Diese Jeansjacken: ein wenig zu stonewashed und ein bisschen zu weit; darunter Bundfaltenhosen: ein wenig zu faltig, ein bisschen zu hoch; dann die Frisuren: ein wenig zu fluffig und ein bisschen zu blond. Überhaupt das Styling: von allem zu viel, bis auf guten Stil. Aber gut, so laufen Hipster heutzutage halt rum in Berlin-Mitte. Nur: Wir sind hier in Berlin-Treptow und die Leute nicht von heute, sondern gestern, genauer: 18. März 1990, als die letzte Volkskammer gewählt wurde. Der Retroschick ist also kein modisches Zitat. Im real existierenden Rauputz einer Grundschule zeigt sich die detailverliebte Ausstattung einer Serie, die langsam ebenso ewig währt wie die Achtziger: Weissensee.

Seit acht Jahren erweckt Friedemann Fromm die untergehende DDR in Gestalt der fiktiven Familie Kupfer zum Leben. Nach Drehbüchern von Annette Hess ließ der Regisseur die Sippe aus Stasi-Tätern und Stasi-Opfern drei Staffeln an sich selber verzweifeln, bis sie pünktlich zum Mauerfall in Trümmern lag. Ab heute nun lässt er sie nach eigener Vorlage im wiedervereinten Land ankommen. Und was vor der Wende schon schwierig genug war, wird am Set der 4. Staffel kaum leichter. Im Gegenteil. „Weil sich die Zuschauer mit jedem Jahr, das die Serie an die Gegenwart heranrückt, besser an Details erinnern“, meint Fromm über Kostüme, Kulissen, die Optik seiner endlosen ARD-Serie, „fallen Fehler zusehends auf“.

Wer jedoch den Drehort von Folge 19 besucht, für die der Schwabe erneut ein Team in Fanblockgröße nach Ostberlin gelotst hat, kann ihn beruhigen: Über den Inhalt wurde seit der gefeierten Debütstaffel zwar zusehends gezankt. Optisch hingegen ist an Weissensee wie immer wenig auszusetzen – auch wenn es ihm die Kiefholz-Schule echt leicht macht. In der Willie-Sänger-Straße, schon vor 1990 nach einem NS-Opfer der KPD benannt, blinzelt die Zone auch 2018 aus jeder Gehwegplatte. Vorbei an ostalgischer Blockarchitektur erreicht man eine Lehranstalt, in der von außen wie von innen betrachtet spielend Marxismus-Leninismus unterrichtet werden könnte. Sehr zur Freude des Regisseurs.

Der Schulflur etwa, auf dem Florian Lukas als abtrünniger Sohn kurz vorm Demokratiedebüt auf die systemtreue Verwandtschaft trifft, „musste kaum zurückversetzt werden“. Die Fliesen sind 70er, die Fenster kaum jünger, selbst die Wandmalerei im Arbeiter- und Bauernpathos, vor dem sich die Kupfers zum Pressefoto sammeln, ist älter als 28 Jahre. So gerät die Schlüsselszene des Drehtags irritierend authentisch: Während zwölf Komparsen Wahlpremiere spielen, blickt Florian Lukas übers Sperrholz der Kabine, als sähe die Stasi noch zu. Skepsis und Neugier, Angst und Aufbruch, Zukunft und Vergangenheit – konzentriert auf einen Moment völliger Stille, die den gesamten Filmtross ergreift. Sogar die echten Schulkinder im Nebenraum verstummen ehrfürchtig vorm Monitor.

„Es geht vor allem um Schuld und Verantwortung“, sagt Friedemann Fromm später im knallroten Doppeldeckerbus, der als Kantine, Wohnzimmer, Büro dieser Mammutproduktion dient. Hier erinnern sich die Protagonisten noch nostalgisch kostümiert der Reihe nach an den Mauerfall. Die Pfälzerin Lisa Wagner „war zu jung“ für Westostalgie, ihr Kollege Jörg Hartmann Zivi in seiner westfälischen Heimat und Regina Ziegler verblüfft, dass die Leute unter ihrem Firmenfenster am Bahnhof Zoo bald wieder Schlange standen – „wenn auch vorm Uhse-Shop“. Die Produzentin, dank zwei Drittel ihrer 74 Jahre im Geschäft spürbar Mutter der Kompanie, lacht wuchtig. Es ist das Lachen natürlicher Autorität: Ziegler macht, nein – sie ist Weissensee. Mit jeder Strähne ihres feuerroten Haars, das am geschichtsgrauen Drehort noch greller wirkt.

Das Resultat? Na ja… Der horizontal erzählte Romeo-und-Julia-Stoff von 2010 wird ja längst eher gedehnt als vernäht. Uwe Kockischs Katharsis vom MfS-Oberst zum DDR-Kritiker wirkt so künstlich wie der plötzliche Kampfgeist seiner Frau (Ruth Reinecke). Anna Loos ist mal wieder die Edelmut in Person. Für Jördis Triebel wurde offenbar ein Präsenzgesetz für alle Fiktionen bis 2074 erlassen. Und der nette Florian Lukas Ost wird halt zum netten Florian Lukas West. Nur Jörg Hartmann, den Katrin Sass als Dissidentin mit IM-Makel in den Rollstuhl geschossen hat, darf am Serienarschloch Falk Kupfer wachsen.

Verengt auf drei Doppelfolgen voller Hass und Liebe, Verrat und Treue, Wendehälsen und Neonazis ist die Fortsetzung zwar keinesfalls missraten. Doch Fromms Serienmotiv, „das Private ist politisch, das Politische privat“, ertrinkt oft im Pathos melodramatischer Geschichten und Charaktere. Was aber nicht an den Darstellern liegt, die spürbar ergriffen vom Willen zur Wahrhaftigkeit erzählen. „Ich kann gut von meiner Rolle abstrahieren“, beteuert der Cottbusser Kockisch zwischen zwei Szenen, „aber die Energie hier ist schon ergreifend“. Ganz im Gegensatz zur Serie. Daran ändert auch Roland Jahn wenig, wenn der Bundesbeauftrage für die Stasi-Unterlagen am Set der Serie betont, wie „emotional sie Geschichte erlebbar macht“. Auch dank der Kiefholz-Schule in Berlin-Treptow. Nach Weissensee wird sie übrigens renoviert, kommt als Drehort also nicht mehr in Frage. Eine Fortsetzung, sagt der Regisseur, sei dennoch denkbar. Man darf das ruhig als Drohung verstehen.