Herr Nadler, die Mediengattung TV steht im Werbemarkt unter Beschuss. Der Verband der Werbekunden beklagt sinkende Programmqualität und sinkende Werbeleistung. Fast alle Beteiligten sind unzufrieden mit den ewigen Verzögerungen bei der geplanten Konvergenzwährung für lineares TV und Online-Video. Wie sind Sie momentan aufs Fernsehen zu sprechen?

Generell sehr positiv. Immerhin sprechen wir vom wichtigsten Medium, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Marken aufzubauen. Bewegtbild als Gattung betrachtet, ist für die meisten Werbungtreibenden ein mächtiges Instrument. Dennoch sind manche der Kritikpunkte absolut gerechtfertigt. Die Nutzungsgewohnheiten der Konsumenten verändern sich extrem. Wenn das klassische lineare TV nicht abgehängt werden will, bedarf es eines Umdenkens, das sich deutlich in Richtung flexiblere und komfortablere Abruf-Komponente entwickeln muss. Ansonsten kommen wir an einen Punkt, an dem wir die nötigen Nettoreichweiten für die Werbekunden nicht mehr erreichen und mit zunehmenden Planungsproblemen konfrontiert sein werden.

Ist das eine Zukunftssorge oder eine Zustandsbeschreibung der Gegenwart?

Bei einzelnen unserer Kunden ist es schon eine Zustandsbeschreibung. Gerade bei sehr großen Konsumgütermarken stoßen wir in den jungen Zielgruppen an Grenzen. Insofern müssen wir uns bereits heute überlegen, wie wir die Reichweiten in Online-Bewegtbild verlängern, um die kritische Masse zu erreichen. Genau dann sind wir relativ schnell mit dem Problem der einheitlichen Messbarkeit konfrontiert. Ich bin davon überzeugt, dass wir fehlende TV-Nettoreichweiten durchaus durch Online-Video ausgleichen können und dass der technische Ausspielweg per se keinen qualitativen Unterschied macht, wenn der Content in der gleichen Qualitätsliga spielt.

Keinen Unterschied für die Werbewirkung, meinen Sie? Heißt also: Zuschauer, die live gucken, sind gleich viel wert wie Zuschauer, die on demand gucken?

Ob ich "Alarm für Cobra 11" um 20:15 Uhr anschaue oder dieselbe Episode später in der Mediathek abrufe, macht grundsätzlich für meine Empfänglichkeit gegenüber der Werbung keinen Unterschied. Aus Sicht des Werbekunden muss natürlich gewährleistet sein, dass jeweils die Zielgruppen erreicht werden, die für die Kampagne relevant sind. In der Regel geht es vor allem aber auch um unterschiedliche Werbeformate, da diese der jeweiligen Nutzungs- und Aufmerksamkeitssituation angepasst sein sollten. 

Das bedeutet: weniger Spots als im Linearen?

Richtig. Die Menge der Spots und die Länge der Unterbrechung sind sicher wesentliche Punkte. Im werbefinanzierten Abruf-TV sollte das Produktangebot klar durchdacht sein, um erst gar nicht in die gefühlte Konkurrenz mit den kostenpflichtigen Video-on-Demand-Diensten zu geraten. Das Nutzungserlebnis muss attraktiv genug sein, damit es für den Zuschauer genauso selbstverständlich wird wie der lineare Konsum. Wenn das erfüllt ist, können wir auch von gleicher Werbewirkung ausgehen. Die etablierten TV-Häuser sollten sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigen, um mit Entwicklungen und Angeboten die richtigen Antworten für ihre Konsumenten und damit auch für ihre Werbekunden zu finden.

Andererseits ist der Werbemarkt bislang in aller Regel nicht bereit, online die gleichen Spotpreise zu zahlen wie im linearen TV.

Das ist in erster Linie ein Währungsthema. Wir verfügen über interne Tools und Systeme, um Reichweiten, Wirkungen und Preise zu vergleichen. Das löst aktuell jede Agentur für sich individuell, weil es noch immer keine einheitliche Marktwährung gibt. Diesen Standard braucht der Markt unbedingt, und zwar möglichst schnell. Das würde die Vergleichbarkeit sehr vereinfachen und wir könnten über angemessene Preise diskutieren. Solange jeder Vermarkter und jede Agentur unterschiedliche Analysemethoden verwendet, fehlt es Kunden generell an Marktrichtlinien und Orientierung und sie haben sicher längere interne Entscheidungswege.

"Wir müssen dringend Gas geben und alle Parteien zu einem Konsens kommen, sonst wird es dem TV-Markt zunehmend schaden"

Klaus Nadler, CEO, Carat Deutschland


Viele Akteure kritisieren, die AGF Videoforschung bewege sich zu langsam und strebe nach der perfekten Lösung, statt Nägel mit Köpfen zu machen.

Ich würde auch sagen: Marktstandard geht vor Perfektion! Alle Media-Währungen, die wir heute verwenden, sind sukzessive entstanden und haben sich im Laufe der Zeit immer weiter verbessert. Bis 2012 war ich selbst für die IP Deutschland im AGOF-Vorstand und hätte damals nicht gedacht, dass wir 2018 immer noch über die Konvergenzwährung diskutieren würden. Wir müssen dringend Gas geben und alle Parteien zu einem Konsens kommen, sonst wird es dem TV-Markt zunehmend schaden.

Je länger es dauert, desto stärker bauen YouTube, Facebook und andere US-Plattformen ihre Marktanteile im Video-Werbemarkt zulasten deutscher Sender aus.

Diese Entwicklung ist absehbar. Auch wenn die Vergleichbarkeit auch hier aktuell noch nicht gegeben ist, investieren diese Player jedoch in ein sehr gutes Eigenmarketing. Sollten darüber hinaus auch noch Amazon und Netflix in den Werbemarkt einsteigen, würde der Wettbewerb noch härter. Ob diese Marktplayer willens sind, sich von der GfK messen zu lassen, würde ich allerdings zumindest am Anfang bezweifeln.

Amazon hat ja angeblich bereits einen werbefinanzierten Videodienst in Planung, Netflix hingegen dementiert vehement, dass dies jemals Teil des Geschäftsmodells werden könnte.

Aus Sicht des Werbungtreibenden würde ich mir diesen Schritt selbstverständlich von beiden wünschen, weil genau dort die Nettoreichweiten schlummern, die an anderer Stelle verloren werden. Ich vermute, bei Amazon dürfte es schneller kommen, weil das Unternehmen den Werbemarkt inzwischen für sich an ganz vielen Stellen entdeckt und eine umfassende Vermarktung aufgebaut hat. Wenn eine Videoplattform alle Gesellschaftsschichten komplett durchdringen will, wird sie auf Dauer um ein werbefinanziertes Angebot nicht herumkommen. Es gibt einfach noch genügend Nutzer, die für Videoinhalte nicht bezahlen möchten. Dabei werden hybride Lösungen oder Freemium-Modelle wie bei Spotify künftig sicher eine größere Rolle spielen.