Die allerdings dazu geführt hat, nur noch selten etwas anderes zu spielen…

Ja, aber ich hatte meine kleinen Fluchten. In Bochum zum Beispiel habe ich erfolgreich musikalische, komödiantische Kleinkunst gemacht und ab 1999 auch Boulevardtheater in Düsseldorf und Köln – mit großem Vergnügen. Mein erster Vertrag am Lübecker Stadttheater lautete ja: jugendlicher Charakterdarsteller und Komiker. Gut, Jugend war passé, aber die Komik nur in Vergessenheit geraten. Bei all den Problemen, die Hans Beimer Woche für Woche hat, hätte er eigentlich beim Psychiater landen müssen; da brauchte es einen heiteren Ausgleich.

Zugleich war er 33 Jahre lang ein Fels in der Brandung des wechselnden Personals, der selbst im Untergang noch die Ruhe bewahrt.

Bis auf kleine Ausrutscher wie ein kurzes Alkoholproblem stand ich fast bis zum Schluss stets fest auf dem Boden der Realität.

Fast?

Die Parkinson-Erkrankung war eine ziemliche Herausforderung. Im Film würde sie einen für 90 Minuten beschränken, in einer Serie für immer. Die schauspielerischen Mittel auf Dauer mimisch, gestisch, sprachlich, auch inhaltlich so zu limitieren, war mir irgendwann zu wenig und im Grunde eine Reduzierung zu viel. Außerdem vollende ich genau einen Monat nach der letzten Folge mein 75. Lebensjahr; da darf man gern ein bisschen kürzer treten, und Hans ist meiner Meinung nach vielleicht auch auserzählt. Ich gehe im Frieden.

Aber wäre Ihre Schauspielerleben ohne diesen quasi verbeamteten Serienjob mit mehr Bildschirmpräsenz als jede andere Figur nicht vielleicht besser, reichhaltiger verlaufen?

So ein Gedanke kam tatsächlich mal – schon weil ich niemals beim Ergreifen dieses Berufes eine Festanstellung im Sinn hatte. Aber ich hatte mich nun mal entschieden und wusste die Sicherheit als Familienvater auch zu schätzen. Anfangs habe ich noch in anderen Produktionen gespielt, sogar den Täter im Tatort: Blindekuh. Aber die Angebote blieben zusehends aus.

So funktioniert die Branche?

So funktioniert die Branche! Aber während anfangs einige Kollegen die Nase gerümpft haben über solche Serien, kamen im Laufe der Jahre immer mehr auf mich zu, ob ich ihnen nicht zu einer Rolle in der "Lindenstraße" verhelfen könnte. Das zeigt mir: Kunst kommt nach Brot. Ich bin zufrieden, habe mich zuletzt aber in der Tat häufiger gefragt, was jetzt noch kommen soll. Es wird halt schwieriger, Dinge zu erzählen, die polarisieren.

Es ging ums Polarisieren?

Nicht in erster Linie, aber Hans Geissendörfer wollte schon bewusst gegen den Strich bürsten. Als wir Homosexualität, Neonazis, Kindesmisshandlung, Drogensucht, Antiatombewegung zum Teil einer alltäglichen Serie gemacht haben, wurde darüber noch wochenlang heiß diskutiert, und ein Gauweiler hat uns verklagt, weil es in einer Folge hieß, er sei ein Faschist. Heute gibt es in jeder Vorabendserie Aufreger wie diese, vom Internet ganz zu schweigen.

Während anfangs einige Kollegen die Nase gerümpft haben über solche Serien, kamen im Laufe der Jahre immer mehr auf mich zu, ob ich ihnen nicht zu einer Rolle in der "Lindenstraße" verhelfen könnte. Das zeigt mir: Kunst kommt nach Brot.

Wobei die "Lindenstraße" weniger wegen der Skandale bedeutsam ist, sondern als Glossar gesellschaftlicher Befindlichkeiten der vergangenen vier Jahrzehnte oder?

Das ist ihr Verdienst, fast ein Alleinstellungsmerkmal. Was nie in der "Lindenstraße" vorkam, war auch in der Wirklichkeit nicht von Belang. Das hat sie sich bis heute bewahrt.

Ist das gewissermaßen ihre Lebensversicherung?

Ich gebe generell keine Prognosen ab, weil die meist danebenliegen, wie lange es die "Lindenstraße" noch geben wird. Aber soweit ich gehört habe, steigt die Zuschauerzahl gerade wieder. Guter Zeitpunkt für einen Abschied.

Hat man bei Ihnen eigentlich mal nachgefragt, welchen Sie gern hätten?

Als ich mit Hans und Hana Geissendörfer darüber geredet habe, hatte ich einen sehr konkreten Vorschlag, der teilweise sogar übernommen wurde. Dass ich sterbe, ist ja kein Geheimnis.

Aber in ihren Stiefeln, am besten im Sattel?

Im Gegenteil. Ich wollte heimlich, still und leise verschwinden, typisch Hans Beimer eben.

Die letzte "Lindenstraße"-Folge mit Joachim Luger als Hans Beimer läuft am Sonntag, 2. September um 18:50 Uhr im Ersten