Manchmal ist das Fernsehen einfach nicht gerecht, zum Beispiel zu Angela Finger-Erben. Die munter moderierende Mittvierzigerin hält ihrem Heimatsender seit dem Volontariat beruflich die Treue. Für ihn steht sie nicht nur früh auf und kleidet sich in herrliche Hosenanzüge, um fernsehenden Frühaufsteher:innen von "Punkt 6" bis "Punkt 8" fix formuliert die Themen des Tages telezutransferieren – "das ist wirklich spannend: Zum ersten Mal sind jetzt mehr E-Bikes als normale Fahrräder verkauft worden" und Michelle Hunziker ist ihren "sexy Arzt" schon wieder los: "Warum klappt's bei der mit den Männern grad so gar nicht?"

Sie nörgelt auch nicht, nur zur nächtlichen Nachberichterstattung der dollsten Dschungel-Desaster auf den Sender gelassen zu werden, wenn die richtigen Moderator:innen von "Ich bin ein Star" schon längst Feierabend haben.

Und wie dankt RTL ihr all das? Mit nichts und wieder nichts, das die begabte Blondine gänzlich ihr Eigen nennen dürfte.

Schockierender Satzschnipsel

Die von Finger-Erben präsentierte Nachmittags-Datingshow "Bei Anruf Liebe" flog schon 2014 nach nur 13 Episoden aus dem Programm; ihre Rankingshow "Best of…" wurde 2022 eingestellt. So bleibt zwar reichlich Zeit für fröhlichen Facebook-Flachs. Aber zur echten Primetime dürfen weiter stets nur die Kolleg:innen ran. (Außer es ist gerade wieder "Passion" und sie darf als "Reporterin" Prozessionsteilnehmende in Kassel zu ihrem Glauben befragen.)

Dabei hat sich Finger-Erben seit jeher schon für höhere Aufgaben empfohlen, indem sie sich ohne Scheu auch in die niederen schmiss. Beim "Sommerhaus der Stars" übernahm sie über mehrere Staffeln die Rolle der Stichwortgeberin, die beim "Wiedersehen" dafür sorgte, dass sich die untereinander ohnehin zerstrittenen Paare nochmal verbal an die Gurgel gehen ("Man dachte ja nicht, dass es noch so eskalieren kann").

Unvergessen ist auch ihr Wirken im RTL-Fremdgeh-Versuchungs-Format "Temptation Island", in dessen "VIP"-Variante sie vor vier Jahren den inzwischen verstorbenen Willi Herren im Peach-farbenen Kleid mit Paillettenstilettos empfing, um ihm einen schockierenden Satzschnipsel seiner Gattin zu zeigen: "Ich möchte nicht, dass er das sieht – das zerreißt ihm das Herz, und mir auch".

Moderationsbegleitete Muttersöhnchen

"Den Zusammenhang kann ich dir nicht sagen", heizte Finger-Erben mit ernster Mine das ohnehin bereits in den Actionmodus verfrachtete Kopfkino Herrens an, der damit (wie erwartet) an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht wurde, ihn jammern, weinen und betteln ließ: "Das ist unfair", "Das ist'n Satz, der trifft mich", "Das ist Quälerei". Genau so war's ja auch gedacht.

Von besonderer Heimtücke war daran, dass Gattin Jasmin mit ihrer Bemerkung eigentlich bloß die Befürchtung auf den Punkt gebracht hatte, RTL könne eine ihrer Äußerungen aus einem vorigen Gespräch aus dem Zusammenhang reißen, um ihren Mann damit zu schocken – woraufhin die Produktion stattdessen dann einfach das aus dem Zusammenhang riss. (Das ganze Schauspiel ist hier bei RTL+ dokumentiert.)

Und wahrscheinlich muss man seinen Job schon sehr, sehr gut finden, um sowas moderativ durchzustehen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken.

Insofern ist es bloß konsequent, dass Finger-Erben nun die Moderation des RTL-Fremdscham-Klassikers "Schwiegertochter gesucht" übernommen hat, in dem seit fünfzehn Staffeln alleinstehende Muttersöhnchen mit Überbiss und Unterbelichtung vorgeführt werden, um sich über deren Marotten, Hobbys und Schlichtheit lustig machen zu können.

Grasgrüner Ganzkörperanzug

Das Format hat sein Mindesthaltbarkeitsdatum unbestreitbar schon seit Jahren überschritten und entfernte sich nach dem glücklosen Versuch, geringfügig seriöser zu werden, zuletzt eigenmächtig aus dem Programm. Dabei hätte es nach dem Versprechen der bisherigen Moderatorin Vera Int-Veen, es ihm gleichzutun, auch bleiben können.

Bis sich Finger-Erben zur Exhumierung bereit erklärte, um so zumindest nochmal in Primetime-Nähe zu rücken. (Hier geht's zur DWDL.de-TV-Kritik.)

Ihre moderative Leistung in der Sendung besteht nun vorrangig daraus, im grasgrünen Ganzkörperanzug mit Seilsandälchen vor sagenhaftem Seepanorma auf kippeligem Klappstuhl mit Blümchenauflage nebst Rettungsring und sparsam behängtem Wurstständer zu sitzen und mit Sektflötchen in der Hand allerlei affige Alliterationsaneinanderreihungen anzusagen. Die sollen der witzig gemeinte Kern des Formats sein, das sich mit Liebenswürdigkeit verkleidet, aber in Spott gehüllt ist. Im Jahr 2024 sind sie aber bloß noch ein erbärmliches Zeugnis der Ideenlosigkeit von Produktionsfirma und Sender, für das Finger-Erben Gesicht und Stimme herzugeben bereit ist.

Konsequenzfreie Kandidateneinschleusung

Acht Jahre, nachdem "Schwiegertochter gesucht" selbst den Böhmermann'schen Kandidateneinschleusungs-Eklat konsequenzfrei überstanden hat, reist sie als angebliche "Liebesbotin" ins "sagenhafte Sauerland", wo ein "sensibler Schlagerfan sesshaft" ist, damit der "freundliche Fleischer" seine eingeladenen Interessentinnen zur "metzgerfreundlichen Morgenmahlzeit" lotsen kann, nachdem RTL ihn an seinem "appetitlichem Arbeitsplatz" mit "lukullischen Leckereien" und "wohlschmeckenden Wurstwaren" begleitet hat.

Die Bäckereiverkäuferin mit dem "rollendem Reisegepäck" und die "angetane Altenpflegerin" überlässt sie dann zügig ihrem Schicksal, um sich tätschelnd wieder zu verabschieden: "Ich wünsch euch eine tolle Zeit" – welche nach Mett-Verzehr, Wohnzimmer-Karaoke und Achterbahnfahrt für die "reizende Reisegruppe" jüngst in einem "kuschligen Camping-Kurztrip" mit "erlesenen Eierspeisen" mündete. (Welche beiden Turteltäubchen heute Abend "nicht zögern, ihre Zukunft mit zaghaften Küssen zu zelebrieren" sei an dieser Stelle aber natürlich noch nicht verraten.)

Für Ex-"DSDS"-Teilnehmerin Claudia und deren Mama düst Finger-Erben im weißem Wollpullöverchen per Mini-Cabrio in den Norden: "Zeit für einen Besuch bei den potenten Power-Singles" – und überwindet sich in Int-Veen'scher Tradition ("Mir läuft das Wasser im Mund zusammen"), die eher mittelappettitlich aussehende "heiße Hühnersuppe" auszulöffeln, in der zuvor ein ganzer Vogel versenkt wurde, bevor es gleich ins "fulminante Feriendomizil" geht und der "kesse Kassier", ein "lediger Lagerist" und eine "schnelle Sicherheitsfachkraft" sowie ein "betagter Bewerber" für Mutti antanzen, um "geschmackvolles Grillgut gegart" zu kriegen.

Versierte Verslehre-Vertreterin

Der gegenseitige Austausch "mundgerechter Molkereiprodukte" aus der Sprühflasche wird hernach ebenso autark absolviert wie die "herrliche Hafenrundfahrt" vorbei an "kolossalen Containerschiffen", bevor bei "wildem Wellengang" das "einladende Essbrett" ruft.

Im "opulenten Oberbayern", diesem "atemberaubenden Alpenvorland", saust die versierte Verslehre-Vertreterin im "feuerroten Flitzer flugs Fahrziel Frauen" und scheut sich nicht, im babyblauen Jeans-Mäntelchen Mickymauskoffer ins "große Gefährt" zu hieven, um die Angereisten ihrem "kuschelbedürftigen Koch" und seiner resoluten Mutter zuzuführen, der "kulinarische Köstlichkeiten im Kochtopf" vorbereitet hat.

Dass es nur zwei Episoden darauf beim "kapriziösen Kaffeekränzchen" mit "erfrischendem Erdbeerkuchen" bereits zu einem "einschneidenden Entscheidungsmarathon" kommt, kann da ja noch keiner ahnen – aber "das gab es in der Geschichte von 'Schwiegertochter gesucht' noch nie", und man kann sich seine Premieren halt manchmal nicht aussuchen.

Gewisse Grenzwertigkeit

Bloß der "stattliche Straßenbaumeister" aus dem "beschaulichen Bergischen Land" muss sich vorerst mit ein paar "zauberhaften Zeilen", die Finger-Erben für den "ledigen Liebesanwärter" auf rosa Briefpapier notiert hat, begnügen, bevor er die "attraktive alleinstehende Astrid", die "rothaarige Rucksackträgerin" Daniela und die "motivierte Marion" kennenlernt und sie in seinem "französisches Fahrzeug" (ein Renault-Kleinwagen) an ein "außergewöhnliches Ausflugsziel" bringt, bevor eine "kundige Körpermassage" für alle folgt – und Finger Erben schon das nächste Ziel vor Augen hat: die "mondäne Mittelmeerinsel Mallorca", auf der sie im "prachtvollen Paradies" eine "attraktive Autoverkäuferin" mit dem "bezaubernden Bully" abholt, um sie zum nächsten Kandidaten zu chauffieren.

Und selbst wenn das allermeiste davon dieses Mal gar nicht besonders schlimm, sondern vor allem sterbenslangweilig ist: Sich für die Neuauflage eines Formats herzugeben, dessen inszenierte Niedertracht in der Vergangenheit vielfach dokumentiert und entlarvt worden ist – das lässt sich nur schwer als Ausrutscher abtun.

Angela Finger-Erben hat offensichtlich Freude daran, Formate zu moderieren, denen eine gewisse Grenzwertigkeit innewohnt, und die von vielen Kolleg:innen tendenziell als wenig karriereförderlich wahrgenommen würden.

Erfolglose Exhumierung

Wahrscheinlich ist es im Gegenzug bloß gerecht, dass das jedes einzelne Mal wieder schiefgeht – auch jetzt, wie es sich angesichts der Quotenentwicklung von "Schwiegertochter gesucht" andeutet.

Die Zeit von Formaten, die vorrangig darauf zielen, sich über Menschen zu mokieren, die innenfamiliär Hühnergacker-Begrüßungsrituale pflegen, zehenschuhetragend Bäume umarmen und sich als Flirtritual gegenseitig mit Sprühsahne füttern, während die Redaktion der "frohgelaunten Flaschenkontrolleurin" andichtet, "im Qualitätsmanagement tätig" zu sein, sind lange, lange vorbei. Und wenn Angela Finger-Erben nicht gut aufpasst: vielleicht auch ihre Chance, im Fernsehen nochmal was zu reißen, bei dem man sie in irgendeiner Form ernst nehmen müsste.

Oder wie Willi Herren – er ruhe in Frieden – einst der Verzweiflung nahe bei "Temptation Island VIP" in völlig anderem Zusammenhang wissen wollte: "Kommt da noch mehr?" – "Nee." – "Nur das?"

Und damit: zurück nach Köln.

RTL zeigt neue Folgen von "Schwiegertochter gesucht" sonntags um 19.05 Uhr.