Frau Ziegler, heute vor 47 Jahren, am 27. April 1973, haben Sie Ihre Produktionsfirma gegründet. Bei allen unternehmerischen Höhen und Tiefen, die Sie durchgemacht haben: Ist die Corona-Krise das tiefste Tief?

Regina Ziegler: Das ist ohne Frage die schwerste Krise in 47 Jahren. Sie ist vor allem nicht vergleichbar mit bisherigen Erfahrungen. Damals habe ich mit 60 D-Mark Gründungskapital angefangen und wusste nicht, ob ich es schaffen würde. Gerade in den frühen Jahren standen wir manchmal am Rand der Existenz. Es gab immer wieder Produktionen, die das Budget überschritten und dazu führten, dass ich Eigentum veräußern musste. Der große Unterschied zur heutigen Situation ist: Ich bin diese Risiken immer freiwillig eingegangen. Ich bin vor Risikoproduktionen nicht zurückgeschreckt, weil ich am Erwerb von Rechten interessiert war. Von den über 500 Filmen, die wir bisher produziert haben, gehören uns die Auswertungsrechte an etwa 160. Trotzdem haben wir als mittelständisches Unternehmen nicht so einen langen Atem wie vielleicht Bavaria, Studio Hamburg oder UFA. Es geht heute um die Existenz von Ziegler Film in Berlin, Köln, München und Baden-Baden.

Tanja Ziegler: Wir waren tatsächlich noch nie in der Situation, genügend Filmprojekte zu haben, die wir produzieren könnten, aber nicht zu wissen, wann und wie. Das ist eine völlig ungekannte Erfahrung. Es gab in der Vergangenheit sicher mal Jahre, in denen es unserem Cashflow gutgetan hätte, wenn wir ein oder zwei Projekte mehr gehabt hätten. Für dieses Jahr sind wir gut aufgestellt – und wissen jetzt nicht, wie wir diese Filme nach Hause bringen können.

Wie viele Produktionsabbrüche fallen bei Ihnen an?

Regina Ziegler: Wir hätten ab März eigentlich "Mordkommission Istanbul" und "Die Bilderkriegerin" gedreht, ab Mai "Lena Lorenz" und Tanjas Kinofilm "In einem Land, das es nicht mehr gibt". Für Spätsommer standen noch zwei weitere Filme von Tanja, "Theresa Wolff, Rechtsmedizinerin" und "Fünf", auf dem Plan.

Tanja Ziegler: Für uns Produzenten macht es einen gewaltigen Unterschied, ob es sich um Auftragsproduktionen oder Kinokoproduktionen handelt. Nehmen wir als Beispiel "In einem Land, das es nicht mehr gibt". Das ist ein Kinofilm, den ich mit Susa Kusche zusammen in diesem Jahr produziere, den Aelrun Goette geschrieben hat und inszenieren wird, angesiedelt 1989 in der Modewelt in Ostberlin. Unsere Partner sind Tobis Film als Verleih und Koproduzent, RBB, WDR, MDR und Arte als Senderpartner, Beta Film als Weltvertrieb. Wir wollten am 12. Mai mit dem Dreh beginnen und haben vor drei Wochen die Vorbereitungen für unseren Film abbrechen müssen, den Drehstart auf August verschoben. Und wissen aber noch nicht, ob wir mit den Auflagen, die es von staatlicher Seite gibt, im August wirklich drehen können. Wir stehen aber im wöchentlichen Austausch mit unserem Kreativteam, sodass wir die Vorbereitungen verhältnismäßig kurzfristig wieder hochfahren können und dann hoffentlich in diesem Jahr noch drehen werden. Natürlich sitzen wir jetzt schon auf immensen Vorkosten. Bei den Auftragsproduktionen haben wir mit den öffentlich-rechtlichen Sendern ein gutes Gegenüber. Bei Kinokoproduktionen ist die Lage noch nicht geklärt. Von Cooky Ziesche beim federführenden RBB weiß ich, dass man gerade ein Konzept ausarbeitet, wie man auch hier die Produzenten unterstützen kann. Und die Förderer zeigen sich sehr flexibel und gesprächsbereit, auch wenn es darum geht, zum Beispiel Fristen zu verlängern.

Regina Ziegler: Bei solchen Koproduktionen, wo die Finanzierungsanteile ja aus vielen verschiedenen Quellen kommen, müssen wir als Produzenten für die Gesamtfinanzierung einstehen. Auch unsere Fiction-Doku "Die Bilderkriegerin" über die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus, die 2014 bei einem Anschlag in Afghanistan ums Leben kam, ist eine Kinokoproduktion. In diesem Fall ist das ZDF unser Senderpartner und auch dort gibt es ähnliche Bestrebungen, die Produzenten zu unterstützen.

Bei Auftragsproduktionen verfahren die Sender je nach Projekt unterschiedlich. Die anfängliche Ankündigung, bis zu 50 Prozent der Mehrkosten zu übernehmen, reicht laut vielen Produzenten bei Weitem nicht aus.

Regina Ziegler: Im Moment ist vieles noch so unklar, dass sich die Mehrkosten gar nicht genau kalkulieren lassen. Für "Lena Lorenz" etwa waren vier 90-Minüter in und um Berchtesgaden ab Mai fest terminiert. Jetzt sind wir in einer Sommerplanung, ohne natürlich genau zu wissen, ob das wirklich klappen wird. Grundsätzlich bemühen sich die Sender darum, Wege zu finden, um die Produzenten nicht im Regen stehen zu lassen. Sehr hilfreich ist zum Beispiel, dass die Sender bereit sind, zum jetzigen Zeitpunkt Verträge über anstehende Produktionen abzuschließen, auch wenn der Zeitpunkt des Drehbeginns noch nicht absehbar ist. Das bedeutet, dass wir gegenüber den Banken klare Signale in der Hand haben. Das ist ein ziemliches Entgegenkommen, wenn man bedenkt, dass wir es sonst eher gewohnt sind, Verträge erst kurz vor knapp zu bekommen.

"Leider haben unsere Politiker die Film- und Fernsehwirtschaft noch nicht ausreichend im Blick"

Regina Ziegler

Bei den staatlichen Hilfsmaßnahmen wiederum scheinen etliche Filmschaffende durchs Raster zu fallen.

Regina Ziegler: Unsere Politiker sprechen in diesen Tagen viel von Einzelhändlern, Gastwirten oder Friseuren, und zwar völlig zu Recht, weil alle ohne eigenes Verschulden von Corona betroffen sind. Nur leider haben sie die Film- und Fernsehwirtschaft mit ihren Besonderheiten noch nicht ausreichend im Blick. Von der Staatsministerin für Kultur und Medien würde ich eine zügige, unbürokratische Umwidmung von Fördertöpfen erwarten, die angesichts des allgemeinen Drehstopps ja ohnehin nicht ausgeschöpft werden können. Das gilt insbesondere für den DFFF II für Dienstleistungen zu internationalen Großproduktionen. Tanja und ich haben uns einige Ansprechpartner vorgenommen und werden da gerade aktiv – in diesem Fall nicht nur für Ziegler Film, sondern für die Gesamtheit der Filmschaffenden vor und hinter der Kamera.

Erleben Sie innerhalb der Branche momentan viel Solidarität oder kämpft am Ende doch jeder für sich?

Regina Ziegler: Gott sei Dank gibt es bei vielen Kolleginnen und Kollegen viel Solidarität. Das finde ich beruhigend. Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele. Wir sitzen hier in Berlin seit 27 Jahren in einem Bürohaus auf vier Etagen und sind kein einziges Mal die Miete schuldig geblieben. Wenn dann in einer so akuten Krisensituation kein Arrangement möglich scheint, finde ich das eine herbe Enttäuschung.

Tanja Ziegler: Eine weitere große Herausforderung steht uns bevor, wenn wir wieder drehen können. Alle Produzenten werden in die Vorbereitung gehen und dann wieder produzieren wollen. Es wird einen Run auf Team-Mitglieder und Technikverleiher geben. In dem Moment wird es sich zeigen, ob noch immer Solidarität, von der ja gerade so viel gesprochen wird, unter uns konkurrierenden Produzenten herrscht. 

Regina Ziegler: Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Mit dem Benehmen der Branche habe ich in über vier Jahrzehnten so meine Erfahrungen gemacht.

Tanja Ziegler: Ja, diese Zeit wird wiederum auch – für uns alle – sehr herausfordernd werden.

Regina Ziegler: Es wird ein paar von der Sorte der Rücksichtslosen geben. Die Namen kann ich dir im verschlossenen Umschlag überreichen. (lacht)

Tanja Ziegler: Ich versuche positiv zu denken und hoffe tatsächlich, dass die Krise auch zu einer gewissen Gesundung im menschlichen Miteinander und auch in unserer Filmbranche führen kann.

Haben Sie denn schon eine ungefähre Vorstellung davon, unter welchen Vorgaben und Regeln gearbeitet werden muss, wenn Sie wieder drehen dürfen?

Tanja Ziegler: Da herrscht noch große Unklarheit. Die Produzentenallianz hat Gespräche mit der Politik und den Sendern aufgenommen, um ein Regelwerk abzustimmen. Wir müssen ja definitiv wissen, wie wir uns auf die zukünftigen Dreharbeiten vorbereiten können. Es wird auf jeden Fall eine neue Zeitrechnung nach Corona geben. Es wird nichts mehr so sein wie vorher. Wir werden mit neuen Strukturen umgehen müssen und auch anders produzieren.

Regina Ziegler: Weil wir nicht einfach nur abwarten wollen, sind wir dabei, schon einmal eine Art Leitfaden der Krisenbewältigung zu erarbeiten. Um künftige Auflagen zu erfüllen, müssen wir uns genau überlegen, was wir noch drehen können. Klar ist: Das wird nur mit Mehrkosten zu machen sein. Jede Produktion wird wohl einen eigenen Mitarbeiter brauchen, der sich um die Hygiene und Sicherheit am Set kümmert. Wir werden jedenfalls alles dafür tun, dass wir noch in diesem Jahr unsere Produktionen realisieren können.

Betreiben Sie derweil Ihre Development-Projekte – etwa die geplante Angela-Merkel-Serie "Mrs. Germany" und die Eventproduktion zum Cum-Ex-Skandal – unvermindert weiter oder treten Sie auch da auf die Bremse?

Tanja Ziegler: Nein, wir bremsen nicht, ganz im Gegenteil. Alles, was sich jetzt entwickeln lässt, entwickeln wir. Wir denken dabei durchaus auch über andere Formatideen in kleineren Kostengrößen nach, sodass wir sehr bald mit Neuem an den Start gehen können, das sich auch mit einem reduzierten Team umsetzen lässt.

Regina Ziegler: Außerdem bereiten wir den "Wunschpunsch" nach Michael Ende als Kinofilm vor – ein Jugendbuch von 1989, das mit seinem Zaubermärchen über Umweltzerstörung nach wie vor aktuell ist. Der schwarze Rabe Jakob und der dicke Kater Maurizio wollen darin verhindern, dass eine Hexe und ein Zauberer mit einem magischen Trank die Welt vernichten. Michael Ende war damals schon ein Visionär. Was wir auch jetzt von Homeoffice zu Homeoffice machen können, ist, die Animation der beiden Hauptfiguren zu konzipieren.

Ich dachte, ich wäre tot (1973)© Ziegler Film
Regina Zieglers erste Produktion: "Ich dachte, ich wäre tot" von Wolf Gremm

Ihre allererste Produktion von 1973, Wolf Gremms Spielfilm "Ich dachte, ich wäre tot", stellen Sie gerade für vier Tage auf Ihrer Homepage online. Was verbinden Sie mit diesem Film?

Regina Ziegler: Mein Herz hängt daran, wie vermutlich jeder Produzent an seinem ersten Film hängt. Das Geld dafür habe ich mir damals von Freunden und Verwandten zusammengepumpt – insgesamt 100.000 D-Mark. Wie wir damals finanziell bestückt waren, sieht man auch daran, dass wir noch nicht mal nach New York fliegen konnten, als der Film im MoMA aufgeführt wurde. Bei aller Sentimentalität ist dieser 47 Jahre alte Stoff doch sehr heutig: Wenn eine 17-Jährige zwischen allen Stühlen sitzt und nicht weiß, wo sie hingehört, dann hat das immer noch eine relevante Aussagekraft. Wir haben den Film digital restauriert. Vom 1. Mai an wird es weitere 47 Tage lang auf unserer Homepage täglich wechselnde Filme aus unserem großen Rechtestock zur Ansicht geben. Das ist ein Geschenk an alle, die sich gerne Geschichten erzählen lassen.

Frau Ziegler und Frau Ziegler, herzlichen Dank für das Gespräch.