Von 2000 bis 2004 war Annette Dittert als ARD-Korrespondentin in Warschau, Ende Dezember beschäftigte sie sich in der Arte-Dokumentation "Polen vor der Zerreißprobe - Eine Frau kämpft um ihr Land" (noch bis zum 20. Januar in der Arte-Mediathek abrufbar) wieder mit unseren östlichen Nachbarn. In dem Film begleitet sie die polnische Europaparlamentarierin Róża Thun auf einigen Reisen - und zeigt, wie hart die Regierung inzwischen bisweilen mit der Opposition umgeht. Die Reaktionen waren immens: Nach der Ausstrahlung erhielt Thun sogar Todesdrohungen und auch Dittert sieht sich lautstarker Kritik von polnischer Seite ausgesetzt. Wir haben mit der Korrespondentin gesprochen.

Frau Dittert, haben Sie die polnischen Reaktionen auf Ihre Reportage erlebt?

Schon vor Beginn der Dreharbeiten wusste ich, dass das heute nicht mehr dasselbe Polen ist, was ich noch als Korrespondentin erlebt habe, und aus dem ich damals so ungern weggezogen bin: Ein Land, das die Demokratie gefeiert hat und froh und erleichtert war, die kommunistische Vergangenheit 2004 mit dem EU-Beitritt endgültig abgeschüttelt zu haben. Von dieser Aufbruchstimmung ist nichts mehr übrig. Und mehr noch: Was ich jetzt vor Ort gesehen habe, hat mich wirklich erschreckt. Denn ich habe stattdessen ein Land erlebt, in dem jede Kritik an der Regierung durch Einschüchterung und Propaganda im Keim erstickt werden soll. Ein Land, in dem ein Großteil der Medien bereits gleichgeschaltet ist, und - noch - unabhängige Fernsehsender wie TVN einer ungewisse Zukunft entgegensehen.

Wie meinen Sie das?

Erst im Dezember wurde gegen TVN eine Geldstrafe von 1,5 Mio Zloty verhängt, weil sie über eine Protestdemo gegen die Regierung berichtet hatten, die allerdings in dieser Woche vorerst wieder zurückgezogen wurde. Das sind Methoden, die so aussehen, als habe man sie sich direkt von Putin abgeschaut. Nach dem Motto: Wer Kaczynski nicht folgt, ist ein Feind der Polen. Wer nicht auf Parteilinie ist, muss ein Landesverräter sein. Direkt aus dem Lehrbuch für autoritäre Herrscher, Kapitel 1. Und der ganze, geradezu absurde Aufruhr um meinen Film in Polen, der ja von einem Mitglied der Regierungspartei bewusst ausgelöst wurde, ist nur ein weiterer fast idealtypischer Beleg dafür. Wer die Regierung kritisiert, ist im Auftrag der Feinde des polnischen Volkes unterwegs. Also ist meine Protagonistin eine Denunziantin und ich bin Leni Riefenstahl.

Besorgen Sie derartige Vorgänge?

Als Journalistin finde ich das interessant, als Mensch deprimiert mich das: Denn es sind ja bei weitem nicht alle Polen, die hinter dem Regierungskurs stehen. Die grossen Protestdemonstrationen gegen die Justizreform vom letzten Sommer sind zwar kleiner geworden, aber die Opposition ist noch da. Ich fürchte nur, dass die Polen, die mit dem Abbau der Demokratie und der zunehmenden Isolierung ihres Landes durch Kaczynski nicht einverstanden sind, es immer schwerer haben werden. Seit die Justizreform im vergangenen Dezember durchgesetzt wurde, sind die Gerichte jetzt direkt dem Justizministerium und dem Präsidenten unterstellt, eine unabhängige Rechtssprechung ist damit mittelfristig kaum mehr wahrscheinlich.

Wie ist es Ihrer Meinung nach generell um die Presse- und Meinungsfreiheit in Polen bestellt?

Noch gibt es in Polen eine relativ große Pressevielfalt. Zwar sendet seit der Machtübernahme der PiS-Partei der öffentlich-rechtliche Sender "TVP" auf Regierungslinie und macht praktisch täglich Stimmung gegen die Opposition. Aber noch gibt es eine große Zahl unabhängiger Medien, von denen einige – wie das Traditionsblatt "Gazeta Wyborcza" – auch weiter bei ihrem deutlich regierungskritischen Kurs geblieben sind. Und dann gibt es eben noch die Sendergruppe "TVN" mit ihrem News-Flagschiff “TVN24", die amerikanischen  Eigentümern gehört. Vor allem TVN24 hält täglich dagegen, berichtet auch immer wieder live von Protesten gegen die Regierung. Aber wie lange das so noch möglich ist, weiß im Moment keiner mit Sicherheit zu sagen.

Wie erklären Sie sich das veränderte Klima in Polen im Vergleich zu der Zeit, in der Sie Korrespondentin in Warschau waren?

Wie das überhaupt so schnell so weit kommen konnte? Dazu bräuchten wir mehr als nur ein kurzes Interview. Das hat so viele Gründe. Zum einen sind da die schweren Fehler, die die Vorgängerregierung gemacht hat, die konservativ-liberale PO des Donald Tusk, die das Land acht Jahre lang bis 2015 regiert hat. Damals glaubte man, mit dem Kapitalismus werde die Demokratie gewissermassen automatisch mitgeliefert. Und übersah vollkommen, dass das in Zeiten der Globalisierung so einfach nicht mehr ist. Das ganze Themenfeld “Soziale Gerechtigkeit” blieb völlig auf der Strecke, und so entstand, ganz ähnlich wie in Grossbritannien, gefühlt und real eine immer grössere Schere zwischen Arm und Reich. Das hat Kaczynski erkannt und thematisiert, und für sich und seine Ziele ausgenutzt. Aber um diese Entwicklungen wirklich zu erklären, braucht man einen zweiten, längeren Film. Den es übrigens geben wird. In den nächsten Monaten werde ich noch einmal nach Polen fahren, um die Reaktionen auf den Film zu reflektieren, und genau diese Fragen besser beantworten zu können. Das wird eine "Story" für den WDR, und ich bin natürlich jetzt schon sehr gespannt, wie die Reaktionen dann darauf ausfallen werden...

Frau Dittert, vielen Dank für das Gespräch.