Frau Sonnenfeld, als Head of Broadcast & Government Partnerships sind Sie dafür zuständig, der deutschen TV-Branche Twitter näher zu bringen. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Isabelle Sonnenfeld:
Wir haben einen regen Austausch mit allen Sendern und vielen Produktionsfirmen. Bisher liegt unser Fokus darauf, Aufklärungsarbeit zu leisten, also den Sendern zu zeigen, welche Vorteile ihnen Twitter bietet, wie man Twitter in eine Sendung einbinden kann oder wie ein Hashtag on air funktioniert. Ich spreche mit den Sendern über Best Cases aus anderen Ländern, wo Twitter und TV schon viel stärker miteinander verbunden sind. Dann überlege ich gemeinsam mit den Sendern und Produktionsfirmen, wie man diese Best Cases auch in Deutschland umsetzen kann.

Dabei schwappt Ihnen vermutlich noch viel Zurückhaltung entgegen.

Isabelle Sonnenfeld:
Die Sender sind sehr interessiert, mehr über Twitter zu lernen, weil sie erkennen, dass Social TV kein Buzzword mehr ist, sondern einfach Realität. Die junge werberelevante Zielgruppe guckt Fernsehen mit einem Handy in der Hand. Sie wollen mitmachen, mittwittern und partizipieren. Twitter ist das globale Sofa geworden und damit für das Fernsehen eine einzigartige komplementäre Plattform. Die Zuschauer erwarten einen Blick hinter die Kulissen, einen twitternden Moderator oder Schauspieler, mit dem man sich austauschen kann. Auf diese veränderte Erwartungshaltung müssen die Sender reagieren.

Rowan Barnett: Wir sehen, dass Twitter sich international als Social Soundtrack etabliert hat. In Deutschland sehen wir eine ähnliche Entwicklung. Nach neuesten Zahlen nutzen 56 Prozent der deutschen Twitter-Mobilnutzer Twitter, während sie TV schauen. Twitter bereichert deren TV-Erlebnis. Eine gelungene Twitter-Integration kann eine Show spannender und interaktiver machen, und man kann Twitter gezielt nutzen, um den Zuschauer enger ans Programm zu binden. Da wir als einzige Plattform live, öffentlich und dialogorientiert sind, kann man in Echtzeit sehen, wie die Konversation verläuft. Zum ersten Mal können Fernsehmacher dank Twitter sehr viel über die eigenen Shows und Zuschauer lernen.



Als Gegenargument hört man von den Sendern oft, dass Twitter hierzulande im Vergleich zum Reichweitenmedium TV eine zu kleine Zielgruppe erreicht.

Rowan Barnett:
Es ist kein Geheimnis, dass Twitter in Deutschland ein Nachzügler war. Umso mehr sind wir aber mit dem Wachstum der letzten zwölf Monate zufrieden. Wir wachsen schnell in der jüngeren Zielgruppe, es gibt eine ständige Präsenz in den Nachrichtenmedien, die den Wert von Twitter als Informationsquelle und Distributionskanal erkannt haben, und Twitter hat sich sehr gut als ein wesentlicher Bestandteil u.a. der Musik-, Sport-, Politik- und Entertainment-Branche etabliert. Daher bietet Twitter natürlich enorme Chancen für die TV-Sender. Wir wissen, wo die Reise hingeht. Wir kennen die Erfolgsgeschichte von Twitter und TV in den USA, UK oder Frankreich. Wenn man nicht früh genug dabei ist und Twitter als Live-Medium ernst nimmt, läuft man Gefahr, dass der Zug irgendwann ohne einen abgefahren ist.

Die RTL-interactive-Manager Matthias Büchs und Michael Heise haben voriges Jahr im DWDL.de-Interview gesagt, Twitter nütze ihnen nichts, wenn 97 Prozent der RTL-Zuschauer denken, "wir starten gerade eine Rakete in Nordkorea mit diesem komischen Code".

Rowan Barnett:
Eine solche Äußerung kann ich nicht so ganz verstehen. Wir reden hier überwiegend von einer jungen Zielgruppe, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist. Natürlich wissen diese Zuschauer, was ein Hashtag ist. Genau diese Zielgruppe, die sich mehr und mehr während einer Sendung auf Twitter tummelt, ist doch die Zielgruppe, an die man als Sender ran will, weil man sie sonst vielleicht gar nicht mehr erreicht. Das darf man nicht ignorieren.

Isabelle Sonnenfeld: Allerdings reicht es nicht aus, nur ein Hashtag on air einzublenden. Wenn Twitter nicht natürlicher Bestandteil der Sendung ist, dann ist eine Aktivierung der Zuschauer über die normale Konversation hinaus nur bedingt möglich. Wir sehen aber ein wachsendes Verständnis der Sender und Produktionsfirmen dafür, wie man den Zuschauer über Storytelling am direktesten anspricht und zum Twittern animiert.

Ist es vielleicht eine generelle Angst der Sender, Kontrolle abzugeben?

Isabelle Sonnenfeld:
Das mag vielleicht bei einigen Sendern so sein. Aber Twitter bietet ihnen ja gerade eine gute Steuerungsmöglichkeit. An den Twitter-Accounts großer Sender, etwa ProSieben oder ZDF, sieht man deutlich, dass sie die Konversation lenken und direkt beeinflussen können, gerade weil sie aktiv an der Konversation teilnehmen. Was ich oft von Verantwortlichen aus der TV-Branche höre, ist, dass sie Twitter schon längst als Feedbackkanal nutzen. Nach jeder Sendung lesen sie die Tweets der Zuschauer und schauen, welche Momente, welche Pointen am besten angekommen sind, aber auch, welche Kritik die Zuschauer an der Sendung haben.

"Wir hatten über 410.000 Tweets zum ESC aus Deutschland – ein neuer Rekord hierzulande"

Isabelle Sonnenfeld, Twitter


Sie haben vorhin von Best Cases aus anderen Ländern gesprochen. Gibt es denn auch schon welche aus Deutschland?

Isabelle Sonnenfeld:
Die Konversation auf Twitter rund um große TV-Ereignisse hat sich in den letzten zwölf Monaten verdoppelt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Eurovision Song Contest von NDR und EinsPlus. Peter Urban hat in seinen Kommentaren während der Show Echtzeit-Daten zur Konversation auf Twitter aufgegriffen. Und neben den On-air-Aufrufen ‘mitzutwittern’, gab es Twitter-Fan-Selfies auf der Bühne des ESC-Fanfests auf der Reeperbahn. Dazu hat EinsPlus zum ersten Mal einen Split-Screen angeboten, der auf der einen Seite das TV-Bild gezeigt hat, auf der anderen im stetigen Durchlauf die Tweets der Zuschauer. Hier hat sich gezeigt, wie perfekt Twitter zu einem Live-Event passt. Wir hatten über 410.000 Tweets zum ESC aus Deutschland – ein neuer Rekord hierzulande. Ähnliche Effekte haben wir beim Dschungelcamp und beim Finale von "Germany's next Topmodel" gesehen, wo die Konversation sich ebenfalls im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat.