Herr Schulte-Kellinghaus, Herr Amarell, Sie haben im Februar dieses Jahres eine Vorabend-Reform für 2022 angekündigt. Wieso eigentlich so früh und wie haben Sie die Zeit seither genutzt?

Jan Schulte-Kellinghaus: Wir haben in der Zeit den kompletten RBB umgekrempelt und eine Organisations-Reform durchgezogen. So ähnlich wie am Vorabend geht es uns an vielen anderen Stellen im Programm. Wir müssen damit rechnen, nicht mehr Geld zu bekommen, damit aber mehr Programm machen zu müssen. Wir wollen auch den jungen Zielgruppen im Digitalen neue Angebote machen, die müssen aber etwas anders aussehen als die klassischen linearen Programme. Am konsequentesten ist der Umbau schon umgesetzt in der Contentbox Gesellschaft, dem Verantwortungsbereich von Torsten Amarell. Die klassischen Hauptabteilungen wurden aufgelöst und stattdessen die Einheiten nach Genres aufgestellt. Diese Units sind nun für unterschiedliche Ausspielwege zuständig, also Fernsehen, Radio und online. Bei der Gesellschaft sind auch die Landeswellen rbb 88.8 und Antenne Brandenburg mit dabei und produzieren mit bei den neuen Vorabend-Formaten.

Torsten Amarell: Wir haben innerhalb eines knappen Jahres verschiedene Bestandteile aus unterschiedlichen Programmbereichen zusammengefügt zu einer sogenannten Contentbox. Das war ein Kraftakt, vor allem für die Mitarbeitenden, weil es darum ging, neue Workflows zu etablieren aber gleichzeitig auch ganz normal Programm weiterzumachen. Wir haben die beiden Landeswellen zusammengeführt mit den Events, die wir künftig crossmedial erzählen wollen. Es gibt ein komplett neues Service-Desk und wir haben auch die Bereiche Kinder und Familie, Fritz und Funk zusammengelegt. Und zu guter Letzt gibt es die relativ große Einheit Talk und journalistische Unterhaltung, in der jetzt auch unser Live-Talk verortet ist. Und das ist alles crossmedial geplant. Das heißt, wenn der Talk für den Vorabend geplant wird, geht es auch um die Talk-Strecken im Hörfunk und selbstverständlich ist die Redaktion auch eng vernetzt mit "Riverboat Berlin". Aber das Herzstück ist der Vorabend.

Was wird sich inhaltlich am Vorabend durch den Umbau und die zwei neuen Formate ändern?

Schulte-Kellinghaus: Wir beginnen den Abend um 18 Uhr mit 15 Minuten Nachrichten, weil wir sehen, dass das Bedürfnis nach regionalen Nachrichten groß ist. Dann haben wir zwei Formate entwickelt, weil "zibb" ja immer ein wenig wie eine Wundertüte daher kam. Das konnte alles sein. Jetzt wollen wir das alles ein bisschen stärker strukturieren.

Amarell: Die Zeit am Vorabend ist eine der am stärksten umkämpften überhaupt im deutschen Fernsehen. Wir brauchen dort eine klare Erkennbarkeit, die Zeit der Wundertüten ist vorbei. Die Leute wollen eine klare Struktur, wenn sie nach Hause kommen. Sie erwarten jeden Abend die gleichen Gefäße und wiedererkennbare Gesichter, die sie durch den Abend begleiten. Deswegen haben wir uns für eine Neuaufstellung entschieden. Zunächst 15 Minuten Nachrichten, dann eine Ratgeber-Strecke, in der es an jedem Wochentag um ein bestimmtes Thema geht. Und dann um 18:45 Uhr kommt unser Talk aus Babelsberg. Da sprechen wir mit Promis oder ganz normalen Menschen, die positive Geschichten zu erzählen haben. Ab 19:30 Uhr folgen unsere Nachrichten-Flaggschiffe "Abendschau" und "Brandenburg aktuell". Insgesamt war es der größte Umbau in der Geschichte des RBB Fernsehens seit der Fusion von ORB und SFB.

 

"Der Vorabend ist in den Dritten Programmen die Primetime, auch bei uns. Da müssen wir überdurchschnittlich gut sein und daran werden wir uns messen."
Jan Schulte-Kellinghaus

 

Sie haben es schon erwähnt: Für den Talk "Studio 3" sind "Prominente und Menschen mit starken und positiven Geschichten aus Brandenburg und Berlin" angekündigt. Das Service-Format heißt "schön + gut". Wollen Sie ihre Zuschauer in der neuen Schiene in Zuckerwatte packen?

Amarell: Nicht in Zuckerwatte. In dem Ratgeber-Format wollen wir handfeste Ratschläge zu Themen wie Garten, Tiere, Gesundheit und Verbraucherthemen geben. Außerdem können wir es verbinden mit unseren Strecken in der Primetime. Montags haben wir dort ein Verbraucherformat und mittwochs das Thema Gesundheit. Gleichzeitig werden die Inhalte auch auf rbb 88.8 und Antenne Brandenburg ausgespielt, jeweils mit einer eigenen Konnotation. "Studio 3" wird ein Unterhaltungstalk. Die so genannte Access Primetime ist eine der wichtigsten Zeiten für uns, weil wir da Zuschauer anziehen, um sie in den Hauptabend zu bringen. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen - ähnlich wie es auch dem NDR mit dem roten Sofa in "DAS!" gelingt.

Gibt es künftiger weniger Boulevard am RBB-Vorabend? "zibb" ging ja manchmal schon in diese Richtung.

Amarell: Boulevard ist immer so ein Schlagwort. Wir wollen das machen, was für die Leute nützlich ist und was sie unterhält. Gleichzeitig zeigen wir das, was für die Menschen aus unserer Region wichtig und interessant ist. Am Freitag werden wir in der Service-Strecke Tipps für das Wochenende geben und in der Talk-Sendung werden wir Einspieler haben, die nur in Berlin und Brandenburg spielen. Dort gibt es natürlich auch weiche und unterhaltende Stoffe. Wir sind keine Nachrichtensendung, sondern eine regionale Informations- und Gesprächssendung. Das wird sich in den Themen widerspiegeln.

Von den aktuellen Vorabend-Moderatoren wird nur Christian Matthée auch künftig zu sehen sein. Die anderen haben nicht mehr in Ihr Anforderungsprofil gepasst?

Schulte-Kellinghaus: Wir haben uns einen Neustart vorgenommen. Dafür brauchen wir neue Gesichter und neue Impulse. Die Kolleginnen und Kollegen, die "zibb" präsentieren, haben wahnsinnig große Verdienste, weil es die erste gemeinsame ORB/SFB-Sendung im Fernsehen war, jahrelang extrem erfolgreich. Deshalb habe ich großen Respekt vor diesen Kolleginnen und Kollegen. Jetzt machen wir etwas Neues und da wollen wir mit frischen Gesichtern auf den Bildschirm kommen. Da haben wir uns intern im RBB, aber auch extern umgesehen. Und ich finde, wir haben eine tolle Mischung gefunden.

Amarell: Mir liegt das Thema Diversität am Herzen. Mir war klar, dass wenn wir uns neu aufstellen, es nicht bei einem Lippenbekenntnis beim Thema Diversität bleiben darf. Wir brauchen auf dem Bildschirm und an den Mikrofonen einen deutlichen Ausweis an Vielfalt für unser Sendegebiet, heißt: Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe und andere unterrepräsentierte Gruppen sollen wahrnehmbarer, sichtbarer werden. Ich halte es für eine Verpflichtung und auch Auftrag als öffentlich-rechtliches Medienhaus, dass wir als RBB Vielfalt leben. Wir wollen zeigen, wie bunt und vielfältig der RBB, Berlin und Brandenburg sind. Und das nicht irgendwann um 23:30 Uhr, sondern zur Hauptsendezeit.

Beide Sendungen, "zibb" und "RBB um 6" sind schon seit fast 20 Jahren on Air. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen, beide zu beenden?

Schulte-Kellinghaus: Das ist uns sehr schwer gefallen, bei "zibb" noch einmal deutlich mehr als bei "RBB um 6". Einfach, weil "RBB um 6" vor allem durch Beiträge anderer Landesrundfunkanstalten geprägt war. "zibb" ist sehr originär RBB und eine Wurzel des Senders. Deshalb war auch die Aufmerksamkeit so groß, als wir die Entscheidung verkündet haben. Und deshalb haben wir uns fast ein Jahr Zeit genommen, um eine ordentliche Nachfolge auf die Beine zu stellen.

 

"Mir liegt das Thema Diversität am Herzen. Mir war klar, dass wenn wir uns neu aufstellen, es nicht bei einem Lippenbekenntnis beim Thema Diversität bleiben darf."
Torsten Amarell

 

Sie hatten schon im Februar erklärt, dass der Vorabend künftig günstiger produziert werden soll. Wie viel Geld sparen Sie ein? Kolportiert werden 2,3 Millionen Euro im Jahr.

Schulte-Kellinghaus: Ja. Das ist die Einsparleistung, die wir zu erbringen haben. Wir haben uns nun neu aufgestellt und sind der Meinung, dass wir das so schaffen werden – und gleichzeitig den Kolleginnen und Kollegen gegenüber sozialverträglich handeln. Daher haben wir auch fast allen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Angebote für eine weitere Beschäftigung gemacht. Auf der anderen Seite haben wir den Ehrgeiz, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die Einsparungen nicht bemerken.

Amarell: Die 2,3 Millionen Euro sind eine große Herausforderung. Aber ich bin optimistisch, dass wir es schaffen werden, ohne dass es auf dem Bildschirm bemerkt wird. Weil wir in der Contentbox Gesellschaft einerseits Inhalte für verschiedene Ausspielwege produzieren, andererseits aber auch, weil wir das smarter als bislang machen. Es müssen alle sparen. Wir geben nicht nur redaktionell weniger aus, sondern eben auch bei der Produktion, wo wir mit weniger Personal auskommen müssen als bislang.

Wie genau holen Sie die 2,3 Millionen Euro rein? Ihre Ankündigungen hatten ja hohe Wellen geschlagen und es stand die Zahl von mehr als 70 freien Mitarbeitenden im Raum, die künftig weniger Arbeit haben.

Amarell: Wir haben Beendigungsmitteilungen an diese 70 freien Kolleginnen und Kollegen geschickt, weil wir das machen mussten, denn die Sendung "zibb" wird es nicht mehr geben. Danach habe ich mit allen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein persönliches Gespräch geführt, um herauszufinden, wo ihre Schwerpunkte und Interessen liegen. Wir haben immer gesagt, dass wir versuchen, so viel Arbeit wie möglich zu erhalten. Das gleiche Volumen wie bislang bei "zibb" können wir aber nicht garantieren. Wir haben uns auch nach anderen Arbeitsmöglichkeiten für die Betroffenen umgesehen und viele gefunden. Manche sind ins Studio Frankfurt/Oder gewechselt, einige Tagesreporter arbeiten nun für unser zentrales Newscenter oder für "Brandenburg aktuell". Wir haben uns extrem bemüht, andere Beschäftigungsverhältnisse und Aufgaben zu finden. Das ist uns weitestgehend gelungen. Wir haben viel Kompetenz und Erfahrung erhalten können.

Und wo sparen Sie konkret das Geld ein?

Amarell: In Potsdam sparen wir am Produktionspersonal. Für den Vorabend produzieren wir insgesamt aber auch weniger neue Beiträge. Obwohl wir versuchen, so viel wie möglich weiterhin selbst zu produzieren, müssen wir aus finanziellen Gründen auch auf Übernahmen von Stücken, gerade im Service-Bereich, setzen. Da die ARD hier über einen großen Schatz verfügt, halte ich das für vertretbar. In den Schulferien werden wir außerdem keine neuen Sendungen produzieren und stattdessen auf Wiederholungen setzen, so machen es auch andere Landesrundfunkanstalten. Und so kommen wir in Summe auf diese 2,3 Millionen Euro.

 

"Obwohl wir versuchen, so viel wie möglich weiterhin selbst zu produzieren, müssen wir aus finanziellen Gründen auch auf Übernahmen von Stücken, gerade im Service-Bereich, setzen."
Torsten Amarell

 

Viele Freie beklagen aktuell außerdem, dass Sie künftig für die gleiche Arbeit in den neuen Formaten bis zu 15 Prozent weniger Honorar bekommen sollen. Wieso ist das so?

Schulte-Kellinghaus: Ganz wichtig ist zu betonen, dass es nicht die gleiche Arbeit ist. Die Arbeit für "zibb", eine Sendung, die 60 Minuten dauert, ist eine andere als für ein Servicemagazin, das nur 30 Minuten lang ist. Das sind völlig unterschiedliche Sendungen und daher sind auch die Anforderungen andere. Wir besprechen gerade die Höhe der Honorare und den Einsatz der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Grundsätzlich haben wir einen Honorartarifvertrag, in dem diese Sachen geregelt sind.

Das wirkt etwas unversöhnlich. Sie sagen, es sind zwei völlig unterschiedliche Sendungen und auch die Arbeit sei eine andere. Die Freien sind da anderer Meinung und pochen auf das gleiche Honorar wie bislang, sie sprechen von "Honorardumping" und "geplantem Tarifbruch". Sehen Sie da eine Lösung oder sind Streiks absehbar?

Schulte-Kellinghaus: Einen Streik sehe ich nicht. Wir sind auf einem guten Weg, reden miteinander und werden eine Lösung finden.

Amarell: Wir orientieren uns ganz strikt am Honorarrahmen des RBB, den die Tarifparteien ausgehandelt haben, anders dürfen wir es gar nicht. Wir sind auf einem guten Weg und mit der Freienvertretung des RBB in Gesprächen.

Wie sehen Ihre Quotenziele für den neuen Vorabend aus?

Schulte-Kellinghaus: Ich habe mit Torsten noch nie über ein Quotenziel gesprochen, weil wir erst einmal gutes Fernsehen machen wollen und noch dazu ein gutes Online-Angebot. Am Ende wird man mit gutem Fernsehen eine entsprechende Reichweite haben. Der Vorabend ist in den Dritten Programmen die Primetime, auch bei uns. Da müssen wir überdurchschnittlich gut sein und daran werden wir uns messen.

Vielen Dank für das Gespräch!