Als RTL Anfang November ankündigte, seinen Quoten-Dampfer "Das Supertalent" gegen den über Wochen hinweg beworbenen Start von "The Voice of Germany" zeigen zu wollen, dürfte es so manchem bei ProSieben und Sat.1 mächtig mulmig zumute gewesen sein - auch wenn das Störfeuer aus Köln zugleich deutlich machte, wie ernst man diese neue Castingshow nahm, die da nun ihre Deutschland-Premiere feierte. Und tatsächlich war das, was "The Voice" anfangs mit seinen Blind Auditions und Battles bot, vor allem eines: Neuartig.

Letztlich zeigte man sich in Unterföhring jedoch selbstbewusst, glaubte an das Format und ließ es gegen Bohlens "Supertalent" antreten - ein Wagnis, das am Tag danach mit überraschend guten Quoten belohnt wurde. Knapp vier Millionen Zuschauer schalteten bei ProSieben ein, in der Zielgruppe lag "The Voice of Germany" sogar vor der RTL-Show, die doch eigentlich mit dem Unbesiegbar-Nimbus versehen war. Mit dieser Sensation hatte man wohl weder in Köln noch bei ProSiebenSat.1 gerechnet. Ohne Bohlen im Gegenprogramm lief es im weiteren Verlauf sogar noch besser: Innerhalb der ersten Folgen stieg das Interesse kontinuierlich an - mit 5,21 Millionen Zuschauern markierte die Show bei ProSieben in der dritten Woche ihren bisherigen Bestwert.

Der Marktanteil kletterte in der Zielgruppe zu diesem Zeitpunkt auf 30,9 Prozent - ein herausragender Wert, den man bei Castingshows in den vergangenen Jahren stets nur von den nicht unumstrittenen RTL-Überfliegern "Deutschland sucht den Superstar" und "Das Supertalent" kannte. Doch selbst als die innovativen "Blind Auditions", bei denen es zunächst rein auf die Stimme ankam, beendet waren, setzten sich die guten Quoten fort: Sat.1 gelang mit den "Battles" noch einmal der Sprung über die Marken von fünf Millionen Zuschauern und 30 Prozent Marktanteil. Damit nicht genug: Zu diesem Zeitpunkt stimmten längst nicht nur die Zuschauerzahlen. Hinzu kommt, dass wohl kaum ein anderer Show-Neustart in der jüngeren Vergangenheit mit ähnlich wohlwollenden Kritiken geradezu überhäuft wurde.

"Das Konzept hat alle Erwartungen übertroffen", zieht ProSiebenSat.1-Unterhaltungschef Wolfgang Link kurz vor dem Finale gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de Bilanz. "Trotz vieler kritischer und zweifelnder Stimmen haben wir beweisen können, dass eine Musikshow, in der Respekt und echtes Talent an erster Stelle stehen, funktioniert." "The Voice of Germany", ist sich Link sicher, habe den Fernsehmarkt verändert. Für ProSieben und Sat.1 sei das Format "eine großartige Erfolgsgeschichte". Das ist ohne Zweifel richtig. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mit Beginn der Live-Shows ein spübarer Abwärtstrend einsetzte.

The Voice of Germany - Quoten-Entwicklung© DWDL

Starke 25,8 Prozent Marktanteil erzielte ProSieben mit der ersten Live-Ausgabe, Sat.1 verzeichnete danach noch 23,7 Prozent - und blieb fortan auf sich alleine gestellt, weil Stefan Raab plötzlich bei ProSieben bereits das nächste Casting anzettelte. Der Abwärtstrend von "The Voice" ging unterdessen sogar so weit, dass zwischenzeitlich gerade mal noch halb so viele Zuschauer dabei waren wie zu Spitzenzeiten bei den "Blind Auditions". Angesprochen auf die zuletzt deutlich rückläufigen Quoten, gibt sich Link jedoch gelassen: "Mit einem Quotenschnitt von 20,2 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe während der Liveshows sind wir sehr, sehr zufrieden."

Gewiss: Hätte man ProSiebenSat.1 vor dem Staffel-Start einen derartigen Wert prognostiziert, wäre die Freude wohl riesig gewesen. So aber kann und darf man zumindest nicht vollkommen glücklich sein. "The Voice of Germany" hat eindrucksvoll gezeigt, ein Potenzial von mehr als 30 Prozent Marktanteil zu besitzen. Dass es nicht gelungen ist, eben jenes Potenzial bis zum Ende zu nutzen, ist aus Sicht der Sendergruppe ärgerlich - und führte dazu, dass in den vergangenen Wochen kurzfristig sogar am Konzept der Live-Shows gearbeitet wurde. Das tat dem Format ohne Zweifel gut, auch weil sich "The Voice" dadurch wieder deutlich stärker von Konkurrenz-Formaten wie "DSDS" und "X Factor" unterschied.

Unterhaltungschef Wolfgang Link sieht aber auch im Genre und dem Programm-Umfeld einen Grund für das rückläufige Interesse: "Dass die Quoten bei einer Musikshow volatil sind und auch von der Konkurrenz abhängen, ist normal", sagt er gegenüber DWDL.de. Mit der Bundesliga oder der 1000. Folge von "Wer wird Millionär?" war die Konkurrenz zuletzt in der Tat stark. Doch noch zu Jahresbeginn hatte es eigentlich so ausgesehen, als ob "The Voice of Germany" nahezu alles und jeden in die Schranken weisen könnte. Umso gespannter darf man nun jedoch sein, wie ProSieben und Sat.1 die bereits beschlossene zweite Staffel angehen werden. Noch, so betont man, ist das allerdings noch kein Thema.

Wolfgang Link: "Für uns heißt es: Zwei Sender, eine neue Mission – so viel steht fest. Aber bevor wir uns in die Planungen für eine neue Staffel stürzen, haben wir am Freitag unser Finale mit vier sensationellen Stimmen und großartigen Auftritten vor uns. Das wird eine spannende Show, auf die ich mich sehr freue." Spannend wird die Sendung in jedem Fall - nicht zuletzt, weil nicht nur die Anrufe der Zuschauer Einfluss auf den Sieger der ersten Staffel nehmen, sondern auch die Zahl der Song-Downloads. Ob sich am Ende tatsächlich ein neuer Star herauskristallisieren wird, bleibt natürlich abzuwarten. Eines aber hat "The Voice of Germany" in jedem Fall gezeigt: Es ist möglich, den mehr auf Spektakel und Comedy getrimmten Castingshows von RTL Paroli zu bieten. Nun liegt es an ProSieben und Sat.1, aus den Erfahrungen der ersten Staffel zu lernen.