Wenn Tradition ein Aroma hat, eine Atmosphäre, einen Sound, ist all dies oft dunkel, schwer und klobig wie Gelsenkirchener Barock, nur meist viel teurer. Das legendäre Sacher zum Beispiel, bis heute Innbegriff klassenbewusster Luxushotellerie: Seit seiner Gründung vor 151 Jahren, mag es strahlend weiß aus dem Herzen Wiens hervorstechen; hinter der Renaissance-Fassade drückt praktisch alles aufs Gemüt: Das Mobiliar, die Farben, der servile Tonfall. Jede Livree, jeder Winkel, jedes noch so kleine Detail von Österreichs gastronomischem Nationalheiligtum verströmt historische Bedeutsamkeit und liefert damit vor allem eines: die perfekte Kulisse für opulentes Historytainment Marke ZDF.

Wobei Kulisse…

Vier Jahre nach "Adlon" spielt der nächste ZDF-Mehrteiler in einem Nobelhotel mit Geschichte. Wie die Berliner Institution arbeitet er sich vom hedonistischen Fin de Siècle am 1. Weltkrieg vorbei zur Moderne vor. Wie 2013 wird die Weltpolitik darin von einem Familiendrama voller Liebe, Leid, Intrigen überzuckert. Und wie so oft dient der Drehort dabei nicht nur dem Drehen, im Gegenteil: Trotz des Starensembles von Ursula Strauss über Florian Stetter, Julia Koschitz, Joachim Król bis zur brancheüblichen Josefine Preuß, hat "Hotel Sacher" vor allem den einen Hauptdarsteller: Hotel Sacher.

Produzentin Sarah Kirkegaard, wie ihr halbes Team schon beim "Adlon" im Einsatz, nennt es "eine Insel des Luxus abseits des Alltagsgetriebes", in dem sich die "unterschiedlichsten Schicksale vorm Spiegel der Zeit und ihrer Gesellschaft kreuzen". Schon in schwarzweißer Zeit dienten Sacher (1939) und Adlon (1955) daher nicht nur als große Bühne wichtiger Gestalten, sondern Asyl kleinbürgerlicher Sehnsüchte im großbürgerlichen Ambiente, wo sich Leute aller Schichten nahe kamen wie sonst nirgends in der Ständegesellschaft.

Seit es die formell nicht mehr gibt, werden sie gern mit "Grand" davor zu Nischen der entfesselten Marktwirtschaft wie das fiktive "Lindbergh" vor zwölf Jahren im ZDF. Obwohl schon der Serientitel "Fünf Sterne" die Zaungästestreu vom Stammgästeweizen trennt, darf sich der Familienbetrieb als Klassenkämpfer gegen profitgeile Investoren gerieren. So wie Patriarchen im Shareholder-Kapitalismus gegenüber Managern als gerecht und gütig gelten, stehen TV-Hotels im edlen Beherbergungswesen nun für Kundennähe, Aufrichtigkeit und Liebreiz.

"Europas alte Residenzen sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste, sondern bieten die feinste Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst." So feierte das Erste in der Doku-Reihe "Menschen und Hotels" einst Adelspaläste wie das Baden-Badener Brenner’s Park, als sei es für jedermann zugänglich. Wenn Hamburgs Topadresse Atlantic im Zweiteiler "Rose unter Dornen" unterm Filmnamen "Wahlberg" wie ein Muster-VEB geleitet wird, in dem die Telefonisten zur Führungskraft aufsteigt, hat Heinz Hoenig als Chef mit Herz vom Promi mit Sonderwünschen bis zur Putzkraft mit osteuropäischem Akzent stets das Wohl aller im Sinn. Und seit das Fünfsternehaus "Drei Könige" Ende 2006 im Ersten "Rote Rosen" auf Telenovela-Fans regnen lässt, wurden 2348 Folgen lang alle sozialen Unterschiede im Lüsterglanz von Tradition und Werten nebensächlich.

Kein Wunder, dass Hotelserien Kinder der Krise sind. Als Titelheld von "Hallo, Hotel Sacher … Portier!" sorgte Fritz Eckhardt ab 1973 dafür, dass Ölschock, Arbeitslosigkeit und Inflation vorm Portal des Kuchendenkmals blieben. Acht Jahre später stach ein "Traumschiff" in See, auf dem einfache Handwerker dank dufter Borderlebnisse schon mal am Kapitänstisch landen, bevor Arthur Haileys Welterfolg "Hotel" 1983 unter Vernachlässigung des exorbitanten Preisgefüges ein kalifornisches Asyl gediegener Zivilisationsflucht schuf, das im "Schloss am Wörthersee" sodann alpengesäumt war. Noch 2014 zeigte Christian Kohlund bei der Inspektion exotischer Reiseziele im ARD-Eskapismus "Traumhotel", wie gut die kleine Weltflucht im Hochpreissegment ankommt. Zumindest, solange sie die unterbezahlte Drecksarbeit hinter den Kulissen nicht zeigt.

Auf der Suche nach Bodenständigkeit im Überfluss und umgekehrt will der Zuschauer ja nicht belehrt werden, sondern kurz am Jet Set der Klatschpresse schnuppern wie jene Touristen, die der livrierte Portier Tag für Tag freundlich, aber bestimmt am Betreten des echten Adlon hindert. Ein Hotel im Spitzensegment übrigens, dessen Besuch sich viele Ottonormalverbraucher vom Munde absparen, um einmal im Leben unterm Brandenburger Tor zu schlafen. Als Drehort hingegen, meint Produzentin Kirkegaard, eignet es im laufenden Betrieb so wenig wie das Sacher. "Deshalb haben wir Foyer und Lobby im Studio nachgebaut."

Ein Aufwand, der sich lohnt. Als telegene Mischung aus Glamour und Arbeit, Hierarchie und Luxus, Dienstbarkeit und Muße, Alltag und Urlaub liefert das Genre seit jeher Topquoten. Und gelegentlich sogar Filmperlen, etwa Sofia Coppolas Meisterwerk "Lost in Translation" oder Wes Andersons Groteske "Grand Budapest Hotel". Während ersteres die Verlorenheit der zwangsmobilen Generation Trolley auf ein aseptisches Luxushotel in Tokio verdichtet, feiert letzteres mit bonbonfarbenem Aberwitz die Epoche aristokratischer Selbstgefälligkeit im Refugium namens Luxushotel. "Ein surrealer Ort", schwärmt "Adlon"-Regisseur Uli Edel, "fast ein eigener Planet". Wie geschaffen für Film & Fernsehen.

Das ZDF zeigt "Das Sacher. In bester Gesellschaft" am Montag (16. Januar) und Mittwoch (18. Januar) jeweils ab 20:15 Uhr.