Das war vielleicht ein Riesenhallo, als ITV vor fünf Jahren das erste Mal drei bekannte Sterneköche unterschiedlicher Nationalität auf Reisen schickte, um sie während ihres "Road Trip" kulinarische Besonderheiten entdecken und gemeinsam rumalbern zu lassen. Weil das so gut ankam, folgte zwei Jahre später der "American Road Trip" in vier Teilen: von Kalifornien bis Mexico, auf engstem Raum im Wohnmobil.

In Las Vegas standen Gordon Ramsay, Gino D'Acampo und Fred Sirieix eingerahmt von Showgirls am Würfeltisch und verzockten sich; der Hubschrauberflug über den Grand Canyon erwies sich als echte Mutprobe; im hügeligen San Francisco musste der Camper unter lautem Hupen des folgenden Verkehrs im letzten Moment zurücksetzen, weil er unmöglich die kurvige Lombard Street hochgekommen wäre; in den einsamen Weiten der Arizona Desert wurde der "Earthroamer XV" urplötzlich von einer Gang Hells Angels auf Motorrädern flankiert; bei der "Desert Race" lieferte sich das Trio ein echtes Wettrennen, um nachher beim Ziegen-Yoga zu entspannen; die Köche versuchten sich im Fischfang mit Speer; und in Austin, Texas, kleideten sie sich in echter Cowboymontur ein, bevor's zum Rodeo ging.

Das war ein großer Spaß, in der amerikanischen Ausstrahlung von Fox mit zahlreichen Beeps und Blurs verfremdet, um Unflätigkeiten und nackte Hintern zu verschleiern – und eine richtig gute Idee.

Und nochmal: Casino, Ziegen-Yoga, Motorrad-Gang

Muss sich auch Kabel Eins gedacht haben, das vor ein paar Wochen die vierteilige Reihe "Roadtrip Amerika – Drei Spitzenköche auf vier Rädern" zeigte: Frank Rosin, Alexander Kumptner und Ali Güngörmüş, die als "Kochkumpel" unterschiedlicher Nationalität gemeinsam "durch dick und dünn" fahren, nämlich von Kalifornien bis Florida, auf engstem Raum im Wohnmobil.

In Las Vegas standen die drei eingerahmt von Showgirls am Roulettetisch und verzockten sich; ein Fallschirmsprung erwies sich als echte Mutprobe; im hügeligen San Francisco wurde der Camper unter lautem Hupen des folgenden Verkehrs vor der kurvigen Lombard Street weggewunken, weil er da unmöglich hochgekommen wäre; später wurde der "Sunseeker" urplötzlich von einer Gang Hells Angels auf Motorrädern flankiert; auf einer Kart-Bahn lieferte sich das Trio ein echtes Wettrennen, um nachher beim Ziegen-Yoga zu entspannen; in Key West versuchten sich die Köche im Hummerfang; und kleideten sich dazwischen in echter Cowboymontur ein, bevor's zum Rodeo ging. (Nur nackte Hintern gab's keine.) Oder wie's im Abspann der Kabel-Eins-Produktion von Tower Productions stand: "nach einem Format von Studio Ramsay, lizensiert durch All3Media".

Okay, aber: Hätte man auf all das nicht auch alleine kommen können, ohne dafür irgendwelche Lizenzen zu erwerben?

Ganz nah dran am Original

Man hätte. Aber das deutsche Fernsehen liebt nunmal wenig so sehr wie einen sicheren Hit, wenn der sich als solcher prognostizieren lässt, ohne dabei allzu viel dem Zufall überlassen zu müssen. Aus diesem Grund adaptieren Sender – überall auf der Welt – regelmäßig TV-Formate, die anderswo bereits erfolgreich gelaufen sind. Ein funktionierendes Format ist so etwas wie die Bau- und Bedienungsanleitung für eine Show oder Sendereihe, die teilweise bis ins Detail auflistet, welche Elemente dazu gehören und wie sie umgesetzt werden müssen, um ein stimmiges Gesamtbild zu ergeben: von Spielregeln übers Studiodesign bis zum Lichtkonzept.

Wie exakt sich Adaptionen teilweise daran halten, ließ sich hübsch beobachten, als Sat.1 im März den ebenfalls bei ITV gelaufenen Quiz-Hit "The 1% Club" in einer deutschen Variante zu sich holte.

Im Original begrüßte Comedian Lee Mack sein Publikum und die 100 Kandidat:innen im Arena-artigen Studio mit dem in der Mitte eingelassenen LED-Screen unter blau-gelben Lichtgewittern mit dem Satz: "Have you ever wondered how clever you are? Do you think you might be in the top 15 per cent of the country? Or 10 per cent? Or even top 1 per cent? This is your chance to find out." Prüfungswissen könne man getrost vergessen, stattdessen gehe es um Logik und Kombinationsfähigkeit: "Don't worry if you're not usually good at quizzes. This is the ultimate leveler. Forget exam results. Tonight is about how your brain really works." Anschließend fragte Mack in die Runde, wer von sich glaube, dass er besonders schlecht abschneide – und die Kandidatin, die das für sich vorher gesagt hatte, flog prompt nach Runde 1 raus. So ein Pech!

Alles nach Vorschrift, bloß doppelt so lange

Zum "1% Quiz" in Sat.1 wiederum begrüßte Moderator Jörg Pilawa sein Publikum und die 100 Kandidat:innen im Arena-artigen Studio mit dem in der Mitte eingelassenen LED-Screen unter blau-gelben Lichtgewittern mit dem Satz: "Wir testen das ganze Land, meine Damen und Herren – und das Tolle ist: Wir fangen bei Null an. Vergessen Sie Ihr Schulwissen. Vergessen Sie alles, was Sie jemals gelernt haben – es muss Ihnen nicht zwangsläufig helfen. Sind Sie so schlau wie 50 Prozent der Deutschen? 10 Prozent? Oder sogar so clever wie 1 Prozent der Deutschen?" Anschließend fragte Pilawa in die Runde, wer von sich glaube, dass er besonders weit komme – und der Kandidat, der das für sich reklamierte, flog prompt nach Runde 1 raus. So ein Pech!

Letzteres mag Zufall gewesen sein. Aber sonst hielt sich das "1% Quiz" fast pedantisch an die Formatvorgaben – mit anderen Fragen zwar, vor allem aber einem wesentlichen Unterschied: Für die Sat.1-Primetime musste die Show auf die doppelte Länge gebracht werden. Während das Finale im Original bereits nach 40 Minuten über die Bühne ging und Kandidatin Tamzin 96.000 Pfund abstaubte, dauerte es bei Pilawa doppelt so lange, bis 98.000 Euro aus dem Jackpot in Kandidat Marius einen neuen Eigentümer fanden.

Und das ist für mich bis heute eines der vielleicht kuriosesten Details des internationalen Format-Geschäfts, das ja regelmäßig aufwändig bei Messen in angenehmen französischen Küstenorten zelebriert wird: Dass Sender erst viel Geld dafür ausgeben, bis ins Kleinste ausformulierte Ideen für interessante Produktionen einzukaufen …

Zusatz-Promis ohne Bedeutung für den Spielablauf

… und dann Elemente wie Tempo und inhaltliche Dichte, die bei zahlreichen Formate zentral für den Erfolg sein dürften, schlicht zu ignorieren, mehr noch: zusätzlichen Ballast einzubauen, der einer Show eine völlig andere Tonalität geben könnte.

Das ist, zugegebenermaßen, selten dramatisch. Obwohl ich schon gerne gesehen hätte, wie das "1% Quiz" in Sat.1 – wenn Pilawa schon den Humor seines britischen Kollegen, der an jede Frage noch einen scharfen Gag auf Kosten der Teilnehmer:innen anschloss, nicht übernimmt – zackig in 45 Minuten aufs Ziel zusteuert, anstatt sich mit Zusatz-Promis aufzuhalten, deren Mitraten für den Ausgang des Abends exakt keine Bedeutung hat (siehe dazu auch die DWDL.de-TV-Kritik).

In manchen Fällen kann es sich aber auch als Vorteil entpuppen, Abstand von Grundprinzipen eines Formaterfolgs zu nehmen. Die Entscheidung von ProSieben, "The Masked Singer" nicht vorzuproduzieren, sondern jede Show live zu zeigen, verleiht der Reihe mit ihrem zentralen Element des Mitratens und der penibel betriebenen Geheimnistuerei um die beteiligten Promis einen starken zusätzlichen Reiz und dürfte beim Erfolg hierzulande eine große Rolle gespielt haben.

Kabel-Eins-"Roadtrip" mit eigener Tonalität

Auch "Roadtrip America" auf Kabel Eins hat, den vom Original übernommenen Ähnlichkeiten zum Trotz, im Laufe der vier (doppelt so langen) Folgen eine eigene Tonalität entwickelt – und man konnte dabei zusehen, wie sich zwischen Rosin, Kumptner und Güngörmüş nach Kissenschlachten, Pennäler-Gags, (nicht nur verbalen) Raufereien und dem zusammenschweißenden Genuss der schärfsten Chili der Welt tatsächlich so etwas wie eine Männerfreundschaft entwickelte.

Am Ende saßen da drei grundentspannte Sterneköche mit unterschiedlichen Wurzeln, die alle das Gefühl hatten, etwas Besonderes mitgenommen zu haben. "Ich merke, dass man den Moment sehr viel mehr genießen muss. Und dass Arbeit auch nicht alles ist. Dass man sich die Zeit nehmen muss, sich diese wunderschöne Erde anzuschauen, im Idealfall mit Menschen, die einem wichtig sind", reflektierte Kumptner. In Key West saßen die drei am letzten Abend Arm in Arm in kurzen Hosen am Lagerfeuer, freuten sich auf zuhause und beschworen "Eintracht und Zusammenhalt".

Und nix in diesem Moment wirkte so, als sei es nach einem Format von Produktionsfirma X, lizensiert durch Produktionsfirma Y gedichtet worden – sondern einfach von einer sehr intensiven Zeit während einer ungewöhnlichen Reise. (Die DWDL.de-TV-Kritik des Kollegen Alexander Krei zum Start von "Roadtrip America" fiel in ihrem Urteil deutlich skeptischer aus.)

Ein Märchen, das ständig anders erzählt wird

Fakt ist: In beiden Fällen hat sich die Adaption für die Sender gelohnt. Kabel Eins fuhr mit seinen reisenden Köchen auch nach dem sehr starken Auftakt noch gute Quoten ein. Und Sat.1 konnte sich zuletzt über wöchentlich wachsendes Interesse für sein "1% Quiz" freuen.

Die eigentliche Frage, die sich an all das anschließt, ist: Kann ein TV-Format, wenn daran ohnehin so vieles verändert werden muss, um den Gewohnheiten des jeweiligen Publikums zu entsprechen, tatsächlich die Bedeutung einer penibel zu befolgenden Bedienungsanleitung haben, als die sie in der Branche bisweilen begriffen wird? Oder ist der sendefertig an die Studiorampe gelieferte TV-Hit nicht eher ein Märchen, das ohnehin ständig anders erzählt wird? Zumal viele als Format angebotene TV-Ideen für den erfolgreichen Verkauf verschweigen, dass sie oft zu einem ganz wesentlichen Teil von den Protagonist:innen leben, von und für die bzw. mit denen sie ins Fernsehen hineinerfunden wurden.

Klar wurde "Schlag den Raab" als "Beat the Host" erfolgreich in andere Länder exportiert; aber den wesentlichen Reiz hat das Format im Original ja nur durch den unbändigen Ehrgeiz seines persönlich teilnehmenden Erfinders entwickeln können, der sich nicht so leicht klonen lässt.

Viele Hürden für "Stealing the Show"

Und viel Glück an Red Arrow Studios International für den Versuch, den Pro-Sieben-Hit "Wer stiehlt mir die Show?" als "Stealing the Show" in den nicht-deutschen Sprachraum zu bringen – alle, die zuzuschlagen planen, sollten sich in jedem Fall genau ansehen, was alles nötig ist, um eine Adaption zu ähnlichem Erfolg zu führen: nicht nur ein Moderator, der gewillt ist, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen, wechselnde Promis aus unterschiedlichen Generationen, die sonst bestenfalls in keiner Quizshow sitzen, und eine unfassbar großartige Live-Band für kreative Musikspiele, wie es sie nirgendwo sonst im Fernsehen gibt.

Sondern auch eine engagierte Redaktion mit ausreichend Kreativität, die Show so umzubauen, dass sie tatsächlich auf die bzw. den wechselnde:n Gastgeber:in zugeschnitten ist, und die Bereitschaft des ausstrahlenden Senders, seine Primetime-Unterhaltung im Zweifel auch von jemand völlig Unbekanntem moderieren zu lassen.

(Nach der aktuellen Staffel dürfte die "Stealing the Show"-Bibel immerhin um zahlreiche Elemente ergänzt sein, die für potenzielle Wildcard-Sieger:innen zum Einsatz kommen können – womit der Wert des Formats enorm gestiegen sein muss.)

Die böse – aber über viele Jahre nicht ganz von der Hand zu weisende – Unterstellung, das deutsche Fernsehen sei mehrheitlich abhängig davon, Formate aus dem Ausland zu adaptieren, ist in jedem Fall so nicht (mehr) haltbar: Vielmehr ist die Innovationsbereitschaft der TV-Industrie ausgeprägt wie selten zuvor. Man muss bloß mal einen Blick in die Kataloge der Vermarkter werfen. Auch wenn freilich nicht alle dort aufgeführten Ideen dieselbe Chance haben, das Bildschirmlicht eines anderen Markts zu erblicken.

Den eigenen Erfolg schon belegt

Das liegt vor allem daran, dass Entwicklungen wie "Duel around the world" ("Duell um die Welt"), "Who knew?" ("Wer weiß denn sowas?"), "You'll never get it" ("Da kommst du nie drauf!") und "Beat the Channel" ("Joko und Klaas gegen ProSieben") den Vorteil haben, ihren eigenen Erfolg bereits belegen zu können – was wiederum auf "Pulse!" ("Die Herz-Schlag-Show"), "You sleep, you Loose" ("Wer schläft, verliert!") und "The Opposite Show" ("Die Gegenteilshow") nicht oder nur bedingt zutrifft und auf potenzielle Einkäufer:innen eher abschreckend wirken dürfte: Wieso Geld für etwas ausgeben, das nicht mal beim heimischen Publikum verfangen konnte?

Einigen wir uns also auf ein wackeliges Jein als Antwort auf die Frage, ob das deutsche Fernsehen zu formatabhängig ist. Und von mir aus können die prominenten "Kochkumpel" von Kabel Eins demnächst wieder ein neues Ründchen drehen, diesmal ja vielleicht durch ihre Heimatländer Deutschland, Österreich und die Türkei für einen "Roadtrip" unter verschärften Bedingungen – eine Vorlage gibt's für den bislang nämlich nicht.

Und damit: zurück nach Köln.

Sat.1 zeigt die nächste Ausgabe von "Das 1% Quiz" am Mittwoch um 20.15 Uhr; alle Folgen von "Roadtrip Amerika" lassen sich bei Joyn abrufen.