Niemand im deutschen Fernsehen füllt die Rollen seiner Charaktere so treffsicher und akrobatisch mit Leben wie die vielfach zurecht dafür ausgezeichnete Martina Hill. Ihre Anfang Februar bei Amazon Prime Video gestartete Reihe "Hillarious" ist da – einigen Schwächen zum Trotz – zum Glück keine Ausnahme.

Als "Mom Hulk" kämpft sich die gelernte Schauspielerin durch "The Hell of Home Office", stellt in Mutti-Sketchen das deutsche Einfamilienhausidyll mit ungewöhnlichen Kindererziehungsmethoden und wörtlich genommenem Einkauf im Unverpackt-Laden auf den Kopf, macht als Youtuberin Larissa ("Wahre Schönheit kommt vom Schminken") mit Eko Fresh und krasser Krassheit erst ihren eigenen Hip-Hop-Song und verkauft dann mit Carolin "Rebecca" Kebekus warmes Eis aus dem Start-up Bus, verwandelt sich dank der Unterstützung von Olaf (Schubert) aus dem Sachsenland von der Tattookünstlerin in die Neu-Schamanin Jenny Silverstock, trägt einen Spirelli-fressenden Kurt Krömer durch "CSI: Berlin", trinkt Cappuccino XXL ("Den schaff ich nicht so schnell"), wird "in den höchsten Tönen gelöbt", und setzt jedes Mal noch eine neue Parfümwerbeparodie vornedran – dies, das, Ananas.

Wem das (die verschwundenen künstlichen Lacher abgezogen) streckenweise sehr bekannt vorkommt, der sollte die Aussicht auf die eigene Schaman:innenkarriere kurz zurückstellen – weil er Hill vorher vielleicht einfach nur mit derselben Körperspannung durch ihre "Martina Hill Show" hat turnen sehen, die Sat.1 in drei Staffeln zwischen 2018 und 2020 zeigte.

Helene Fischer soll das sein?

Und jetzt halt nicht mehr. Was vielleicht kein Wunder ist, nachdem Senderchef Daniel Rosemann im vergangenen Jahr im DWDL-Interview erklärt hatte, "ein einzelnes Format macht noch keinen Fun Freitag", und Comedy habe für Sat.1 "derzeit keine Priorität".

Bevor dann wenige Wochen darauf ebenso überraschend wie vorübergehend mitten im Sommer der Parodie-Ulk "Schloss Goldbach" ins Programm genommen wurde, dessen Ensemble diverse Promis in die Gemeinschaftstherapie-Besketchung schickte (DWDL-TV-Kritik). Was in einigen Fällen ganz gelungen war (Michael Meichßner als Karl Lauterbach und Guido Maria Kretschmer bzw. Marti Fischer als Carsten Maschmeyer), für die Zuschauer:innen aber mehrheitlich als Ratespiel endete: Ach, Helene Fischer soll das sein! Und Hans Sigl? Und Marietta Slomka? Und Pietro Lombardi? Uiuiuiui.

Nun mag sich den Deutschen ja schon aus alter Tradition vorwerfen lassen, sie hätten ohnehin keinen Humor; aber halt nicht, dass sie's nicht trotzdem immer wieder versuchen würden.

Teilweise ja sogar mit ganz ansehnlichen Ergebnissen, von Dieter Hallervordens Palim-palim bis zu den falschen Zähnen von Dieter Krebs und Iris Berben in "Sketch-up".

Trotzdem lässt sich nicht verleugnen, dass die Kunst der Aneinanderreihung gespielter Witze in klassischen Sketch-Comedys zuletzt von den Sendern genauso wenig mit Nachdruck verfolgt wurde wie die Ausübung lebensrettender Maßnahmen für ihre große Schwester, die mit Pointen gespickte und um eine Rahmenhandlung ergänzte Sitcom. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zu kurz, zu schnell, zu dicht?

Erstens: Es fehlt an Kontinuität. Während "Die dreisten Drei" zwischen 2003 und 2008 noch jährlich durchs Sat.1-Programm albern durften, ließ man sich beim Sender z.B. mit den "Rabenmüttern" nach der Premiere 2016 ganze drei Jahre Zeit, um eine neue Staffel zu zeigen. Im ZDF lagen zwischen der ersten (2015) und der zweiten (2019) Staffel der Bundestagssatire "Eichwald, MdB" ganze vier Jahre.

Zweitens: Es fehlt an Sendeplätzen. Sagen die Sender, die – insbesondere bei den Privaten – nur noch sehr, sehr ungern Formate bei der Programmplanung berücksichtigen, von denen es wenigstens zwei erfolgreiche bräuchte, um damit ein rundes Stündchen zu bespielen. Weil diese Konstellation nur noch selten vorkommt, sendet man im Zweifel Doppelfolgen. Oder, noch praktischer: gar nicht mehr.

Hillarious © Amazon / Willi Weber Larissa (r.) und Rebecca haben in "Hillarious" bei Prime Video eine Start-up-Idee: warmes Eis, das gab's noch nie!

Drittens: Sketch-Comedy und Sitcom sind für das sich zunehmend nach Langatmigkeit sehnende TV-Programm womöglich zu kurz, zu schnell, zu dicht, um damit zu riskieren, das zuvor mühsam ins Koma gesendete Publikum aufzuwecken. Die Primetime-Show noch ein bisschen in die Länge zu ziehen, ist ohnehin günstiger.

Viertens: Modern inszenierte und teilweise mit gesellschaftlicher Relevanz aufgeladene Comedy-Shows stehen gerade sehr viel höher in der Gunst von Zuschauer:innen und Sendern.

Und natürlich fünftens: Es fehlt, allen Restbemühungen zum Trotz, einfach an nachhaltigen Erfolgen.

Die Rückkehr des Bernds?

Kein Wunder, dass die vor allem im TV-Entertainment derzeit ausführlich zelebrierte Revisionitis jetzt auch auf die Spaßfraktionen in Produktionsfirmen und Sendern überzuschwappen neigt. Just äußerte Banijay-Deutschland-Chef Markus Wolter öffentlich Gefallen an der Idee, den Papa wieder auf Bürostreife zu schicken und "Stromberg" aus der Frühverrentung zurückzuholen. Dass eine mögliche Neuauflage wieder bei ProSieben liefe, ist freilich längst noch nicht ausgemacht. Denn zum einen wird man sich in Unterföhring gewiss noch daran erinnern, dass auch das beliebteste Büro-Ekel der Nation quotentechnisch zunächst massive Anlaufschwierigkeiten hatte; und zum anderen dürfte den Verantwortlichen noch der letzte Sitcom-Versuch bzw. dessen Misslingen in den Knochen stecken.

Leider war die Joyn-Kooperation "Frau Jordan stellt gleich" mit Katrin Bauerfeind als durch diverse Geschlechter(un)gerechtigkeiten des Alltags und der öffentlichen Verwaltung irrende Protagonistin aber nicht nur überraschend aktuell, zeitgemäß erzählt und bis in die Nebenrollen großartig besetzt – sondern trotz der unverkennbaren Handschrift von "Stromberg"-Schöpfer Husmann für ProSieben bedauerlicherweise auch ein Riesenflop.

Was umso ärgerlicher ist, weil vielleicht auch deshalb gerade die Gelegenheit, sich auf dem idealen Sendeplatz am Mittwochabend nach "TV total" ab 21.30 Uhr nochmal in ein ähnliches Abenteuer zu stürzen, ungenutzt verstreicht. (Ohne Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel damit Böses zu wollen.)

Das Mainzer Lachversprechen von 2023

In Köln, das in den Neunziger Jahren mal sowas wie das Mekka der deutschen Sitcom war, scheint man sich derweil dafür entschieden zu haben, das Genre im Jahr vier nach "Magda macht das schon!" nahezu komplett zum konzerneigenen Streamingdienst RTL+ zu verlagern, wo gerade die WG-Sitcom "WRONG" mit dem Typen, der seinen Zirkusonkel aus Kasachstan trifft, dem Typen, der auf dem Flur wohnt, und dem Typen, der beim Survival-Training gegen seine Depression kämpft, weitgehend geräuschlos in der zweiten Staffel läuft – nachdem zuletzt "Tilo Neumann und das Universum" (zu läppisch) und "KBV – Keine besonderen Vorkommnisse" (zu abgedreht) beim TV-Export abschmierten.

Bleibt noch – nee, nicht die ARD, wo das Interesse an der feministischen Sketch-Comedy "Kroymann" nach 5,25 Staffeln langsam zu erlischen scheint. Sondern das Comedy-Schwergewicht aus Mainz, unser Z-D-F! Dessen Intendant gerade zusicherte, u.a. wegen des anhaltenden Erfolgs mit "heute show" und "ZDF Magazin Royale" noch stärker in Comedy investieren zu wollen, bzw.: "Sketchcomedy ist auch etwas, das wir vorantreiben werden." Was vom Sender, der "Sketch History" möglich gemacht und "Queens of Comedy" versenkt hat, als Ansage gewertet werden muss.

Oder, falls Himmler diese Kernkompetenz vor allem in Richtung ZDFneo zu verlagern gedenkt, als Drohung – zumindest nach Ansicht zuletzt beauftragter "neo Originals" wie der Baugruppen-Sitcom "Vierwändeplus", die sich nicht so recht zwischen kalkuliertem Kitsch und krampfhaft auf divers gedrehter Komik entscheiden konnte.

Was den Sehspaß erheblich schmälert

Genau an diesem Punkt kommen die großen Streamer ins Spiel, vor allem Prime Video, das sich schon seit längerer Zeit als sicherer Hafen für von der Zögerlichkeit des linearen Fernsehens enttäuschte Comedy-Stars zu etablieren versucht – wenn auch, "LOL" mal außen vor gelassen, mit eher zweifelhaftem Erfolg.

"Pastewka" mag man den würdigen Ausklang ermöglicht haben, den Sat.1 nicht mehr zu beauftragen gewillt war; "Binge reloaded" konnte trotz zweiter Staffel nie an den Kultstatus des TV-Vorläufers "Switch reloaded" anknüpfen; und zur Wahrheit gehört leider auch, dass "Hillarious" für Künstlerin und Produktionsfirma jetzt eine sehr bequeme Möglichkeit darstellt, wirklich exakt da weiter zu machen, wo man beim Vorgängerformat aufhörte, ohne sich auch nur eine neue Idee ausdenken zu müssen – was den Sehspaß, aller Hill'schen Körper- und Verbalakrobatik zum Trotz, doch ganz erheblich schmälert.

Deshalb: jetzt erstmal feste die Daumen drücken, dass Anke Engelke und Bastian Pastewka für ihr gerade bekannt gegebenes gemeinsames Prime-Video-Projekt deutlich mehr Ehrgeiz aufbringen als sich nochmal zusammen in einen Fahrstuhl zu quetschen oder Kuckucksuhren ausm Örzgebirg zu basteln. (Wobei das zugegebenermaßen auch ein Vergnügen wäre.)

Wenn das was richtig Großes wird, schnallen vielleicht auch die Sender, dass es sich lohnen könnte, wieder in sowas wie eine langfristige Strategie für Inhalte einzusteigen, die das Publikum zackig zum Lachen bringen – von mir aus auch ohne dafür wieder irgendeinen Wochentag zur Zwangsspaßstrecke umzudeklarieren. Sondern einfach: dies, das Ananas.

Und damit: zurück nach Köln.

Alle acht Episoden der ersten „Hillarious“-Staffel sind bei Prime Video abrufbar.