Zwei Monate ist es nun her, dass die Regierung Ausgangsbeschränkungen verordnete und damit für einen Schub in Sachen TV-Nutzung sorgte. Erhöhtes Informationsbedürfnis und schlicht ein Wegfall vieler Alternativen waren die Gründe, die wir bereits beleuchtet haben. Inzwischen hat sich das Bild etwas gewandelt: Insbesondere bei den älteren Zuschauern ist die TV-Nutzung noch immer stark erhöht, die jüngeren Altersgruppen hingegen haben ihren TV-Konsum schon wieder zurückgeschraubt. Und mit der zunehmenden Lockerung der Regeln dürfte nun eine gewisse Normalisierung eintreten.

Zeit also für eine kleine Bilanz: Wir wollen im Folgenden weniger auf einzelne Primetime-Shows oder -Filme blicken - über die zahlreichen dort erreichten Rekorde haben wir in den letzten beiden Monaten tagtäglich berichtet. Nur vielleicht noch eine beeindruckende Zahl: Neun "Tatorte" und knapp ein Dutzend weitere Filme lockten in den beiden vergangenen Monaten über sieben Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Doch an dieser Stelle soll es mehr um die Formate gehen, die werktäglich oder wöchentlich zu sehen waren. Wer hat hier besonders profitiert und wie stark? Und welche Verschiebungen gab es unter den Sendern?

Nachrichten: Öffentlich-Rechtliche profitieren erheblich stärker als große Private

In der Corona-Krise zeigte sich, wem die Deutschen dabei besonders vertrauen, wenn's drauf ankommt: Den Öffentlich-Rechtlichen. Die Reichweite der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" stieg allein im Ersten um 28 Prozent an, wenn man den Zeitraum ab dem 16. März - also seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen - mit dem Zeitraum davor seit 1. Januar vergleicht. Noch deutlicher war der Anstieg bei der Hauptausgabe der "heute"-Nachrichten im ZDF, die um 31 Prozent zulegten.

In absoluten Zahlen heißt das: 5,4 statt zuvor 4,1 Millionen Zuschauer informierten sich bei "heute", 7,2 statt 5,6 Millionen bei der "Tagesschau" - wobei die tatsächliche Reichweite dort durch die Parallelausstrahlungen in den Dritten stets noch deutlich höher liegt. Auch die großen Privatsender RTL, Sat.1 und ProSieben verspürten durchaus ein erhöhtes Interesse an ihren Hauptnachrichten - doch der Reichweiten-Zuwachs fiel dort bei Weitem nicht so stark aus, sondern lag bei jeweils um die zehn rozent. "RTL aktuell" gewann so etwas über 300.000 Zuschauer hinzu, die "Sat.1 Nachrichten" etwas mehr als 100.000 - Zuwächse in einer ganz anderen Dimension also.

Etwas deutlicher ging's für die Privaten bei den 14- bis 49-Jährigen nach oben, doch auch hier zeigt sich, dass es die gerade sonst für die Öffentlich-Rechtlichen so schwer erreichbaren jüngeren Zuschauer waren, die hier die Vorzüge von ARD und ZDF schätzen lernten. Die Reichweite der "heute"-Nachrichten bei den 14- bis 49-Jährigen fiel während der Corona-Zeit um satte 63 Prozent höher aus als in den Monaten zuvor, bei der "Tagesschau" waren es immer noch knapp 40 Prozent. "Tagesthemen" und "heute-journal" legten unterdessen nicht ganz so stark zu wie die "Tagesschau" und "heute", doch auch dort kamen 500.000 bzw. 600.000 Zuschauer hinzu. Und auch hier gilt: Die Zugewinne waren beim jüngeren Publikum überproportional hoch.

  Gesamtpublikum 14-49-Jährige
  Reichweite Marktanteil Reichweite Marktanteil
Tagesschau (20 Uhr im Ersten)
 + 28 % + 18 %
 + 32 % + 40 %
heute (19 Uhr im ZDF)
 + 31 % + 28%
 + 66 %
+ 63 %
Tagesthemen + 18 % + 13 % + 40 % + 31 %
heute-journal + 14 % + 4 % + 31 % + 16 %
RTL aktuell
+ 10 %
+ 11 %  + 13 % + 12 %
Sat.1 Nachrichten + 9 % + 2 % + 19 % + 8 %
ProSieben Newstime + 10 % + 21 % + 7 % + 11 %

Veränderungen Corona-Zeit (ab 16.3.) im Vergleich zur Prä-Corona-Zeit (1.1.-15.3.)

Alle Talks profitieren - doch am beeindruckendsten ist die Bilanz von Lanz

Auch alle Talkshows erhielten durch die Corona-Krise erheblich Rückenwind, weil es plötzlich Dinge zu diskutieren gab, die wirklich jeden Einzelnen in seinem ganz persönlichen Leben angingen. Und während die Polittalks meist eine ziemlich überalterte Veranstaltung sind, entdeckten in der Krise auch die Jüngeren ihr Interesse an den Sendungen. Darauf reagierten die Sender: Die ARD etwa ließ mehrfach "Hart aber fair" und in einem Fall auch "Maischberger. Die Woche" direkt nach dem "ARD extra" bzw. direkt nach der "Tagesschau" ran, was ein erhebliches Quotenplus brachte. (Eine Strategie, die zwischenzeitlich auch den Politmagazinen fantastische Quoten-Rekorde bescherte).

Die Idee, Maybrit Illner eine Zeit lang Doppelschicht schieben zu lassen und sie neben dem Donnerstag- auch ein Mal am Dienstag- und drei Mal am Sonntagabend auf Sendung zu schicken, war aus Quotensicht hingegen weniger glücklich - zumal sie sonntags unnötigerweise direkt gegen Anne Will antalken musste. Ein Duell, das die ARD klar für sich entschied, was aber wohl auch noch etwas bessere Quoten des Will-Talks verhinderte. Auf den zusätzlichen, nicht gelernten Sendeplätzen hatte "Maybrit Illner" jedenfalls wenig überraschend meist weniger Zuschauer als auf dem Stamm-Sendeplatz. Rechnet man diesen Effekt heraus und betrachtet nur die üblichen Donnerstags-Sendungen, ergibt sich auch bei "Maybrit Illner" ein deutlicher Zuwachs, bei den Jüngeren sogar weit überproportional.

Ganz frei von irgendwelchen Sendeplatz-Verschiebungen und daher umso beeindruckender ist aber die Entwicklung des spätabendlichen Talks von Markus Lanz. Der lief in der Corona-Zeit zu wahrer Hochform auf und steigerte seine Reichweite nicht nur beim Gesamtpublikum um satte 30 Prozent, sondern konnte sie bei den 14- bis 49-Jährigen sogar mehr als verdoppeln. Sich am späten Abend u.a. von Dauergast Karl Lauterbach nochmal die Lage erklären zu lassen, geriet bei vielen offenbar zum abendlichen Ritual. Die zwei aus Quotensicht erfolgreichsten Wochen in der Geschichte des Talks fallen jedenfalls beide in die Corona-Zeit. Im Schlepptau von Lanz erlebte übrigens auch "heute plus" einen massiven Aufschwung (+31 Prozent Reichweite gesamt, + 86 Prozent Reichweite 14-49), deutlich stärker als beispielsweise das "Nachtmagazin" im Ersten oder das "RTL-Nachtjournal"

  Gesamtpublikum 14-49-Jährige
  Reichweite Marktanteil Reichweite Marktanteil
Anne Will
 + 19 % + 9 %
 + 30 % + 22 %
Hart aber fair
 + 30 % + 23%
 + 59 %
+ 44 %
Maischberger
+ 28 %
+ 21 %  + 100 % + 66 %
Maybrit Illner (alle Sendungen)
+ 11 % + 7 % + 67 % + 50 %
Maybrit Illner (nur donnerstags) + 24 % + 20 % + 88 % + 69 %
Markus Lanz
+ 30 % + 17 % + 105 % + 63 %

Veränderungen Corona-Zeit (ab 16.3.) im Vergleich zur Prä-Corona-Zeit (1.1.-15.3.)