Herr Laube, Herr Maubach, das Portfolio Ihrer Firma reicht inzwischen vom Arthouse-Kino über die Netflix-Serie bis zum Instagram-Format. Wollen Sie etwa die inhaltliche Breite Ihres Ex-Arbeitgebers UFA nachbauen?
 
Jochen Laube: Dass man uns all diese Projekte zutraut, ist natürlich ein Geschenk. Unser Businessplan zur Firmengründung vor fünf Jahren sah jedenfalls ganz anders aus. Anders als die UFA hatten wir nicht von vornherein vor, alle möglichen Geschäftsfelder abzudecken. Uns nun nach dieser kurzen Zeit mit ihr zu vergleichen, ehrt uns sehr, ist aber sicher etwas übertrieben. (lacht)
 
Fabian Maubach: Uns treibt die Neugier an, nicht der Anspruch, mit unserem Portofolio ein möglichst breites Spektrum zu bedienen. Die unternehmerische Herausforderung liegt vor allem darin, die richtige Balance zu finden, die uns erlaubt, flink und neugierig zu bleiben und ebenso größere Schiffe zu bewegen. Wir möchten nicht, dass die notwendige Maschinerie irgendwann zur Fessel wird, weil man einen bestimmten Sendeplatz unbedingt bespielen muss, um den Overhead zu decken.


 
Nicht jeder Produzent wächst in so kurzer Zeit aus der Arthouse-Nische in den Serien-Mainstream. Wie ist Ihr Tempo zu erklären?
 
Laube: Für uns fühlt es sich organisch an. Zum einen haben wir ein fantastisches Team im Sommerhaus aufgebaut, welches mit uns und den verschiedenen Aufgaben gewachsen ist und ohne die all das nicht möglich wäre, und zum anderen wachsen wir dank der herausragenden Kreativen, mit denen wir seit Jahren eng und immer wieder gern zusammenarbeiten. Dass wir jetzt beispielsweise eine Sisi-Serie für Netflix machen, ist nicht das Ergebnis einer strategischen Marktanalyse. Dreh- und Angelpunkt war die gemeinsame Arbeit mit Katharina Eyssen, die wir als Showrunnerin bei "Zeit der Geheimnisse" kennen und schätzen gelernt haben. Die Zusammenarbeit im Dreieck zwischen Katie, Netflix und uns war so produktiv, dass wir in dieser Konstellation gemeinsam weitermachen wollten. Und auch bei der Instagram-Serie gingen wir nicht gezielt vor. Wir hätten vermutlich 99 Prozent aller Anfragen für Instagram-Content sofort abgesagt. "Ich bin Sophie Scholl" ist die große Ausnahme, weil ihre Geschichte heute relevanter denn je ist für eine Generation junger Menschen, die die Probleme der Welt entschlossen angehen will. Und diese Geschichte wollen wir eben auf Instagram erzählen, das hat uns neugierig gemacht.
 
Wie wir hören, übernehmen Sie bald auch noch den "Barcelona-Krimi" der ARD Degeto, dessen erste vier Ausgaben von Dreamtool Entertainment produziert wurden.
 
Laube: In der Tat freuen wir uns, dass wir von der Degeto einen Entwicklungsauftrag über zwei Filme für den "Barcelona-Krimi" erhalten haben. Wir finden es eine reizvolle Aufgabe, gute Krimis zu erzählen, die Stadt darin stark spürbar zu machen und durchaus auch die gewisse Portion Eskapismus zu bedienen, die nun mal im Donnerstagskrimi steckt. Wir haben ein fantastisches Autorenduo dafür gewonnen, nämlich Katie Eyssen zusammen mit ihrem Vater Remy Eyssen, der früher hunderte Drehbücher für Serien wie "Ein Fall für zwei" oder "Der Kriminalist" geschrieben hat und heute die Bestseller-Romanreihe um den provenzalischen Rechtsmediziner Leon Ritter schreibt. Unser Plan ist, die beiden Filme im Herbst zu drehen.

Über Sommerhaus

  • Die früheren UFA-Fiction-Produzenten Jochen Laube und Fabian Maubach machten sich 2015 mit der Sommerhaus Filmproduktion selbstständig. Die Firma mit Sitz in Berlin, Ludwigsburg und München gehört zu 51 Prozent der Beta Film, Laube hält 34 Prozent, Maubach 15 Prozent der Anteile. Im Frühjahr 2020 kam als 100-prozentige Tochterfirma die Sommerhaus Serien GmbH hinzu.

Zuvor drehen Sie bereits ab Sommer die beiden großen Serienprojekte "The Empress" und "Das Netz". Empfinden Sie es als Wettlauf, dass Sie gegen die konkurrierende Sisi-Serie für TV Now antreten müssen?
 
Laube: Nein, überhaupt nicht. Es liegt doch auf der Hand, dass eine Neuerzählung dieser starken Frauenfigur, die ja eine historische Rebellin war, heutzutage für mehrere Kreative reizvoll ist. Wir hatten von Anfang an eine klare Vision, was wir aus diesem Stoff machen wollen. Wir konzentrieren uns in der ersten Staffel auf die Monate rund um die Hochzeit von Sisi und Franz Joseph, weil schon dieser kurze Zeitraum vom Zwiespalt zwischen echter großer Liebe und wahnsinnig strengen höfischen Zwängen geprägt ist. Mit Katrin Gebbe und Florian Cossen haben wir eine Regisseurin und einen Regisseur, die man wohl nicht unbedingt auf einem historischen Großprojekt für Netflix vermutet hätte. Wir haben auch hier den Anspruch, besonderes Programm herzustellen, das über das Erwartbare hinausgeht. Bei Netflix haben wir zudem die Chance, auch Menschen in Schweden, Südkorea und Kolumbien die packende Geschichte von Sisi näherzubringen. Da bleibt genug Platz für andere Sisi-Projekte.
 
Per Casting-Aufruf lassen Sie gerade über 3.000 Komparsen und Kleindarsteller für August bis November suchen. In Zeiten von Corona sicher kein leichtes Unterfangen?
 
Maubach: Es geht durchaus, wenn man entsprechende Test-, Sicherheits- und Hygienestandards beachtet. Allerdings ist es aufwendig und entsprechend teuer. Von Netflix haben wir da die volle Unterstützung, was man ihnen hoch anrechnen muss. Für dieses Projekt wäre es der falsche Ansatz, wenn man die Erzählung plötzlich kleinsparen und zum Kammerspiel machen würde. Eine kaiserliche Hochzeit findet eben nicht in einer kleinen Kammer statt.
 
Laube: Gemeinsam mit Netflix haben wir früh die Entscheidung getroffen, alles komplett in Deutschland zu drehen. Das hilft nicht nur beim Corona-Handling, sondern auch bei der Authentizität der Locations. Wir nehmen die Mehrkosten für einen historischen Dreh in Deutschland in Kauf und gehen nicht ins osteuropäische Ausland. Das ist auch eine Entscheidung für die hiesige Produktionslandschaft. Wir werden komplett im fränkischen Raum drehen, weil wir dort in enger Abstimmung mit der bayerischen Schlösserverwaltung wunderbare Möglichkeiten gefunden haben, an einem relativ geschlossenen Ort zu bleiben.
 
Macht denn eigentlich "The Empress" oder "Das Netz" mehr Aufwand?
 
Maubach: Schwer zu sagen. Beide sind auf ihre eigene Weise aufwendig. Eine historische Kaiserinnenserie zu drehen, erfordert natürlich eine komplexe Vorbereitung. Dafür ist "Das Netz" eine große internationale Reiseproduktion, da wir nicht nur an verschiedenen deutschen Orten, sondern auch in der Schweiz und in Afrika drehen werden. Der Aufwand entsteht daraus, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes ein "Netz" von Playern erzählen, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Hinzu kommt die Vernetzung mit den aktuell parallel entwickelten Serien in Österreich und Italien: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, Locations und die Teams hinter der Kamera müssen koordiniert werden. Wir drehen ab Mitte Juli, die Kollegen in Österreich bereits ab Juni, die Italiener etwas später.
 
Auf Instagram läuft seit Anfang Mai Ihr Projekt "Ich bin Sophie Scholl", das Sie zusammen mit Vice Media für SWR und BR produzieren. Der Kanal hat bereits über 900.000 Abonnenten. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem User-Feedback?
 
Laube: Nach den ersten drei Wochen sehen wir, dass die allermeisten Nutzerinnen und Nutzer sich unglaublich positiv auf dieses Experiment einlassen. Jeden Tag kommen Tausende von Reaktionen rein, darunter auch persönliche Direktnachrichten, die möglichst alle beantwortet werden sollen. Angesichts dieses Volumens kommen wir beim Channel Management mit unserem ursprünglich kalkulierten Personal vorne und hinten nicht aus. Der SWR hat uns dafür kurzfristig ein additives Budget freigeschaltet, so dass der Schichtdienst, der bei den Kollegen von Vice angesiedelt ist, aufgestockt werden kann. Dazu gehört auch eine fortlaufende historische Beratung und auch psychologische Unterstützung, um auf viele individuelle Kommentare angemessen einzugehen. Wir sind uns der enormen Verantwortung bei diesem Projekt sehr bewusst.
 
Sie erzählen in einer Art simulierter Echtzeit. Wie viel ist vorbereitet, wie viel entsteht spontan?
 
Maubach: Wir haben den szenischen Teil für die Stories vorab am Stück gedreht. Das wäre angesichts von historischen Kostümen, Maske und Szenenbild nicht in Echtzeit machbar. Wir haben tatsächlich eine minutiöse Planung über diese knapp zehn Monate hinweg. Für die Zeit von Mai 1942 bis Februar 1943 haben wir anhand von Sophie Scholls Tagebüchern alle Szenen ausgewählt, die wir unbedingt erzählen wollen. Hinzu kommen Postings mit Fotos, Zeichnungen und Archivmaterial. Wenn wir beispielsweise einen Eintrag vom 19. Oktober haben, der lautet "Es wird Zeit, dass ich jetzt ins Bett gehe, morgen wartet eine große Aufgabe auf mich", dann posten wir das am Abend des 19. Oktober. Was das Spontane angeht: Wir haben vor, mit Originalzitaten zu arbeiten, wenn es aktuelle Situationen gibt, auf die man sinnvoll reagieren kann. Nehmen wir an, im bevorstehenden Bundestagswahlkampf fallen faschistische Äußerungen, dann könnten wir tagesaktuell mit einem passenden Sophie-Scholl-Zitat dazu Stellung nehmen.


 
Ihre Spielfilme "Berlin Alexanderplatz" und "Hello Again – Ein Tag für immer" waren stark von den Corona-bedingten Kinoschließungen betroffen. Wie bewerten Sie die Zukunft des Geschäftsfelds Kinofilm?
 
Maubach: Warner Bros. hat angekündigt, "Hello Again" nochmal neu zu starten, sobald die Lage in den Kinos wieder etwas planbarer ist. Für "Berlin Alexanderplatz" entfällt diese Option leider, weil eOne seine Verleihaktivitäten im deutschen Markt eingestellt hat. Ich gehe davon aus, dass sich der Verleihermarkt künftig weiter konsolidieren wird und dass sich klassische Auswertungsfenster verändern werden. Unabhängig davon glaube ich aber fest daran, dass der soziale Aspekt des Kinos, das gemeinsame Erlebnis im dunklen Raum, nicht austauschbar ist und sich über Generationen weitervermittelt.
 
Laube: Was sich für uns gerade stark verändert, ist die Finanzierung in diesem Segment. Die herkömmlichen Kofinanzierungen mit den Öffentlich-Rechtlichen sind schwieriger geworden. Die Mittel werden immer weiter gekürzt – ein massives Problem für Produzenten, die anspruchsvolle Arthouse-Filme machen und damit die Kinokultur weiterentwickeln wollen. Wenn man dann sieht, dass ein Film wie "Systemsprenger" im ZDF über fünf Millionen Zuschauer erreicht, dann zeigt das doch eigentlich, dass man auch als beteiligter Sender stolz darauf sein kann.
 
Sehen Sie eine Alternative, um diesen Finanzierungsbaustein zu ersetzen?
 
Laube: Nehmen Sie Thomas Stuber als Beispiel, mit dem wir gerade an "Die stillen Trabanten" arbeiten. Thomas hat seinen Debütkinofilm "Herbert" 2014 in Koproduktion mit MDR, HR und Arte realisiert. Dann haben wir 2017 gemeinsam "In den Gängen" gemacht – wahnsinnig erfolgreich, hoch gelobt, auf der Berlinale im Wettbewerb. Die Senderpartner waren dieselben wie beim Debüt plus der SWR. Für die "Stillen Trabanten" gab es mit diesen Partnern keine Möglichkeit mehr, das notwendige Budget zusammenzutragen, obwohl eigentlich alle wollten und wir auf redaktioneller Ebene langjährige und wunderbare Partner haben. Wir hätten von allen Sendern zusammen nicht mal die Hälfte dessen bekommen, was wir gebraucht hätten, um die Finanzierung zu schließen. Nun haben wir glücklicherweise mit Warner Bros. einen Partner gefunden, der sich verstärkt im Arthouse-Segment engagiert und der diesen Weg nach der guten Zusammenarbeit bei "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" und "Hello Again" mit uns gehen will. Trotzdem appellieren wir an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seine Verantwortung auch jenseits der Debütschienen wieder stärker wahrzunehmen und den deutschen Kinofilm wieder verstärkt zu unterstützen.
 
Herr Laube, Herr Maubach, herzlichen Dank für das Gespräch.

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