Mehr als 4.000 Fans aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten sich an den Biertischen niedergelassen, um den Gesängen von Hansi Hinterseer und Karel Gott zu lauschen. Nicht irgendwo, sondern in China, auf dem Platz vor der weltgrößten Palastanlage, wohin es den "Musikantenstadl" und seinen Vorsteher Karl Moik zog. Über 25 Jahre liegt das Spektakel inzwischen zurück, das sich ORF, ARD und das Schweizer Fernsehen einst rund zwei Millionen Mark kosten ließen.
Aus heutiger Sicht unvorstellbar - nicht nur, weil die drei deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Drehgenehmigung für das fernöstliche Schunkel-Event, das angeblich 800 Millionen Chinesen gesehen haben sollen, dem chinesischen Staatsfernsehen zu verdanken hatten.
Vielleicht war dieser Abend, so skurril die Bilder Lederhosen tragender Volksmusikanten aus Peking auch anmuteten, so etwas wie der Höhepunkt eines Genres, das das deutsche Fernsehen prägte wie kaum ein anderes. Über Jahrzehnte hinweg sorgten Stars wie Hans-Joachim Kulenkampff, Blacky Fuchsberger und später Thomas Gottschalk für ein wohliges Gefühl der Fernsehnation. Egal wie schlimm die Welt da draußen auch gewesen sein mag: In den Stadthallen von Saarbrücken, Offenburg und Böblingen war die Welt zumindest für einen Abend in Ordnung. Als Thomas Gottschalk vier Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Erfurt wie selbstverständlich die "Wetten, dass..?"-Bühne betrat, um dem Publikum zu versichern, dass man auch in Zeiten wie diesen "eine fröhliche Unterhaltungssendung" machen dürfe, schien es, als schwinge im tosenden Applaus der Menschen in der Halle auch ein wenig Erleichterung mit.
Ähnlich wie Karl Moik zog es auch "Wetten, dass..?" regelmäßig in die Ferne, allen voran nach Mallorca, zuletzt vor zwölf Jahren. Die Ära des "Musikantenstadls" neigte sich da schon ihrem Ende entgegen. Und heute? Wirkt ein TV-Reisetross dieser Art seltsam aus der Zeit gefallen. Standen Moiks volksmusikalische Auslandsreisen - etwa nach Orlando, Melbourne oder Kapstadt - eine Zeit lang fast jährlich auf der Agenda, so scheinen Show-Wanderzirkusse inzwischen für die Sender selbst innerhalb der deutschen Grenzen immer schwieriger stemmbar. Selbst Florian Silbereisens "Feste"-Shows wurden jüngst - trotz hoher Quoten - aus Kostengründen reduziert.
Ein Fünftel weniger Samstagabendshows
Dazu passt, dass die ARD im Sommer erklärt hatte, in diesem Jahr fast ein Fünftel weniger Samstagabendshows zeigen zu wollen; von einer "strategischen Umschichtung" ist die Rede. Sie soll es ermöglichen, mehr non-lineare Inhalte zu produzieren, darunter die vielfach besprochene Realityshow-Adaption des Gesellschaftsspiels "Werwölfe" für die Mediathek. Einen Ersatz für die jüngst beendete "Hirschhausen-Show" gibt es deshalb nicht und die Anzahl der Ausgaben von "Verstehen Sie Spaß?" wurden schon in den vergangenen Jahren schrittweise reduziert. Nicht die einzige Sparmaßnahme: Längst ist der dienstälteste Show-Dino, inzwischen moderiert von Barbara Schöneberger, dazu übergegangen, nicht mehr aus wechselnden Stadthallen zu senden. Stattdessen wird kostengünstiger im Studio Berlin-Adlershof produziert - mit einer Mischung aus Live-Ausgaben und voraufgezeichneten Folgen.

Tatsächlich hat die ARD in den zurückliegenden Jahren gezeigt, dass sich gute Quoten am Samstagabend nicht nur mit vergleichsweise aufwendigen Shows wie "Klein gegen Groß" erzielen lassen. Auch XXL-Versionen der beliebten Vorabend-Formate "Wer weiß denn sowas?" und "Gefragt - gejagt" behaupten sich gut - obwohl sie in der Produktion deutlich günstiger sind. Das ZDF wiederum, das sich über Jahrzehnte mit "Wetten, dass..?" als größter Fernsehshow Europas brüstete, will seinen Blick in der Unterhaltung künftig lieber auf "andere, kostengünstigere Genres wie eben Factual Entertainment" richten, wie Oliver Heidemann im vergangenen Jahr sagte. Hier muss der Erfolgsbeweis allerdings erst noch erbracht werden: Das Abenteuer-Format "Wettlauf um die Welt", für das der Sender auf einige Quizshows verzichtete, wurde jüngst nach nur einer Folge wegen schlechter Quoten zum Spartensender ZDFneo abgeschoben.
Nicht mehr erstklassig
Und die Privaten? Hier hielt zumindest ProSieben zuletzt die Samstagabend-Fahne hoch. "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)", der jüngste Neustart mit Joko und Klaas, überraschte mit großem logistischen Aufwand und war aus Quotensicht, wenn auch mutmaßlich teuer erkauft, ein schöner Erfolg im Frühjahr. Es lief sogar so gut, dass sich ProSieben zu einer schnellen Fortsetzung hinreißen ließ. Aktuell läuft Staffel zwei.
Beim Konkurrenten RTL dürfte die Zahl der Samstagabendshows dagegen auf absehbare Zeit rückläufig sein. Zwar ist das Genre mit neuen Formaten wie "Eltons 12" oder "Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli" auch hier nicht vollends zu den Akten gelegt worden. Doch nach dem angekündigten Abschied von Thomas Gottschalk ist die Zukunft von "Denn sie wissen nicht, was passiert" derzeit unklar, und das unkaputtbare "Deutschland sucht den Superstar", das 2026 in die nunmehr 22. Staffel starten wird, hat den Shiny Floor längst gegen nicht enden wollende Dokusoap-Strecken eingetauscht. Sehr zum Missfallen von Ute Biernat, der langjährigen Produzentin des Dauerbrenners.
Bei RTL werden seit einigen Wochen am Samstagabend sogar Spiele der 2. Bundesliga gezeigt. Wo einst die "Traumhochzeit" mit Linda de Mol und Ulla Kock am Brinks "100.000 Mark Show" ein Millionenpublikum unterhielten und später "Die 80er Show", "DSDS" oder "Das Supertalent" Trends setzten, sollen nun Vereine wie Arminia Bielefeld und Fortuna Düsseldorf mehrfach im Jahr eine Bühne bekommen. Ein Vierteljahrhundert nach Karl Moiks China-"Stadl" ist die Verzwergung eines über Jahrzehnte beim deutschen Publikum beliebten Fernsehgenres nicht mehr zu leugnen: Der Samstagabend ist nicht mehr erstklassig. Und Gelsenkirchen ist das neue Peking.