Ich gebe zu, ich hatte keine Ahnung, mit welchen Mitteln die vom ZDF Programm machen. Ich dachte bisher, dass die vom Lerchenberg oft sehr ordentliche Arbeit abliefern, etwa auf dem Sektor der Lustigmachung. Die „Heute Show“ und die „Die Anstalt“ sind Vorzeigeprodukte, die einen Klogriff wie „Die Lars Reichow Show“ rasch vergessen lassen. Auch im Fiktionalen fährt das ZDF gerade Lorbeeren ein, wie die Jubelberichte über die Jürgen-Vogel-Serie „Blochin“ eindrucksvoll belegen (Ulrike Klode ist bekanntlich anderer Meinung). Kurzum: Ich dachte, dass die in Mainz eigentlich ganz ordentliche Arbeit machen. Ich hatte ja keine Ahnung.

Das änderte sich, als am vergangenen Mittwoch um kurz nach sechs meine Fernbedienung klemmte und ich Udo Lindenbergs Stimme vernahm. Der erklärte mir, dass die da einen ganz tollen Job machen in Wismar, also die Mädels und Jungs von der „Soko Wismar“. Was ich danach sah, veränderte mein Leben für immer. Ich schaute in die Bildschirmecke, weil ich nicht glauben mochte, dass das ZDF so etwas seinen Zuschauern anzudienen wagt. Hölzernes Bauerntheater gegen dessen Grobschnittigkeit jeder Mirja-Boes-Sketch wie eine Sonderausgabe von „Faust 2“ wirkt.

Ich war aus meiner Ahnungslosigkeit geweckt und prüfte einmal das komplette ZDF-Programm der vergangenen Woche. Ich entdeckte noch mehr Soko-Folgen. Viele Soko-Folgen. Da waren auch welche aus Kitzbühel, aus München, aus Wien, aus Stuttgart und aus Köln. Ich schaute bei allen rein und war verblüfft, denn auf wundersame Weise wirkten alle, als seien sie aus demselben Holz geschnitzt. Ich stellte fest, dass die Ortsangaben meist nur zur Regionalitätsvortäuschung dienen. Das handelnde Personal trägt an jedem Ort andere Namen, wirkt aber auf verblüffende Weise austauschbar. Oder ist irgendjemand irgendeiner der Soko-Mimen wegen seiner Soko-Arbeit in Erinnerung?

Was wurde im vergangenen Jahr nicht auf den „Heiter bis tödlich“-Krimis des ARD-Vorabends rumgehackt. Was wurde da nicht alles bekrittelt. Totaler Schrott lautete das Durchschnittsurteil, das nicht durchweg ungerecht erschien. Im Windschatten dieses kollektiven Bashings segelte derweil das ZDF mit seinen Sokos fast unbemerkt davon.

Das muss die in Mainz so sehr gefreut haben, dass sie beschlossen, sich über den Sommer noch weniger Mühe als ohnehin zu machen und dieses Sommerpause-Verhalten bis in den Oktober auszudehnen. Erst am 5. Oktober bietet das ZDF neue Folgen seiner Sokos. Aber das ist dann auch schon komplett egal, weil kaum zu erwarten steht, dass sich die bislang verwursteten Konserven in irgendeiner Weise von einer möglichen Frischware unterscheiden werden. Ich möchte meine Einschätzung noch einmal ins grammatikalisch Unzulässige steigern. Es ist denen vom ZDF nicht nur völlig egal, ob da Neues oder Abgehangenes läuft, es ist ihnen noch viel egaler.

Ein Blick auf das Sendeschema der abgelaufenen Woche öffnet in dieser Hinsicht schnell die Augen. Auf 24 Soko-Sendeplätze kommt eine rasche Zählung, und alle Soko-Ausgaben waren Wiederholungen. Alle! Allein zehnmal gab es „Soko Kitzbühel“. Zehnmal! Siebenmal „Soko Wismar“. Siebenmal! Angesichts einer Sendelänge zwischen 45 und 50 Minuten pro Folge kann man also durchaus behaupten, dass das ZDF fast einen kompletten Wochentag mit Soko-Wiederholungen zumüllt. Die Sokolarisierung des Senders hat nicht erst angefangen, sie hat schon ein knappes Siebtel des Angebots ergriffen.

Das ist deshalb besonders schlimm, weil beinahe alle Soko-Folgen nach demselben Schema ablaufen. Früh ein Toter, Auftritt Pathologe, dann viele Fragen, ein kurzer Irrweg, ein falsch Verdächtigter, und am Schluss gibt es dann den Bösewicht und ein paar heitere Sprüche zum Ausklang.

Jede Soko-Ausgabe hat zudem ganz viel Personal, das hauptsächlich dazu da ist, Fragen zu stellen, die als Sprungbrett für ellenlange Erklärstücke dienen. So als könnten die Zuschauer nichts, aber auch gar nichts aus den schauspielerischen Leistungen des Personals lesen. Nichts wird gezeigt, alles wird erklärt. Im Prinzip rangiert das knapp über einem Radiokrimi. Das könnte darauf hindeuten, dass das ZDF bei seinen Kunden eine massive Sehschwäche unterstellt. Bilder, die was sagen? Überflüssiger Luxus.

Agiert wird ohnehin meist in steril ausgeleuchteten Räumen, die in ihrer Künstlichkeit so sehr nach Kulisse riechen, dass man sich in der „Lindenstraße“ oder sonst irgendeiner Seifenoper wähnt und sich im Nachhinein bei den Sat.1-Kommissaren aus der Pseudo-Doku „K11“ entschuldigen möchte für alles Böse, was man je über ihr mimisches Gestelze geäußert hat.

Die Soko-Außentermine führen meist in bester Derrick-Manier in irgendwelche Einfamilienhäuser oder Büros. Dort stellen die Akteure meist die üblichen „Wo waren sie gestern zwischen…“-Fragen und bekommen Antworten der Marke: „Sie müssen mir glauben. Ich habe damit nichts zu tun.“

Falls jetzt auch in Mainz der eine oder andere beschwichtigend die Hände hebt und sagt, dass er damit nichts zu tun hat, soll er sich damit nicht zu sicher fühlen. Ich habe mir nämlich einen Plan ausgedacht, der die Verantwortlichen zum Bibbern bringen sollte. Winterkorn ist abserviert, weil er zugelassen hat, dass die Marke VW beschädigt wird. Das soll Vorbild sein. Ich gründe die „Soko ZDF“. Bald auf 25 Sendeplätzen in ihrem Zweiten. Es geht euch an den Kragen, ihr Programmbeschädiger.