanzten, von dort auf den Vorplatz des Cinderella Castle nach Disney World und schließlich ins Studio, wo Host Tyra Banks auf der Bühne stand und rief: "Welcome to our Premiere Party on Disney+", während rechts unten in der Ecke das Logo "LIVE Disney+" durchschimmerte.

Die folgenden Shows liefen bis zum großen Finale tatsächlich ausschließlich im Netz. Erstmals wurde die Show nicht durch Werbepausen unterbrochen, ließ auch deshalb mehr Teilnehmer:innen mittanzen und hatte als Live-Produktion nicht mehr den Druck, auf die Minute genau fertig werden zu müssen. Außerdem konnten – trotz Zeitverschiebung – endlich Zuschauer:innen im ganzen Land mitbestimmen, wer ins Finale kommen sollte.

"Variety" nannte den Transfer einen "historic switch" und konstatierte einen "schweren Schlag" für ABC und klassische TV-Networks im Ganzen; währenddessen feierten die Show-Verantwortlichen die Entscheidung als "tolle Gelegenheit, die Show einer neuen Generation an Fans auf Disney+ näherzubringen".

Online-First, um Abonnent:innen zu locken

Und die Frage, die sich daran anschließt, ist natürlich: Wäre ein solcher Wechsel eines etablierten TV-Formats in die Mediathek eines Senders bzw. auf die Streaming-Plattform einer privaten Sendergruppe auch hierzulande denkbar – und möglich?

Die Antwort darauf lautet: jein.

Denn einerseits haben RTL und ProSiebenSat.1 durchaus ehrgeizige Ziele für ihre beiden Bewegtbildangebote RTL+ und Joyn formuliert (der eine mehr, der andere weniger); bislang sollen diese aber vorrangig mit einer Online-First-Strategie erreicht werden. Insbesondere fiktionale Eigenproduktionen und Reality-Shows werden als Lockmittel eingesetzt, um zahlende Kund:innen zu gewinnen bzw. zu halten. Dafür laufen neue Inhalte inzwischen regelmäßig viele Wochen oder sogar Monate vor dem Start im klassischen Fernsehen zuerst im Netz. Wer reinschauen will, muss zwischen 4,99 und 6,99 Euro für ein Monatsabo zahlen.

Gleichwohl haben zahlreiche der als "Originals" produzierten, vor allem fiktionalen Inhalte das Problem, dass sie linear eher mäßig oder gar nicht funktionieren. Im Vorweihnachtsprogramm von RTL ging z.B. das zuvor massiv bei RTL+ beworbene "Haus der Träume" sang- und klanglos unter. Ähnliches gilt für die exponentiell gewachsene Zahl an Reality-Formaten, mit denen RTL und Vox nicht mal mehr in ihren Spätprogrammen glücklich werden, die aber künftig im Zweifel als Online-Only-Inhalte die zahlende Kundschaft bei RTL+ halten könnten.

Reality als Wegbereiter?

Das Reality-Genre könnte sich auch in anderer Hinsicht als Wegbereiter erweisen: In der vergangenen Woche hat Warner Bros. Discovery bekannt gegeben, die zwischen 2017 und 2020 bei RTLzwei gelaufene und danach nicht fortgesetzte Dating-Show "Naked Attraction" für das eigene Streaming-Angebot Discovery+ neu produzieren zu lassen, und zwar mit neuem Moderator Julian F.M. Stoeckel und "jeder Menge Humor und Augenzwinkern auf etwas andere Art".

Das ist ein sehr, sehr vorsichtiger Anfang – demonstriert aber, dass im klassischen Fernsehen abgesetzte Formate künftig online neues Leben eingehaucht bekommen könnten; vor allem, wenn auch die nicht über eigene Sender verfügenden Produktionshäuser die länderspezifische Attraktivität ihrer an den Start gebrachten Streaming-Dienste stärken wollen.

Natürlich ist es auch für die großen Sendergruppen eine verlockende Überlegung, mit bekannten (und Familien-kompatiblen) Shows neue Zielgruppen für ihre Plattformen zu erschließen. RTL+, das zuletzt (gemeinsam mit dem niederländischen Angebot Videoland) fast 4,8 Millionen zahlende Abonnent:innen und eine Steigerung um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr meldete, könnte so nochmal einen massiven Anschub erfahren.

Eine schier unlösbare Aufgabe

Gleichzeitig scheint das Risiko, dass Zuschauer:innen künftig extra bezahlen müssen, um neue Staffeln ihre bisherigen Lieblingsshows sehen zu können, überschaubar zu sein.

Denn RTL, ProSieben, Vox und Sat.1 werden zumindest vorläufig einen Teufel tun, ihre im Linearen sorgsam gesattelten Zugpferde unnötigen Risiken auszusetzen, indem man sie ausschließlich ins Streaming-Rennen schickt. Denn die Einnahmen aus der Vermarktung klassischer TV-Werbung übersteigen die Umsätze mit den Bewegtbild-Plattformen immer noch um ein Vielfaches. Und in Köln und München gibt es keinerlei Grund, das unnötig aufs Spiel zu setzen. Ganz abgesehen davon, dass z.B. RTL vor einer schier unlösbaren Aufgabe stünde, einen Publikums-Hit wie "Let's Dance" linear auch nur annähernd adäquat zu ersetzen.

Gleichzeitig werden einmal etablierte Shows bei den Sendern derzeit zuallererst dafür eingesetzt, schwächere Programmtage nachhaltig zu stärken bzw. gegen die lineare Konkurrenz zu verteidigen. ProSieben ist mit "The Masked Singer" so verfahren, das sich donnerstags und dienstags zum Erfolg mauserte, und nach seinem Wechsel auf den Samstagabend auch mit starkem Gegenprogramm eine gute Figur macht.

Joko Winterscheidts "Wer stiehlt mir die Show?" soll jetzt nochmal dasselbe gelingen: Das Ausnahme-Quiz wechselt in der nunmehr fünften Staffel vom Dienstag auf den Sonntag, um dort die Blockbuster-Lücke zu schließen, die ProSieben künftig nicht mehr mit Live-Übertragungen der NFL füllen kann.

Spekulationen über sinkende Reichweite

Für Disney mag die Rechnung in den USA eine andere sein: "Dancing with the Stars" passt hervorragend zum Image des Streamers für die ganze Familie, die damit im Zweifel noch einen Grund mehr hat, weiterhin 11 Dollar pro Monat für ein Disney+-Abo zu zahlen.

Gleichwohl gab es nach dem Wechsel der Show auch Berichte über Zuschauer:innen, die fordern, die Entscheidung wieder rückgängig zu machen, und Spekulationen über einen drastischen Reichweitenrückgang des Formats im Zuge des Plattformwechsels. Dazu kommt, dass die Show-Verantwortlichen nach der Einführung des werbeunterstützten Disney+-Abos künftig doch wieder Unterbrechungen einplanen müssen – während die Abonnent:innen des werbefreien Pakets parallel dazu weiterentertaint werden wollen. Mit der überraschenden Rückkehr von Bob Iger als Disney-CEO im zurückliegenden November wird bei manchen zudem die Hoffnung verbunden, "Dancing with the Stars" könnte doch noch den Weg zurück ins klassische TV finden.

Bislang allerdings soll Staffel 32 im Herbst erneut bei Disney+ laufen, um mehr Zuschauer:innen die Zeit zu geben, sich umzugewöhnen.

Währenddessen können Jorge González, Motsi Mabuse und Joachim Llambi vermutlich einigermaßen beruhigt hinter ihrem Jurypult dort weitermachen, wo sie in der vorigen "Let's Dance"-Staffel aufgehört haben: bei rund 20 Prozent linearem Marktanteil in der bislang von RTL vorrangig umworbenen Zielgruppe.

Und damit: zurück nach Köln.

RTL zeigt "Let's Dance – Wer tanzt mit wem? Die große Kennenlernshow" am Freitag, den 17. Februar ab 20.15 Uhr – und parallel dazu bei RTL+.