Frau Hengge, Ihre Serie "Maxton Hall" war der erfolgreichste Neustart eines nicht-amerikanischen Originals in der Geschichte von Prime Video, erreichte in mehr als 120 Ländern Platz eins der Prime-Video-Charts und steht noch immer in über 40 Ländern an der Spitze. Wie geht Ihre Erklärung dafür, dass diese Serie weltweit ein solches Phänomen zu sein scheint? 

Die Erzählung ist universell, die 'Enemies to Lovers'-Trope erfreut sich bei den Romance-Stoffen nicht nur in Deutschland hoher Beliebtheit. Wir haben eine eskapistische, glossy, larger-than-life Erzählweise gewählt – in den Drehorten, im Kostüm und der Ausstattung – und versucht, einen hohen Production Value zu erzeugen, der international mithalten kann. Bei den Emotionen sind wir dann aber ganz wahrhaftig geblieben. Daphne Ferraro hat in den Drehbüchern hohe Ausschläge in den Emotionen geschrieben, hat Lachen und Weinen dicht aneinander gerückt. Harriet Herbig-Matten und Damian Hardung, die eine unfassbar schöne Chemie miteinander haben, waren mutig genug, diese Emotionen vor die Kamera zu bringen. Die beiden haben sich ohne Sicherheitsleine in die Liebesgeschichte gestürzt – wie alle Projektbeteiligten. Sehr viel Liebe ist in dieses Projekt geflossen. Das Publikum spürt das und sehnt sich danach: die Wahrhaftigkeit der Emotion, die große Liebe.

Innerhalb von Amazon, etwa bei Ihren US-Kollegen, hat "Maxton Hall" schon Monate vor der Veröffentlichung für Furore gesorgt. Welche Rolle spielt solche konzerninterne Begeisterung für ein Projekt, um ihm mehr Marketing zukommen zu lassen als anfangs geplant? 

Als wir die Serie beauftragt haben, gab es intern weniger Resonanz für "weibliche" Stoffe. So hatten wir die Freiheit, die Serie zunächst als rein deutsches Projekt nach unseren eigenen Vorstellungen zu produzieren. Nach Fertigstellung begannen wir, "Maxton Hall" diversen US-Kollegen in anderen Abteilungen zu zeigen. In der Zwischenzeit hatten "The Summer I Turned Pretty" und "Culpa Mia" bewiesen, dass es international ein Publikum für diese Programmfarbe gibt. Daraufhin wurde beschlossen, die Serie global zu unterstützen. Und somit war klar: Wir haben hier etwas Besonderes. Das hat geholfen, das Marketing sowohl in Deutschland aufzustocken, als auch die internationale Unterstützung von PR und insbesondere auch Social Media mitsamt den internationalen Content Creators zu erhalten.

Was sind für Sie denn die wichtigsten quantitativen Kennziffern und qualitativen Resonanzen, die diesen Erfolg ausmachen? 

Maxton Hall – Die Welt zwischen uns © Prime Video / Stephan Rabold "Enormes Engagement": "Maxton Hall" trifft weltweit einen Nerv
Wir betrachten die Zahl der für diese Serie neu abgeschlossenen Abonnements und derer, die für diese Serie zurück zu Prime Video kommen. Von denjenigen, die Prime Video bereits nutzen, schauen wir uns den Anteil derer an, die die Serie ansehen. Der dritte Wert ist die Completion Rate – und hier geht es in die qualitative Resonanz über: Je höher der Wert derjenigen ist, die eine Serie bis zum Ende sehen, als desto qualitativ hochwertiger wird sie empfunden, und die Leute bleiben dran. Die Completion Rate ist auch ein guter Indikator für das Interesse an einer potenziellen zweiten Staffel. Bei "Maxton Hall" gibt es darüber hinaus eine direkte Rückkopplung mit den Zuschauenden über die Social-Media-Kanäle. TikTok beispielsweise ist voll von Reaktionen und Fan-Content, Re-edits von Serienmaterial, das enormes positives Engagement zeigt. Eine Rotten-Tomatoes-Publikumsbewertung von über 90 Prozent, eine IMDb-Bewertung von 7,6 und ein Prime-Video-Rating von 4,7 Sternen sind ebenfalls qualitative Erfolgsindikatoren.

 

Wir haben Lust auf Heist- und Crime-Geschichten, die Spannung mit Entertainment und guter Laune verbinden.
Petra Hengge, Leiterin Deutsche Originals Serie, Amazon MGM Studios

 

Angesichts des Erfolgs haben Sie zügig eine zweite Staffel beauftragt. Hat "Maxton Hall" das Zeug zur langlaufenden Serie?

Die literarische Vorlage ist eine Roman-Trilogie, von der wir mit "Save Me" den ersten Band verfilmt haben. Der zweite und dritte Band bieten Material für weitere zwei Staffeln.

UFA-Chef Sascha Schwingel hat unlängst gesagt, er möchte, dass die UFA die erste deutsche Daily Soap für eine Streaming-Plattform produziert. Können Sie ihm und anderen Produzenten Hoffnung machen, dass Sie daran interessiert wären? 

Eine Daily Soap neu aufzubauen ist ein großes und mutiges Unterfangen, das viele Kapazitäten bindet. Momentan laufen keine Planungen in diese Richtung.

Zwischen Serien wie "Der Greif" oder "Luden" einerseits und "Maxton Hall" oder "Viktor bringt's" andererseits liegt zwar nur ein Jahr – aber doch gefühlt Welten. Wie haben Sie den Genre-Mix verschoben?

Wir schauen uns genau an, welche Programme von den Zuschauenden angenommen werden und warum. Aus diesen Erkenntnissen justieren wir konsequent die Strategie. Romance und Comedy waren seit meinem Antritt bei Prime Video in unserem Mix geplant, sind aber später in Produktion gegangen als zum Beispiel "Luden". Wenn man so will, haben wir mit "Maxton Hall" und "Viktor bringt's" den Schieberegler noch etwas mehr in Richtung breite Unterhaltung im besten Sinne verschoben – wir nennen es liebevoll 'Popcorn Entertainment'.

Also sollten Produzenten Ihnen am besten mehr davon anbieten? 

Wir haben Lust auf Heist- und Crime-Geschichten, die Spannung mit Entertainment und guter Laune verbinden. Comedy bleibt ein Schwerpunkt – wir lassen uns gerne mit witzigen Dialogen überzeugen. Romance wird nach dem Erfolg von "Maxton Hall" weiter ein Thema bleiben. 

Welchen Einfluss hat die Tatsache, dass bei Prime Video jetzt auch Werbung vermarktet wird, auf Ihre Serienentwicklungen? 

Prime-Video-Titel enthalten seit Anfang Februar in begrenztem Umfang Werbung, um unsere Investitionen über einen langen Zeitraum weiter zu erhöhen. Unser Ziel ist es, deutlich weniger Werbung zu zeigen als lineare Fernsehsender. Grundsätzlich gehen wir von einem positiven Effekt auf die Serien- und Filmentwicklung aus, denn so können wir in Zukunft noch mehr fantastische Inhalte für Prime-Mitglieder anbieten.

Gegen "Maxton Hall" werden "Viktor bringt's" und Ihr bevorstehender Release "Perfekt verpasst" quantitativ wohl kaum ankommen. Welche Erwartungshaltung haben Sie an die beiden Comedy-Serien? 

Comedy sehen wir als lokales Programm, mit dem wir vor allem ein deutschsprachiges Publikum unterhalten wollen. "LOL" hat im nicht-fiktionalen Segment gezeigt, wie erfolgreich dies sein kann. Bei Comedy-Serien setzen wir darauf, möglichst viele unterschiedliche Humorfarben eng beieinander zu platzieren. Manche Pointe entsteht aus schlagfertigen Dialogen, andere aus Schauspiel und Mimik, wieder andere sind situativ oder körperlich. Auch strukturell unterscheiden sich die beiden Serien stark: "Viktor bringt's" erzählt episodisch abgeschlossene Geschichten, perfekte Häppchen à la 'snackable TV', "Perfekt verpasst" ist horizontal angelegt. 

Mit Moritz Bleibtreu, Anke Engelke und Bastian Pastewka setzen Sie in bester "LOL"-Tradition auf einige der größten Namen. Wie wichtig sind Promis, damit Comedy bei Prime Video funktioniert?

In erster Linie sollten die Bücher witzig sein und die Darstellenden 'Funny Bones' haben. Wenn die Promis das mitbringen, hilft ihre Bekanntheit dabei, Aufmerksamkeit bei Publikum und Presse zu erzeugen und so aus der Menge an verfügbarem Programm herauszuragen. Gerade wenn die Prämisse selbst eher leise ist – zwei Servicetechniker liefern Elektrogeräte bei Kundinnen und Kunden aus – ist das elementar. Moritz Bleibtreu aber spielt uns in "Viktor bringt's" einen Viktor, der nicht nur die witzigen Dialoge von Marcus Pfeiffer auf den Punkt abliefert, sondern in Mimik, Berliner Schnauze und Körpersprache noch eine Humor-Schippe drauflegt.

Frau Hengge, herzlichen Dank für das Gespräch.

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