Ich weiß jetzt alles über Eisenbahnen in der Welt. Ich verdanke das 3sat, diesem wunderbaren Dreiländersender, der mich am Mittwoch sozusagen überrollt hat mit Bahn-Dokus. Also nicht mit aktuellen Berichten vom ICE-Gleis, nicht mit Verspätungsansagen aus dem verschneiten Bayern oder dem sturmumtosten Norden. 3sat hat mich rausgeholt aus Deutschland, hat mit mir stundenlang Strecke gemacht, hat mir die Welt gezeigt, wie sie sich dem Bahnfahrer präsentiert, wenn er mal die heimischen Gleise verlässt.

Es ging mittags los mit Zügen in Mexiko, machte dann Zwischenhalt in Thailand, Brasilien, Südindien und Südkorea, bevor es zweimal in Tansania schnaufte und in Georgien weiterging, bevor die Fahrt dann am für östliche Reisereportagen unvermeidlichen Baikalsee endete. Natürlich war auch die Transsibirische Thema. Ohne Transsib, wie wir Eisenbahnkenner sagen, ist ja eine Eisenbahn-Doku aus dem Osten quasi ungültig. Und wer in Russland irgendwas filmen will, muss ja schon beim Grenzübertritt unterschreiben, dass er auf jeden Fall etwas zum Baikalsee unterbringt.

Über fünf Stunden Bahn in neun Dokus, alles für 17,50 Euro Rundfunkbeitrag im Monat, natürlich gefüttert von der „Eisenbahn-Romantik“-Abteilung des SWR, wo noch ungeheure Schätze auf immer wieder kehrende Ausstrahlung warten, wo Loks lauern, deren Motoren meine Power multiplizieren werden.

Allein schon der Begriff „Eisenbahn-Romantik“ ist ja einer, der mich neu über die Genderfrage nachdenken lässt. Was geht vor, wenn man seine Libido nicht von Männern oder Frauen anfeuern lässt, sondern zärtliche Gefühle für Lokomotiven hegt? Und welche Bedeutung ist dem Terminus „Triebwagen“ in diesem Zusammenhang zuzuschreiben? Was ist da wann entgleist? Ist der Titel „Und ewig lockt die Lok“ eigentlich schon in Gebrauch, oder kann ich mir den sichern?

Schon jetzt freue ich mich auf neue Inspirationen, wenn am Dienstag der südafrikanische „Shongololo Express“ (16.15 Uhr) im SWR-Gleis 3 einfährt, oder wenn es gleich morgen (16.45 Uhr) um die Rhätische Bahn geht und gegen Ende des Monats endlich auch mal wieder um den Glacier-Express, der ja als Teil der Hot-Rotation quasi zur Standardausrüstung jeder anständigen Eisenbahn-Romantik-Doku-Abteilung gehört. Es wirkt fast, als führe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer irgendwer Bahn, als wären dagegen die ewigen „Bares für Rares“- und „Mord mit Aussicht“-Wiederholungen allenfalls eine Randnotiz.

Sie sind so erhellend, diese „Eisenbahn-Romantik“-Dokus, weil sie jede Menge völlig unerwarteter Erkenntnisse bringen. So weiß ich nach meiner Dienstfahrt vom Mittwoch, dass in Afrika die Bahnen manchmal über 24 Stunden Verspätung haben. 24 Stunden! Potztausend! Wer hätte das gedacht! 

Ich weiß jetzt auch, dass in den Dokus sinngemäß immer der Satz fallen muss (Allgemeine Dienstverordnung für Eisenbahn-Dokus), dass die Menschen dort, also im fernen Ausland, es sehr gelassen sehen, wenn der Zug mal einen Tag später kommt, und dass man sich gar nicht vorstellen wolle, was denn passierte, wenn mal in Deutschland ein ICE 24 Stunden Verspätung hätte.

Ich habe mir das trotzdem sofort vorgestellt und gleich ausgerechnet, was ich der Bahn in einem solchen Fall in Rechnung stellen würde für Zahnbürste, frische Kleider und Entschädigung. Ich wäre quasi reich innerhalb von einem Tag. Aber in Afrika, da würde ich mich sofort fügen in die örtliche Gelassenheit.

Überhaupt Gelassenheit. Die haben Bahnfahrer in der großen Welt da draußen praktisch immer vorrätig, denn die Loks, die sie dort benutzen, sind in der Regel steinalt und öfter mal defekt, was aber niemanden stört, weil da draußen nicht solche modernen europäischen Loks tuckern, die mit lauter Elektronik vollgestopft und ohne entsprechende Austauschmodule praktisch unreparierbar sind. Da draußen fahren noch echte ehrliche Loks, die ein guter Hufschmied mit etwas Geschick und einem guten Hammer wieder auf die Schiene bringen kann. Nur halt 24 Stunden später.

Was soll ich sagen: Ich gewöhnte mir eine gewisse Gelassenheit an, weil ich den Eindruck nicht loswurde, dass Eisenbahn-Romantik-Reportagen stets nach dem gleichen meditativ anmutenden Muster ablaufen. Man zeigt eine Karte, steigt dann ein, interviewt Personal und Fahrgäste und filmt viel aus dem Fenster, weil man aus dem Fenster der Züge ja ungeheuer viel sieht. Irgendwann kommt man dann an und sagt, dass es eine lange Reise war, die sich aber auf jeden Fall gelohnt hat. Fertig ist die Eisenbahn-Doku.

Ganz ehrlich, ich habe in Wahrheit eher wenig gesehen. Vielmehr machte sich rasch jene Monotonie breit, die sich einstellt, wenn man in einem älteren Zug sitzt und es immer wieder Dummtidummtidummtidumm macht. Für mich wäre der Unterschied minimal gewesen, hätte jemand an eine von Horst Seehofers Modelleisenbahnloks vorne eine Kamera montiert und die dort entstehenden Bilder dann live übertragen. 

Aber vielleicht hat sich bei mir auch nur Enttäuschung breitgemacht, weil ich gerade zwei längere Strecken mit dem ICE zurückgelegt hatte und sowohl die Hin- als auch die Rückfahrt absolut unspektakulär verlaufen waren. Pünktliche Abfahrt, pünktliche Ankunft. So pünktlich, dass ich beinahe geneigt war, mich aufzuregen, denn wie soll ich bitteschön Gelassenheit entwickeln, wenn alles glatt läuft? Die Deutsche Bahn bietet auch nicht mehr das an Gesprächswert, was sie mal zum feinen Partythema machte.

Ich überlege jetzt, ob ich nicht doch mal solch eine Reise in echt buchen soll, mit dem Glacierexpress oder mit der Transsibirischen. Tschuldigung, es muss natürlich heißen: Mit der Transsib. Natürlich mit Zwischenhalt am Baikalsee. Ich will ja nicht gegen Fernsehgesetze verstoßen. Ich drehe dabei dann gleich auch meine eigene Eisenbahn-Doku. Sie wird davon handeln, wie schwierig es ist, meine Ausrüstung in dem winzigen Abteil unterzubringen, wie lange die Reise dauert, wie uralt die Loks sind und wie egal es den Menschen ist, wenn der Zug mal Verspätung hat. Außer natürlich bei den deutschen und den Schweizer Bahnen. Da darf man sich aufregen. 

Als Vorlage nehme ich die bei 3sat ausgestrahlten Dokus. Ich habe sie alle auf Festplatte. Für lange Nächte, wenn ich mal wieder nicht schlafen kann und etwas Gelassenheit brauche. Doku rein, Gelassenheit her. Beruhigung gratis. Danke 3sat. Danke SWR. Ach, Eisenbahn-Romantik! Wie konnte ich so lange ohne dich leben?